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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ss 7/08 OLG Hamm

Leitsatz: I.d.R. genügt bei einer Aufklärungsrüge die Angabe der ladungsfähigen Anschrift eines Zeugen zur Angabe eines bestimmten Beweismittels. Ausreichend kann aber auch die Fundstelle der in den Akten befindlichen polizeilichen Vernehmung des Zeugen und das Datum der Vernehmung sein.

Senat: 3

Gegenstand: Revision

Stichworte: Aufklärungsrüge; Anforderungen; Begründung

Normen: StPO 344

Beschluss:

In pp.
hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 06. 02. 2008 beschlossen

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe
I.
Das Amtsgericht - Schöffengericht - Herford hat den Angeklagten am 11.08.2006 wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Angeklagte fristgerecht Berufung eingelegt.
Das Landgericht Bielefeld hat mit dem angefochtenen Urteil vom 28.02.2007 die Berufung verworfen. Gegen das Urteil des Landgerichts Bielefeld hat der Angeklagte form- und fristgerecht Revision eingelegt. Er erhebt mehrere Verfahrensrügen und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II.
Die Revision des Angeklagten ist zulässig und hat in der Sache einen zumindest vorläufigen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld.
1. Bereits die auf eine Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 244 Abs. 2 StPO gestützte Verfahrensrüge verhilft der Revision zu ihrem vorläufigen Erfolg.
Die Aufklärungsrüge entspricht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Danach sind die die Rüge begründenden Tatsachen so genau und vollständig vorzutragen, dass das Revisionsgericht allein auf ihrer Grundlage prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden.
Bei der Rüge der Verletzung des § 244 Abs. 2 StPO muss der Revisionsführer ein bestimmtes Beweismittel, dessen sich das Gericht seiner Ansicht nach hätte bedienen müssen, eine konkrete Beweistatsache, das zu erwartende - für ihn günstige - Beweisergebnis sowie die Umstände vortragen, die das Gericht zu der vermissten Beweiserhebung hätten drängen müssen (vgl. Sander/Cirener, NStZ 2008, 1, 4 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 244, Rdnr. 81).
Zu der Angabe eine zulässigen Beweismittels (vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, Einl. Rdnr. 49) gehört in der Regel die Angabe der ladungsfähigen Anschrift eines Zeugen oder auch nur deren unmittelbarer Auffindbarkeit durch das Gericht, die durch eine nicht weiter belegte Bezugnahme auf angebliche Gerichtskundigkeit nicht ersetzt wird (vgl. dazu BGH, Urteil vom 21.07.2007 - 5 StR 532/06, und Beschluss vom 08.05.2003, 5 StR 120/03, BGHR StPO § 244 Abs. 6 Beweisantrag 40).
Diesen Anforderungen wird die Revision noch gerecht. Die Revision benennt den die Nebenklägerin damals behandelnden Hausarzt Dr. X als Zeugen, der weder vom Amtsgericht Herford noch vom Landgericht Bielefeld vernommen worden ist. Sie teilt zwar die ladungsfähige Anschrift dieses Zeugen nicht mit, sondern gibt mit "(Bl. 102 d.A.)" lediglich die Fundstelle der in den Akten befindlichen Vernehmung des Zeugen durch die Polizei und das Datum der Vernehmung an. Gleichwohl ist das Beweismittel noch hinreichend bestimmt angegeben. Denn bei der Vernehmung eines Zeugen durch Polizeibeamte im Ermittlungsverfahren wird in der Vernehmungsniederschrift regelmäßig der vollständige Name und die ladungsfähige Anschrift des Zeugen aufgenommen, so dass eine Bezugnahme auf den Inhalt einer (übersichtlichen) Akte und die mit genauer Fundstelle (richtig) angegebene Vernehmungsniederschrift genügt.
Die Revision hat ferner Beweistatsachen, die mit dem Beweismittel hätten bewiesen werden können, hinreichend bestimmt behauptet und darüber hinaus das zu erwartende Beweisergebnis benannt.
Die Revision trägt vor, dass die Nebenklägerin am 17.02.2004 bei dem Zeugen in hausärztlicher Behandlung gewesen sei und von einer Vergewaltigung gesprochen habe. Dagegen habe die Nebenklägerin dem Zeugen von den beiden im angefochtenen Urteil festgestellten Vergewaltigungen am 02./03.10.2004 und am 01./02.01.2005 nichts berichtet, obwohl sie in dieser Zeit ständig bei ihm in Behandlung gewesen sei und sogar am 03.01.2005 mit dem Zeugen telefoniert habe. Damit ist die behauptete Beweistatsache hinreichend bestimmt. Das zu erwartende Beweisergebnis geht dahin, dass es entweder eine dritte Vergewaltigung gibt oder die Nebenklägerin nicht die Wahrheit gesagt hat.
