Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Rechtsprechung

Aktenzeichen: 1 Ws 76/06 OLG Hamm

Leitsatz: Zur Annahme einer negativen Kriminalprognose i.S.d. § 81 g StPO, wenn seit der Anlasstat lange Zeit verstrichen ist.

Senat: 1

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Negative Kriminalprognose; lange zurück liegenden Anlasstaten; Entnahme von Körperzellen zur Identitätsfeststellung; Rückfallgefahr; Wiederholungsgefahr

Normen: StPO 81g

Beschluss:

Strafsache
gegen N.H.
wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a., hier: Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die Nichtanordnung einer DNA-Identitätsfeststellung).
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 9. September 2005 ge¬gen den Beschluss der VI. großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 6. September 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 02. 2006 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und der Verteidiger des Angeklagten beschlossen:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Entnahme von Körperzellen des Angeklagten und deren molekulargeneti¬sche Untersuchung zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters sowie die Einstellung in die Datenbank des LKA (DAD) gemäß §§ 81 g Abs. 1 u. 3, 81 a Abs. 2 StPO wird angeordnet.

Mit der Untersuchung wird das LKA NRW, Dezernat 52, Herr Dr. Meyer oder Vertreter im Amt beauftragt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Angeklagte.

Gründe :
Gegen den Angeklagten ist durch nicht rechtskräftiges Urteil der VI. großen Straf¬kammer des Landgerichts Dortmund vom 6. September 2005 wegen sexuellen Miss¬brauchs von Kindern in fünf Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten erkannt worden.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat die Kammer u.a. festgestellt, dass dieser im Jahre 1980 seine erste Frau geheiratet hat. Nach vier Jahren ist die Ehe geschieden worden, nach Angaben des Angeklagten aufgrund seines Alkohol¬konsums und fehlender ehelicher Treue. Danach hatte er zunächst nur lockere Be¬ziehungen, bis er im Jahre 1985 über eine Zeitungsannonce die Zeugin S.S. kennen gelernt und 1986 geheiratet hat. Diese Ehe ist im Jahre 1993 geschieden worden. 1995 hat der Angeklagte über eine Zei¬tungsannonce die Bekanntschaft der Zeugin P. gemacht, mit der er fünf Jahre zusammen¬gelebt hat. Im Jahre 2000 hat er dann eine neue, aber nur kurzfristige Beziehung gehabt, bis er seine derzeitige Partnerin kennen gelernt hat. 2000 hat der Angeklagte nach jahrelanger Arbeitsunfähigkeit wieder eine Tätigkeit als Nacht¬wächter aufgenommen, nachdem er zuvor etwa seit 1990 dauerhaft arbeitsunfähig krankgeschrieben gewesen ist. Der Angeklagte hat angegeben, seit seinem 16. Lebensjahr regelmäßig Alkohol konsumiert zu haben. Dabei hat es sich nahezu ausschließlich um Bier gehandelt. Lediglich nach dem Tode seines Schwagers im Jahre 1998 hat er ca. drei Jahre lang auf Alkohol und Zigaretten verzichtet. Auch in letzter Zeit hat er sehr viel Alkohol zu sich genommen. Dies¬bezüglich hat er eine Therapie angedacht. Der Angeklagte ist bisher strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten.

Im Jahre 1985 hat der Angeklagte, wie bereits ausgeführt, durch eine Kontaktan¬zeige S.S. kennen gelernt. Diese hat ihre zum Zeitpunkt der Ehe¬schließung vier Jahre alte Tochter A. mit in die Ehe gebracht. Im Jahre 1988 wurde der Sohn M. geboren, der jedoch - bis zum Jahr 2003 ohne Kenntnis des Angeklagten - nicht von dem Angeklagten, sondern von einem Seitensprung der Zeugin S.S. herrührte. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte aufgrund seiner Arbeitsunfähigkeit überwiegend zu Hause war, kamen die Eheleute überein, dass die Zeugin S.S. ihrer Erwerbstätigkeit nachging, während der Angeklagte sich um den Haushalt und die Kinder kümmerte.

Nach den Urteilsfeststellungen ist es in den Jahren 1988 - 1991 zu insgesamt min¬destens fünf sexuellen Übergriffen des Angeklagten auf die Zeugin A.S. gekommen.

