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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 4 Ss 307/05 OLG Hamm

Leitsatz: Eine lebenslange Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis bedarf stets besonders sorgfältiger Prüfung und erschöpfender Begründung

Senat: 4

Gegenstand: Revision

Stichworte: fahrlässige Tötung, Abbiegeunfall mit Lkw, Unterlassen der gebotenen Sorgfalt, kein Unterlassensdelikt, Dauer der Sperrfrist, lebenslange Sperrfrist, Angemessenheit der Rechtsfolgen,

Normen: StGB 222, StGB 69, StGB 69 a, StPO 354 Abs. 1 a

Beschluss:

Strafsache gegen C. K.,
wegen fahrlässiger Tötung u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1 . kleinen Strafkammer des Landgerichts Arnsberg vom 11. April 2005 hat der 4 . Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 08. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 2 und 4 einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der Revision im übrigen im Maßregelausspruch mit den dazu gehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Kammer des Landgerichts Arnsberg zurückverwiesen.

Gründe: I. Das Amtsgericht Meschede hat den Angeklagten durch Urteil vom 02. Dezember 2004 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung, wegen Fälschung technischer Aufzeichungen in 5 Fällen sowie wegen Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und die Verwaltungsbehörde angewiesen, ihm lebenslang keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Gegen dieses Urteil hat die Staatsanwaltschaft eine auf das Strafmaß beschränkte Berufung eingelegt.
Das Landgericht Arnsberg hat durch Urteil vom 11. April 2005 das amtsgerichtliche Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahin geändert, dass der Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten verurteilt wird, während die übrigen Anordnungen im Urteil des Amtsgerichts aufrechterhalten bleiben.
Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und mit der Sachrüge in zulässiger Weise begründete Revision des Angeklagten.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, das Rechtsmittel als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
II. Das Rechtsmittel hat in der Sache teilweise Erfolg.
1. Die gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung gerichteten Revisionsangriffe sind unbeachtlich, weil der Schuldspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgrund der vorangegangenen Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch in Rechtskraft erwachsen ist.
Die Beschränkung der Berufung ist rechtswirksam. Die amtsgerichtlichen Feststellungen bieten eine hinreichende Grundlage für die Nachprüfung der Rechtsfolgenentscheidung. Die vom Landgericht im Rahmen der Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruch getroffenen weiteren Feststellungen stehen zu den tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen des Schuldspruchs nicht in Widerspruch.
Insoweit ist klarstellend anzumerken, dass sowohl das Landgericht bei der Rechtsfolgenentscheidung als auch das Amtsgericht beim Schuldspruch ersichtlich von einer durch aktives Tun begangenen fahrlässigen Tötung ausgegangen sind. Dies ergibt sich daraus, dass im amtsgerichtlichen Tenor ein Unterlassen nicht aufgeführt ist, in der Paragrafenliste § 13 StGB nicht genannt wird, bei den Feststellungen zur äußeren Tatseite keine Feststellungen zu einer etwaigen Garantenstellung getroffen werden und bei der landgerichtlichen Strafzumessung die Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB unerwähnt bleibt. Die gegenteilige Annahme, die Tatgerichte seien von einer Unterlassungstat ausgegangen und hätten sämtliche dafür erforderlichen vorgenannten Gesichtspunkte übersehen, liegt nach Auffassung des Senats fern. Allerdings sind die - vom Landgericht in Bezug genommenen - Ausführungen des Amtsgerichts zur rechtlichen Würdigung des Tötungsgeschehens missverständlich. Das Amtsgericht führt folgendes aus:
"Die Betroffene hat fahrlässig den Tod der D. verursacht. Die Tathandlung ist vorliegend in einem Unterlassen zu sehen. Der Angeklagte hat es unterlassen, vor Einleiten des Abbiegevorgangs sich vorzubeugen und über die linke Schulter nach hinten zu blicken. Er hat dies sorgfaltswidrig unterlassen."
