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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 VAs 26/08 OLG Hamm

Leitsatz: Die Verlegung eines Gefangenen von einem Bundesland in ein anderes erfolgt unter vergleichbaren Kriterien wie sie auch aus § 8 StVollzG ersichtlich sind. Daraus folgt, dass auch hier dem Wiedereingliederungsprinzip und dem Resozialisierungsgrundsatz ein erhebliches Gewicht beizumessen ist.

Senat: 1

Gegenstand: Justizverwaltungssache

Stichworte: Verlegung; Strafvollzug; anderes Bundesland; Ermessensentscheidung;

Normen: StVollzG 8

Beschluss:

Justizverwaltungssache
betreffend den Strafgefangenen P.L.
wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Übernahme des Strafvollzuges durch die Justizverwaltung des Landes NRW).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 29. Februar 2008 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen die Entscheidung des Justizministeriums des Landes Nordrhein Westfalen vom 15. Oktober 2007 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 06. 05. 2008 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Justizministeriums des Landes Nordhrein-Westfalen beschlossen:

Der Bescheid des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 15. Oktober 2007 wird aufgehoben. Das Justizministerium wird angewiesen, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden bei einem Gegenstandswert von 2.500,00 € der Staatskasse auferlegt.

Gründe:
Der Betroffene verbüßt zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Ravensburg eine Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten wegen sexueller Nötigung in 12 Fällen und wegen Vergewaltigung in 3 Fällen zum Nachteil seiner Stieftochter. 2/3 dieser Strafe wird der Betroffene am 09. März 2010 verbüßt haben; das Strafende datiert auf den 09. Januar 2012.

Bereits im Juni 2007 beantragte der Betroffene seine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen. Zur Begründung hat er ausgeführt, er sei nach Baden-Württemberg „einzig und allein wegen Arbeit gezogen“,habe dort aber „nie richtig Fuß fassen können“. Demgegenüber habe er jedoch seine Kontakte zu einem großen Bekanntenkreis in Nordrhein-Westfalen nie abreißen lassen. Insbesondere mit seinen am Niederrhein wohnenden Eltern und Geschwistern verbinde ihn ein inniges und herzliches Verhältnis, das auch durch seine Inhaftierung nicht abgerissen sei. Sein eigentlicher Lebensmittelpunkt sei deshalb Nordrhein-Westfalen immer geblieben und werde es auch zukünftig sein. Seit seiner Inhaftierung und der Scheidung seiner Ehe verfüge er in Baden-Württemberg über keine sozialen Bindungen mehr. Eine dauerhafte Verlegung nach Nordrhein-Westfalen würde deshalb sowohl im Hinblick auf eventuelle spätere Vollzugslockerungen als auch durch den intensiveren Kontakt zu seinen Angehörigen, Freunden und Bekannten seine Wiedereingliederung erheblich besser fördern als ein weiterer Strafvollzug in Baden-Württemberg. Die in Voerde lebende Schwester und ein Schwager des Betroffenen haben in einer schriftlichen Erklärung vom 20. Mai 2007 diese Angaben bestätigt und darauf hingewiesen, dass sie den Betroffenen aufgrund der großen Entfernung von Nordrhein-Westfalen bis Ravensburg (ca. 700 km) nicht so oft besuchen können, wie sie möchten, und darunter leiden. Insbesondere die Eltern des Betroffenen könnten aufgrund ihres Alters und ihres Gesundheitszustandes die lange Reise nicht mehr antreten. Auch bei eventuellen Vollzugslockerungen wäre seine Familie in Nordrhein-Westfalen für ihn da und könne ihm auch ein Zuhause im Elternhaus zur Verfügung stellen. Bei der Wiedereingliederung würde man ihm nach Kräften helfen.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hat den Antrag mit Entschließung vom 15. Oktober 2007 zurückgewiesen und zur Begründung auf die von ihm eingeholte Stellungnahme des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen Bezug genommen. In dieser Stellungnahme ist ausgeführt, dass der Verlegungsantrag nicht befürwortet werden könne, weil besondere Umstände, die zum jetzigen Zeitpunkt eine Verlegung nach Nordrhein-Westfalen zur Behandlung und Resozialisierung notwendig erscheinen ließen, nicht schlüssig dargelegt worden seien. Es sei kein Argument, dass die Familie des Gefangenen im Falle seiner Verlegung Zeit und Geld einspare, da sich aus diesem Umstand nicht automatisch eine Förderung der Behandlung oder Wiedereingliederung des Gefangenen ergeben müsse. Aufgrund der bisherigen Besuche seiner Verwandten in Ravensburg sei bereits von einem stabilen sozialen Empfangsraum auszugehen. Es sei nicht ersichtlich, warum diese familiären Beziehungen durch eine Verlegung in eine Justizvollzugsanstalt des Landes Nordrhein-Westfalen noch gestärkt werden könnten. Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass Kontakte durch Besuchsüberstellungen in Anspruch genommen werden könnten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Er ist der Auffassung, die Entscheidung des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen sei ermessensfehlerhaft, weil „nicht alle einzustellenden Überlegungen in die Abwägung mit einbezogen, der Beurteilungsspielraum überschritten, sowie eine fehlerhafte Abwägung vorgenommen“ worden sei. In Ergänzung seines bisherigen Vorbringens verweist er darauf, dass etwa die Justizvollzugsanstalt Kleve aufgrund seiner beruflichen Qualifikation als Maschinenführer an der Übernahme der Vollstreckung geradezu „interessiert“ sei. Schließlich dürfe das Justizministerium auch nicht darauf verweisen, dass er im Hinblick auf spätere, konkrete entlassvorbereitende Maßnahmen einen erneuten Antrag stellen könne.

Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen ist dem Antrag entgegengetreten. Nach seiner Auffassung komme eine Verlegung zur Aufrechterhaltung persönlicher und familiärer Beziehungen nur dann in Betracht, wenn sie als Behand-lungsmaßnahme und zur Resozialisierung aufgrund besonderer Umstände unerläss-lich erscheine. Das sei aber nur dann der Fall, wenn im Einzelfall besondere, vom Durchschnittsfall abweichende Erschwerungen des Kontaktes zu den Angehörigen gegeben seien. Erschwernisse bei der Abwicklung des Besuchsverkehrs könnten dagegen eine Verlegung des Betroffenen nicht rechtfertigen. Diese seien hinzunehmen. Deshalb diene eine Verlegung des Betroffenen in den Vollzug des Landes Nordrhein-Westfalen letztlich nur der Besuchserleichterung. Im übrigen bestehe jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt auch keine Notwendigkeit, Wiederein-gliederungsmaßnahmen in den Arbeitsmarkt zu betreiben oder für eine Unterkunft des Betroffenen zu sorgen

II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG ist zulässig. Für die hier beantragte Verlegung eines Gefangenen von einem Bundesland in ein anderes gibt es bislang keine gesetzliche Regelung. Es bedarf in diesem Fall stets einer Einigung der obersten Behörden und der beteiligten Justizverwaltungen (§ 26 S. 4 StrVollstrO). Verweigert aber die zuständige oberste Aufsichtsbehörde über die Vollzugsanstalten eines Bundeslandes die von einem anderen Bundesland beantragte Aufnahme eines Strafgefangenen, so ist dann dem betroffenen Gefangenen der Rechtsweg nach § 23 ff. EGGVG eröffnet (vgl. Senatsbeschluss vom 30. August 2001 – 1 VAs 40/01 und Beschluss vom 11. Februar 2003 – 1 VAs 94/02; KG ZfStrVO 1995, S. 112).

Der Antrag des Betroffenen hat auch in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die Verlegung eines Gefangenen von einem Bundesland in ein anderes erfolgt unter vergleichbaren Kriterien wie sie auch aus § 8 StVollzG ersichtlich sind. Daraus folgt, dass auch hier dem Wiedereingliederungsprinzip und dem Resozialisierungsgrundsatz ein erhebliches Gewicht beizumessen ist. Dem betroffenen Gefangenen, der zwar keinen Rechtsanspruch auf eine Verlegung hat, steht aber ein Recht auf fehlerfreien Ermessensgebrauch zu, d. h. die beteiligten Behörden müssen alle in Betracht kommenden sachlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigen, den insoweit bedeutsamen Sachverhalt von Amts wegen erforschen und die dabei angestellten Erwägungen in der getroffenen Entschließung darlegen. Dem Senat ist es dabei verwehrt, eigenes Ermessen auszuüben; vielmehr beschränkt sich die Überprüfung auf die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung durch die beteiligten Behörden.