Schließlich trägt die Revision vor, welche für das Gericht erkennbaren Umstände es zu der vermissten Beweiserhebung hätten drängen müssen. Dabei stehen die Anforderungen an den Vortrag zum Aufdrängen dazu im Verhältnis, wie naheliegend das behauptete Beweisergebnis erscheint (vgl. BGH, NStZ 2007, 165). Da das zu erwartende Beweisergebnis bei Erfüllung der Aufklärungspflicht nahe lag, genügt der Vortrag der Revision, dass widersprüchliche oder verschwiegene Angaben der einzigen Belastungszeugin zum Kerngeschehen in verschiedenen Aussagen der näheren Aufklärung bedürfen.
Die Aufklärungsrüge ist begründet.
Nach § 244 Abs. 2 StPO hat das Gericht zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind. Die Aufklärungspflicht reicht so weit, wie die dem Gericht aus den Akten oder sonst durch den Verfahrensablauf bekannt gewordenen Tatsachen zum Gebrauch einzelner Beweismittel drängen oder ihn nahe legen. Dabei muss das Gericht allen erkennbaren und sinnvollen Möglichkeiten der Aufklärung des Sachverhalts nachgehen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Auflage, § 244, Rdnr. 12 m.w.N.). Dabei müssen nicht nur die unmittelbaren Beweise erhoben, sondern auch die zu ihrer Würdigung erforderlichen Umstände (unter anderem zur Glaubwürdigkeit der Zeugen und Glaubhaftigkeit ihrer Angaben) ihrerseits im Rahmen der Beweisaufnahme aufgeklärt und zum Gegenstand der nachfolgenden Würdigung gemacht werden (vgl. BVerfG, NJW 2003, 2444, 2445).
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe musste sich das Landgericht veranlasst sehen, den Hausarzt Dr. X als Zeugen zu vernehmen. Aufgrund dessen Angaben im Ermittlungsverfahren drängte sich seine Vernehmung auf. Aufgrund der - nach den Angaben im Ermittlungsverfahren - am 17.02.2004 erfolgten Mitteilung der Nebenklägerin über eine (vorangegangene) Vergewaltigung ist es zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin und der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben von großer Bedeutung, warum diese vor dem Landgericht lediglich von zwei (späteren) Vergewaltigungen berichtet hat, die sie zudem dem Zeugen verschwiegen hat, obwohl sie ständig bei ihm in hausärztlicher Behandlung war und am 03.01.2005, also ein Tag nach dem zweiten festgestellten Vorfall mit dem Zeugen telefoniert hat. Angesichts des den Anklagevorwurf bestreitenden Angeklagten, lag die Vernehmung nahe.
Die Verletzung der Aufklärungspflicht betrifft nicht nur den Vorwurf der Vergewaltigung in zwei Fällen, sondern auch die nach dem Anklagevorwurf den Vergewaltigungen jeweils vorausgegangenen Körperverletzungen. Denn in allen Fällen kommt es maßgeblich auf die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage und der Glaubwürdigkeit der Nebenklägerin an.
2. Es kann dahingestellt bleiben, ob die weiter erhobenen Verfahrensrügen und die geltend gemachte Sachrüge durchgreifen, da das Urteil bereits auf die zuvor erörterte Verfahrensrüge hin aufzuheben war.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass es bei der vorliegenden Konstellation "Aussage gegen Aussage", bei der die Entscheidung maßgeblich davon abhängt, welcher Person das Gericht Glauben schenkt, grundsätzlich einer eingehenden Erörterung und Würdigung aller - namentlich auch früherer - relevanter Aussagen bedarf, also einschließlich aller bisherigen richterlichen Vernehmungen, zuletzt derjenigen im Berufungsverfahren. Denn regelmäßig genügt der Tatrichter bei einer solchen Beweissituation nur so seiner Verpflichtung, im Urteil zu belegen, dass er alle maßgeblichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. Senat, Beschluss vom 10.08.2005, 3 Ss 224/04; BGH, StV 2007, 284; BGH, Beschluss vom 21.09.2007, 2 StR 390/07; BGH StV 2004, 58 m.w.N.). In einem solchen Fall ist zudem in besonderem Maße eine "Gesamtwürdigung" aller Indizien geboten. Dabei kommt nicht allein der Entstehungsgeschichte der Aussage sowie deren Konstanz Bedeutung zu. Unter dem Gesichtspunkt der Kompetenzanalyse sowie der Motivationsanalyse der Zeugenaussage bedarf es wegen des Alkoholmissbrauchs der Nebenklägerin und des durchgeführten Scheidungsverfahren besonderer Erörterung.




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