Aktenzeichen: 3 Ss 235/08 OLG Hamm |
Leitsatz: 1. Zu den Anforderungen an die Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener. 2. Anforderungen an die Ausführungen zu §§ 20, 21 StGB. Es darf nicht offen bleiben, welche der beiden Alternativen des § 21 StGB vom Gericht zu Grunde gelegt wurden. Beide Alternativen können auch nicht kumulativ bejaht werden. |
Senat: 3 |
Gegenstand: Revision |
Stichworte: Anforderungen an die Feststellungen bei einer Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener Anforderungen an Ausführungen zu den §§ 20, 21 Strafgesetzbuch (StGB) hinsichtlich der vom Gericht zu Grunde gelegten Alternative Möglichkeit einer kumulativen Bejahung der beiden Alternativen des § 21 StGB |
Normen: StGB 20; StGB 21; StGB 225; |
Beschluss: Strafsache In pp. Beschluss vom 28. 7. 2008 Das angefochtene Urteil wird mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen. Gründe I. Das Amtsgericht Bielefeld hatte die Angeklagte wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die dagegen gerichtete Berufung der Angeklagten (von der die Nichtanwendung des § 64 StGB ausgenommen wurde) hat die kleine Strafkammer mit dem angefochtenen Urteil mit folgender Maßgabe verworfen: "Die Angeklagte wird wegen fahrlässiger Körperverletzung in Tatmehrheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird." Nach den Feststellungen des Landgerichts nahm die Angeklagte am Abend des 17.03.2006 mit einem Bekannten in ihrer Wohnung Alkohol in erheblichem Umfang zu sich, nachdem sie ihre 14 Monate alte Tochter schlafen gelegt hatte. In der Wohnung befand sich auch der Freund der Angeklagten B. Wegen Ruhestörung aus der Wohnung der Angeklagten kam es gegen 3.00 Uhr am 18.03.2006 zu einem Polizeieinsatz. Die Angeklagte öffnete die Wohnungstüre und es kam zu einer ersten körperlichen Auseinandersetzung mit den Polizeibeamten, welche aber nicht Gegenstand des Verfahrens ist. Nachdem das Kind wegen der entstandenen Unruhe wach geworden war, sollte sich die Angeklagte um die Tochter kümmern und nahm sie unter den gebeugten rechten Arm, so dass der Kopf nach vorne und die Beine nach hinten hingen. Im Rahmen des Gesprächs mit den Polizeibeamten gestikulierte und bewegte sich die Angeklagte mit dem Kind unter dem Arm so wild, dass dieses mit dem Kopf gegen die Wand schlug, was die Strafkammer rechtlich als fahrlässige Körperverletzung gewertet hat. In der Folgezeit (zweiter Tatkomplex, von der Strafkammer als Misshandlung Schutzbefohlener in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung gewertet) war die stark angetrunkene Angeklagte darüber aufgebracht, dass ihr Freund B von der Polizei aus der Wohnung abgeführt und nach draußen verbracht wurde. Deswegen lief sie - ihre Tochter unter dem gebeugten rechten Arm haltend - zu einem Flurfenster, das 2-3 Meter über dem Erdboden war, öffnete dieses, schrie den Polizeibeamten nach und bewegte sich so, dass der Kopf des Kindes frei in der Luft war und es für die Polizisten den Anschein hatte, das Kind könne herunter fallen. Hierdurch habe die Angeklagte versucht zu erreichen, dass B wieder losgelassen wird. Als ein Polizist deswegen wieder in das Haus zurückkehrte, "floh" die Angeklagte mit dem Kind unter dem Arm in die Wohnung. Dabei stieß das Kind erneut mit dem Kopf gegen eine Wand. In der Wohnung warf die Angeklagte ihre Tochter aus etwa 20 - 30 cm Höhe in Richtung Wohnzimmer auf den Boden. Später, als die Angeklagte zum Einsatzfahrzeug verbracht werden sollte, kniff sie einen Polizeibeamten in den Oberschenkel und biss ihm in die Finger, um sich so der Verbringung aus der Wohnung zu entziehen. Der Beamte erlitt eine Quetschung und eine offene Wunde. Das Kind erlitt zwei kleinere Hämatome am Kopf. Das Landgericht geht davon aus, dass sich die Tochter diese "größtenteils bei dem ersten Tatkomplex" zugezogen hat. Gegen das Urteil wendet sich die Angeklagte mit der Revision. II. Die zulässige Revision der Angeklagten hat mit der - allein erhobenen - Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO). 