Aktenzeichen: 3 Ss 430/07 OLG Hamm |
Leitsatz: Zum Tatbegriff i.S. des § 264 StPO |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Tatbegriff; einheitlicher Vorgang; Unterschlagung; Betrug; |
Normen: StPO 264; StGB 246; StGB 263 |
Beschluss: Strafsache gegen PP. wegen versuchten Betruges. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der VII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 11. Juli 2007 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 12. 2007 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft einstimmig beschlossen: Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Das Verfahren wird gem. § 206 a StPO eingestellt, soweit der Angeklagte wegen versuchten Betruges verurteilt worden ist. Im übrigen wird der Angeklagte freigesprochen. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt. Gründe: I. Gegen den Angeklagten ist am 01.12.2006 Strafbefehl wegen Unterschlagung ergangen. Auf den dagegen eingelegten Einspruch hat das Amtsgericht Bielefeld den Angeklagten am 15.02.2007 wegen Unterschlagung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 15 verurteilt. Auf die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Bielefeld unter Verwerfung der weitergehenden Berufung dieses Urteil dahingehend neu gefasst, dass der Angeklagte wegen versuchten Betruges zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 5 verurteilt wird. Gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 11.07.2007 hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen. II. Die rechtzeitig eingelegte und form- und fristgerecht begründete Revision führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses. Die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung der allgemeinen Verfahrensvoraussetzungen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, Einl. Rdnr. 150 und § 337 Rdnr. 6) ergibt, dass die abgeurteilte Tat nicht Gegenstand der zugelassenen Anklage ist. Gemäß § 264 StPO ist Gegenstand der Urteilsfindung die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Verhandlung darstellt. Das Gericht hat die Pflicht, die ganze Tat im verfahrensrechtlichen Sinn in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht erschöpfend abzuurteilen (BGHSt 22, 105, 106). Dabei umfasst der verfahrensrechtliche Tatbegriff den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang, innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (BGHSt 10, 396, 397; BGHSt 27, 168, 172; BGHSt 32, 215, 216). Den Rahmen der Untersuchung bildet zunächst das tatsächliche Geschehen, wie es die Anklage umschreibt (BGHSt 32, 215, 216; BGH NStZ 1989, 37). Die Tat als Prozessgegenstand ist jedoch nicht nur der in der Anklage umschriebene und dem Angeklagten zur Last gelegte Geschehensablauf. Vielmehr gehört zu ihr das gesamte Verhalten des Angeklagten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitliche Vorgang bildet (BGHSt 23, 141, 145; BGHSt 32, 215, 216; BGHSt 45, 211, 213; BGH NStZ 2006, 350, 351). Ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang liegt vor, wenn die einzelnen Lebenssachverhalte innerlich so miteinander verknüpft sind, dass sie nach der Lebensauffassung dergestalt eine Einheit bilden, dass ihre Behandlung in getrennten Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines zusammengehörenden Geschehens erscheinen würde (RGSt 70, 396, 398; BGHSt 2, 371, 374; BGHSt 32, 215, 216). Ist nach diesen Maßstäben ein einheitlicher Vorgang gegeben, so sind die Einzelgeschehnisse, aus denen er sich zusammensetzt, auch insoweit Bestandteil der angeklagten Tat, als sie keine konkrete Erwähnung in der Anklage finden (BGHSt 32, 215, 216; BGH NStZ 06, 350, 351) Auch sachlich-rechtlich selbständige Taten können prozessual eine Tat im Sinne von § 264 StPO sein. Dabei kommt es im Einzelfall