Aktenzeichen: 2 Ws 124/08 OLG Hamm |
Leitsatz: Die Beurteilung des dringenden Tatverdachts i.S.d. § 112 Abs. 1 StPO, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, unterliegt im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. |
Senat: 2 |
Gegenstand: Beschwerde |
Stichworte: Haftbeschwerde; dringender Tatverdacht; Nachprüfung; Beschwerdegericht; |
Normen: StPO 112; stPo 304 |
Beschluss: Strafsache gegen J.H. wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung u.a., (hier: Haftbeschwerde des Angeklagten). Auf die Haftbeschwerde des Angeklagten vom 3. April 2008 gegen den Haftbefehl des Landgerichts Bochum vom 14. März 2008 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 05. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht beschlossen: Die Haftbeschwerde wird auf Kosten des Angeklagten verworfen. Gründe: I. Das vorliegende Strafverfahren ist Teilkomplex eines umfangreichen Strafverfahrens gegen mehrere Angeklagte, denen Bildung einer kriminellen Vereinigung und betrügerisches Verhalten zu Lasten verschiedener Mobilfunkanbieter vorgeworfen wird. In diesem befindet sich der Angeklagte seit dem 29. November 2006 in Untersuchungshaft. Diese ist zunächst aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 14. November 2006 vollzogen worden. Inzwischen besteht gegen den Angeklagten der Haftbefehl der Strafkammer vom 14. März 2008, der dem Angeklagten am selben Tage verkündet worden ist. Gegen diesen hat der Angeklagte Haftbeschwerde eingelegt, der die Strafkammer durch Beschluss vom 28. April 2008 nicht abgeholfen hat. Der Senat hat im Verfahren nach den §§ 121, 122 StPO durch Beschlüsse vom 18. Juni 2006 (2 OBL 41/07 OLG Hamm bzw. 2 Ws 149/07 OLG Hamm) und vom 4. Oktober 2007 (2 OBL 99/07 OLG bzw. 2 Ws 285/07 OLG Hamm) die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs bzw. neun Monate hinaus angeordnet. Inzwischen hat gegen den Angeklagten die Hauptverhandlung am 3. Januar 2008 begonnen. Sie hat seitdem an etwa 20 Hauptverhandlungstagen stattgefunden. Weitere Hauptverhandlungstermine sind bis August 2008 terminiert. II. Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache jedoch derzeit keinen Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung nimmt der Senat auf die im Wesentlichen zutreffenden Gründe der angefochtenen Haftentscheidung der Kammer Bezug. Er legt seiner Entscheidung außerdem den Nichtabhilfebeschluss vom 28. April 2008 zugrunde. Darüber hinaus weist der Senat auch unter Berücksichtigung der Eingaben vom 07. Mai 2008 auf Folgendes hin: Der Senat ist mit der Strafkammer der Auffassung, dass dringender Tatverdacht hinsichtlich der dem Angeklagten im Haftbefehl vom 14.03.2008 zur Last gelegten Taten besteht. Die Beurteilung des dringenden Tatverdachts i.S.d. § 112 Abs. 1 StPO, die das erkennende Gericht während laufender Hauptverhandlung vornimmt, unterliegt nach ständiger Rechtsprechung aller Obergerichte, die auch der des erkennenden Senats entspricht (vgl. nur Beschluss des Senats vom 26. Juli 2004 in 2 Ws 193/04), im Haftbeschwerdeverfahren nur in eingeschränktem Umfang der Nachprüfung durch das Beschwerdegericht. Allein das Gericht, vor dem die Beweisaufnahme stattfindet, ist in der Lage, deren Ergebnis aus eigener Anschauung festzustellen und zu würdigen, sowie auf dieser Grundlage zu bewerten, ob der dringende Tatverdacht nach dem erreichten Verfahrensstand noch fortbesteht oder dies nicht der Fall ist. Das Beschwerdegericht hat demgegenüber keine eigenen unmittelbaren Kenntnisse über den Verlauf der Beweisaufnahme (vgl. BGH StV 2004, 142 m.w.N.). In die Einschätzung des Fortbestehens des dringenden Tatverdachts durch das erkennende Gericht kann das Beschwerdegericht nur dann eingreifen und die Beurteilung des dringenden Tatverdachts durch das Tatgericht durch eine abweichende eigene Bewertung nur dann ersetzen, wenn der Inhalt der angefochtenen Haftentscheidung grob fehlerhaft ist und den dringenden Tatverdacht aus Gründen bejaht, die in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht vertretbar sind (vgl. BGH, a.a.O.). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Vielmehr hat die Kammer in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 28. April 2008, dessen Begründung der Senat sich zu eigen macht, eingehend und ausführlich die in der Hauptverhandlung bisher erhobenen Beweise gewürdigt. Eine Bewertung der in die Hauptverhandlung eingeführten Mitschnitte aus den Telefonüberwachungen ist dem Senat, der an der Beweisaufnahme nicht teilgenommen hat, nur eingeschränkt möglich. Die von der Strafkammer vorgenommene Bewertung erscheint dem Senat nachvollziehbar. Anhaltspunkte dafür, dass die Bewertung der Strafkammer aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen nicht vertretbar ist, sind nicht ersichtlich. Etwas anderes folgt aus den Eingaben vom 7. Mai 2008 nicht. Der Senat ist auch mit der Strafkammer der Auffassung, dass noch Haftgründe gegeben sind. Allerdings liegt der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr i.S.d. § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO nach Auffassung des Senats derzeit nicht mehr vor. Jedenfalls trägt die Begründung der Strafkammer im Haftbefehl vom 14. März 2008 (Bl. 19) die Annahme von Verdunkelungsgefahr nicht. Für den von der Strafkammer angenommenen Verdacht, der Angeklagte werde auf Beweismittel oder auf Zeugen unlauter einwirken, hat die Strafkammer Tatsachen nicht angeführt. Nach Auffassung des Senats handelt es sich lediglich um Vermutungen, die aber die Annahme von Verdunkelungsgefahr nicht stützen (vgl. Senat in StV 2002, 205 = wistra 2002, 236; StraFo 2004, 134). Die Verdunkelungsgefahr folgt insbesondere auch nicht aus dem Verhalten des Angeklagten zu Beginn der Ermittlungen. Zudem setzt sich die Strafkammer nicht mit der Frage auseinander, wie der Angeklagte, der sich in Untersuchungshaft befindet, überhaupt auf Beweismittel und Zeugen unlauter einwirken können soll. Entgegen der Auffassung des Angeklagten besteht aber noch Fluchtgefahr. Insoweit übersieht der Senat nicht, dass der Angeklagte sich bereits seit Ende November 2006 in Untersuchungshaft befindet, diese also bereits 18 Monate andauert. Angesichts des Gesamtumfangs des ihm zur Last gelegten strafrechtlichen Verhaltens hat er jedoch - auch unter Berücksichtigung der in den durch Urteil bereits abgeschlossenen Verfahren erkannten Strafen - immer noch mit einer so erheblichen Straferwartung zu rechnen, dass ein erheblicher Fluchtanreiz besteht. Insoweit geht der Senat von einer Straferwartung von insgesamt maximal fünf Jahren Freiheitsstrafe aus. Der Senat verkennt in dem Zusammenhang auch nicht die persönlichen Bindungen des Angeklagten, auf die seine Verteidigerin in der Beschwerdebegründung hingewiesen hat. Diese vermögen jedoch den bestehenden Fluchtanreiz nicht ausreichend zu mildern. In dem Zusammenhang darf auch nicht übersehen werden, dass der Angeklagte Kontakte zu Freunden und Bekannten nach Mallorca hat. Der bestehende Fluchtanreiz ist nach Überzeugung des Senats derzeit auch noch so groß, dass ihm nicht durch andere mildere Mittel, wie z.B. einer Kaution, begegnet werden könnte. Der Senat ist schließlich auch der Ansicht, dass der weitere Vollzug der Untersuchungshaft auch noch verhältnismäßig ist. Dabei geht er allerdings davon aus, dass das Verfahren weiterhin zügig betrieben und entsprechend der derzeitigen Terminplanung im August 2008 abgeschlossen werden wird. III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO. |
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