Etwa im Jahre 1988/1989 habe der Angeklagte die Zeugin gefragt, ob sie nicht zu¬sammen mit ihm im Ehebett schlafen wolle, womit A. auch einverstanden gewe¬sen sei. Eines Nachts sei sie durch Schmerzen im Genitalbereich wach geworden. Der Angeklagte habe auf ihr gelegen und sich mit den Händen so abgestützt, dass sie nicht sein gesamtes Gewicht habe tragen müssen. Die Zeugin, deren Beine ge¬spreizt gewesen seien, habe insbesondere einen stechenden Schmerz im Vaginalbereich ge¬spürt und das Gefühl gehabt, der Angeklagte versuche, dort mit etwas einzudringen, was die Zeugin jedoch angesichts ihres kindlichen Alters zum damaligen Zeitpunkt nicht näher habe definieren können. Angesichts des Schmerzes habe A. angefangen zu weinen, worauf der Angeklagte von ihr abgelassen habe. Ähnliche Vorfälle seien häufiger vorgekommen, könnten von der Zeugin jedoch nicht mehr präzisiert werden. Später sei sie zu der Erkenntnis gekommen, dass der Angeklagte bei diesem und allen vergleichbaren Vorfällen offensichtlich versucht habe, mit seinem Penis in ihre Scheide einzudringen, was ihm jedoch nie vollständig, sondern immer nur teilweise gelungen sei. Die Kammer ist in diesem Fall davon ausgegangen, dass es auch zu einer Penetration zumindest derart gekommen ist, dass sich der Angeklagte mit sei¬nem Glied im Scheidenvorhof der Geschädigten befunden hat.

Auch wenn die Zeugin sich an das Verhalten des Angeklagten in gewisser Weise gewöhnt habe, sei es für sie jedoch unangenehm geblieben, so dass sie schließlich abgelehnt habe, mit dem Angeklagten weiter im Ehebett zu schlafen. An einem nicht näher konkretisierbaren Tag sei der Angeklagte daraufhin des Nachts in das Hoch¬bett der Geschädigten gekommen. A. sei erschrocken gewesen und habe be¬fürchtet, dass ihr Bruder wach werden könnte. Der Angeklagte, der die Geschädigte für schlafend gehalten habe, habe ihr den Schlafanzug ausgezogen und versucht, mit dem Penis in die Scheide des Mädchens einzudringen. Als der Angeklagte be¬merkt habe, dass die Zeugin nicht mehr geschlafen habe, habe er von ihr abgelas¬sen.

An einem nicht mehr konkret feststellbaren Tag habe der Angeklagte unbekleidet mit einer Wolldecke auf dem Sofa im Wohnzimmer gesessen. Er habe A. aufgefor¬dert, sich zu ihm zu legen und mit ihm einen Softerotikfilm anzusehen. Als A. die¬ser Aufforderung nachgekommen sei, habe der Angeklagte A. im Brust- und In¬timbereich gestreichelt. Außerdem habe er die Hand des Kindes zu seinem Penis geführt.

Zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb des Tatzeitraums habe der Angeklagte erneut ergebnislos versucht, mit der Geschädigten geschlechtlich zu verkehren. Daraufhin habe der Angeklagte versucht, von hinten in den After der Geschädigten einzudrin¬gen. Als auch dies ihm nicht gelungen sei, habe der Angeklagte seinen Penis zwi¬schen den Oberschenkeln des Mädchens hin- und herbewegt. Ob es hierdurch zum Samenerguss gekommen sei, habe sich nicht mehr zweifelsfrei feststellen lassen.

Bei dem fünften Vorfall habe der Angeklagte A. aufgefordert, ihn mit der Hand zu befriedigen. Nachdem die Zeugin einige Zeit am Penis des Angeklagten manipuliert hätte, sei es dazu gekommen, dass bei dem Angeklagten der so genannte "Freuden¬tropfen" ausgetreten sei. Der Angeklagte habe A. erklärt, was es damit auf sich habe und dass sie von ihm ja nicht schwanger werden könne, weil dies frühestens mit 12 Jahren möglich sei. Anschließend habe der Angeklagte die Geschädigte weiter an seinem Penis manipulieren lassen oder aber selbst manipuliert, bis er schließlich zum Samenerguss gekommen sei.

Nach den Feststellungen der Kammer war der Angeklagte bei allen Vorfällen nicht unerheblich alkoholisiert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Urteilsfeststellungen Bezug genommen.

