Aktenzeichen: 3 (s) Sbd I. 8/08 OLG Hamm |
Leitsatz: Verweist ein Gericht die Strafsache an ein Gericht höherer Ordnung, so entfällt die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nur dann, wenn die Verweisung willkürlich erfolgt ist. Kommt das Amtsgericht nach der Vernehmung der Angeklagten und der insgesamt vier Tatzeugen zu der Einschätzung, dass unter anderem der Verdacht des versuchten Totschlags bei einem der Angeklagten besteht, so sind hinsichtlich einer Verweisung an das Schwurgericht keine Anhaltspunkte für Willkür ersichtlich |
Senat: 3 |
Gegenstand: Zuständigkeitsbestimmung |
Stichworte: Verweisung; Bindungswirkung; Willkür |
Normen: StPO § 270; StGB § 224 Abs. 1 |
Beschluss: Verweist ein Gericht die Strafsache an ein Gericht höherer Ordnung, so entfällt die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nur dann, wenn die Verweisung willkürlich erfolgt ist. Kommt das Amtsgericht nach der Vernehmung der Angeklagten und der insgesamt vier Tatzeugen zu der Einschätzung, dass unter anderem der Verdacht des versuchten Totschlags bei einem der Angeklagten besteht, so sind hinsichtlich einer Verweisung an das Schwurgericht keine Anhaltspunkte für Willkür ersichtlich. Strafsache In pp. hat das OLG Hamm am 22. April 2008 beschlossen: Das Landgericht Schwurgericht Dortmund wird als das für die Durchführung des Strafverfahrens zuständige Gericht bestimmt. Gründe I. Die Staatsanwaltschaft (Amtsanwalt) Dortmund hat mit Anklageschrift vom 18.09.2007 gegen die Angeklagten die öffentliche Klage wegen gefährlicher Körperverletzung (Tatvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB) vor dem Amtsgericht Strafrichter Kamen erhoben. Mit Beschluss vom 27.11.2007 hat das Amtsgericht die Anklage zur Hauptverhandlung zugelassen. In der Hauptverhandlung vom 06.02.2008 hat das Amtsgericht nach Vernehmung der Angeklagten sowie von vier Zeugen beschlossen, die Sache nach § 270 StPO zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an die große Strafkammer Schwurgericht des Landgerichts Dortmund verwiesen, weil nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen bzgl. des Angeklagten S. der Verdacht bestand, dass dieser einen versuchten Totschlag sowie tatmehrheitlich hierzu eine gefährliche Körperverletzung begangen hat. Den Angeklagten U. hielt es einer Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung für verdächtig. Das Schwurgericht hat die Sache mit Beschluss vom 21.02.2008 an das Amtsgericht zurückverwiesen. Es hält den amtsgerichtlichen Verweisungsbeschluss wegen Willkür für nicht bindend. Das Amtsgericht hat daraufhin die Sache mit Beschluss vom 11.03.2008 dem Senat zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. II. 1. Die Vorlage ist analog §§ 14, 19 StPO zulässig. Die Vorschriften betreffen unmittelbar nur den Kompetenzstreit um die örtliche Zuständigkeit. Sie sind aber entsprechend auch auf andere Fälle des (negativen) Kompetenzstreits anwendbar (BGH NJW 1999, 2604, 2605; OLG Karlsruhe NStZ 1990, 100). Das Oberlandesgericht ist als gemeinschaftliches oberes Gericht des AG Kamen und des LG Dortmund zur Entscheidung berufen. 2. Das Landgericht Schwurgericht Dortmund ist für die Verhandlung und Entscheidung der vorliegenden Sache zuständig. a) Die Zuständigkeit ergibt sich aus dem Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Kamen nach § 270 StPO. Aufgrund des Verweisungsbeschlusses wird die Sache bei dem Gericht, an das verwiesen wird, unmittelbar rechtshängig (vgl. § 270 Abs. 3 StPO; BGH MDR 1984, 599; Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 270 Rdn. 18). Aufgrund dessen ist das Gericht, an das verwiesen wird, an den Verweisungsbeschluss gebunden (BGHSt 27, 99, 103; OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 311; LG Magdeburg Beschl v 17.1.2007 21 AR 