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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ws 52/06 OLG Hamm

Leitsatz: Neben der gesetzlich in § 143 StPO geregelten Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung im Falle der Meldung eines Wahlverteidigers ist eine Entpflichtung eines Pflichtverteidigers nach ständiger Rechtsprechung nur dann zulässig, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden.

Senat: 2

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Pflichtverteidiger; Entpflichtung; Gründe; Vortrag; Begründung

Normen: StPO 143

Beschluss:

Strafsache
gegen K.S.,
w e g e n Totschlags
(hier: Beschwerde der Beschuldigten gegen die Zurückweisung eines Antrags auf Entpflichtung des Pflichtverteidigers).

Auf die Beschwerde der Beschuldigten vom 31. Januar 2006 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 7. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 25. Januar 2006 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 23. 02. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Die Beschwerde wird auf Kosten der Beschuldigten verworfen.

Gründe:
I.
Gegen die Beschuldigte wird bei der Staatsanwaltschaft Bochum ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags durch Unterlassen zum Nachteil ihres am 11. April 2005 geborenen Sohnes J. geführt. Sie befindet sich in dieser Sache derzeit aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bochum vom 18. November 2005 (AZ: 64 Gs 5357/05) in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen.

Der Beschuldigten ist auf ihren Antrag vom 23. November 2005 Rechtsanwalt S. aus Bochum, der zunächst Wahlverteidiger der Beschuldigten war, als Pflichtverteidiger beigeordnet worden und zwar durch Beschluss des Vorsitzenden der 7. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 30. November 2005.
Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2005 meldete sich für die Beschuldigte Rechtsanwalt Dr. H.. aus M. als Wahlverteidiger. Mit weiterem Schriftsatz vom 22. Dezember 2005 beantragte er namens und mit beigefügter Vollmacht der Beschuldigten die Entpflichtung von Rechtsanwalt S. und stattdessen seine Bestellung zum Pflichtverteidiger, ohne den Antrag auf Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers zu begründen.
Mit Schriftsatz vom 28. Dezember 2005 überreichte sodann Rechtanwalt S. dem Gericht eine Erklärung der Beschuldigten vom selben Tag, in der diese mitteilte, sie „wünsche, dass Rechtsanwalt S. aus Bochum weiterhin als Pflichtverteidiger für sie tätig ist“.
Nachdem der Wahlverteidiger Rechtsanwalt Dr. H.. eine Ablichtung dieses Schriftstücks zur Kenntnis- und Stellungnahme erhalten hatte, überreichte er unter dem 5. Januar 2006 eine maschinenschriftlich abgefasste Erklärung der Beschuldigten vom 4. Januar 2006, in der diese nunmehr erklärte, „dass das Vertrauensverhältnis zu Herrn Rechtsanwalt S. in Bochum aufgrund verschiedener Vorkommnisse in der Vergangenheit, die im Zusammenhang mit der Bearbeitung des Mandats durch Herrn Rechtsanwalt S. stehen, empfindlich gestört ist“. Sie wünsche deshalb keine weitere Verteidigung durch Herrn Rechtsanwalt S., sondern beantrage die Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. H.. als Pflichtverteidiger. Ergänzend teilte sie in einem handschriftlich verfassten Schreiben, das an den Vorsitzenden der 7. großen Strafkammer persönlich gerichtet war, mit, Herr S. habe sich – entgegen seinem Versprechen – nicht um ihren Kater Chukey gekümmert. So habe er ihr bei seinen Haftbesuchen nicht mitteilen können, wie es dem Tier gehe oder wo es sich befinde. Aus diesem Grund sei das Vertrauensverhältnis gestört. Ferner habe Herr S. ihr versprochen, dass sie nach der Haftprüfung am 5. Januar 2006 aus der Untersuchungshaft entlassen werde, was aber nicht erfolgt sei. Außerdem habe er ihr gesagt, dass er mit ihr demnächst zur Vorbereitung der Verteidigung die Fotos ihres verstorbenen Kindes ansehen wolle, was sie nicht ertrage. Aus all diesen Gründen habe sie kein Vertrauen mehr zu Herrn Rechtsanwalt S.. In einer weiteren Eingabe ihres Wahlverteidigers vom 25. Januar 2006 machte die Beschuldigte darüber hinaus Angaben über angebliche Gespräche, die Rechtsanwalt S. mit dem Mitbeschuldigten J. geführt haben soll.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat durch den angefochtenen Beschluss die Entpflichtung von Rechtsanwalt S. und die Bestellung von Rechtsanwalt Dr. H.. abgelehnt und seine Entscheidung damit begründet, dass aus der Sicht eines vernünftigen und verständigen Beschuldigten eine ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses der Beschuldigten zu Rechtsanwalt S. nicht erkennbar sei. Wegen der Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss Bezug genommen. Hiergegen richtet sich das Rechtsmittel der Beschuldigten vom 31. Januar 2006, das sie näher begründet hat, dem der Vorsitzende der 7. Strafkammer des Landgerichts Bochum jedoch durch Beschluss vom 1.Februar 2006 nicht abgeholfen hat.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde zu verwerfen.