In der Hauptverhandlung vom 6. September 2005 hat der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragt, die Einholung eines molekulargenetischen Gutachtens anzuordnen durch Entnahme von Körperzellen und Einstellung in die Datei nach den §§ 81 g, f und a Abs. 2 StPO. Die VI. große Strafkammer des Landgerichts Dortmund hat die¬sen Antrag abgelehnt, da nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand kein Grund zu der Annahme bestehe, dass der Angeklagte in Zukunft weitere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung begehen werde.

Gegen diesen Beschluss hat die Staatsanwaltschaft Dortmund unter dem
9. September 2005 Beschwerde eingelegt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, an¬gesichts der hohen Bedeutung des Schutzgutes der sexuellen Selbstbestimmungs¬fähigkeit von Kindern und des Umstandes, dass der Angeklagte eine Mehrzahl dieser Taten begangen hat, sei trotz des Zeitablaufs nach wie vor von einer bestehenden Wiederholungsgefahr i.S.d. § 81 g StPO auszugehen. Hinzu komme, dass der Ange¬klagte nach dem Tatzeitraum mit verschiedenen Lebensgefährtinnen zusammenge¬lebt habe, welche ebenfalls eigene Kinder mit in die jeweilige Beziehung gebracht hätten. Angesichts dieses Umstandes und der Tatsache, dass bei diesem Ange¬klagten aufgrund der Mehrzahl der abgeurteilten Taten offensichtlich von einer Ver¬festigung einer sexuellen Neigung zu Kindern auszugehen sei, sei - unter Berück¬sichtigung des hier betroffenen Schutzgutes - von einer Wiederholungsgefahr auszu¬gehen.

In ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 12. Dezember 2005 hat die Kammer ergänzend ausgeführt, vor den abgeurteilten Straftaten und auch in den nachfolgenden 14 Jahren habe sich der Angeklagte ausnahmslos straffrei geführt. Diesem Umstand sei nach Auffassung der Kammer um so größere Bedeutung beizumessen, als der Angeklagte in diesem Zeitraum durchaus auch in anderweitigen Partnerbeziehungen gelebt habe, wobei insbesondere die Zeugin P. ebenfalls eine Tochter beses¬sen habe. Gleichwohl habe der Angeklagte während der gesamten Zeit dieses fünf¬jährigen Zusammenlebens keine der sich wohl durchaus bietenden Gelegenheiten genutzt, um sich der Tochter zu nähern. Nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand stellten sich die Taten zum Nachteil der Zeugin S. demnach vielmehr als singuläre Entgleisung dar.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund beigetreten. Die Verteidiger des Angeklagten haben beantragt, die Beschwerde zu¬rückzuweisen.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Dortmund ist gemäß § 304 Abs. 1 StPO zu¬lässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Der Senat ist entgegen der Auffassung des Landgerichts Dortmund unter Berück¬sichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 14. Dezember 2000 in NStZ 2001, 328; Beschluss vom 15. März 2001 in StV 2001, 378 ff) der Auffassung, dass die Voraussetzungen der §§ 1 DNA-Identi¬tätsfeststel¬lungsgesetz (DNA-IFG), 81 g StPO erfüllt sind.

Nach § 81 g Abs. 1 Nr. 2 StPO dürfen zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künf¬tigen Strafverfahren dem Beschuldigten, der einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung verdächtig ist, Körperzellen entnommen und zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftige Strafverfahren wegen einer der in Nr.1 genannten Straftaten zu führen sind.

Vorliegend ist der Angeklagte verdächtig, in fünf Fällen Katalogtaten des § 81 g Abs. 1 Nr. 2 StPO in Form von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung be¬gangen zu haben. Der Verdacht ergibt sich aus dem Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6. September 2005.

Dem Angeklagten ist auch eine negative Kriminalprognose i.S.d. § 81 g StPO zu stellen. Eine solche ist nach dem Wortlaut des Gesetzes gegeben, wenn wegen der Art oder Ausführung der dem Angeklagten vorgeworfenen Straftat, der Persönlichkeit des Angeklagten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Für die Annahme einer derartigen Wiederholungsgefahr bedarf es positiver, auf den Einzelfall bezogener Gründe. Es ist erforderlich aber auch ausreichend, dass eine hinreichend konkrete hohe - nicht notwendigerweise überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte künftig erneut Straftaten wie in § 81 g StPO be¬nannt begehen wird (OLG Hamm, Beschluss vom 4. März 2004 - 4 Ws 122/03 -; Thür. OLG, NStZ 2000, 553).

