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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 2 Ss 200/09 OLG Hamm

Leitsatz: Auch wenn eine erschöpfende Darstellung aller im Katalog des § 46
Abs. 2 S. 2 StGB genannten Umstände weder erforderlich noch möglich ist, ist ein für
den Fall einer Verurteilung möglicherweise zu erwartender Widerruf einer
ausgesetzten Freiheitsstrafe in einer anderen Sache zu erörtern.



Senat: 2

Gegenstand: Revision

Stichworte: Strafzumessung; allgemeine Anforderungen; Widerruf von Strafaussetzung

Normen: StGB 46; StPO 267

Beschluss:

Strafsache
gegen
wegen Betruges,
(hier: Sprungrevision des Angeklagten).
Auf die (Sprung-)Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts –
Strafrichter – Lüdenscheid vom 17. Februar 2009 hat der 2. Strafsenat des
Oberlandesgerichts Hamm am
28. Mai 2009 durch auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nach Anhörung des Angeklagten bzw.
seines Verteidigers einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird unter Verwerfung der (Sprung-)Revision
Revision im Übrigen im Rechtsfolgenausspruch mit den diesem
zugrundeliegenden Feststellungen aufgehoben.
Insoweit wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des
Amtsgerichts – Strafrichter – Lüdenscheid zurückverwiesen.

Gründe:
I.
Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter - Lüdenscheid
vom 17. Februar 2009 (52 Ds – 766 Js 943/08 – 265/08) wegen Betruges gemäß
§§ 265 Abs. 1, Abs. 4, 248 a StGB zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen
zu je 5,00 € verurteilt, nachdem er das Beförderungsentgelt für eine Taxifahrt in Höhe
von circa 20 € nicht bezahlt hatte.
Im Rahmen der Hauptverhandlung ist dem Angeklagten Rechtsanwalt K. aus
Lüdenscheid gemäß § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Zur Person hat das Amtsgericht – Strafrichter – folgende Feststellungen getroffen:

„Der am 13.11.1982 in Pec geborene ledige Angeklagte hat keine Kinder. Er lebt seit
1999 in der Bundesrepublik Deutschland. Zur Zeit hat er keine Arbeit, sondern wird
vom Sozialamt mit Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz unterstützt.
Diese Leistungen sind ihm gekürzt worden.
Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten vom 12.8.2008 weist sieben
Eintragungen auf. Zuletzt wurde der Angeklagte am 3.11.2005 wegen
gemeinschaftlichen versuchten Diebstahls in zwei besonders schweren Fällen vor
dem Amtsgericht Lüdenscheid zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 5 Euro
( 56 Ds 17/05) und unter Einbeziehung dieser Entscheidung am 18.05.2006 wegen
Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur
Bewährung ausgesetzt wurde (74 Ls 157/05 AG Lüdenscheid).
Schließlich verurteilte ihn das Amtsgericht Lüdenscheid in dem Verfahren 72 Ls
68/07 am 31.01.2008 unter Einbeziehung beider vorgenannter Entscheidungen zu
einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, wobei die Vollstreckung dieser
Freiheitsstrafe bis zum 30.1.2011 zur Bewährung ausgesetzt wurde.“

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Amtsgericht – Strafrichter – Lüdenscheid
Folgendes ausgeführt:

