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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 25/08 OLG Hamm

Leitsatz: Zu den Anforderungen an die Urteilsgründe beim wiederholten Wiedererkennen.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Wiedererkennen; wiederholtes; Urteilsgründe; Anforderungen

Normen: StPO 261; StPO 267

Beschluss:

3 Ss 25/08 OLG Hamm
3 Ws 67/08 OLG Hamm

Strafsache
gegen A.A.
wegen gefährlicher Körperverletzung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Bielefeld vom 27. September 2007 und auf die sofortige Beschwerde des Nebenklägers gegen die darin enthaltene Kosten- und Auslagenentscheidung hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 13. 03. 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

1. Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.
2. Die sofortige Beschwerde des Nebenklägers ist durch die Entscheidung zu Ziff. 1) gegenstandslos.

Gründe:
I.
Das Amtsgericht Bielefeld hat den Angeklagten mit Urteil vom 08.02.2007 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landgericht Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil „auf seine Kosten“ verworfen.

Gegen das Urteil hat der Angeklagte das Rechtsmittel der Revision eingelegt. Er erhebt drei Verfahrensrügen und rügt die Verletzung materiellen Rechts. Gegen die Kostenentscheidung des Urteils hat der Nebenkläger sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, diese dahin abzuändern, dass der Angeklagte die notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen hat.

II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und auf die Sachrüge hin auch begründet.

1. Das angefochtene Urteil, das im übrigen frei von Rechtsfehlern ist, konnte keinen Bestand haben, da die Beweiswürdigung im Hinblick auf das Wiedererkennen des Angeklagten durch den Nebenkläger vor der erstinstanzlichen Hauptverhandlung durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet.

a) Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Nebenkläger nach der Tat bei einer polizeilichen Vernehmung zunächst folgende Täterbeschreibung abgegeben: „Ca. 30 Jahre alt, ca. 170cm groß, auf jeden Fall kleiner als er, dünne, ein bißchen muskulöse Figur, kurze schwarze Haare, Marokkaner oder Araber“. Nach den landgerichtlichen Feststellungen trafen jedenfalls die Angaben hinsichtlich Statur, Alter und Haarfarbe sowie Herkunft auf den Angeklagten zu.

Nach der Abgabe der Täterbeschreibung wurde dem Angeklagten dann bei der polizeilichen Vernehmung „Nr. 18 RiStBV zuwider“ nur ein „nicht mehr aktuelles“ Lichtbild des Einwohnermeldeamtes vorgelegt, welches den Angeklagten zeigt. Das Landgericht stellt fest, dass der „Zeuge [gemeint sein dürfte der Angeklagte] deutlich jünger und schlanker als in der Realität“ wirke und nimmt auf diese Abbildung ordnungsgemäß Bezug.

Vor Beginn der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht, vor dem Sitzungssaal, hat der Nebenkläger den Angeklagten spontan als den Täter wiedererkannt und dies seinem Rechtsbeistand auch mitgeteilt. Das Landgericht führt aus, dass diesem Wiedererkennen trotz der früheren Einzellichtbildvorlage „Beweiswert“ zukomme, da der Angeklagte auf dem Lichtbild deutlich jünger sei und erheblich schlanker wirke, als in der Realität. Auch in der erstinstanzlichen Hauptverhandlung und in der Berufungshauptverhandlung habe der Nebenkläger den Angeklagten als Täter identifiziert. Zudem habe der Zeuge J., mit dem ebenfalls in der gleichen Weise wie mit dem nebenkläger eine Einzellichtbildvorlage durchgeführt worden war, den Angeklagten in der amtsgerichtlichen Hauptverhandlung wiedererkannt.

b) Das Revisionsgericht ist zwar nur eingeschränkt zur Überprüfung der Beweiswürdigung berufen und in der Lage. Es kann nur dann eingreifen, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist, etwa weil sie Widersprüche, Unklarheiten oder Lücken aufweist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder gegen gesicherte Erfahrungssätze verstößt (BGH NStZ 2002, 48 m.w.N.; OLG Hamm Beschl. v. 06.09.2007 – 3 Ss 262/07 m.w.N.). Frei von Lücken ist die Beweiswürdigung des Tatrichters nur dann, wenn das Revisionsgericht durch Mitteilung der notwendigen Tatsachen in die Lage versetzt wird, die Schlüsse des Tatrichters auf ihre Rechtsfehlerfreiheit hin zu überprüfen (vgl. BGH NJW 1996, 1420, 1421; BGH Urt. v. 21.06.2007 – 5 StR 532/06; BGH Urt. v. 22.06.2007 – 1 StR 582/06; OLG Hamm Beschl. v. 16.10.2007 – 3 Ss 347/07; OLG Hamm Beschl. v. 06.09.2007 – 3 Ss 262/07 ). Das ist vorliegend nicht der Fall.