Entgegen der Auffassung der großen Strafkammer des Landgerichts Dortmund wei¬sen vorliegend Tatbegehung und Täterpersönlichkeit Umstände auf, die trotz des Zeitablaufs von 14 Jahren zwischen Taten und Urteil Grund zu der Annahme geben, dass gegen den Verurteilten künftig Strafverfahren wegen vergleichbarer Taten zu erwarten sind.

Hierbei ist zu berücksichtigen die Schwere der Delikte, die Beweggründe des Ange¬klagten für deren Begehung, die dichte Zeitfolge der Taten sowie der lange Tatzeit¬raum. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte mehrfach versucht, mit der 6 bis 9 Jahre alten Tochter seiner Ehefrau den Geschlechtsverkehr zu vollziehen, wobei es ihm sogar einmal gelungen ist, in den Scheidenvorhof einzudringen. Darüber hinaus hat er versucht, mit dem Kind den Analverkehr durchzuführen. Wenn der Senat auch nicht unberücksichtigt lässt, dass der Angeklagte niemals Gewalt angewandt und sofort von seinem Vorhaben abgelassen hat, wenn die Geschä¬digte geweint hat, kann gleichwohl nicht übersehen werden, dass diese Taten ein ganz erhebliches Maß an krimineller Energie aufweisen. Es handelt sich bei allen fünf Taten um gravierende Eingriffe in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht seiner Stieftochter. Es kann auch nicht außer Betracht bleiben, dass sich die Taten über einen Zeitraum von drei Jahren hingezogen haben sollen. 1991 ist die Ehefrau des Ange¬klagten mit der Tochter in ein Frauenhaus gezogen, so dass bereits aufgrund dieses Umstandes der Kontakt zwischen dem Angeklagten und der Geschädigten nicht mehr fortbestand. Es soll in diesem Zeitraum auch zu einer Vielzahl von Taten ge¬kommen sein. Insbesondere die beiden zuletzt genannten Umstände sprechen ein¬deutig gegen eine einmalige Entgleisung des Angeklagten. Auch die dem Angeklag¬ten im landgerichtlichen Urteil im Rahmen der Strafzumessung zugute gehaltenen Beweggründe, nämlich die im Tatzeitraum sehr unglückliche familiäre Konstellation und insbesondere die Tatsache, dass sich die Ehefrau von ihm in sexueller Hinsicht offenbar vollständig abgewandt hatte, sind Indizien für eine ungünstige Kriminal¬prognose. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte bei erneuten familiären Problemen und sexueller Ablehnung durch die Lebenspartnerin wiederum ver¬sucht, seine sexuellen Bedürfnisse bei einem Kind zu befriedigen. Denn die Hinwendung eines erwachsenen Mannes zu einem 6-9 Jahre alten Mädchen ist nicht anders erklärbar als durch persönlichkeitsbedingte Störungen. Von besonderer Bedeutung ist der übermäßige Alkoholkonsum des Angeklagten, der bei allen Vor¬fällen nach den Urteilsfeststellungen nicht unerheblich alkoholisiert war. Der Ange¬klagte hat selbst angegeben, dass er seit seinem 16. Lebensjahr bis zum heutigen Tag in erheblichem Umfange Alkohol konsumiert. Die Geschädigte soll ausgesagt haben, der Angeklagte habe bereits morgens um 08.00 Uhr die erste Flasche Bier getrunken. Insoweit ist die Kammer davon aus¬gegangen, dass der Angeklagte bei den einzelnen Taten jeweils durch Alko¬holkonsum stark enthemmt war. Angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte seine Trinkgewohnheiten nicht geändert hat, be¬steht aber die Gefahr, dass er nach dem Genuss von Alkohol infolge Enthemmung erneut in die ihm vorgeworfenen Verhaltensweisen zurückfällt.