Diese Ausführungen lassen die erforderliche Differenzierung der einzelnen Merkmale des äußeren Tatbestandes eines fahrlässigen Erfolgsdelikts, namentlich die Unterscheidung zwischen (erfolgsursächlicher) Tathandlung und (objektiver) Sorgfaltspflichtverletzung, vermissen. Für den Unrechtserfolg, nämlich die Tötung des Kindes, ursächliche Tathandlung war hier nicht die Außerachtlassung der objektiv erforderlichen Sorgfalt in Gestalt des unterbliebenen qualifizierten Seitenblicks, sondern das aktive Überfahren des Kindes. Wenngleich die Tötung durch Überfahren den äußeren Tatbestand der fahrlässigen Tötung erst durch Hinzutreten der Sorgfaltspflichtverletzung erfüllt, so sind doch beide Tatbestandselemente begrifflich und gedanklich zu unterscheiden. Für die strafrechtliche Qualifizierung des äußeren Tatgeschehens als Tun oder als Unterlassen ist allein die Tathandlung im vorgenannten engen Sinne ausschlaggebend. Andernfalls würde jede Fahrlässigkeitstat zwangsläufig zum Unterlassungsdelikt, weil jedem Fahrlässigkeitsvorwurf bzw. jeder Sorgfaltspflichtverletzung ein Unterlassungselement, nämlich die Versäumung der erforderlichen Sorgfalt, eigen ist. Allein auf diese Unterlassungs-Komponente der Sorgfaltspflichtverletzung bezogen sich vorliegend die tatrichterlichen Ausführungen. Der Annahme einer Begehungstat stehen sie mithin nicht entgegen.
2. Die auf die Sachrüge vorzunehmende Nachprüfung des Rechtsfolgenausspruchs deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf, die allerdings nur hinsichtlich der Maßregelanordnung zur Aufhebung und Zurückverweisung führen.
Das Landgericht ist von zutreffenden Strafrahmen ausgegangen.
Frei von Rechtsfehlern ist auch die Einzelstrafzumessung hinsichtlich der Tatvorwürfe des vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in drei Fällen, der Fälschung technischer Aufzeichnungen in vier Fällen und der Urkundenfälschung.
Die Zumessung der Einsatzstrafe von 1 Jahr 6 Monaten wegen fahrlässiger Tötung in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis weist Rechtsfehler auf, jedoch ist die Strafe angemessen im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO.
Die Strafzumessung ist hinsichtlich der fahrlässigen Tötung widersprüchlich und mithin rechtsfehlerhaft, weil trotz der Annahme geringen Verschuldens ohne tragfähige zusätzliche Begründung nicht auf Geld-, sondern auf Freiheitsstrafe erkannt worden ist. So konnten die verkehrsstrafrechtlichen und ordnungsrechtlichen Voreintragungen dem Angeklagten bei der vom Amtsgericht angenommenen leichten Fahrlässigkeit kaum straferschwerend zur Last gelegt werden, da sie in der konkreten Verkehrssituation keinen Warneffekt bewirken konnten. Auch das tateinheitlich begangene vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis vermag, wenn man die daneben verhängten geringen Freiheitsstrafen für die weiteren Fahrten ohne Fahrerlaubnis betrachtet, die Höhe der Einsatzstrafe nicht nachvollziehbar zu begründen.
Diese Rechtsfehler erfordern indes nicht die Aufhebung des Strafausspruchs und die Zurückverweisung der Sache, da die festgesetzte Strafe von einem Jahr sechs Monaten trotz dieses Strafzumessungsfehlers angemessen ist (§ 354 Abs. 1 a Satz 1 StPO).
Ob eine Rechtsfolge als angemessen im Sinne des § 354 Abs. 1 a StPO angesehen werden kann, hat das Revisionsgericht auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere aller nach § 46 StGB für die Strafzumessung erheblichen Umstände zu beurteilen (BGH, Beschluss vom 17. März 2005, Az: 3 StR 39/05, juris-web).
Unter Berücksichtigung der den Urteilsfeststellungen entnehmbaren Tatumstände ist die tatrichterliche Annahme eines nur geringen Sorgfaltsmangels unzutreffend, vielmehr trifft den Angeklagten der Vorwurf einer überdurchschnittlichen Sorgfaltspflichtverletzung. So konnte er nach den Sachfeststellungen unschwer erkennen, dass an der 200 Meter vor der Unfallstelle gelegenen Schule Unterrichtsende war. Von der Schule wegströmende Kinder befanden sich auf beiden Bürgersteigen. Nach den Feststellungen passierte der das spätere Unfallopfer und seinen ebenfalls kindlichen Begleiter, die auf ihren Fahrrädern den aus Sicht des Angeklagten linksseitigen, leicht abschüssigen Gehweg in gleicher Fahrtrichtung befuhren. Der Angeklagte, der bereits ab Wahrnehmung der Schulschluss-Situation zu höchster Vorsicht und Aufmerksamkeit gehalten war, hätte das auf der Gehwegseite, zu der er abbiegen wollte, befindliche Unfallopfer, als er es passierte, sehen müssen. Jedenfalls kann ihm nach den Feststellungen nicht entgangen sein, dass sich beidseitig der Strasse auf den Gehwegen Kinder von der Schule wegbewegten. Angesichts der mit 200 Meter Entfernung durchaus noch gegebenen räumlichen Nähe zwischen der Schule und dem Unfallort musste er daher beim Linksabbiegen in die Firmenzufahrt mit rückwärtig auftauchenden Kindern rechnen. Der Umstand, dass sich das spätere Unfallopfer maximal 28 Sekunden im toten Winkel der Lkw-Spiegel befand, kann den Angeklagten daher nur unwesentlich entlasten. Vielmehr durfte er sich aufgrund der wahrgenommenen besonderen Umstände mit dem gewöhnlichen Spiegel- und Seitenblick nicht begnügen, sondern hätte die ihm bestmöglichen Anstrengung zur Vorbereitung gefahrlosen Abbiegens, nämlich den ihm nach den Feststellungen des Urteils möglichen Seitenblick unter Vorbeugen des Oberkörpers, vornehmen müssen. Dies gilt umso mehr, als dem Angeklagten nach den Feststellungen die Unübersichtlichkeit des Sattelzuges bekannt war. Bei sorgfaltsgemäßem Verhalten wäre der Unfall nach den Feststellungen mit Sicherheit vermieden worden.
