Aktenzeichen: 3 Ss OWi 799/05 OLG Hamm |
Leitsatz: Zur ausreichenden Begründung des Absehens vom Fahrverbot. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Rechtsbeschwerde |
Stichworte: Fahrverbot; Absehen; Angemessenheit; berufliche Gründe, Anforderungen an die Urteilsgründe |
Normen: StPO 267; BKatV 4 |
Beschluss: Bußgeldsache gegen K.J. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen das Urteil des Amtsgerichts Minden vom 03.08.2005 hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Ober¬landesgerichts Hamm am 31. 01. 2006 durch den Richter am Oberlandesgericht als Einzelrichter gemäß § 80 a Abs. 1 OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen: Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde lie¬genden Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Ent¬scheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Ab¬teilung des Amtsgerichts Minden zurückverwiesen. G r ü n d e : I. Das Amtsgericht Minden hat den Betroffenen am 03.08.2005 wegen fahrlässiger Ge¬schwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaft zu einer Geldbuße in Höhe von 100,- verurteilt sowie ein Fahrverbot von einem Monat Dauer gegen ihn verhängt. Gleichzeitig hat das Amtsgericht im Urteilstenor bestimmt, dass der Führerschein der Klasse C, C1E, CE vom Fahrverbot ausgenommen werde. Gegen das am 22.08.2005 zugestellte Urteil hat die Staatsanwaltschaft Bielefeld mit am 25.08.2005 bei dem Amtsgericht eingegangenem Schreiben Rechtsbeschwerde eingelegt und mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Mit weite¬rem Schreiben vom 27.09.2005 hat die Staatsanwaltschaft die Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Staatsanwaltschaft wendet sich da¬gegen, dass das Amtsgericht bestimmte Fahrerlaubnisklassen von dem verhängten Fahrverbot ausgenommen hat. Das Fahrverbot werde auf diese Weise ausgehöhlt. Vor allem aber beruhten die Feststellungen des Gerichts zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Verhängung eines Fahrverbots allein auf den Angaben des Be¬troffenen, die das Gericht nicht nachgeprüft habe. Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Rechtsbeschwerde beigetreten. II. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Bielefeld hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochte¬nen Urteils im Umfang der Anfechtung, nämlich im Rechtsfolgenausspruch. Das angefochtene Urteil war bereits deshalb im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, weil seine Begründung nicht den nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung bestehenden Anforderungen an das Absehen von der Verhängung eines Fahrver¬botes bzw. an die nur eingeschränkte Verhängung eines Fahrverbotes genügt. Nach § 4 Abs. 4 BKatV kann in Ausnahmefällen unter Erhöhung der Geldbuße von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden. Auch besteht für den Fall der Verhängung eines Fahrverbotes gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StVG die Möglichkeit, das Fahrverbot auf Kraftfahrzeuge einer bestimmten Art zu beschränken. Die Ent¬scheidung, ob trotz der Verwirklichung des Regeltatbestandes der Bußgeldkatalog¬verordnung - hier des § 4 Abs. 1 Ziffer 1 der Bußgeldkatalogverordnung i.V.m. der lfd. Nr. 11.3.6 Tabelle 1 c des Anhangs zum Bußgeldkatalog - der Einzelfall einen solchen Ausnahmecharakter hat, dass ein gänzliches Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes oder aber eine Beschränkung des Fahrverbotes auf bestimmte Arten von Fahrzeugen gerechtfertigt ist, unterliegt zwar in erster Linie der tat¬richterlichen Würdigung. Dem Tatrichter ist insoweit aber kein rechtlich ungebunde¬nes, freies Ermessen eingeräumt, vielmehr ist der ihm verbleibende Entscheidungs¬spielraum durch gesetzlich niedergelegte und durch von der Rechtsprechung herausgearbei¬tete Zumessungskriterien eingeengt. Insoweit unterliegt die verhängte Rechtsfolge hinsichtlich ihrer Angemessenheit in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht. Dies gilt insbesondere hinsicht¬lich der Annahme der Vor¬aussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung des Fahrverbotes oder des Absehens von einem solchen zu zählen ist. Soweit der Tatrichter ein Absehen vom Regelfahrverbot aus beruflichen oder wirt¬schaftlichen Gründen des Betroffenen für angemessen erachtet, reicht hierzu indes nicht jeder berufliche Nachteil aus. Nach einhelliger obergericht¬licher Rechtspre¬chung rechtfertigt vielmehr nur eine Härte ganz außergewöhnlicher Art, die ggf. im Verlust der wirtschaftlichen Existenz zu sehen ist, den Verzicht auf ein - uneinge¬schränktes - Fahrverbot (Senat, Beschluss vom 03.05.2004 - 3 Ss OWi 239/04 OLG Hamm -; vgl. auch OLG Hamm, VRS 90, 210, 212; DAR 1996, 325; NZV 1995, 366 f.; OLG Hamm, 4. Senat, Beschlüsse vom 18.02.2003 - 4 Ss OWi 73/03 OLG Hamm - und vom 06.02.2003 - 4 Ss OWi 75/03 OLG Hamm -). Angaben des Betroffenen zu beruflichen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten dürfen dabei vom Tatrichter nicht ungeprüft übernommen werden. Vielmehr muss das Urteil sich mit der