All diese Umstände begründen eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme, der Angeklagte werde sich künftig wegen gleichartiger Straftaten zu verantworten haben. Dieser Negativprognose steht auch nicht entgegen, dass zwischen den inkriminierten Taten und dem Urteil des Landgerichts Dortmund ca. 14 bis 15 Jahre verstrichen sind, in denen der Verurteilte nicht einschlägig strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Zwar ist in der Rechtsprechung (vgl. LG Hannover, StV 2000, 202; LG Berlin, StV 2000, 302; LG Bremen, StV 2000, 303; LG Aurich, StV 2000, 609; AG Stade, StV 2000, 304) eine negative Kriminalprognose verneint worden, wenn die Anlasstat etliche Jahre zurücklag und der Täter sich in dieser Zeit straffrei geführt hatte. Diese Entscheidungen sind aber auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, da sie sich jeweils auf eine grundlegende Veränderung der Lebensverhältnisse des Verurteilten stützen. Eine solche kann vorliegend aber nicht festgestellt werden. Zwar ist seine Ehe mit der Mutter der Geschädigten geschieden worden mit der Folge, dass der Angeklagte zu seiner ehemaligen Familie keinen Kontakt mehr unterhält. Er hat zwar nach wie vor Lebenspartnerschaften, die aber alle nicht sehr lange andauern. Ob seine jetzige Partnerin ebenfalls Kinder hat, ist nicht bekannt. Einer ungünstigen Kriminal¬prognose steht entgegen den Ausführungen der Kammer im Nichtab¬hilfebeschluss nicht entgegen, dass der Angeklagte von 1995 bis 2000 eine Lebensgefährtin hatte, die ebenfalls eine vierjährige Tochter mit in die Beziehung brachte. Nach den Ur¬teilsfeststellungen handelte es sich bei diesem Mädchen um eine wesentlich selbst¬bewusstere und stabilere Person, so dass es gut möglich sei, dass der Angeklagte diese von vornherein gar nicht als potentielles Opfer in Er¬wägung gezogen habe. Darüber hinaus hätten keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass die Beziehung zwischen dem Angeklagten und seiner Lebensgefährtin ähnlich disharmonisch ver¬laufen sei, wie die mit der Zeugin A.S.. Aufgrund dieser Umstände waren die Lebensumstände des Angeklagten nicht vergleichbar mit denen zum Zeitpunkt der inkriminierten Taten. Dies schließt indes nicht aus, dass es nicht bei einer ähnli¬chen Lebenskonstellation gleichwohl zu sexuellen Übergriffen ge¬genüber Kindern kommen kann. Der Umstand, dass sich eine Lebenspartnerschaft auseinander gelebt hat, ist nicht so selten, als dass es sich um einen Einzelfall handeln würde. Käme es wiederum zu einer Ablehnung durch die Lebensgefährtin, so kann nicht ausge¬schlossen werden, dass der Angeklagte erneut versucht, seine Bedürfnisse mit einem Kind zu befriedigen, zumal es sich um persönlichkeits¬immanente Straftaten gehandelt hat. Dies gilt um so mehr, als der Angeklagte sein Alkohol¬problem noch nicht überwunden hat. Dabei ist insbesondere zu berück¬sichtigen, dass es sich angesichts der Vielzahl der Taten und des langen Tat¬zeitraums nicht um eine einmalige Entgleisung gehandelt hat. Nach alledem kann allein dem Um¬stand, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Taten bereits
14/15 Jahre zurück¬liegen, keine entscheidende Bedeutung beigemessen werden (vgl. auch OLG Hamm, Beschluss vom 28. April 2005 - 4 Ws 203/05 OLG Hamm, Beschluss vom 14. Mai 2003 - 2 Ws 111/03 -).

Bei der erforderlichen Güteabwägung zwischen dem Recht des Angeklagten auf in¬formationelle Selbstbestimmung nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und dem Recht der Allgemeinheit auf effektive Strafverfolgung sowie Prävention gewinnt ersteres zwar um so mehr Bedeutung je länger die Anlasstaten zurückliegen. Ande¬rerseits ist aber zu berücksichtigen, dass nach § 2 DNA-IFG gegen einen Verurteilten so lange Maßnahmen nach § 81 g StPO angeordnet werden können, bis die Eintra¬gung der Verurteilung im Bundeszentralregister gelöscht ist. Wenn die Anordnung derartiger Maßnahmen noch in einem solchen Zeitraum nach der Verurteilung mög¬lich ist, erscheint sie angesichts der Schwere und Bedeutung der verfahrensgegen¬ständlichen Taten sowie der Höhe der kriminellen Energie des Verurteilten binnen einer Zeitspanne von 14/15 Jahren nach der Tatbegehung nicht unverhältnismäßig.

Nach alledem war der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Entnahme von Körperzellen sowie die molekulargenetische Untersuchung anzuordnen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 StPO.



zur Startseite "Rechtsprechung"

zum Suchformular

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".