20/07). b) Ein formell oder materiell fehlerhafter Verweisungsbeschluss lässt die Bindungswirkung nicht entfallen (BGHSt 29, 216, 219; BGH bei Kusch NStZ 1992, 29). Die Bindungswirkung entfällt erst dann (mit der Folge, dass das Gericht, an das verwiesen wurde, die Sache zurückverweisen kann), wenn der Verweisungsbeschluss willkürlich ist (Senatsbeschluss vom 24.02.2005 3 (s) Sbd. 1 2/05 OLG Hamm). Das ist der Fall, wenn die Verweisung, wenn sie mit Grundsätzen rechtsstaatlicher Ordnung, insbesondere dem des gesetzlichen Richters, in offensichtlichem Widerspruch steht, d.h. wenn sie widersprüchlich, unverständlich oder offensichtlich unhaltbar ist (OLG Bamberg NStZ 2005, 377). Insbesondere kann Willkür vorliegen, wenn das Gericht die Sache ohne Vernehmung der Angeklagten und Beweisaufnahme also bei gegenüber dem Eröffnungszeitpunkt unverändertem Tatsachenstand verweist und es sich nicht um einen Fall der sog. korrigierenden Verweisung (nach versehentlicher Eröffnung des Hauptverfahrens) handelt (BGH NJW 1999, 2604). Weitere Fälle der Willkür können sein, dass bei einer Verweisung wegen der (höheren) Straferwartung eine solche, die die Zuständigkeit des höheren Gerichts begründen würde, offensichtlich ausgeschlossen ist, weil z.B. wegen Strafrahmenverschiebungen zu Gunsten des Angeklagten eine solche Strafe ausscheidet (OLG Bamberg NStZ 2005, 377), Umstände, die einen höheren Strafrahmen oder eine mögliche Unterbringung nach § 63 StGB begründen würden, nur vermutet werden (OLG Düsseldorf NStZ 1986, 426; OLG Frankfurt NStZ-RR 1996, 42, 43) oder aber die Verweisung nur darauf beruht, dass der Angeklagte ein erwartetes Geständnis nicht abgibt, ohne dass aufgrund des nunmehr möglicherweise entfallenden Strafmilderungsgrundes eine Straferwartung für ein höheres Gericht begründet würde (OLG Karlsruhe NStZ 1990, 100). aa) Von einem solchen oder einem vergleichbaren Fall von Willkür kann hier auf der Grundlage der bisherigen Erkenntnisse aus dem Ermittlungsverfahren und der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht keine Rede sein. Das Amtsgericht hat im vorliegenden Fall die Angeklagten zunächst zur Sache und sodann vier Tatzeugen vernommen. Aufgrund dieser Beweisaufnahme kam es zu der Einschätzung, dass (u.a.) der Verdacht des versuchten Totschlags bei dem Angeklagten S gegeben ist. Dass das Amtsgericht dies in seinem Verweisungsbeschluss nicht näher ausführt ist unschädlich, denn eine Beschlussbegründung ist grundsätzlich nicht erforderlich. Notwendig sind nur die Angaben des Gerichts, an das verwiesen wird und (wegen § 270 Abs. 3 StPO) die für einen Anklagesatz notwendigen Angaben. bb) Die Ansicht des Amtsgerichts, dass der Verdacht eines versuchten Totschlags gegeben ist, ist wenn er sich auch nicht gerade aufdrängt jedenfalls nicht so fern liegend, dass von Willkür im o.g. Sinne gesprochen werden könnte. Die von den Zeugen in der Hauptverhandlung ausweislich des Protokolls bekundeten (mehreren) Schläge mit einem Baseballschläger oder einer Stange gegen den Kopf des Opfers sind grundsätzlich objektiv geeignet, seinen Tod herbeizuführen. Ob der Angeklagte S, der die Tat bestreitet, einen entsprechenden Tötungsvorsatz hatte, lässt sich nur anhand der Tatumstände erschließen. Als besonders gefährlich erkannte Tathandlungen, wie z.B. mehrere mit Kraft geführte Schläge gegen den besonders empfindlichen Kopf eines Menschen, der hierdurch potentiell schwerste und tödliche Verletzungen davontragen kann (BGH Urt.v. 11.10.2000 3 StR 321/00 = BeckRS 2000, 30136111; BGH Urt.v. 24.03.2005 3 StR 402/04 = BeckRS 2005, 04290), können dabei ein starkes Indiz für ein wenigstens billigendes Inkaufnehmen des Todeserfolges sein, wobei es angesichts der hohen Hemmschwelle bei einem Tötungsdelikt aber einer sorgfältigen Abwägung aller