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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 163/08 OLG Hamm

Leitsatz: Im Rahmen der für eine bedingte Entlassung anzustellenden Prognose kommt dem bei der mündlichen Anhörung des Verurteilten gewonnenen persönlichen Eindruck des mit der Reststrafenaussetzung befassten Gerichts nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des hiesigen Oberlandesgerichts grundsätzlich eine große Bedeutung zu.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Bedingte Entlassung; Prognose; persönlicher Eindruck; Bedeutung;

Normen: StGB 57

Beschluss:

Strafvollstreckungssache
gegen N.K.
wegen schweren Bandendiebstahls, (hier: sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen den die bedingte Strafaussetzung anordnenden Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 18. Februar 2008).

Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth vom 20. Februar 2008 gegen den Beschluss der 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 18. Februar 2008 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 25. 03. 2008 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Verurteilten werden der Staatskasse auferlegt (§ 473 Abs. 1 StPO).

Gründe:
I.
Die 12. Strafkammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth hat den Verurteilten am 22. Januar 2007 wegen schweren Bandendiebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung in zwei Fällen und wegen gemeinschaftlichen Computerbetruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. 2/3 dieser Strafe sind seit dem 21. Januar 2008 verbüßt; das Strafende datiert auf den 21. Februar 2009.

Im Verfahren über die bedingte Aussetzung eines Strafrestes gemäß § 57 Abs.1 StGB hat die Strafvollstreckungskammer ein Gutachten des Sachverständigen Dr. R. zu der Frage eingeholt, ob bei dem Verurteilten keine Gefahr mehr bestehe, dass dessen durch die Tat zu Tage getretene Gefährlichkeit fortbestehe. Nach Eingang des Gutachtens, das dem Verurteilten - zusammenfassend - bescheinigt, dass schwerwiegende Straftaten von ihm nicht mehr zu erwarten seien, jedoch Eigentumsdelikte aus wirtschaftlicher Not „natürlich nicht auszuschließen“ seien, hat die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth beantragt, die Restfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung auszusetzen. Sie ist der Auffassung, dass es auf die von dem Gutachter thematisierte Frage, ob erhebliche Straftaten von dem Verurteilten zu befürchten seien, nicht ankomme. Es sei vielmehr zu prüfen, ob er sich in Zukunft generell straffrei führen werde. Das sei hier aber nicht der Fall, denn nach Einschät-zung des Gutachters sei die weitere Begehung von Eigentumsdelikten aus wirt-schaftlicher Not nicht auszuschließen. Vor dem Hintergrund, dass der Verurteilte keinen gesicherten sozialen Empfangsraum bei seiner Entlassung vorfinde und bereits in der Vergangenheit erhebliche Freiheitsstrafen zu verbüßen hatte, sei eine vorzeitige Entlassung mit den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit nicht zu vereinbaren.

Der Leiter der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel, dem das Gutachten des Sachverständigen Dr. R. nicht vorlag, hat sich in seiner Stellungnahme vom 18. Januar 2008 insbesondere wegen der strafrechtlichen Vorbelastungen des Verurteilten und wegen seiner von starker Selbstunsicherheit begleiteten „Bequemlichkeitshaltung“ gleichfalls gegen eine bedingte Entlassung ausgesprochen. Er attestiert dem Verurteilten eine „ich-will-versorgt-werden“ Haltung und einen
„wenig ausgestalteten“ sozialen Empfangsraum. Gleichwohl hat die Strafvollstreckungskammer nach mündlicher Anhörung des Verurteilten mit Beschluss vom 18. Februar 2008 die bedingte Entlassung angeordnet. Sie ist insbesondere aufgrund des im Rahmen der Anhörung gewonnenen persönlichen Eindrucks von dem Verurteilten der Auffassung, dass bei diesem ein starker, anhaltender Strafeindruck entstanden sei. Es sei deshalb zu erwarten, dass der Verurteilte seine Bewährungschance nutzen werde. Dies sei auch in der Vergangenheit der Fall gewesen, so dass auch früher Straferlasse hätten ausgesprochen werden können.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Sie ist der Auffassung, dass eine Reststrafenaussetzung nicht in Betracht gezogen werden könne, zumal sich auch der Leiter der Justizvollzugsanstalt Castrop-Rauxel gegen eine solche Maßnahme ausgesprochen habe. Es sei auch zu berücksichtigen, dass das Vollzugsverhalten des Verurteilten nicht immer beanstandungsfrei gewesen sei, weil er einmal zu Unrecht Zeugengelder vereinnahmt habe. Ein sozialer Empfangsraum bestehe praktisch nicht. Ebenso sei eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt für den aus gesundheitlichen Gründen kaum belastbaren Verurteilten nicht erkennbar. Gleichwohl sei der Verurteilte aber trotz seines damals bereits fortgeschrittenen Lebensalters noch in der Lage gewesen, sich an erheblichen Straftaten, nämlich Wohnungseinbruchsdiebstählen, zu beteiligen, nachdem er zuvor schon eine Freiheitsstrafe von neun Jahren verbüßt habe. Angesichts „dieses verheerenden Gesamtbildes“ sei die Entlassung des Verurteilten unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht zu verantworten.