Die Erwägungen des Justizministeriums, die zur Ablehnung der Übernahme des Betroffenen in den nordrhein-westfälischen Strafvollzug geführt haben, halten einer solchen Ermessensüberprüfung aber nicht stand. Bereits die der Entscheidung zugrundegelegten Kriterien sind zu beanstanden. Das Justizministerium ist ersichtlich – und zwar ausdrücklich auch noch in seiner abschließenden Stellungnahme zu dem vorliegenden Antrag auf gerichtliche Entscheidung – davon ausgegangen, dass ein Anstaltswechsel zur Aufrechterhaltung familiärer Beziehungen nur dann in Betracht komme, wenn dies als Behandlungsmaßnahme oder zur Resozialisierung aufgrund besonderer Umstände unerlässlich erscheine. Diese – früher auch vom Senat vertretene - Rechtsauffassung kann aber nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. April 2006 – 2 BvR 818/05 – keinen Bestand mehr haben. Danach kommt die Verlegung eines Gefangenen rechtlich nicht erst dann in Betracht, wenn sie zur Behandlung oder aus Resozialisierungsgründen unerlässlich ist, sondern bereits dann, wenn die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung nach der Entlassung hierdurch gefördert wird. Die Erwägung, dass finanziell oder gesundheitlich bedingte Kontaktschwierigkeiten keine überdurchschnittlichen, sondern durch den Strafvollzug typische Erschwernisse seien, die eine Verlegung nicht unerlässlich erscheinen ließen, ist daher so nicht haltbar. Sie ersetzt vielmehr die gebotene Würdigung der konkreten Umstände durch eine unzulässige pauschale Betrachtung, die bei konsequenter Anwendung darauf hinausläuft, dass Gefangene auf eine ihrer Resozialisierung förderliche Verlegung in die Nähe ihrer Angehörigen prinzipiell keine Aussicht haben, wenn die Gründe, aus denen der resozialisierungsfördernde Kontakt nicht anders als durch Verlegung ausreichend ermöglicht werden kann, finanzieller oder gesundheitlicher Art sind. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Handhabung nicht nur das grundrechtlich geschützte Resozialisierungsinteresse verletzt, sondern auch den Anspruch des Gefangenen, nicht aufgrund der finanziellen oder gesundheitlichen Verhältnisse seiner Familienangehörigen benachteiligt zu werden gegenüber insoweit bessergestellten Gefangenen.

Auch das Vorbringen des Betroffenen, dass er in Baden Württemberg über keine sozialen Kontakte (mehr) verfügt, während seine am Niederrhein lebenden Verwandten offensichtlich eine enge Beziehung zu ihm unterhalten wollen – und dies auch von dem Betroffenen gewünscht wird – findet in der angefochtenen Entscheidung keine hinreichende Berücksichtigung. Das gilt auch für den Umstand, dass die Eltern des Betroffenen diesen aus Alters- und Gesundheitsgründen in Ravensburg gar nicht mehr besuchen können. Soweit das Justizministerium insoweit darauf verwiesen hat, Kontakte durch Besuchsüberstellungen zu ermöglichen, wäre diese Erwägung auch nur dann als rechtmäßig zu bestätigen, wenn feststeht, dass Besuchsüberstellungen als Dauerlösung zur Aufrechterhaltung eines dem Resozialisierungsinteresse des Gefangenen entsprechenden Kontakts überhaupt geeignet sind. Dies setzt u. a. voraus, dass geklärt ist, wie oft solche Überstellungen stattfinden können (BVerfG a.a.O.).

Schließlich kann die Verlegung in ein anderes Bundesland auch nicht mit dem Hinweis auf die verbleibende Restvollzugsdauer abgelehnt werden. Wiedereingliederungsbemühungen setzen nicht erst im Zusammenhang mit der Entlassung eines Gefangenen ein. Die Kontaktpflege zu Angehörigen und anderen, einem Gefangenen nahestehenden Personen ist während der gesamten Haftzeit zu fördern, insbesondere bei Personen mit langen Freiheitsstrafen. Deshalb ist es unzulässig, den Betroffenen vorläufig auf die Möglichkeit eines späteren erneuten Verlegungsgesuchs zu verweisen, wenn nämlich konkrete entlassungsvorbereitende Maßnahmen nach Nordrhein-Westfalen anstehen sollten.

Nach alledem kann die Entscheidung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen keinen Bestand haben. Allerdings folgt daraus nicht, dass die Ausübung fehlerfreien Ermessens nur zu dem Ergebnis führen kann, den Betroffene in den Strafvollzug nach Nordrhein-Westfalen zu verlegen. In diesem Fall kann der Senat in der Sache aber nicht selbst entscheiden, denn es ist ihm verwehrt, eigenes Ermessen auszuüben. Das Justizministerium wird deshalb den Antrag des Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden haben.

III.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.Nach billigem Ermessen waren bei der gegebenen Sachlage die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Betroffenen der Staatskasse aufzuerlegen.



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