Nimmt man das tateinheitlich und wiederholt begangene vorsätzliche Fahren ohne Fahrerlaubnis hinzu, so stellt sich die Tatschuld insgesamt als überdurchschnittlich dar. Eine Geldstrafe wäre insoweit unzureichend gewesen. Berücksichtigt man demgegenüber strafmildernd das Geständnis, die Hinnahme der erstinstanzlichen Verurteilung, sein tiefes Bedauern über das Tatgeschehen und seine Entschuldigung in der Hauptverhandlung, so ist das verhängte, am oberen Rand des unteren Strafrahmendrittels angesiedelte Maß der erkannten Freiheitsstrafe insgesamt angemessen.
Die Gesamtstrafenbildung deckt keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat unter zulässiger Bezugnahme auf die Zumessungserwägungen der Einzelstrafen bei der Gesamtwürdigung straferschwerend die hohe Tatfrequenz und die bisherige Unbelehrbarkeit durch Vorstrafen und Strafvollzug berücksichtigt. Die Tatschuld wiegt mithin insgesamt so schwer, dass ein nicht mehr aussetzungsfähiges Strafmaß notwendig und angemessen war. Von daher begegnet die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren 6 Monaten revisionsrechtlich keinen Bedenken.
3. Hingegen hält die Anordnung einer lebenslangen Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Der Maßregel-Ausspruch des Amtsgerichts ist nicht in Rechtskraft erwachsen. Entgegen der in den Gründen des angefochtenen Urteils ausgedrückten Rechtsauffassung lässt sich der auf den Strafausspruch beschränkten Berufung der Staatsanwaltschaft nicht zweifelsfrei entnehmen, dass innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs eine weitere Beschränkung auf die Höhe der Freiheitsstrafe gewollt war. Dagegen spricht auch, dass der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Berufungshauptverhandlung im Rahmen der Schlussvorträge ausdrücklich beantragt hat, die vom Amtsgericht festgesetzte Sperrfrist auf Lebenszeit aufrechtzuerhalten, und dass das Landgericht eine diesbezügliche eigene Entscheidung getroffen hat.
Eine lebenslange Sperre bedarf stets besonders sorgfältiger Prüfung und erschöpfender Begründung. Sie setzt voraus, dass eine Sperre von fünf Jahren zur Abwendung der vom Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Lebenslange Sperre kommt in erster Linie bei körperlich oder geistig begründeter Fahrunfähigkeit in Betracht, wenn eine Besserung ausgeschlossen erscheint. Bei charakterlichen Mängeln kommt sie nur in Fällen schwerster Verkehrskriminalität in Betracht, insbesondere bei chronischer Trunkenheitsdelinquenz und sonstiger auf fest verwurzeltem Hang beruhender Verkehrsdelinquenz bei mehreren Vorstrafen und mehrfacher Entziehung der Fahrerlaubnis (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 69a, Rdnr. 22).
Der Vorgabe ausführlicher Begründung werden die knappen Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht.
Die lebenslange Dauer der Sperre erweist sich aber auch in der Sache als unangemessen.
Zwar sind gegen den Angeklagten ausweislich der Feststellungen bereits in den Jahren 1994 und 2002 jeweils rund einjährige Sperren verhängt worden. Auch deutet die Vielzahl der verkehrsrechtlichen Verstöße der Vergangenheit auf ein zumindest gleichgültige Einstellung des Angeklagten gegenüber der Rechtsordnung hin.
Andererseits ist der zeitliche Rahmen der Sperrfrist bislang nicht annähernd ausgeschöpft worden. Nach den Feststellungen der Kammer hat der durch sein Fehlverhalten im Straßenverkehr verschuldete Tod des Mädchens den Angeklagten, der selbst Vater zweier Kinder ist, tief und anhaltend erschüttert. Er hat aufgrund vorliegender Verurteilung erstmals Strafhaft wegen einer Verkehrsstraftat zu verbüßen. Als Familienvater ist er mittlerweile haftempfindlicher als zur Zeit seiner erstmaligen Strafverbüßung wegen schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Versicherungsbetrug in den Jahren 1996 bis 1999.
Vor diesem Hintergrund besteht die begründete Aussicht, dass der Angeklagte seine bislang gleichgültige Einstellung gegenüber verkehrsrechtlichen Vorschriften im Verlauf einer den zeitlichen Rahmen ausschöpfenden befristeten Sperrfrist doch noch ändert, zumal er in den knapp anderthalb Jahren zwischen der Tat und der Berufungsverhandlung offenbar verkehrsrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten ist. Eine lebenslange Sperre ist daher gegenwärtig unangemessen.
Das angefochtene Urteil war somit im Rechtsfolgenausspruch bezüglich der Maßregelanordnung mit den getroffenen Feststellungen aufzuheben. ]



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