Umstände bedarf (BGH NStZ 2003, 431 f.) Auf der Grundlage des bisherigen Ermittlungsstandes ist dazu Folgendes anzumerken: Vorliegend hängt viel von der Wucht der Schläge ab. Gegen eine große Wucht, und damit gegen einen Tötungsvorsatz, könnte sprechen, dass das Opfer lediglich Platzwunden erlitt. Andererseits gab es mehrere Schläge gegen das Opfer, auch nachdem dieses schon zu Boden gegangen war. Darüberhinaus ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte S. schon mehrfach durch Gewaltdelikte strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Vier von insgesamt 13 Eintragungen im Bundeszentralregister beziehen sich auf Körperverletzung oder gefährliche Körperverletzung. Nicht ausgeschlossen ist also auch, dass das in dem Täter steckende und in der Tat zu Tage getretene Gewaltpotential erheblich war und nur aufgrund glücklicher Umstände nicht den Todeserfolg herbeigeführt hat. cc) Auch ein Rücktritt von einem etwaigen Versuch eines Tötungsdeliktes ist nicht derart offensichtlich, dass von einer Willkür des Amtsgerichts gesprochen werden könnte. Die für den Rücktritt erforderliche Freiwilligkeit der weiteren Tataufgabe könnte hier dadurch ausgeschlossen sein, dass der Angeklagte S. wie ein Zeuge in seiner polizeilichen Vernehmung bekundet hat den Tatort im Anschluss an die Schläge (erst) dann verlassen hat, als er mitbekam, dass die Polzei kam. dd) Im übrigen ist darauf hinzuweisen, dass im Hinblick auf die Straferwartung bei dem Angeklagten S. nach den Regelungen der §§ 24, 74 GVG jedenfalls eine Zuständigkeit des Landgerichts (wenn auch möglicherweise nicht des Schwurgerichts) vorliegt, so dass allenfalls eine Abgabe der Sache durch das Schwurgericht an eine allgemeine große Strafkammer des Landgerichts denkbar gewesen wäre, welche freilich nach § 269 StPO ausscheidet. Es muss befremden, wenn in einer derartigen Sache Anklage durch den Amtsanwalt zum Strafrichter erhoben wird. Nach dem Stand der Ermittlungen liegt die Straferwartung für den Angeklagten S. durchaus im Bereich von vier Jahren Freiheitsstrafe oder darüber, so dass die Strafgewalt des Amtsgerichts nicht ausreichen könnte: Der erst 25 Jahre alte Angeklagte ist vielfach strafrechtlich in Erscheinung getreten. Er hat bereits einmal Jugendstrafe und einmal Freiheitsstrafe verbüßt. Der Bundeszentralregisterauszug weist mehrere Eintragungen wegen Gewaltdelikten auf: Ein Verfahren wegen gefährlicher Körperverletzung wurde im Jahre 2001 nach § 45 Abs. 2 JGG eingestellt. In der am 26.01.2004 vom AG Rheine verhängten Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren, die der Angeklagte zum Teil verbüßt hat, sind zwei Verurteilungen wegen Körperverletzung enthalten. Am 21.05.2007 wurde der Angeklagte vom AG Steinfurt wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die Vollstreckung dieser Strafe sowie der Strafrest aus der Verurteilung des AG Rheine sind bis 2009 bzw. 2010 zur Bewährung ausgesetzt, so dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt unter Bewährung stand. Die vorliegende Tat wurde zudem zu einem Zeitpunkt (01.04.2007) begangen, als der Angeklagte von dem Verfahren vor dem AG Steinfurt schon Kenntnis haben musste. Was das Tatgeschehen angeht, ist zu berücksichtigen, dass der Angeklagte nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen gleich mehrere Qualifikationsmerkmale des § 224 StGB verwirklicht hat (Nr. 2, 4, 5). Zudem hat er nach den bisherigen Erkenntnissen auch noch eine weitere Person im Rahmen des Tatgeschehens körperlich misshandelt. c) Auch hinsichtlich des Mitangeklagten U. ist die Verweisung nicht willkürlich. Die Gerichtszuständigkeit für ihn folgt Kraft Sachzusammenhangs der Zuständigkeit für den nach dem derzeitigen Ermittlungsstand Haupttäter S. |
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