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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 702/07 OLG Hamm

Leitsatz: Sofern mehrere prozessuale Taten in einem Verfahren angeklagt worden sind und es nur wegen einer Tat zu einem Freispruch kommt, ist hinsichtlich einer Entschädigung nach dem StReG unter Berücksichtigung der kraft Gesetzes vorzunehmenden Anrechnung (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB) am Ende des Verfahrens eine Gesamtbetrachtung zwischen den insgesamt verhängten Rechtsfolgen und sämtlichen Strafverfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG vorzunehmen

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Entschädigung; Untersuchungshaft; Rechtsfolgen; Gesamtbetrachtung; Anrechnung;

Normen: StrEG 4; StrEG 5, StrEG 8; StGB 51;

Beschluss:

Strafsache
gegen pp.
wegen Geiselnahme u.a.
(hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft).

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 19. April 2007 gegen die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung in dem Urteil der VII. großen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 18. April 2007 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 15. 01. 2008 durch nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Verurteilten bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Die Beschwerde wird mit der Maßgabe als unbegründet zurückgewiesen, dass der Angeklagte C für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen ist, soweit keine Anrechnung auf die Geldstrafe erfolgt.
Die Kosten der Beschwerde und die notwendigen Auslagen des Angeklagten werden der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
I.

Die Staatsanwaltschaft Essen hat dem Angeklagten mit der Anklageschrift vom 24.11.2006 zur Last gelegt, am 03.09.2006 gemeinschaftlich handelnd durch dieselbe Handlung einen erpresserischen Menschenraub, eine Geiselnahme, einen schweren Raub, eine schwere räuberische Erpressung und eine gefährliche Körperverletzung sowie durch zwei weitere selbständige Handlungen am 19.10.2006 unerlaubt Betäubungsmittel besessen und gegen das Waffengesetz verstoßen zu haben.

Wegen des Vorwurfs der Tat vom 03.09.2006 wurde der Angeklagte aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Essen vom 29.09.2006 (71 Gs 1972/06) am 19.10.2006 in Untersuchungshaft genommen. Durch Beschluss der VII. großen Strafkammer des Landgerichts Essen vom 08.12.2006 wurde der Haftbefehl des Amtsgerichts Essen aufrechterhalten und der Anklageschrift angepasst. Während der laufenden Hauptverhandlung wurde der Haftbefehl vom 08.12.2006 durch Beschluss des Landgerichts Essen vom 29.03.2007 aufgehoben und der Angeklagte aus der Untersuchungshaft entlassen.

Durch Urteil des Landgerichts Essen vom 18.04.2007 ist der Angeklagte unter Freispruch im Übrigen wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln und wegen unerlaubten Besitzes einer halbautomatischen Kurzwaffe und eines Totschlägers zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 50 € verurteilt worden. Zugleich hat das Landgericht in dem Urteil entschieden, dass der Angeklagte für die erlittene Untersuchungshaft zu entschädigen ist.

Gegen die Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Essen vom 19.04.2007, die am 11.07.2007 näher begründet worden ist. Das Urteil selbst ist nach Rücknahme der Revision durch die Staatsanwaltschaft rechtskräftig seit dem 27.09.2007.

II.
Die nach § 8 Abs. 3 StrEG statthafte und gemäß § 311 Abs. 2 StPO fristgerecht eingegangene sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und führt zur Abänderung der Entscheidung über die Verpflichtung zur Entschädigung für erlittene Untersuchungshaft. Die weitergehende Beschwerde ist nicht begründet.

Nach § 2 Abs. 1 StrEG ist derjenige, der durch den Vollzug von Untersuchungshaft einen Schaden erlitten hat, aus der Staatskasse zu entschädigen, soweit er freigesprochen worden ist. Aus der gesetzgeberischen Formulierung „soweit“ folgt, dass eine Entschädigung bei einem Teilfreispruch nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist. Allerdings ist § 2 StrEG nur dann einschlägig, wenn sich die Strafverfolgungsmaßnahme völlig isoliert auf den Verfahrensteil bezogen hat, der mit einem Freispruch beendet wurde (vgl. KG Berlin, Beschluss vom 28.01.2002, 4 Ws 62/00, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, NStZ 1991, 141).