„Ausgangspunkt und Grundlage der Strafzumessung ist die in der Tat zum Ausdruck
gekommene Schuld (§ 46 Abs. 1 S. StGB). Maßgebend für die Bemessung einer
schuldangemessenen Strafe sind in erster Linie die Schwere der Tat und ihre
Bedeutung für die verletzte Rechtsordnung sowie der Grad der persönlichen Schuld
des Täters (BGHSt 20, 265, 266; 24, 132, 133). Beide Elemente sind miteinander
verknüpft. Einerseits darf das Unrecht einer Tat nur in dem Umfang für die
Strafzumessung Bedeutung erlangen, in dem es aus schuldhaftem Verhalten des
Täters erwachsen ist, und andererseits kann die strafrechtlich relevante Schuld allein
in einem bestimmten tatbestandsmäßigen Geschehen und seinen Auswirkungen
erfasst werden (BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 2). Das Schuldmaß kann nur
in enger Relation zum Gewicht des Tatunrechts angemessen bewertet werden. Die
Tatschuldquantifizierung hat sich mithin vornehmlich am Unrechtsgehalt der Tat, der
maßgeblich durch ihren Handlungs- und Erfolgsunwert bestimmt wird, zu orientieren
(Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 310 ff). Das Tatgericht hat die
Handlungs- und Erfolgskomponente einer Gesamtwürdigung zu unterziehen; die
gefundene Strafe muss in einem gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum
Verschulden des Täters stehen und darf nicht schlechthin unangemessen sein.
Hierin liegt eine absolute Grenze, die auch aus spezial- oder generalpräventiven
Gründen nicht überschritten werden darf; die verhängte Strafe darf auch zur
Erreichung der gesetzlich aberkannten Strafzwecke die Schuld des Täters nicht
übersteigen (Franke in MünchKomm StGB § 46 Rdn. 7, 11).

Aufgrund der Vorstrafen verbietet sich zwar einerseits eine Einstellung des
Verfahrens nach § 153 Abs. 2 oder § 153 a Abs. 2 StPO, wegen der Geringwertigkeit der erschlichenen Fahrt erschien aber andererseits eine milde Geldstrafe von 50
Tagessätzen zu je 5 Euro tat- und schuldangemessen, wobei sich die Höhe des
einzelnen Tagessatzes gem. § 46 StGB an den wirtschaftlichen Verhältnissen des
Angeklagten orientiert.“

Gegen dieses, in Anwesenheit des Angeklagten am 17. Februar 2009 verkündete
Urteil, hat der Angeklagte durch anwaltliches Schreiben vom 24. Februar 2009,
eingegangen beim Amtsgericht Lüdenscheid per Telefax am selben Tage,
„Rechtsmittel“ eingelegt. Nach Zustellung des Urteil, die an den Angeklagten am 11.
März 2009 und an den Verteidiger am 13. März 2009 erfolgte, bezeichnete der
Angeklagte durch anwaltliches Schreiben vom 14. April 2009, eingegangen per
Telefax beim Amtsgericht Lüdenscheid am selben Tage, das Rechtsmittel als
„Sprungrevision“ und beantragte, das angefochtene Urteil mit den
zugrundeliegenden Feststellungen insgesamt aufzuheben und an eine andere
Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen. Gerügt wurde die Verletzung
materiellen Rechts. Zur Begründung hat der Angeklagte angeführt, insbesondere der
Rechtsfolgeausspruch begegne durchgreifenden rechtlichen Bedenken, da der
Tatrichter den drohenden Widerruf in dem Verfahren 72 Ls 68/07 – Amtsgericht
Lüdenscheid – unberücksichtigt gelassen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten der
Begründung wird auf das anwaltliche Schreiben vom 14. April 2009 Bezug
genommen.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat unter dem 08. Mai 2009 Stellung
genommen und beantragt wie beschlossen.

II.
Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat ihren Antrag wie folgt begründet:
“Die Sprungrevision ist gemäß § 335 StPO statthaft und rechtzeitig eingelegt und
gem. § 43 Abs. 2 StPO rechtzeitig begründet worden.
Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs ist der Revision ein zumindest vorläufiger
Erfolg nicht zu versagen.

Die auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge gebotene Überprüfung des
angefochtenen Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht deckt bezüglich des
Schuldspruchs Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf. Die in sich
widerspruchsfreien und nicht gegen Denkgesetze bzw. allgemeine Erfahrungssätze
verstoßenden Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen
Betruges.

Hingegen halten die Strafzumessungserwägungen einer revisionsrechtlichen
Überprüfung nicht stand.

Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Sache des Tatrichters und daher vom
Revisionsgericht nur darauf zu überprüfen, ob Rechtsfehler vorliegen. Das
Revisionsgericht darf jedoch dann eingreifen, wenn die
Strafzumessungserwägungen des angefochtenen Urteils in sich rechtsfehlerhaft oder
lückenhaft sind, was dann der Fall ist, wenn der Tatrichter tragende
Strafzumessungsgründe und die von der verhängten Strafe zu erwartenden
Wirkungen auf den Täter i.S. des § 46 StGB nicht bzw. nicht vollständig bedacht und
erörtert hat. Auch wenn eine erschöpfende Darstellung aller im Katalog des § 46
Abs. 2 S. 2 StGB genannten Umstände weder erforderlich noch möglich ist, ist ein für
den Fall einer Verurteilung möglicherweise zu erwartender Widerruf einer
ausgesetzten Freiheitsstrafe in einer anderen Sache zu erörtern (zu vgl.
Senatsbeschlüsse vom 24.06.1998 – 2 Ss 666/98 -, veröffentlicht in NStZ-RR 1998,
374 und vom 31.01.2005 – 2 Ss 501/04 -, jeweils m.w.N.; Fischer, StGB, 56. Aufl.,
§ 46 Rdnr. 106).
6
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils ist der Angeklagte in dem
Verfahren 72 Ls 68/07 (Amtsgericht Lüdenscheid) am 31.01.2008 unter
Einbeziehung zweier Vorverurteilungen wegen versuchten Diebstahls in zwei
besonders schweren Fällen sowie wegen Diebstahls zu einer Freiheitsstrafe von
einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung bis zum
30.01.2011 zur Bewährung ausgesetzt worden ist (Bl. 48. d.A.). (...)
Die vorliegende Tat hat der Angeklagte am 16.07.2008 und damit nur ein halbes Jahr
nach der Verurteilung in dem Verfahren 72 Ls 68/07 (Amtsgericht Lüdenscheid)
begangen. Da (...) die einbezogenen Strafen ebenfalls Vermögensdelikte betrafen,
erscheint wegen der vorliegenden Tat ein Widerruf der Strafaussetzung der
Bewährung in dem Verfahren des Amtsgerichts Lüdenscheid 72 Ls 68/07 nicht von
vorneherein ausgeschlossen.

Diese Möglichkeit hat das Amtsgericht Lüdenscheid in den äußerst knapp
gehaltenen Strafzumessungserwägungen, die zu der konkreten Strafhöhe nur aus
einem Satz und im übrigen vorrangig in der Darstellung allgemeiner Grundsätze der
Strafzumessung bestehen, nicht ausdrücklich bedacht. Die Notwendigkeit einer
entsprechenden Erörterung hätte sich schon aufgrund des Umstandes, dass das
Amtsgericht dem Angeklagten (...) einen Pflichtverteidiger gem. § 140 Abs. 2 StPO
beigeordnet hat, aufgedrängt (Anmerkung des Senats: Die Beiordnung erfolgte
ersichtlich im Hinblick auf den möglichen Widerruf der in dem Verfahren des
Amtsgerichts Lüdenscheid zu 72 Ls 68/07 erfolgten Strafaussetzung, die im Rahmen
der Beurteilung der „Schwere der Tat“ im Sinne des § 140 Abs. 2 StPO auf die zu
erwartenden Rechtsfolgenentscheidung und sonstige schwerwiegende Nachteile
infolge der Verurteilung abstellt, wozu grundsätzlich der drohende
Bewährungswiderruf zählt – vergleiche dazu: Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage,
§ 140 Rn. 25 mit weiteren Nachweisen).

Diese fehlende Auseinandersetzung ist damit ein Begründungsmangel, der auf die
erhobene Sachrüge hin zur Aufhebung im Rechtsfolgenausspruch und
Rechtsfolgenausspruch führt. Eine eigene Sachentscheidung gem. § 354 StPO ist
dem Senat angesichts des für die Rechtsfolgenbemessung unverzichtbaren
persönlichen Eindrucks des Angeklagten verwehrt.“
7
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Überprüfung
an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:

Soweit das Amtsgericht – Strafrichter – Lüdenscheid im Rahmen der
Strafzumessung, wobei es nicht einmal den angewendeten Strafrahmen mitgeteilt
hat (zu diesem Erfordernis, um dem Revisionsgericht die Überprüfung zu
ermöglichen, ob der Tatrichter von dem richtigen Strafrahmen ausgegangen ist,
vergleiche Meyer-Goßner, StPO, 51. Auflage, § 337 Rn. 35), nicht ausdrücklich das
Bewährungsversagen des Angeklagten, die schnelle Rückfallgeschwindigkeit und die
fehlende Warnfunktion der durch Urteil des Amtsgericht Lüdenscheid vom 31. Januar
2008 zu 72 Ls 68/07 verhängten erheblichen Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von
einem Jahr und sechs Monaten erörtert hat – wie es nach der Auffassung des Senats
erforderlich gewesen wäre -, ist der Angeklagte dadurch nicht beschwert.

