Aktenzeichen: 1 Ss 395/05 OLG Hamm |
Leitsatz: Zur Verwertbarkeit von Erklärungen des Verteidigers in der Hauptverhandlung als Erklärung des Angeklagten.] |
Senat: 1 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Erklärung; Einlassung des Angeklagten; Erklärung des Verteidigers; Verwertbarkeit; Verfahrensrüge; Begründung |
Normen: StPO 261; StPO 344 |
Beschluss: Strafsache gegen W.U. wegen Unterschlagung u.a. Auf die (Sprung-)Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Detmold vom 12. April 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesge¬richts Hamm in der Sitzung vom 01. 02. 2006, an der teilgenommen haben: Richterin am Oberlandesgericht als Vorsitzende, Richter am Oberlandesgericht und Richterin am Oberlandesgericht als beisitzende Richter, Oberstaatsanwältin als Vertreterin der Generalstaatsanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle für Recht erkannt: Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen auf¬gehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts - Schöffen- gericht - Detmold zurückverwiesen. Gründe: I. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld, die gemäß § 145 Abs. 1 GVG von dem General¬staatsanwalt in Hamm mit der Wahrnehmung der Amtsverrichtung der Staats¬anwaltschaft beauftragt worden war, hat der Angeklagten mit den Anklageschriften vom 11. Juni 2003 und 30. Januar 2004 zur Last gelegt: "1. am 2. Mai 2002 aufgrund eines gemeinsam mit ihrem Ehemann T.U. gefassten Tatentschlusses den PKW BMW Z 8, Fahrgestell-Nr. XXXXXX, beim Straßenverkehrsamt des Kreises Lippe auf ihren Namen zugelassen zu haben, um sich selbst gegenüber Dritten als Eigentümerin des Fahrzeugs gerieren und den PKW dem Zugriff Dritter ent¬ziehen zu können, obwohl sie gewusst habe, dass der PKW nicht im Eigentum ihres Mannes, der ihr den Besitz an dem Fahrzeug verschafft hatte, gestanden habe; 2. in der von ihr abgegebenen "Erklärung zum Elterneinkommen" zur Festset¬zung des Elternbeitrages für die in einer Tageseinrichtung im Bereich des Jugendamtes des Kreises Lippe angemeldete Tochter A.U., die am 19. Juni 2002 beim Kreis Lippe einging, nur ihr Arbeitseinkommen, nicht aber ihre Zinseinkünfte angegeben zu haben, so dass statt des Höchstbetrages von 235,19 monatlich für die Zeit vom 1. August 2002 bis zum 31. Juli 2003 kein Elternbeitrag erhoben worden sei." Von diesen Vorwürfen hat das Amtsgericht Detmold die Angeklagte mit Urteil vom 12. April 2005 freigesprochen. Nach Auffassung des Amtsgerichts konnten der Angeklagten nach der in der Haupt¬verhandlung durchgeführten Beweisaufnahme diese Taten nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden. Im Einzelnen hat das Amtsgericht ausgeführt: "zu 1: Zwar spricht einiges dafür, dass der Ehemann der Angeklagten nicht Eigentümer des Fahrzeugs war - nämlich die Zulassung des Pkw auf die Fa. C., Bielefeld, die Zahlung des Kaufpreises an das Autohaus vom Konto der C. München und die Reaktion des T.U. auf die erste Nachfrage nach dem Fahrzeug durch die Ermittlungsbeamten. Aber dass die Angeklagte in Kenntnis der Nichtberechtigung ihres Ehemannes den Wagen dann auf ihren eigenen Namen zugelassen hat, konnte nicht fest¬gestellt werden. Auffällig ist zwar, dass sie den PKW kurz nach der Nachfrage durch die Ermittlungsbeamten ins Ausland verbracht hat. Aber die Einlassung der Angeklagten, ihr sei der PKW von ihrem Mann geschenkt worden, ist nicht zu widerlegen und wird auch noch gestützt durch die Bekundungen des Zeu¬gen R., T.U. habe ihm erklärt, der Kauf des PKW solle eine Überraschung für