Die Ausführungen im angefochtenen Urteil lassen zwar erkennen, dass sich das Landgericht des eingeschränkten Wert des sogenannten wiederholten Wiedererkennens nach einer vorangegangenen Einzellichtbildvorlage bewusst war. Kommt es zur wiederholten Identifizierung des Täters – hier durch Aufeinandertreffen von Täter und Opfer vor und in der Hauptverhandlung – so kommt dem nur ein eingeschränkter Beweiswert zu, die sich nun überlagernden Wahrnehmungen des Zeugen zu hinterfragen. Der Tatrichter muss im Urteil deutlich machen und in den Urteilsgründen ausführen, ob ausgeschlossen werden kann, daß die Zeugen sich bei dem Wiedererkennen aufgrund der Lichtbildvorlage in der Hauptverhandlung unbewußt an den im Ermittlungsverfahren vorgelegten Lichtbildern orientiert haben (BGH NStZ 1996, 350; OLG Zweibrücken StV 2004, 65, 66 jew. m.w.N.). Das gilt verstärkt, wenn – wie hier – nur eine Einzellichtbildvorlage erfolgt ist. Das hat das Landgericht vorliegend auch getan, indem es ausführt, dass der Angeklagte auf dem Lichtbild deutlich jünger und erheblich schlanker wirkt, als in Wirklichkeit. Das zeigt noch hinreichend deutlich, dass das Landgericht der Ansicht war, dass aufgrund dieser Abweichungen von Bild und wirklichem Erscheinungsbild des Angeklagten eine unbewusste Orientierung des Nebenklägers am Lichtbild, als er den Angeklagten vor und im Sitzungssaal wiedererkannte, nicht stattgefunden hat.

Ob dieser Schluss rechtsfehlerfrei ist, kann indes vom Senat nicht überprüft werden, da das Urteil zwar hinsichtlich des Lichtbildes ordnungsgemäß auf die in den Akten befindliche Abbildung Bezug nimmt, aber sich dem Urteil im übrigen nur entnehmen lässt, dass der Angeklagte in Wirklichkeit deutlich älter und erheblich kräftiger wirkt, als auf dem Lichtbild. Diese Ausführungen sind zu dürftig, als dass der Schluss, dass eine unbewusste Orientierung an dem Lichtbild tatsächlich ausscheidet (etwa weil der Angeklagte sein Aussehen im Vergleich zum Lichtbild so stark verändert hat, dass er nicht oder kaum mehr als die gleiche Person angesehen werden), für den Senat nachvollziehbar wäre. Zum einen ist fraglich, worauf sich die Aussage, der Angeklagte wirke kräftiger als auf dem Lichtbild bezieht, da das Lichtbild lediglich den Kopf des Angeklagten zeigt. Auch fehlt es an einer Feststellung zum Erscheinungsbild des Angeklagten zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Hauptverhandlung, auf die es bezüglich des Wiederkennens entscheidend ankommt, denn das Landgericht vergleicht erkennbar das Lichtbild mit seiner eigenen Wahrnehmung vom Erscheinungsbild des Angeklagten zum Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung (zwischen dieser und der erstinstanzlichen Hauptverhandlung lagen mehr als 7 Monate). Für eine solche Überprüfung fehlen im übrigen auch die Angaben zum Alter des Lichtbildes (eine handschriftlich an den Rand des Lichtbildes gesetzte Jahreszahl ist nicht von der Inbezugnahme auf Abbildungen abgedeckt, vgl. OLG Hamm Beschl. v. 29.11.2007 – 3 SsOWi 784/07 m.w.N.) und zu dem Zeitpunkt, an dem die Einzellichtbildvorlage stattgefunden hat bzw. zum zeitlichen Abstand zwischen dieser und den Zeitpunkten der Hauptverhandlungen.

Sofern es für die Überzeugungsbildung des neuen Tatrichters auf das Wiederkennen ankommen sollte, wird er die vermissten Erörterungen nachzuholen haben.

2. Das das Rechtsmittel bereits auf die Sachrüge hin Erfolg hat, bedürfen die Verfahrensrügen keiner näheren Erörterung mehr. Deren Begründung veranlasst den Senat allerdings zu dem Hinweis, dass ein falscher Sachvortrag nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügt (vgl. BGH Beschl. v. 15.06.2005 – 1 StR 202/05). Die Revision behauptet vorliegend, das Gericht habe die polizeiliche Aussage des Zeugen J. und die erstinstanzliche Aussage vor dem Amtsgericht Bielefeld „gem. § 251 I 2 StPO“ (gemeint sein dürfte § 251 Abs. 1 Nr. 2 StPO) verlesen und teilt den entsprechenden Gerichtsbeschluss nur unvollständig mit. Aus dem vollständigen Beschluss des Landgerichts ergibt sich indes, dass die Aussage vor dem Amtsgericht nach § 251 Abs. 2 Nr. 1 StPO (der geringere Voraussetzungen an eine Erstzung der Zeugenvernehmung durch Protokollverlesung stellt als Abs. 1 Nr. 2) verlesen wurde. Hinsichtlich der Rüge der Verletzung des § 261 StPO behauptet die Revision, dass Ziff. III des amtsgerichtlichen Urteils nicht ausdrücklich zu Beweiszwecken und auch nicht nach § 324 StPO verlesen worden sei. Letzteres ist richtig. Indes wurde diese Urteilspassage ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls nach Beginn der Beweisaufnahme (vgl. § 324 Abs. 2 StPO) verlesen.

III.
Da die Revision Erfolg hat und zur Aufhebung des Urteils führt, ist die sofortige Beschwerde des Nebenklägers gegenstandlos geworden.



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