Etwas anderes gilt hinsichtlich des drohenden Widerrufs der in dem vorgenannten
Verfahren des Amtsgericht Lüdenscheid gewährten Strafaussetzung zur Bewährung.
Wie die Generalstaatsanwaltschaft bereits zutreffend ausgeführt hat, ist ein
drohender Widerruf einer ausgesetzten Freiheitsstrafe in anderer Sache als
„Wirkung“ im Sinne des § 46 Abs. 1 S. 2 StGB bei der Strafzumessung zu
berücksichtigen und grundsätzlich ausdrücklich zu erörtern (OLG Hamburg, NStZ-RR
2004, 72, 73; OLG Oldenburg, Beschluss vom 28. Juli 2008 – Ss 266/08 -, zitiert
nach juris Rn. 14). Vorliegend durfte eine ausdrückliche Erörterung dieses
Gesichtspunktes bereits wegen der erheblichen Bedeutung ausnahmsweise nicht
unterbleiben, die der Aussetzungswiderruf und die darauf folgende Vollstreckung der
Gesamtfreiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und sechs Monaten für den
Angeklagten hätte. Die Erörterung der Frage eines drohenden Widerrufs war umso
mehr von Bedeutung, als sich die Gründe des angefochtenen Urteils sogar mit der –
letztlich verneinten - Möglichkeit einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 153 Abs. 2,
153 a Abs. 2 StPO beschäftigen, der Widerruf demgegenüber zur Verbüßung einer
nicht unerheblichen Gesamtfreiheitsstrafe führte.
8
Der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in dem Verfahren des Amtsgerichts
Lüdenscheid zu 72 Ls 68/07 ist vorliegend nach der Auffassung des Senats – auch
unter Berücksichtigung der äußerst mäßigen verhängten Geldstrafe – auch nicht
fernliegend.
Dem steht nicht entgegen, dass die Anlasstat im Vergleich mit den von dem
Amtsgericht – Strafrichter – Lüdenscheid festgestellten Vorstrafen, die allerdings
lediglich unvollständig in Einzelheiten in den Urteilsgründen aufgeführt werden, nicht
einschlägig ist. Denn § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB unterscheidet für die
Strafaussetzung zur Bewährung nicht nach der Art und dem Gewicht zukünftiger
Straftaten, ebenso wie § 56 f Abs. 1 Nr. 1 StGB für den Widerruf wegen erneuter
Straffälligkeit innerhalb der Bewährungszeit keinen kriminologischen Zusammenhang
von vollstreckungsgegenständlicher Tat und Widerrufsanlasstat sowie keine
Vergleichbarkeit von Tatart und –schwere voraussetzt. Die Erwartung, die der
Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 Abs. 1 S. 1 StGB zugrunde liegt geht
vielmehr davon aus, dass der Angeklagte überhaupt keine Straftaten mehr begehen
wird. Umgekehrt kommt eine Strafaussetzung nicht in Betracht, wenn –
ausschließlich – andersartige Straftaten als die Anlasstat zu erwarten sind (BGH,
NStZ-RR 2001, 15, 16; OLG Hamburg, Beschluss vom 23. Juni 2008 – 2 – 39/08
(REV)- 1 Ss 107/08 – zitiert nach juris Rn. 17 mit weiteren Nachweisen). Eine
andersartige Widerrufsanlasstat kann nur ganz ausnahmsweise Bedeutung haben,
wenn aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls in Betracht kommt zu prüfen,
ob entgegen der grundsätzlichen Indizwirkung des Bewährungsversagens der
andersartige kriminologische Charakter der Widerrufsanlasstat gegen eine drohende
weitere zukünftige Straffälligkeit spricht (OLG Hamburg, Beschluss vom 23. Juni
2008 – 2 – 39/08 (REV) - 1 Ss 107/08 – zitiert nach juris Rn. 17). In der Regel wird
indes kein Anlass zu einer solchen Prüfung bestehen, da sich die Legalprognose
nicht dadurch verbessert, dass der Verurteilte durch die Widerrufsanlasstat gezeigt
hat, dass er bereit ist, zusätzlich weitere Rechtsgüter zu verletzen (BayObLG, NStZ-
RR 2003, 105, 106 mit weiteren Nachweisen). Nur bei Gelegenheits- und
Bagatelltaten kann sich eine andere Bewertung ergeben (OLG Düsseldorf, StV 1983,
338), wobei der Senat der Auffassung zuneigt, ein Bagatelldelikt in diesem Sinne nur
bis zur Grenze von 1/3 des Höchstwertes der Geringwertigkeit im Sinne des § 248 a
StGB anzunehmen (vergleiche dazu: OLG Oldenburg, Beschluss vom 28. Juli 2008 – 9
Ss 266/08 -, zitiert nach juris Rn. 10, 11, 12 mit weiteren Nachweisen), ohne dass
dies vorliegend vom Senat zu entscheiden wäre.

