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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 44/09 OLG Hamm

Leitsatz: Das Widerrufsgericht ist beim Bewährungswiderruf wegen Begehung einer neuen Straftat schon dann befasst, wenn die Begehung neuer Straftaten aktenkundig wird. Auf eine neue Verurteilung in der Sache muss das Widerrufsgericht nicht warten. Dabei kann bereits die Verbüßung so genannter Organisationshaft zu einer Begründung der örtlichen Zuständigkeit einer anderen Kammer führen, da die Organisationshaft im Gegensatz zur Verschubung langfristiger sein kann und zudem auf die Strafhaft angerechnet wird.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde Haftprüfung durch das OLG Pauschgebühr Justizverwaltungssache Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Stichworte: Zuständigkeit; Strafvollstreckungskammer; Befasstsein

Normen: StGB § 56f; StPO 462a Abs. 1 S. 1

Beschluss:

Strafsache
wegen Verstoßes gegen das BtMG
(hier: Sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung).
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 21. Januar 2009 gegen den Beschluß der 21b. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bielefeld vom 15. Januar 2009 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. Februar 2009 durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht,
die Richterin am Oberlandesgericht und
den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten des Beschwerdeführers (§ 473 Abs. 1 StPO) mit der Maßgabe, dass die Aussetzung der Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 13.06.2005 (i.V.m.d. Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 23.08.2005) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten widerrufen ist, verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Verurteilten mit Urteil vom 13.06.2005 i.V.m. dem Urteil vom 23.08.2004 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 20 Fällen, wegen Geldwäsche und wegen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt, dem Verurteilten wurde eine Therapieweisung erteilt. Die ambulante Therapie führte in den Jahren 2006 und 2007 durch. Am 04.06.2007 wurde er wegen eines Straßenverkehrsdeliktes zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Mit Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 28.04.2008, rechtskräftig seit dem 06.05.2008, ist der Verurteilte erneut wegen – in der vorliegenden Bewährungszeit begangenen – Betäubungsmittelstraftaten unter Einbeziehung der Verurteilung vom 04.06.2007 zu zwei Gesamtstrafen (1 Jahr und 6 Monate sowie 2 Jahre) verurteilt worden. Gleichzeitig wurde seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
Aufgrund dieser Verurteilung hat die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bielefeld die Strafaussetzung zur Bewährung nach schriftlicher Anhörung des Verurteilten mit dem angefochtenen Beschluss widerrufen. Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Die statthafte und zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.
1.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bielefeld örtlich und sachlich zuständig.
Zunächst war hier zwar mit der Übersendung des Haftbefehls aus dem Verfahren, das zur neuen Verurteilung führte, zum hiesigen Bewährungsheft im Februar 2008 das erstinstanzliche Gericht mit der Widerrufsfrage befasst, da sich der Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt lediglich in Untersuchungshaft in der JVA Bielefeld-Brackwede I befand und Untersuchungshaft für die Strafvollstreckungskammer nicht zuständigkeitsbegründend wirkt.
Mit Rechtskraft der neuen Verurteilung am 06.05.2008 ging die Untersuchungshaft in Strafhaft über und so wurde gemäß § 462a Abs. 1 S. 1 StPO die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer Bielefeld für den weiterhin in Bielefeld einsitzenden Beschwerdeführer begründet (vgl. Meyer-Goßner StPO 51. Aufl. § 462a Rdn. 6).