die Angeklagte sein, sodass sie sich trotz der anders lau¬tenden Eintragung in den Fahrzeugpapieren durchaus als Berechtigte fühlen durfte. Denn es ist nicht gerade unüblich, dass auch die Privatautos von Ge¬schäftsleuten nominell auf die Firma zugelassen sind. zu 2: Unzweifelhaft hat die Angeklagte die Erklärung zum Elterneinkommen nicht vollständig ausgefüllt, da sie lediglich ihr Arbeitseinkommen, nicht aber ihre weiteren Einkünfte aus Kapitalvermögen eingesetzt hat. Ob angesichts der durch die Steuererklärung deklarierten hohen Werbungs¬kosten hinsichtlich der Zinseinnahmen die Angeklagte überhaupt positive Ein¬künfte aus Kapitalvermögen erzielt hat, kann dahingestellt bleiben. Denn die Angeklagte hat sich unwiderlegt dahin eingelassen, sie sei bei Aus¬füllen dieser Erklärung von ihrem Verteidiger, der auch Steuerberater und Wirtschaftsprüfer ist, beraten worden und habe entsprechend seinem Rat die Erklärung ausgefüllt. Danach kann der Angeklagten ein Betrugsvorwurf nicht gemacht werden." Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld am 13. April 2005 zunächst Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 21. Juni 2005, eingegangen beim Amtsge¬richt Detmold am 29. Juni 2005, hat sie den Übergang zur Revision erklärt und zugleich die Revision begründet. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Nach ihrer Auffassung tragen die getroffenen Feststellungen den Freispruch der Ange¬klagten aus tatsächlichen Gründen nicht. Die Urteilsgründe stünden in Widerspruch zu beurkundeten Förmlichkeiten im Protokoll der öffentlichen Sitzung des Schöffen¬gerichts Detmold vom 12. April 2005. Ausweislich des Sitzungsprotokolls habe der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. P. nach Verlesung des Anklagesatzes erklärt, die Angeklagte wolle zunächst zu den Vorwürfen keine Angaben machen. Eine weitere Erklärung der Angeklagten oder eines ihrer Verteidiger zu diesem Anklagevorwurf lasse sich dem Protokoll demgegenüber nicht entnehmen. Entgegen den Urteils¬gründen habe sich die Angeklagte auch zu dem Tatvorwurf zu Ziffer 2) nicht einge¬lassen. Ausweislich des Protokolls habe lediglich der Verteidiger Rechtsanwalt Dr. H. als Einlassung für die Angeklagte erklärt, "dass er zusammen mit der An¬geklagten den Antrag auf Einkommenssteuererklärung bearbeitet habe". Ab¬gesehen davon, dass sich die in der Hauptverhandlung anwesende Angeklagte bei ihrer Ein¬lassung nicht durch einen Verteidiger vertreten lassen könne, sei diese Erklärung nicht geeignet, die Angeklagte zu entlasten. Tatrelevante Urkunde sei nämlich die Erklärung zum Elterneinkommen U., welche dementsprechend in der Haupt¬verhandlung verlesen worden sei, und nicht eine Einkommenssteuer¬erklärung der Angeklagten. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision mit ergänzenden Ausführungen bei¬getreten. Der Verteidiger hat beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen. Er ist der Auffassung, die Staatsanwaltschaft habe lediglich die Verletzung materiellen Rechts gerügt; eine Umdeutung in eine Verfahrensrüge sei nicht zulässig; im übrigen ent¬spreche diese nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. II. Die Sprungrevision ist gemäß §§ 312, 335 Abs. 1 StPO zulässig. Die Staatsanwalt¬schaft war nicht daran gehindert, innerhalb der Revisionsbegründungsfrist vom Rechtsmittel der Berufung zu dem der Sprungrevision überzugehen. Die Revision ist auch frist- und formgerecht begründet worden. Sie hat auch in der Sache einen - zumindest vorläufigen - Erfolg. Das Urteil war auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts aufzuheben. Zwar hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld die Rüge der Verletzung formellen Rechts nicht ausdrücklich erhoben. Die Revisionsbegründung ist jedoch grundsätzlich aus¬legungsfähig (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 344 Rdnr. 11 m.w.N.). Die Staatsanwaltschaft hat ausgeführt, das Amtsgericht habe zu Unrecht eine tatsächlich nicht abgegebene Einlassung der Angeklagten berücksichtigt, habe also unter Ver¬letzung des § 261 StPO die dem Schuldspruch zugrunde liegenden Feststellungen getroffen. Bei dieser Rüge handelt es sich indes um eine Verfahrensrüge (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 261 Rdnr. 172). Angesichts der Tatsache, dass die Staatsanwaltschaft gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO die den Mangel begrün¬denden Tatsachen in noch ausreichender Weise dargelegt hat, ist im Wege der Auslegung die Rüge als Verfahrensrüge anzusehen, auch wenn die Staatsanwalt¬schaft diese irrtümlich falsch bezeichnet hat. Dies gilt vorliegend um so mehr, als die Angriffsrichtung der Rüge deutlich erkennbar war. Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht die Tatsache, dass es sich um eine Revision der Staatsanwaltschaft handelt. Dass an eine Revision einer Justizbehörde strengere Anforderungen zu stellen sind, findet im Gesetz keine Stütze. Die Begründung der Rüge genügt auch den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Aus dem Gesamtzusammenhang der Revisionsbegründung der Staatsan¬waltschaft ergibt sich die Behauptung, die Angeklagte habe weder zu Beginn der Hauptverhandlung noch in deren Verlauf Angaben zur Sache gemacht. Insoweit geht der Einwand der Verteidigung, es handele sich um eine unzulässige Proto¬kollrüge, fehl. Die Rüge der Verletzung des § 261 StPO ist auch, wie durch die Niederschrift über die Hauptverhandlung belegt wird, begründet. Danach hat der Verteidiger nach Verlesung des Anklagesatzes erklärt, die Angeklagte wolle zunächst zu den Vorwürfen keine Angaben machen. Dass die Angeklagte im weite¬ren Gang des Verfahrens abweichend von dieser Absichtserklärung doch Angaben zur Sache gemacht hat, lässt sich dem Protokoll nicht entnehmen. Eine solche Ein¬lassung ist in der Niederschrift auch nicht dadurch protokolliert, dass in ihr fest¬gehalten ist, die Angeklagte habe Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme und das letzte Wort erhalten. Mit dieser Formulierung belegt das Protokoll lediglich, dass das Recht der Angeklagten auf das letzte Wort gemäß § 258 Abs. 2 Hs. 2, Abs. 3 StPO gewahrt ist. Dass sie von diesem Recht Gebrauch gemacht und sich in ihrem letzten Wort zur Sache eingelassen hat, besagt die Eintragung dagegen nicht. Damit steht aufgrund der Beweiskraft der Sitzungsniederschrift gemäß § 274 StPO fest, dass sich die Angeklagte - entgegen den Urteilsgründen - in der Hauptverhand¬lung nicht zur Sache eingelassen und das Gericht seine auf die Einlassung der An¬geklagten gestützte Überzeugung nicht aus der Hauptverhandlung geschöpft haben kann. Macht nämlich ein Angeklagter, der sich zunächst nicht geäußert hat, im Laufe der Hauptverhandlung doch noch Angaben zur Sache, ist diese Tatsache als we¬sentliche Förmlichkeit i.S.d. § 274 StPO in die Sitzungsniederschrift aufzunehmen (BGH NStZ 2000, 217; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 273 Rdnr. 7 u. § 274 Rdnr. 13). Auch bezüglich des Anklagepunktes zu Ziffer 2) ist die Rüge der Verletzung des § 261 StPO begründet. Entgegen den Urteilsgründen hat