II.
Die gemäß § 454 Abs. 3 StPO statthafte und fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist unbegründet.

1. Die Aussetzung eines Strafrestes nach Verbüßung von 2/3 der verhängten Freiheits-strafe setzt gemäß § 57 Abs. 1 Nr.2 StGB voraus, dass die bedingte Entlassung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist aufgrund einer Gesamt-würdigung der Persönlichkeit des Verurteilten, seines Vorlebens, der Umstände seiner Taten, des Gewichts des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsgutes, seines Verhaltens im Vollzug, seiner Lebensverhältnisse und der Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind, zu prüfen. Isolierte Aussagen über die Wahr-scheinlichkeit künftiger Straflosigkeit des Verurteilten sind in diesem Zusammenhang wenig hilfreich; vielmehr muss stets der Bezug zu den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit im Auge behalten werden. Dies bedeutet, dass je nach der Schwere der Straftaten, die vom Verurteilten nach Erlangung der Freiheit im Falle eines Bewährungsbruchs zu erwarten sind, unterschiedliche Anforderungen an das Maß der Wahrscheinlichkeit für ein künftiges strafloses Leben des Verurteilten zu stellen sind (vgl. BGH NStZ 2003, S. 200).

Im Rahmen der dabei anzustellenden Prognose kommt dem bei der mündlichen Anhörung des Verurteilten gewonnenen persönlichen Eindruck des mit der Reststrafenaussetzung befassten Gerichts nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des hiesigen Oberlandesgerichts grundsätzlich eine große Bedeutung zu. Das Beschwerdegericht soll deshalb von der aufgrund der mündlichen Anhörung gewonnenen Legal- und Zukunftsprognose nur abweichen, wenn von der Strafvollstreckungskammer wesentliche Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet worden sind oder die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer erkennbar nicht auf einem für das Beschwerdegericht nachvollziehbaren Eindruck des Verurteilten bei der mündlichen Anhörung beruht.

2. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte ist der angefochtene Beschluss nicht zu beanstanden.

Zwar ist nicht zu verkennen, dass der Verurteilte in der Vergangenheit nach der Begehung schwerer Straftaten langjährige Haftstrafen verbüßen musste und sich auch der Leiter der JVA in seiner Stellungnahme vom 18. Januar 2008 trotz eines
- von dem zu Unrecht vereinnahmten Zeugengeld abgesehen - im Wesentlichen unauffälligen Vollzugsverhaltens gegen eine bedingte Entlassung ausgesprochen hat, weil der bisherige Strafvollzug bei dem Verurteilten keinen Abschreckungseffekt bewirkt habe und ein „Umdenkungsprozess“ nicht erkennbar sei.

Der Sachverständige Dr. R. hat in seinem Prognosegutachten diese negativen Merkmale zwar ebenfalls festgestellt, sie jedoch mit nachvollziehbaren Erwägungen anders gewichtet. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 16. November 2007 u.a. ausgeführt, es sei zwar nicht auszuschließen, dass der Verurteilte wieder in ein kriminelles Milieu gerate, jedoch seien seine Möglichkeiten, hier tätig zu werden, begrenzt. Schwerwiegende Straftaten seien schon aufgrund des gesundheitlichen Zustandsbildes - nach einem Schlaganfall und zwei Herzinfarkten - nicht mehr zu erwarten. Auch die Möglichkeit, dass sich der Verurteilte - wie in der Vergangenheit - von Dritten verführen lassen könnte, an rechtswidrigen Taten Dritter teilzunehmen, sieht der Sachverständige schon deshalb als gering an, weil der Verurteilte „als Mittäter bei der Ausführung von Straftaten in der Zwischenzeit eher als Last denn als Mittäter anzusehen ist“. Deshalb seien allenfalls geringfügige Straftaten im Eigentumsbereich zu erwarten, wobei der Verurteilte ersichtlich anstrebe, im Rahmen seiner eingeschränkten gesundheitlichen Möglichkeiten einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. Zu dieser Einschätzung des Sachverständigen passt das sicherlich zu beanstandende, jedoch eher passive Verhalten des Verurteil-ten im Zusammenhang mit der Auszahlung von Zeugengeld. Schwerwiegende Straftaten, wie sie der gegenwärtigen Strafvollstreckung zugrunde liegen, sind hingegen von dem Verurteilten, dessen gesundheitliche Einschränkungen stetig fortschreiten, nicht mehr zu erwarten. Bei nicht auszuschließenden Straftaten von geringerem Gewicht sind aber auch entsprechend geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit eines künftigen straflosen Lebens zu stellen. Dabei kommt auch dem Umstand Bedeutung zu, dass einer erneuten Straffälligkeit gegebenenfalls durch geeignete Auflagen und Weisungen begegnet werden kann (BGH a.a.O.). Auch bei angemessener Berücksichtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemein-heit ist deshalb ein vertretbares Restrisiko der Begehung von Straftaten mit geringem Gewicht hinzunehmen. Der Gewissheit künftiger „genereller“ Straffreiheit bedarf es deshalb entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft nicht.

Der Senat verkennt dabei nicht, dass die dem Verurteilten zu stellende Prognose unter Berücksichtigung seiner umfangreichen Hafterfahrung, seiner Einschätzung durch den Sachverständigen Dr. R. und seines von Perspektivlosigkeit gekennzeichneten Vollzugsverhaltens und seines nicht gänzlich geklärten sozialen Empfangsraumes perspektivisch durchaus unterschiedlich beurteilt werden kann. Gerade in einem solchen Fall kommt dann aber dem bei der mündlichen Anhörung des Verurteilten gewonnenen persönlichen Eindruck - und auf diesen nimmt die Strafvollstreckungskammer ausdrücklich Bezug - grundsätzlich eine erhöhte Bedeutung zu, von der abzuweichen hier keine Veranlassung besteht.

Die sofortige Beschwerde war deshalb als unbegründet zu verwerfen.

3.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.



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