Anders als der Beschwerdeführer, ist der Senat der Ansicht, dass die Befassung nicht erst mit dem Eingang einer Urteilskopie zum Bewährungsheft eingetreten ist. Zwar bedarf es nach der Rechtsprechung des EGMR ( StV 2003, 82) für einen Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen einer neuen Straftat zumindest der erstinstanzlichen Aburteilung dieser Tat oder aber eines glaubhaften Geständnisses des Täters, so dass ein Widerruf trotz Mitteilung des Verdachts der neuen Taten so lange nicht in Betracht kommt, wie diese Voraussetzungen nicht vorliegen. Daher könnte man Zweifel haben, ob ein Befasstsein in dem Sinne, dass Tatsachen aktenkundig werden, die den Widerruf der Strafaussetzung rechtfertigen (vgl.: BGH bei Becker NStZ-RR 2005, 65, 69; OLG Hamm Beschl.v. 10.07.2007 – 3 Ws 417/07 – juris; Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 11 m.w.N.), vorliegt (vgl.: LG Bochum NStZ 2003, 567). Eigentlicher Widerrufsgrund ist nach der Gesetzesformulierung des § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB aber nach wie vor die neue Straftat, nicht die neue Verurteilung. Das Widerrufsgericht muss lediglich mit seinem Widerruf so lange zuwarten, bis die o.g. Voraussetzungen vorliegen. Daher ist ein Befasstsein beim Widerruf nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB schon dann gegeben, wenn die Begehung neuer Straftaten aktenkundig wird, was hier mit Übersendung des Haftbefehls der Fall war.
Eine Befassung der Strafvollstreckungskammer Bielefeld scheidet auch nicht deswegen aus, weil es sich bei der ab Rechtskraft bis zur Verlegung in die Maßregeleinrichtung nach Marsberg am 28.05.2008 in der JVA Bielefeld-Brackwede I verbüßten Haft um sog. „Organisationshaft“ bis zur Überführung in den hier (§ 67 Abs. 1 StGB) vorweg vorzunehmenden Maßregelvollzug handelt. Im Hinblick darauf, dass die bloß vorübergehende Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt noch nicht die Zuständigkeit der örtlichen Strafvollstreckungskammer begründet ( NJW 1992, 518), ist zwar vom hiesigen 2. Strafsenat früher einmal vertreten worden, dass es sich bei der Organisationshaft um eine solche vorübergehende Maßnahme handele, welche ebenfalls nicht zuständigkeitsbegründend wirkt ( OLG Hamm Beschl.v. 27.03.1998 – 2 Ws 131/98 – juris). Diese Ansicht vermag der entscheidende Senat nicht zu teilen. Die Beispiele, die für eine bloße vorübergehende Aufnahme in eine Justizvollzugsanstalt genannt werden, wie Verschubung, Wahrnehmung eines Gerichtstermins oder ärztliche Untersuchung, sind mit der Organisationshaft nicht vergleichbar. Sie sind im Regelfall deutlich kürzer als die Organisationshaft, die jedenfalls mehrere Wochen dauern kann (wenn die Praxis auch nicht von vornherein auf eine dreimonatige Dauer angelegt sein darf, BVerfG NJW 2006, 427, 429). Der Sache nach handelt sich auch um (entgegen § 67 Abs. 1 StGB) vorweggezogene Strafhaft, da sie auf diese angerechnet wird ( BVerfG NJW 2006, 427, 428). Der rund dreiwöchige Aufenthalt in der JVA Bielefeld-Brackwede I nach Rechtskraft des Urteils wirkte sich dementsprechend zuständigkeitsbegründend für die Strafvollstreckungskammer beim Landgericht Bielefeld aus.
2.
In der Sache selbst hat die Strafvollstreckungskammer die Strafaussetzung zu Recht widerrufen. Die Voraussetzungen nach § 56f Abs. 1 Nr. 1 StGB liegen vor, nachdem der Beschwerdeführer wegen in der Bewährungszeit begangener neuer Straftaten verurteilt worden ist. Mildere Mittel i.S.v. § 56f Abs. 2 StGB zur Abwendung des Widerrufs kamen hier nicht in Betracht. Der Beschwerdeführer war schon einschlägig vorbestraft und ist in der Bewährungszeit in einschlägiger Weise erneut strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Verweis des Beschwerdeführers auf die Entscheidung des OLG Schleswig vom 25.04.2008 (2 Ws 164/08) verfängt hier nicht. Ungeachtet dessen, dass dort nicht etwa ausgesprochen wurde, dass nur nach § 56f Abs. 2 StGB vorzugehen ist, wenn der Verurteilte nunmehr erstmals ernsthaft eine Therapie begonnen hat und der Widerruf den Therapieerfolg gefährden würde, ist ein solcher Fall hier auch nicht gegeben. Der Beschwerdeführer hat bereits in der Bewährungszeit über längere Frist eine Therapie durchgeführt, ohne dass ihn dies von der Begehung neuer Taten abgehalten hätte. Außerdem ist hier ein Therapieerfolg nicht wegen der Vollstreckung der widerrufenen Strafe gefährdet, da die Therapie, die hier auf § 64 StGB beruht, auf jeden Fall durchgeführt werden muss, solange nicht die Voraussetzungen nach § 67d Abs. 5 StGB gegeben sind.
Die versehentliche Nennung des falschen Urteilsdatums im angefochtenen Beschluss hat der Senat korrigiert.



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