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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 654 und 655/04 OLG Hamm

Leitsatz: 1. Wird durch die Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch der Schuldspruch rechtskräftig, steht die Unschuldsvermutung einer Berücksichtigung der Verurteilung bei der Frage des Widerrufs der Strafaussetzung zur Bewährung nicht entgegen.
2. Von einem an sich gebotenen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung kann abgesehen werden, wenn die der neuen Verurteilung zugrunde liegende Straftat mehr als drei Jahre zurückliegt.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, neue Straftat, Urteil nicht rechtskräftig, Berufung, Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch, lange zurückliegende Straftat, Absehen vom Widerruf wegen Zeitdauer, Unschuldsvermutung

Normen: StGB 56 f

Beschluss:

OLG Hamm, Beschl. v. 13.1.2005 - 3 Ws 654, 655/04

Aus den Gründen: I. Mit dem angefochtenen Beschl. hat die 5. StVK des LG Essen die der Verurteilten durch Beschl. der 1. StVK des LG Essen v. 13.10.2000 - 1 StVK K 634, 635/00 rechtskräftig seit dem 26.10.2000 - gewährte Strafaussetzung zur Bewährung hinsichtlich der Reststrafen aus dem Urteil des AG Biberach v. 25.6.1996 i.V.m. dem Urt. des LG Ravensburg v. 22.4.1997 sowie aus dem Urt. des AG Biberach v. 17.3.1998 widerrufen. Gegen den ihr am 26.10.2004 zugestellten Widerrufsbeschl. hat die Verurteilte mit am 28.10.2004 bei dem LG Essen eingegangenen Schriftsatz ihres Verteidigers sofortige Beschwerde eingelegt.
II. Die zulässige sofortige Beschwerde der Verurteilten hat auch in der Sache Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschl. und zur Verlängerung der Bewährungszeit gem. § 56 f Abs. 2 Ziff. 2 StGB i.V.m. § 57 Abs. 3 StGB. Die Verlängerung der Bewährungszeit genügt hier nämlich angesichts der zwischenzeitlichen Entwicklung der Verurteilten, um den Aussetzungszweck, daß die Verurteilte künftig auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, zu erreichen.
Allerdings wäre hier an sich der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung gem. § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StPO i.V.m. § 57 Abs. 3 StGB gerechtfertigt gewesen. Insoweit hat die StVK bei dem LG Essen zunächst in dem angefochtenen Beschl. zutreffend auf die Vielzahl der einschlägigen Vorstrafen der Bf. sowie darauf verwiesen, daß diese auch während der laufenden Bewährungszeit in den vorliegenden Verfahren mehrfach straffällig geworden ist, und zwar zunächst im August 2001 zum Nachteil der Citibank in Wuppertal und am 24.1.2003 mit einem Ladendiebstahl. Hinsichtlich der beiden Taten zum Nachteil der Citibank ist die Verurteilte mittlerweile auch durch Urteil des AG Wuppertal v. 16.12.2004 wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zwei Fällen unter Einbeziehung der im Urteil des AG Wuppertal v. 23.9.2003 wegen des Ladendiebstahls v. 24.1.2003 verhängten Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 J. .verurteilt worden, wobei infolge der Beschränkung der hiergegen eingelegten Berufung der Verurteilten auf den Rechtsfolgenausspruch der Schuldspruch auch hinsichtlich des Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in zwei Fällen rechtskräftig geworden ist. Die Unschuldsvermutung stünde damit einer Berücksichtigung dieser neuen Straftaten zum Nachteil der Verurteilten im Beschwerdeverfahren nicht entgegen. Hinsichtlich des Ladendiebstahls v. 24.1.2003 kommt ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung schon deshalb nicht in Betracht, weil die Bf. insoweit rechtskräftig durch das Urteil des AG Wuppertal v. 23.9.2003 zu einer - nunmehr einbezogenen - Freiheitsstrafe von 3 M. mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist. Vor allem die erneute massive Rückfälligkeit mit den beiden Taten zum Nachteil der Citibank aus August 2001 hätte hier ausgereicht, um den Widerruf der Strafaussetzung zu begründen.