II.
Das Rechtsmittel der Beschuldigten ist zulässig (vgl. OLG Düsseldorf StV 1999, 586; OLG Frankfurt StV 1997, 575; 2001., 610). Es hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Vorsitzende der Strafkammer hat den Entpflichtungsantrag der Beschuldigten zu Recht zurückgewiesen.

Das Oberlandesgericht Hamm, insbesondere auch der erkennende Senat, hat in der Vergangenheit schon häufiger zu der Frage der Entpflichtung des Pflichtverteidigers Stellung genommen (vgl. zuletzt Beschlüsse des erkennenden Senats vom 26. Januar 2006 in 2 Ws 30/06 und vom 19. Januar 2006 in 2 Ws 296/05; vgl. ferner Beschlüsse des erkennenden Senats vom 13. Oktober 2000 in 2 Ws 267/00; vom 13. März 2000 in 2 Ws 69/00, vom 21. Juni 1999 in 2 Ws 187/99; Beschluss des 1. Strafsenats vom 24. November 2005 in 1 Ws 484/05 und Beschluss des (früheren) 5. Strafsenats vom 5. Juni 2001 in 5 Ws 236/01, alle: www.burhoff.de). Die nach dieser ständigen Rechtsprechung des hiesigen Oberlandesgerichts, die der der übrigen Oberlandesgerichte entspricht (vgl. dazu die Nachweise bei Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermittlungsverfahren, 3. Aufl., 2003, Rn. 1249 ff.), erforderlichen Voraussetzungen für die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers unter Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers liegen hier nicht vor. Neben der gesetzlich in § 143 StPO geregelten Rücknahme der Pflichtverteidigerbestellung im Falle der Meldung eines Wahlverteidigers ist eine Entpflichtung eines Pflichtverteidigers nach ständiger Rechtsprechung nämlich nur dann zulässig, wenn Umstände vorliegen, die den Zweck der Pflichtverteidigung, dem Beschuldigten einen geeigneten Beistand zu sichern und den ordnungsgemäßen Verfahrensablauf zu gewährleisten, ernsthaft gefährden (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 143 Rdnr. 3; vgl. auch BVerfG NJW 2001, 3695). Dabei gilt auch insoweit, dass dem Beschuldigten grundsätzlich der Rechtsanwalt seines Vertrauens als Pflichtverteidiger beizuordnen ist (BVerfG, a.a.O.). Allerdings ist im Entpflichtungsverfahren der Maßstab für die zur Begründung des Entpflichtungsantrags vorgetragenen Gründe enger als bei der Auswahl des Pflichtverteidigers (BVerfG, a.a.O.), wenn der Beschuldigte zur Auswahl seines Pflichtverteidigers gehört worden ist. Dann kann nämlich davon ausgegangen werden, dass ihm der Anwalt seines Vertrauens beigeordnet worden ist. Vorliegend kommt hinzu, dass Rechtsanwalt S. vor seiner Bestellung zum Pflichtverteidiger als Wahlverteidiger der Beschuldigten aufgetreten und ihr sodann auf ihren ausdrücklichen Wunsch beigeordnet worden ist. Der bloße Entpflichtungswunsch der Beschuldigten ist von daher nicht maßgeblich. Vielmehr hat die Beschuldigte substantiiert und konkret darzulegen und glaubhaft zu machen, dass ein wichtiger Grund für die Entpflichtung tatsächlich vorliegt. Vorgetragen werden müssen konkrete Gründe von Gewicht, die auch vom Standpunkt eines verständigen Beschuldigten aus die Möglichkeit der Erschütterung des zunächst bestehenden Vertrauensverhältnisses nachvollziehbar erscheinen lassen (OLG Hamm, Beschluss vom 24. November 2005, 1 Ws 484/05 unter Hinweis auf OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 207 mit weiteren Nachweisen).

Diesen Anforderungen wird das Entpflichtungsbegehren der Beschuldigten nicht gerecht.

Es entspricht der herrschenden Meinung, dass ein Rechtsanwalt seine Bestellung als Pflichtverteidiger nicht dadurch erreichen kann, dass er zunächst durch die Übernahme eines Wahlmandats die Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers gem. § 143 StPO bewirkt und dann – verbunden mit dem Antrag, ihn als Pflichtverteidiger zu bestellen - sein Wahlmandat niederlegt (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.; Meyer-Goßner, a.a.O., § 143 Rn. 2 mit weiteren Nachweisen).
Der Senat kann sich vorliegend des Eindrucks nicht erwehren, dass die Beschuldigte und der neue Wahlverteidiger gerade dieses aber anstreben. Denn der neue Wahlverteidiger hat bereits bei der Meldung zur Akte unter Berufung auf das angezeigte Wahlmandat den Antrag auf Entpflichtung von Rechtsanwalt S. und den Antrag auf seine Beiordnung gestellt. Das dürfte dafür sprechen, dass die Übernahme des Wahlmandats nur dem Zweck dient, den bisherigen Pflichtverteidiger zu verdrängen.