Glaubhaftigkeit der Angaben des Betroffenen auseinandersetzen, der sich auf besondere Härten wie etwa drohenden Existenz- oder Arbeitsplatzverlust beruft (Senat, a.a.O.). Insoweit liegen nur dann hinreichende, das Absehen von der Verhängung des Fahr¬verbotes oder aber die nur eingeschränkte Verhängung des Fahrverbotes tragende Urteilsgründe vor, wenn im Einzelnen dargelegt wird, dass es dem Betroffenen nicht möglich ist, zumutbare Maßnahmen zur Milderung der wirtschaftlichen Auswirkungen des Fahrverbotes zu ergreifen (Senat, Beschluss vom 28.10.2004 - 3 Ss OWi 601/04 OLG Hamm -). Die Entscheidung über das Absehen vom Regelfahrverbot ist nämlich eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen (BGH MDR 1992, 278; OLG Hamm, NZV 1996, 118). Ob gravierende berufliche Nachteile aus¬nahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot oder die nur eingeschränkte Ver¬hängung des Fahrverbots rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Die ungeprüfte Wiedergabe einer für nicht widerlegt gehaltenen Einlassung des Be¬troffenen reicht insoweit nicht aus. Der Amtsrichter hat vielmehr die Angabe des Be¬troffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und darzulegen, aus welchen Grün¬den er diese für glaubhaft erachtet (OLG Hamm, 4. Senat für Bußgeldsachen, Be¬schluss vom 18.02.2003 - 4 Ss OWi 73/03 OLG Hamm - und Beschluss vom 06.02.2003 - 4 Ss OWi 75/03 OLG Hamm -). Diesen Anforderungen genügen die kargen Feststellungen des Amtsgerichts, die wie folgt lauten, nicht: "Der Betroffene ist selbständig. Er führt Baggerarbeiten aus. Er hat 3 Ange¬stellte: einen Teilzeitbeschäftigten, einen Baggerfahrer ohne Lkw-Führer- schein und einen Lehrling. Für die betrieblichen Fahrten benutzt er einen Lkw. Die Betriebseinnahmen gestatten ihm nicht, für die Zeit eines 4-wöchigen Fahrverbots einen Lkw-Fahrer einzustellen. (...) Bei der Frage der Ahndung konnte jedoch wegen der betrieblichen Problematik das Fahrverbot von 1 Monat mit 4-Monatsfrist unter Ausnahme der Klassen C, C1 E, CE ver¬hängt werden." Hiernach bleibt völlig offen, welche Bedeutung der Einsatz eines LKW für den Betrieb des Betroffenen hat. Soweit der Betroffene hierzu in seiner Gegenerklärung umfang¬reiche Angaben gemacht hat, haben diese Angaben keinen Eingang in das ange¬fochtene Urteil gefunden. Das Amtsgericht hat auch nicht näher ausgeführt, wie hoch die Betriebseinnahmen des Betroffenen sind, auch hat es diesen Betriebseinnahmen nicht die Kosten für die Anstellung eines LKW-Fahrers für die Dauer von einem Monat gegenübergestellt und so nachvollziehbar berechnet, dass dem Betroffenen die Einstellung eines solchen Aushilfsfahrers wirtschaftlich nicht möglich sei. Sollte die Einstellung eines Aushilfsfahrers dem Betroffenen aber, wenn auch unter erhebli¬chen wirtschaftlichen Einbußen, noch möglich sein, würde bereits die Grundlage für die Verhängung eines eingeschränkten Fahrverbotes entfallen. Auch erhebliche wirt¬schaftliche Beeinträchtigungen sind nämlich im Zusammenhang mit der Verhängung eines Fahrverbotes hinzunehmen. Dem Erlass eines Fahrverbotes kann nur entge¬genstehen, dass eine ernste Gefahr für den Fortbestand eines Unternehmens auch für den Fall besteht, dass der Betroffene alle ihm zumutbaren Ma߬nahmen ergriffen hat, um die Folgen des Fahrverbots gering zu halten (BVerfG, NJW 1995, 1541). Erforderlich ist eine substantiierte Darlegung solcher Tatsachen, die die An¬nahme einer Existenzgefahr für den Betrieb des Betroffenen greifbar erscheinen las¬sen über die bei Freiberuflern und selbstständigen Gewerbetreibenden sich im All¬gemeinen ergebende Lage hinausgehen (BVerfG, a.a.O.). Dabei kommt es nicht darauf an, ob die dem Betroffenen zuzumutenden Maßnahmen dem Betrieb nicht auf Dauer zu¬gemutet werden können, allein entscheidend ist vielmehr, dass sie auch während des nur einen Monat andauernden Fahrverbotes existenzgefährdende Wirkungen zeitigen würden (BVerfG, a.a.O.). Hierzu wird der neu entscheidende Tatrichter nähere Feststellungen treffen müssen. Aufgrund der Wechselwirkung zwischen Fahrverbot und Höhe der verhängten Geldbuße hat der Senat den Rechtsfolgenaus¬spruch des angefochtenen Urteils insgesamt aufgehoben. Für den Fall, dass der neu entscheidende Tatrichter eine außergewöhnliche, nicht mehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in Einklang zu bringende Härte für die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen feststellen sollte, wird er sich mit der Frage befassen müssen, ob es ausreichen könnte, das Fahrverbot auf eine bestimmte Fahrzeugart zu beschränken (etwa PKWs) oder hiervon etwa bestimmte Fahrerlaub¬nisklassen oder Fahrzeugarten auszunehmen (OLG Karlsruhe, NZV 2004, 653, 654). Zur Klarstellung könnte dann in der Weise tenoriert werden, dass von dem Fahrver¬bot ausgenommen werden Kraftfahrzeuge mit einer zulässigen Gesamtmasse von mehr als 3.500 kg. Auf diese Weise könnten Unklarheiten hinsichtlich der Reichweite der Ausnahme vom Fahrverbot vermieden werden.] |
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