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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 106/03 OLG Hamm

Leitsatz: Ein Termin, der zur fristwahrenden Fortsetzung der Hauptverhandlung geeignet ist, ist nur ein solcher, in dem zur Sache verhandelt und das Verfahren sachlich gefördert worden ist. Allein die Erörterung, ob und wann die sachliche Verhandlung fortgeführt werden kann oder das bloße Bestimmen eines neuen Termins sind nicht als Verhandeln zur Sache anzusehen.

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: Geeignetheit eines Termins zur fristwahrenden Fortsetzung bei Unterbrechung der Hauptverhandlung — Vorliegen eines Revisionsgrundes wegen Fristüberschreitung ohne Wiederholung der Hauptverhandlung]

Normen: StPo 299

Beschluss:

In pp.
Tenor:
Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ahaus zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat die Angeklagten am 5. Juni 2003 nach vorangegangenem Hauptverhandlungstermin am 22. und 29. Mai 2002 wegen Diebstahls bzw. Beihilfe dazu zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung (Zein) bzw. einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 EUR (El-Zein) verurteilt.
Hiergegen wenden sich die Angeklagten jeweils mit ihrer (Sprung-)Revision, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen.
II.
Den statthaften Revisionen kann aufgrund der in zulässiger Form erhobenen formellen Rügen der Verletzung des § 229 StPO ein - zumindest vorläufiger - Erfolg nicht versagt bleiben.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrem Antrag vom 8. April 2003 folgendes ausgeführt:
"Nach § 229 Abs. 1 StPO darf eine Hauptverhandlung bis zu zehn Tagen unterbrochen werden. Wird sie nicht spätestens einen Tag nach Ablauf der Frist fortgesetzt, so ist mit ihr von Neuem zu beginnen (§ 229 Abs. 4 Satz 1 StPO).
Zweck und Sinn dieser Bestimmung ist es, das Gericht an eine möglichst enge Aufeinanderfolge der Verhandlungstage zu binden, damit die zu erlassende Entscheidung unter dem lebendigen Eindruck des zusammenhängenden Bildes des gesamten Verhandlungsstoffes ergeht (zu vgl. BGH NJW 1952, 1149). Mit der Vorschrift soll gewährleistet sein, dass das Urteil aus dem "Inbegriff der Verhandlung" gewonnen werden kann und das Gericht nicht veranlasst ist, beim Urteilsspruch das Ergebnis den Akten zu entnehmen und damit den Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit der Hauptverhandlung zu verletzen (zu vgl. BGH NJW 1996, 3019).
Als Termin, der zur fristwahrenden Fortsetzung der Hauptverhandlung geeignet ist, gilt nach ständiger Rechtsprechung nur ein solcher, in dem - etwa durch Vernehmung des Angeklagten, durch Beweisaufnahme oder sonst durch Erörterung des Prozessstoffes - zur Sache verhandelt und das Verfahren sachlich gefördert worden ist (zu vgl. BGH a. a. O.; Meyer-Goßner, StPO, 46. Auflage, § 229 Rdnr. 11 m. w. N.). Allein die Erörterung, ob und wann die sachliche Verhandlung fortgeführt werden kann oder das bloße Bestimmen eines neuen Termins sind nicht als Verhandeln zur Sache anzusehen (zu vgl. BGH a. a. O.; RGSt 62, 263, 264).
Vorliegend ist ausweislich des Sitzungsprotokolls im Termin vom 29.05.2002 lediglich beschlossen worden, die Verhandlung zu vertagen und am 05.06.2002 fortzusetzen. Eine Verhandlung zur Sache hat erkennbar nicht stattgefunden. Der Termin vom 29.05.2002 ist daher dem Zeitraum der tatsächlichen Unterbrechung des Verfahrens hinzuzuzählen (zu vgl. BGH NJW 1999, 3277), sodass die Hauptverhandlung hier entgegen § 229 Abs. 1 StPO vom 22.05.2002 bis zum 05.06.2002 für insgesamt 14 Tage unterbrochen war.
Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Urteil auf dem aufgezeigten Verfahrensmangel beruht. Die Fristüberschreitung ohne Wiederholung der Hauptverhandlung ist zwar kein absoluter Revisionsgrund, doch wird das Beruhen des Urteils auf dem Verstoß nur in seltenen Ausnahmefällen ausgeschlossen werden können (zu vgl. BGHSt 23, 224, 225) [BGH 05.02.1970 - 4 StR 272/68]. Ein derartiger Ausnahmefall liegt allenfalls dann vor, wenn mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden kann, dass die Fristüberschreitung weder den Eindruck von der Hauptverhandlung abgeschwächt noch die Zuverlässigkeit der Erinnerung beeinträchtigt hat, etwa wenn ein Gericht über einen längeren Zeitraum ausschließlich mit einem Verfahren befasst ist und dadurch ein hohes Maß an Verdichtung und Intensivierung des Eindrucks von den Vorgängen in der Hauptverhandlung erreicht wird (zu vgl. BGH a.a.O.).
Vorliegend ist eine solche Ausnahme nicht gegeben. Da ein Amtsrichter in der Regel mit zahlreichen Hauptverhandlungen befasst ist, besteht schon deshalb bei mehreren Sitzungstagen die Gefahr, dass der lebendige Eindruck des Verfahrensablaufs vom ersten Sitzungstag besonders schnell verblasst (zu vgl. OLG Düsseldorf, StV 1994, 362). Das ist erst recht dann der Fall, wenn - wie hier - ein wesentlicher Teil der Hauptverhandlung, in dem der Hauptbelastungszeuge vernommen worden ist, bereits 14 Tage vor der Urteilsverkündung stattgefunden hat. Vorliegend deutet zudem das Rubrum des Urteils, das die Sitzung vom 22.05.2002 gänzlich unerwähnt lässt, auf eine beeinträchtigte Erinnerung des Amtsrichters an diesen Termin hin.
Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben."
Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung in vollem Umfang an.
Da das angefochtene Urteil schon wegen des Verstoßes gegen § 229 Abs. 1 u. 4 StPO der Aufhebung unterliegt, brauchte über die übrigen von den Angeklagten erhobenen Rügen, denen aller Voraussicht nach ein Erfolg hätte versagt bleiben müssen, nicht entschieden zu werden.
Das angefochtene Urteil war daher mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Ahaus zurückzuverweisen.]



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