Von dem damit an sich gebotenen Widerruf der Reststrafaussetzungen konnte hier nur deshalb gem. § 56 f Abs. 2 Nr. 2 StGB abgesehen werden, weil die genannten Straftaten zum Nachteil der Citibank heute mehr als 3 J. zurückliegen. In diesen 3 J. hat die Verurteilte den der Citibank entstandenen Schaden von immerhin 9.448,41 Euro nach den Feststellungen in dem Urteil des AG Wuppertal v. 16.12.2004 in vollem Umfang wiedergutgemacht. Die Verurteilte hat sich in diesen 3 J. bis auf den Diebstahl eines Sekundenklebers im Wert von 3 Euro am 24.1.2003. nichts zu Schulden kommen lassen.
Sie verfügt seit dem 1.9.2001 über eine feste Arbeitsstelle. Sie lebt mit ihrem Ehemann zusammen, der ebenfalls über eine Arbeitsstelle verfügt, auch die Zusammenarbeit mit der Bewährungshelferin gestaltet sich positiv. Hinzu kommt, daß sie entsprechend der Weisung aus dem Beschl. der 1. StVK des LG Essen v. 13.10.2000 mittlerweile erfolgreich eine ambulante Psychotherapie bei der Psychotherapeutin A. in Wuppertal mit bislang 20 Therapiestunden absolviert hat. Die neuerlichen Betrugstaten im August 2001 lagen in der Anfangsphase der Therapie, in dem Monat nach Therapiebeginn. Nach Beendigung der Therapie ist es dagegen bis auf den genannten Ladendiebstahl zu keinen Auffälligkeiten mehr gekommen. Es ist daher entsprechend einer vorliegenden Bestätigung der Therapeutin davon auszugehen, daß die Therapie bei der Verurteilten im wesentlichen erfolgreich war. Von einem vollen Therapieerfolg kann hier noch nicht ausgegangen werden; denn anderenfalls wäre es nicht zu dem Ladendiebstahl v. 24.1.2003 gekommen: Auch wenn es sich hier nur um eine geringwertige Sache im Wert von 3 Euro gehandelt hat, läßt diese Tat erkennen, daß die Verurteilte ihre frühere innere Einstellung, die sie immer wieder zu Straftaten gebracht hat, zwar weitgehend, aber noch nicht vollständig überwunden hat. Gleichwohl erschien es dem Senat angesichts der für eine günstige Sozialprognose sprechenden Umstände aber nicht angemessen, allein im Hinblick auf den Ladendiebstahl v. 24.1.2003, den Widerruf der Strafrestaussetzungen anzuordnen. Die Verurteilte muß sich aber darüber im klaren sein, daß sie auch dann mit einem Widerruf der Strafaussetzung wird rechnen müssen, wenn sie künftig nur "geringfügige" Straftaten begeht.
Der Umstand, daß der Verurteilten durch das Urteil des AG Wuppertal v. 16.12.2004 keine erneute Bewährungschance eingeräumt worden ist, hindert den Senat nicht daran, wie geschehen zu entscheiden. Zunächst kann nicht übersehen werden, daß die Nichtgewährung der Strafaussetzung zur Bewährung in dem Urt. v. 16.12.2004 im Widerspruch steht zu dem Urteil desselben Gerichts v. 23.9.2003, mit dem der Verurteilten bei gegenüber heute unveränderten Lebensumständen eine günstige Sozialprognose gestellt worden war. Darüber hinaus hat das AG Wuppertal in seinem Urt. v. 16.12.2004 auch den Zeitablauf seit den Taten von August 2001 jedenfalls nicht ausdrücklich berücksichtigt. Gerade diesem Zeitablauf kommt aber nach der Bewertung durch den Senat hier maßgebliches Gewicht zu. Hinzu kommt, daß das Urteil des AG Wuppertal v. 16.12.2004 im Rechtsfolgenausspruch noch nicht rechtskräftig ist. Der Senat hat insoweit erwogen, die Rechtskraft jener Entscheidung abzuwarten, hat dies letztlich jedoch verworfen. Nach den Erfahrungen des Senats ist nämlich vor Jahresfrist nicht mit einem Berufungsurteil und bei Einlegung der Revision durch die Verurteilte vor Ablauf von mindestens 1 1/2 J. nicht mit dem rechtskräftigen Abschluß des betreffenden Strafverfahrens zu rechnen. Dann würden die Taten zum Nachteil der Citibank aber mehr als 4 J. zurückliegen



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