darauf an, ob die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern auch innerlich derart unmittelbar miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung in verschiedenen Verfahren einen einheitlichen Lebensvorgang unnatürlich aufspalten würde (BGH, NStZ 2006, 350, 351). Davon ausgehend fehlt es vorliegend an einem Zusammenhang im vorbeschriebenen Sinne. Gegenstand der Verurteilung ist nicht die in dem Strafbefehl bezeichnete prozessuale Tat im Sinne von § 264 StPO. Der Angeklagte ist durch das Landgericht vielmehr wegen einer anderen Tat verurteilt worden, als ihm in dem Strafbefehl zur Last gelegt worden ist. In dem antragsgemäß erlassenen Strafbefehl des Amtsgerichts Bielefeld wegen des Vorwurfs einer am 05.09.2006 begangenen Unterschlagung heißt es u.a.: Ihnen wird folgendes zur Last gelegt: Sie benutzen dauerhaft die Ihnen leihweise von dem Zeugen T überlassene Schleifmaschine im Wert von ca. 120.-- Euro, obwohl der Zeuge T Sie wiederholt zur Herausgabe aufgefordert hat. Dieser Inhalt des Strafbefehls genügt anders als die Revision meint noch den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Anklage gem. §§ 200, 409 StPO, da der vorgeworfene Zueignungsakt noch in der Nichtrückgabe erkennbar ist. Diese ist in der Konkretisierung des Strafbefehls darin zu erkennen, dass der Angeklagte die Maschine benutzt haben soll, obwohl er zur Herausgabe aufgefordert wurde. Zur Vorgeschichte des Geschehens hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte mit einem Partner zusammen als GbR im Baunebengewerbe tätig war. Im August 2006 hatte die GbR Aussicht auf einen Auftrag und suchte deshalb über die Internetseite der Agentur für Arbeit einen Maler. Es meldete sich der Zeuge T und es kam zu einem Vorstellungsgespräch. Weiter heißt es im Urteil des Landgerichts in den Feststellungen zur Sache u.a.: Am Ende des Gespräches sicherte der Angeklagte dem Zeugen T zu, dass er auf jeden Fall eingestellt werde; man werde einen entsprechenden Arbeitsvertrag vorbereiten. Im Vertrauen auf die Einstellung wurde der Zeuge T in den nächsten Tagen schon für die GbR tätig. Er erstellte hinsichtlich der Außenisolierung ein Angebot, war auf der Baustelle und sprach auch mit dem Bauherren. Der Zeuge T fragte mehrfach nach, wann er denn mit einem schriftlichen Arbeitsvertrag rechnen könne. Der Angeklagte vertröstete ihn aber jedes Mal damit, dass der Arbeitsvertrag in Arbeit sei. Dem Zeugen T gegenüber verschwieg der Angeklagte, dass seine Einstellung gar nicht sicher sei. Der Zeuge I machte nämlich eine Einstellung des Zeugen T davon abhängig, dass der Auftrag über die Außenisolierung überhaupt zustande komme; erst dann sei man überhaupt in der Lage, das Gehalt des Zeugen T der Angeklagte hatte sich mit dem Zeugen T auf ein Nettogehalt von 1.500 geeinigt zu bezahlen. Im Rahmen eines Kundenbesuches fragte der Angeklagte den Zeugen T, ob dieser im Besitz einer Exenter-Schleifmaschine sei, welche er für einen Auftrag benötigen würde. Auch bot er dem Zeugen T an, er werde weitere Werkzeuge und Maschinen, welche der Zeuge T auf Grund seiner Selbständigkeit besaß, zu auszuhandelnden Preisen in die Firma übernehmen. Im Vertrauen auf die Versicherung, er werde von der GbR als Maler eingestellt, verlieh der Zeuge T dem Angeklagten kostenlos die Exenter-Schleifmaschine. Am 21.08.2006 übergab er dem Angeklagten die Schleifmaschine in dessen Wohnung und erklärte ihm die Funktionsweise. Der Angeklagte wusste, dass ihm der Zeuge nur im Vertrauen auf die künftige Einstellung die Schleifmaschine zur kostenlosen Benutzung überlassen hatte. Der Strafbefehl schildert damit nicht denselben geschichtlichen Vorgang, der der Verurteilung zugrunde liegt, nämlich das Vortäuschen der beabsichtigten Einstellung unter Verschweigen der