sich die Angeklagte auch zu diesem Tatvorwurf nicht eingelassen. Ausweislich des Protokolls hat lediglich der Verteidiger Rechtsan¬walt Dr. H. als Einlassung für die Angeklagte erklärt, "dass er zusammen mit der Angeklagten den Antrag auf Einkommenssteuererklärung bearbeitet habe". Soweit das Amtsgericht der Auffassung gewesen sein sollte, die Erklärung des Ver¬teidigers in der Hauptverhandlung in Anwesenheit der Angeklagten, die selbst keine Erklärung zur Sache abgegeben habe, könne ohne Weiteres als Einlassung der An¬geklagten verwertet werden, kann der Senat dem nicht folgen. Die Verwertbarkeit von Erklärungen des Verteidigers in der Hauptverhandlung setzt vielmehr voraus, dass die Angeklagte den Verteidiger zu dieser Erklärung ausdrücklich bevollmächtigt oder die Erklärung nachträglich genehmigt hat (vgl. BGH StV 2005, 536; BGH, NStZ 1990, 447; OLG Hamm, StV 2002, 187; Park, StV 1998, 59 f., a.A. wohl BGH StV 1998, 59). Dabei genügt nicht, dass der Verteidiger erklärt, er gebe die Erklärung als Einlassung für die Angeklagte ab. Bei einer solchen Sachlage ist der Verteidiger vom Vorsitzenden zu befra¬gen, ob die von ihm abgegebene Erklärung als Einlassung der Angeklagten anzuse¬hen sei (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Ob diese Förmlichkeiten eingehalten sind, kann nur durch das Sitzungsprotokoll nachgewiesen werden. Da das Amtsgericht vorliegend ausweislich des Sitzungsprotokolls eine entsprechende Befragung des Verteidigers unterlassen und gleichwohl die von dem Verteidiger abgegebene Erklärung als Ein¬lassung der Angeklagten gewertet hat, hat das Amtsgericht § 261 StPO verletzt. Aber selbst wenn man der Auffassung des Bundesgerichtshofes in seiner Entschei¬dung vom 14. August 1997 (StV 1998, 59) folgt, nach der Erklärungen des Verteidi¬gers zur Sache ohne Weiteres als Einlassung des Angeklagten verwertet werden können, führt dies hier nicht zu einem anderen Ergebnis. Wie die Staatsanwaltschaft Bielefeld zutreffend ausgeführt hat, ist die Erklärung des Verteidigers nicht geeignet, die Angeklagte zu entlasten. Tatrelevante Urkunde ist nämlich die Erklärung zum Elterneinkommen U., welche dementsprechend in der Hauptverhandlung ver¬lesen worden ist, und nicht eine Einkommenssteuererklärung der Angeklagten. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass das Urteil auf diesem Verfahrens¬fehler beruht, denn möglicherweise wäre es ohne Berücksichtigung der "Einlassung" der Angeklagten zu einer Verurteilung gekommen. Da das Urteil bereits auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts aufzuheben war, kann dahingestellt bleiben, ob auch die Rüge der Verletzung materiellen Rechts der Revision zum Erfolg verhelfen kann. Nur ergänzend bemerkt der Senat, dass auch die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils nicht frei von Rechtsfehlern ist. Die ungeprüfte Wiedergabe einer für nicht widerlegt gehaltenen Einlassung der Ange¬klagten, wie es hier in den Urteilsgründen geschehen ist, genügt nicht den Anforde¬rungen des § 267 StPO. So geht das Amtsgericht ohne nähere rechtliche Würdigung davon aus, dass die Angeklagte sich bei der Begehung der Tat zu Ziffer 2) in einem unvermeidbaren Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB befand, ohne Ausführungen dazu zu machen, warum der Angeklagten die Einsicht fehlte, Unrecht zu tun und warum dieser Irrtum unvermeidbar gewesen sein soll. Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Detmold - Schöffengericht - zurückzuverweisen.] |
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