1. Soweit die Angeklagte im zweiten Tatkomplex wegen Misshandlung Schutzbefohlener in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden ist, war das Urteil aufzuheben, weil die Feststellungen weder eine Verurteilung nach § 225 StGB in objektiver und subjektiver Hinsicht tragen, noch die Ausführungen zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten frei von Rechtsfehlern sind. a) Die Feststellungen belegen bereits nicht die Voraussetzungen des objektiven Tatbestands des § 225 StGB. aa) Aufgrund der bisherigen Feststellungen lässt sich nicht erkennen, dass die Angeklagte ihre Tochter "gequält" hat. "Quälen" setzt das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender erheblicher Schmerzen oder Leiden dar (BGHSt 41, 113, 115 ff.) [BGH 30.03.1995 - 4 StR 768/94]. Der besondere Unrechtsgehalt liegt in der ständigen Wiederholung oder der langen Dauer der Zufügung erheblicher Schmerzen. Fraglich ist bereits, ob das Kind dadurch, dass es bei der Flucht der Angeklagten vor der Polizei mit dem Kopf gegen die Wand schlug und auf den Wohnzimmerboden aus 20-30 cm Höhe geworfen wurde, erhebliche Schmerzen erlitt. So ist zur Wucht beider Handlungen, zum Untergrund des Wohnzimmerbodens und wie das Kind auf diesem aufgekommen ist, nichts festgestellt. Auch die Verletzungen des Kindes geben hierüber keinen Aufschluss. Angesichts der bloßen Feststellung, dass diese überwiegend beim ersten Vorfall (der fahrlässigen Körperverletzung) entstanden seien, ist bereits unklar, ob bzw. inwieweit sie dem zweiten Tatkomplex zugeordnet werden können. Reaktionen des Kindes auf diese Handlungen, die auf erhebliche Schmerzen hindeuten könnten, werden im Urteil nicht mitgeteilt. Sofern das Landgericht in dem "Aus-dem-Fenster-Halten" des Kindes ein Quälen sieht, hält auch dies rechtlicher Überprüfung nicht stand. Es ist bereits nicht ersichtlich, dass - wie das Landgericht meint - die Tochter hierdurch "in ihrer körperlichen Verfassung beeinträchtigt" wurde, bzw. was mit dieser Aussage überhaupt gemeint ist. Soweit das Berufungsgericht auf ein In-Angst-Versetzen der Tochter abstellt, reicht auch dieses für sich genommen nicht aus. Zwar kann auch das Versetzen in Todesangst (welche hier nicht konkret festgestellt wurde) ein Quälen darstellen (Fischer StGB 55. Aufl. § 225 Rdn. 8a). Indes muss das Opfer auch in der Lage sein, Todesangst zu empfinden. Das ist bei einem 14 Monate alten Kind nicht der Fall. Die entsprechende Wahrnehmungsfähigkeit zur Einschätzung von Situationen als lebensbedrohlich ist hier noch nicht entwickelt (vgl. BGH NStZ 2006, 338, 339 [BGH 10.03.2006 - 2 StR 561/05] zur entsprechenden Problematik beim Mordmerkmal der Heimtücke). Schließlich ist auch nicht ersichtlich, wie durch das bloße Tragen des Kindes unter dem Arm im offenen Fenster diesem Schmerzen zugefügt worden sein könnten. bb) Die Feststellungen belegen auch keine rohe Misshandlung der Tochter. Rohes Misshandeln setzt eine gefühllose, fremdes Leiden missachtende Gesinnung voraus (BGH NStZ 2004, 94, 95) [BGH 03.07.2003 - 4 StR 190/03]. Ferner müssen auch erhebliche Handlungsfolgen entstanden sein (BGH NStZ 2007, 405). Beides ist hier nicht festgestellt. Die beiden kleineren Hämatome würden für sich schon nicht als erhebliche Handlungsfolgen ausreichen. Hier ist aber auch durch die Formulierung der Berufungskammer, dass die Verletzungen größtenteils im ersten Tatkomplex entstanden seien, unklar, ob bzw. welche Folgen nun auf die als Misshandlung Schutzbefohlener gewertete Tat entfallen. In der eventuellen zweimaligen Schmerzzufügung im Rahmen einer emotional aufgeladenen Situation und unter erheblichem Alkoholeinfluss kann auch die gefühllose, fremdes Leiden missachtende Gesinnung der Angeklagten - bei Fehlen jeglicher sonstigen Anhaltspunkte - nicht ohne weiteres angenommen werden. Wie sich aus der Aussage des Zeugen K ergibt, hatte dieser den Eindruck, die Angeklagte wollte durch den "Wurf" ins Wohnzimmer das Kind seinem Zugriff entziehen. Die Angeklagte habe, als ihr dann die Verbringung in den Gewahrsam angedroht wurde, gesagt, sie bringe sich um, wenn man ihr das Kind wegnehme. Dies deutet eher darauf hin, dass die Angeklagte aus einer - wenn auch falsch verstandenen, falsch und letztlich zum Nachteil des Kindes gehandhabten - "Sorge" um die Tochter handelte. cc) Für eine Gesundheitsbeschädigung durch böswillige Vernachlässigung fehlen ebenfalls jegliche Anhaltspunkte. b) Gleichfalls sind die Ausführungen zum Vorsatz der Angeklagten nicht durchweg frei von Rechtsfehlern. § 225 StGB setzt vorsätzliches Handeln voraus (§ 15 StGB). Im angefochtenen Urteil heißt es: "Auch musste die Angeklagte wissen, dass sie, wenn sie ihre Tochter lediglich locker unter einem gebeugten Arm hielt, den Kopf nach vorn herunterfallend und die Beine nach hinten, und so in die Wohnung zurücklief, ihre Tochter erneut wie schon zuvor mit dem Kopf gegen die Wand prallen und sich so verletzen könnte. Des weiteren musste sie wissen, dass