diesbezüglichen Unsicherheiten und die dadurch erreichte Erlangung der Exenter-Schleifmaschine. Vielmehr beschränkt sich die in dem Strafbefehl bezeichnete Tat auf die Nicht-Herausgabe der vorher geliehenen Exenter-Schleifmaschine trotz mehrmaliger Aufforderung. Bei der Erwähnung des Begriffes leihweise handelt es sich nicht um eine Ausdehnung der Anklage auch auf den Vorgang des Erlangens der Maschine. Dies ist vielmehr ein Hinweis darauf, dass die Maschine nicht dem Angeklagten gehört. Das Täuschungsverhalten des Angeklagten gehört auch nicht mehr zu dem durch die Anklage bzw. den Strafbefehl bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis, das nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Lebensvorgang bildet, auch wenn es in der Anklage nicht ausdrücklich erwähnt ist. Der Vorgang, der der Anklage zugrunde liegt (Manifestation des Zueignungswillens durch Nichtherausgabe der Schleifmaschine), unterscheidet sich wesentlich von dem Vorgang des Erlangens der Maschine durch das Vortäuschen einer Einstellungsabsicht, welcher Grundlage des angefochtenen Urteils ist. Bei natürlicher Betrachtungsweise kann nicht mehr von einem einheitlichen geschichtlichen Lebensvorgang gesprochen werden. In Zeit und Umständen unterscheiden sich beide Vorgänge erheblich. Zum einen fand das Erschleichen der Maschine zu einem ganz anderen Zeitpunkt statt (21.08.2006), als die erstmalige Verweigerung der Herausgabe (05.09.2006), in der nach dem Anklagevorwurf die Manifestation des Zueignungswillens lag. Dieser Zeitraum von über zwei Wochen ist bereits erheblich. Zum anderen sind die Umstände der Erlangung der Maschine etwas völlig anderes als die Umstände des Behaltens trotz Herausgabeverlangens. Beides stellt gänzlich unterschiedliche und unabhängige Lebensvorgänge dar, selbst wenn es sich um die gleiche Sache handelt. Von Bedeutung ist auch, ob die eine Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung führten, gewürdigt werden kann (BGHSt 45, 211, 213). So ist es im vorliegenden Fall nicht. Die Frage, ob und warum jemand eine Sache nicht herausgibt, kann unabhängig von der Frage beurteilt werden, wie er diese Sache erlangt hat. Nicht zuletzt spricht auch die unterschiedliche Angriffsrichtung gegen die Annahme einer Tat im prozessualen Sinne. Die geschützten Rechtsgüter sind verschiedene; § 263 StGB schützt das Vermögen, wohingegen § 246 StGB ein Eigentumsdelikt ist. Für eine Verurteilung wegen versuchten Betruges fehlt es damit an der notwendigen Verfahrensvoraussetzung einer ordnungsgemäßen und zugelassenen Anklage. Der in der Berufungshauptverhandlung nach § 265 StPO erteilte rechtliche Hinweis, wonach auch eine Verurteilung wegen Betruges gem. § 263 StGB in Betracht komme, kann die fehlende Anklage nicht ersetzen. Soweit der Angeklagte wegen versuchten Betruges verurteilt worden ist, führt dieser Verfahrensmangel zu einer Einstellung nach § 206 a StPO. III. Vom Vorwurf der Unterschlagung gem. § 246 StGB war der Angeklagte freizusprechen. Ist die ursprünglich angeklagte Tat nicht erwiesen und der Angeklagte nur wegen der nicht angeklagten Tat verurteilt, so ist der Angeklagte hinsichtlich der ursprünglich angeklagten Tat freizusprechen (BGH, NJW 00, 3293 f.). Das Landgericht hat in dem angefochtenen Urteil ausgeführt, eine Unterschlagung könne dem Angeklagten nicht mit einer zur Verurteilung ausreichenden Sicherheit nachgewiesen werden, da es an einer nach außen erkennbaren Manifestation eines Zueignungswillens fehle. Angesichts der vom Landgericht getroffenen Feststellungen erscheint es ausgeschlossen, dass insoweit noch weitere Feststellungen zu Lasten des Angeklagten getroffen werden können. IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3, 4 StPO. |
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