Letztlich kann diese Frage hier aber dahinstehen, da die Beschuldigte ausreichende Gründe für eine Entpflichtung von Rechtsanwalt S. nicht dargelegt hat. Der aufgrund ihres Vortrags einzig in Betracht kommende Entpflichtungsgrund des gestörten Vertrauensverhältnisses ist nur dann anzunehmen, wenn konkrete Umstände vorgetragen werden, aus denen sich eine nachhaltige und nicht zu beseitigende Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ergibt, aufgrund dessen zu besorgen ist, dass die Pflichtverteidigung nicht (mehr) sachgerecht durchgeführt werden kann (vgl. auch noch BGH StV 1997, 565; OLG Hamm, a.a.O.; OLG Stuttgart, a.a.O.). Soweit vorgetragen wird, die Beschuldigte habe zu Rechtsanwalt S. kein Vertrauen mehr, weil dieser sie nicht hinreichend „fürsorglich betreue“, ist darauf hinzuweisen, dass Rechtsanwalt S., der, was nach der Rechtsprechung des BVerfG (a.a.O.) von Bedeutung ist, auf Wunsch der Beschuldigten zu deren Pflichtverteidiger bestellt worden ist, die Beschuldigte mehrfach in der JVA besucht und einen Antrag auf Durchführung eines Haftprüfungstermins gestellt hat, der am 5. Januar 2006 unter seiner Beteiligung stattgefunden hat.
Es ist nicht erkennbar, inwieweit Rechtsanwalt S. die Verteidigung falsch oder gegen ihre ausdrücklichen Wünsche geführt haben soll. Vielmehr ist der Pflichtverteidiger in einem für die Durchführung einer pflicht- und sachgemäßen Verteidigung - angepasst an den im jeweiligen Verfahrensstand erforderlichen Umfang - tätig geworden, so dass ihm keineswegs Untätigkeit nicht vorgeworfen werden kann. Die von der Beschuldigten erhobenen Vorwürfe sind in der Sache nicht geeignet, die Störung des Vertrauensverhältnisses zu begründen. Zu den Aufgaben eines Verteidigers zählt nämlich nicht die Versorgung der Haustiere seiner Mandanten. Auch kann Rechtsanwalt S. nicht angelastet werden, dass seine Mandantin anlässlich der Haftprüfung nicht aus der Untersuchungshaft entlassen worden ist, da dies nicht in seinem Einflussbereich liegt. Die Beschuldigte hat ihm insoweit auch nicht vorgeworfen, dass er diesen Termin nicht genügend mit ihr vorbereitet und besprochen habe. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass die Bestimmung des zeitlichen Umfangs der Besprechungen mit dem Mandanten grundsätzlich dem Anwalt vorbehalten ist und auch nichts über deren Effizienz aussagt.
Der Vorsitzende der 7. großen Strafkammer hat in seinem Nichtabhilfebeschluss auch zutreffend darauf hingewiesen, dass es sich bei den Informationen um den Mitbeschuldigten J. nicht um Informationen handelt, die sie aus eigener Kenntnis weiß und zur Begründung der Entpflichtung von Rechtsanwalt S. nicht geeignet sind.
Alles in allem scheint letztlich die Beschuldigte offenbar der von dritter Seite hervorgerufenen, aber nicht näher begründeten Erwartung zu sein, ihr nunmehriger Wahlverteidiger sei für ihre Verteidigung besser geeignet und ist deshalb, ohne dies konkret darlegen zu können, mit ihrem Pflichtverteidiger „nicht zufrieden“. Das rechtfertigt aber weder die Annahme einer Pflichtverletzung durch den bisherigen Pflichtverteidiger noch ein zu diesem gestörtes Vertrauensverhältnis, da diese Erwartung aus der Sicht eines vernünftigen und verständigen Angeklagten (vgl. OLG Hamm MDR 1967, 856) kein wichtiger Grund ist, die Bestellung des bisherigen Pflichtverteidigers aufzuheben und stattdessen den derzeitigen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger zu bestellen. Unter diesen Umständen ist das übereinstimmende Begehren von Wahlverteidiger und Beschuldigter, das auf die bloße Behauptung eines gestörten Vertrauensverhältnisses gestützt ist, ohne ein solches indes nachvollziehbar zu belegen, zu Recht zurückgewiesen worden.

Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.



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