sie ihre Tochter nicht in Richtung Wohnzimmer aus einer Höhe von 20-30cm "werfen" konnte, ohne ihr weh zu tun." Vorsätzlich handelt indes nur, wer bei Tatbegehung die Umstände des gesetzlichen Tatbestandes kennt (§ 16 Abs. 1 StGB) oder deren Verwirklichung zumindest billigend in Kauf nimmt, nicht aber schon derjenige, der sie lediglich hätte erkennen müssen. c) Schließlich halten auch die Ausführungen zur erheblich verminderten (§ 21 StGB), aber nicht fehlenden (§ 20 StGB) Schuldfähigkeit der Angeklagten rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Strafkammer lässt nicht erkennen, von welcher Alternative des § 21 StGB sie ausgeht. Beide Alternativen können aber nicht gleichzeitig gegeben sein (BGHSt 40, 341, 349 f.) [BGH 17.11.1994 - 4 StR 441/94]; es darf auch nicht offen gelassen werden, ob die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Täters vermindert war (BGH NStZ 2005, 205, 206 [BGH 12.11.2004 - 2 StR 367/04]; Fischer StGB 55. Aufl. § 21 Rdn. 5). Die Urteilsgründe, die in sich widersprüchlich sind, lassen die geforderte eindeutige Zuordnung nicht zu. Vielmehr ist sogar unklar, ob das Berufungsgericht eine erheblich verminderte Einsichts- und Steuerungsfähigkeit oder eine erheblich verminderte Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit bejaht. So lässt das Landgericht an einer Stelle offen, ob die Angeklagte in ihrer Einsichts- oder in ihrer Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt war (Bl. 248 d.A.). An anderer Stelle heißt es, dass die "Einsichts- und Steuerungsfähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen, erheblich eingeschränkt" gewesen sei aufgrund einer bei der Angeklagten vom Sachverständigen festgestellten emotional instabilen Persönlichkeitsstörung als schwerer anderer seelischer Abartigkeit in Verbindung mit dem Tatzeit-BAK-Wert von 2,54 Promille (Bl. 255 d.A.). Ferner sind die Ausführungen zur Verneinung einer Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB rechtlich bedenklich. Die Strafkammer begründet dies damit, dass Anhaltspunkte für eine Aufhebung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht vorlägen, weil die Angeklagte an den Tathergang teilweise Erinnerung habe und ausweislich des zwei Stunden nach der Tat aufgenommenen Blutentnahmeprotokolls der Denkablauf geordnet, die Sprache sicher und das Bewusstsein klar gewesen sei und sich äußerlich nur leichte bis mittlere Anzeichen für Alkoholeinwirkung gezeigt hätten. Insbesondere der so beschriebene Zustand der Angeklagten zwei Stunden nach der Tat lässt aber für sich genommen noch nicht den Schluss zu, dass dieser bei der Tat ebenso war. Außerdem widersprechen diese Ausführungen Formulierungen an anderer Stelle im Urteil, wonach es bei der Angeklagten unter Alkoholeinfluss zu "Kontrollverlusten" komme und es hier zu einem derartigen unkontrollierten Verhalten gekommen sei (Bl. 237 f.). Diese Formulierungen deuten eher auf eine Schuldunfähigkeit hin. Im übrigen hätte es einer ausführlicheren Darlegung der Ausführungen des Sachverständigen bedurft, um das Revisionsgericht zu einer rechtlichen Überprüfung der Wertung des Landgerichts zur Schuldfähigkeit der Angeklagten in die Lage zu versetzen. Feststellung und Begründung der Diagnose einer Störung belegen nicht deren strafrechtliche Relevanz i.S.v. §§ 20, 21 StGB. Entscheidend für die inhaltliche Brauchbarkeit des Gutachtens ist, ob es wissenschaftlich hinreichend begründete Aussagen über den Zusammenhang zwischen einer diagnostizierten psychischen Störung und der Tat enthält, welche Gegenstand des Verfahrens ist. Es ist - unabhängig von der Einordnung unter ein Eingangsmerkmal des § 20 StGB - im Einzelnen konkret darzulegen, ob und ggf. wie sich die Störung auf das Einsichts- oder Hemmungsvermögen des Täters tatsächlich ausgewirkt hat (BGH NStZ 2005, 205, 206) [BGH 12.11.2004 - 2 StR 367/04]. e) Der Schuldspruch und die Feststellungen waren daher im zweiten Tatkomplex (zumal Tateinheit angenommen wurde) insgesamt aufzuheben. Da noch weitere Feststellungen erforderlich und möglich sind, war die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückzuverwiesen (§ 354 Abs. 2 StPO). 2. Angesichts der Rechtsfehler bei der Bewertung der Schuldfähigkeit waren auch der Schuldspruch und die im übrigen rechtsfehlerfreien Feststellungen im ersten Tatkomplex aufzuheben und die Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Die obigen Ausführungen gelten hier in gleicher Weise. |
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