Beim Vollzug von Untersuchungshaft führt der Grundsatz der Verfahrensidentität kraft Gesetzes zur Anrechnung der erlittenen Untersuchungshaft auf die Geldstrafe, § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB, sofern – wie vorliegend - keine Anordnung im Sinne von § 51 Abs. 1 Satz 2 StGB getroffen ist. Für die Anrechnung erlittener Untersuchungshaft genügt es dabei, dass die Tat, wegen der Untersuchungshaft vollzogen worden ist, überhaupt Gegenstand des Verfahrens gewesen ist. Es kommt deshalb – in den Grenzen der Verfahrenseinheit - nicht darauf an, ob die Tat, die zur (Teil-) Verurteilung geführt hat, zeitlich vor der Untersuchungshaft liegt, sie im logischen Sinne also mitverursacht haben kann (BGHSt 28; 29; OLG Schleswig, NJW 1978, 115).

Sofern – wie vorliegend - mehrere prozessuale Taten in einem Verfahren angeklagt worden sind, also Verfahrensidentität gegeben ist, und es nur wegen einer Tat zu einem Freispruch kommt, ist unter Berücksichtigung der kraft Gesetzes vorzunehmenden Anrechnung (§ 51 Abs. 1 Satz 1 StGB) am Ende des Verfahrens eine Gesamtbetrachtung zwischen den insgesamt verhängten Rechtsfolgen und sämtlichen Strafverfolgungsmaßnahmen im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG vorzunehmen (vgl. Kunz, StrEG, 3. Auflage, § 2, Rdnr. 41; § 4, Rdnr. 6; Meyer, StrEG, 6. Auflage, § 4 Rdnr. 19 ff m.w.N.).

Die nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG vorzunehmende Gesamtabwägung ergibt, dass die Geldstrafe von 80 Tagessätzen deutlich geringer ist als die vom 19.10.2006 bis 29.03.2007 erlittene Untersuchungshaft. Es entspricht daher nach den Umständen des Falles der Billigkeit, dem Angeklagten für die „überschießende“ Untersuchungshaft von etwa 80 Tagen eine Entschädigung zu gewähren.

Die Entschädigung kann nicht gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 StrEG mit der Begründung versagt werden, der Angeklagte habe wesentliche entlastende Umstände verschwiegen, obwohl er sich zur Beschuldigung geäußert hat.
Der Angeklagte hat in seiner richterlichen Vernehmung am 24.11.2006 zwar verschwiegen, wer mit dem Geschädigten zur Tatzeit am Tatort Clubhaus eintraf. Nach § 8 Abs. 3 StrEG i.V.m. § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO ist das Beschwerdegericht aber an die tatsächlichen Feststellungen im Urteil gebunden. Danach hielt sich der Angeklagte während des gesamten Vorgangs im Clubhaus auf, und er wußte um das Treffen mit dem Geschädigten. Einzelheiten waren ihm jedoch nicht bekannt und mitbekommen hat er an diesem Tag nur, dass der Geschädigte im Clubhaus erschienen war. Am Vorgehen der anderen Mitangeklagten war er selbst nicht beteiligt und er hatte auch keinen Kontakt zu dem Geschädigten (UA 11).
Aufgrund dieser (bindenden) Feststellungen kann der Senat nicht davon ausgehen, dass der Angeklagte um die jeweiligen Tatbeiträge der Tatbeteiligten wusste, insbesondere dass der ihm zur Last gelegte Tatbeitrag tatsächlich von dem C geleistet worden war. Mangels Kenntnis dieser Einzelheiten hat der Angeklagte auch keine entlastenden Umstände verschwiegen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 2, Abs. 4 StPO.



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