Dem Widerruf steht auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht – Strafrichter –
Lüdenscheid lediglich eine – äußerst mäßige – Geldstrafe verhängt hat. Zwar ist das
Gericht, dass über den Widerruf der Strafaussetzung entscheidet, nicht an die
Legalprognose, die dem Geldstrafenerkenntnis zugrunde lag, gebunden. Allerdings
schließt es sich regelmäßig der Legalprognose des erkennenden Gerichts an, die auf
der mittels überlegener Erkenntnismitteln fußenden sach- und zeitnäheren
Legalprognose des Tatgerichts beruht. Dies setzt allerdings voraus, dass das
erkennende Gericht bei seiner Prognose von zutreffenden Tatsachen ausgegangen
ist, seine Wertung rechtsfehlerfrei ist und sich die tatsächlichen, für die Prognose
bedeutsamen Umstände nicht geändert haben. Unter Berücksichtigung dieser
Grundsätze ist eine Orientierung des Widerrufsgerichts an der im angefochtenen
Urteil getroffenen Legalprognose, wonach die Verhängung einer Geldstrafe als
ausreichend erachtet wurde, ausgeschlossen. Denn das Amtsgericht – Strafrichter –
Lüdenscheid hat bei dem Geldstrafenerkenntnis entscheidende Umstände nicht
berücksichtigt. Dazu gehören insbesondere das Bewährungsversagen, die schnelle
Rückfallgeschwindigkeit und die fehlende Warnfunktion, die die durch das Urteil des
Amtsgerichts Lüdenscheid vom 31. Januar 2008 verhängte Gesamtfreiheitsstrafe auf
den Angeklagten gerade nicht auszuüben vermocht hat. Nicht auszuschließen ist
ferner, dass das Widerrufsgericht zusätzliche Umstände, wie etwa weitere und unter
Umständen einschlägige Vorbelastungen, die in den Gründen des angefochtenen
Urteils nicht mitgeteilt werden, bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen hat, was
der Senat anhand seiner revisionsrechtlichen Erkenntnisquellen nicht beurteilen
kann.
Nach alledem ist der Bewährungswiderruf in dem Verfahren des Amtsgerichts
Lüdenscheid zu 72 Ls 68/07 nicht derart fernliegend, als dass eine Erörterung des
drohenden Widerrufs der Strafaussetzung hätte unterbleiben dürfen.

Es ist auch nicht auszuschließen, dass das Amtsgericht – Strafrichter – Lüdenscheid
unter Berücksichtigung des drohenden Widerrufs, den es selbst ausweislich der
Pflichtverteidigerbestellung nach § 140 Abs. 2 StPO als möglich angesehen hat, auf
der Grundlage der – im Übrigen nicht vollständigen – Strafzumessungserwägungen - 10
zur Verhängung einer (noch) niedrigeren Geldstrafe gekommen wäre (§ 337 Abs. 1
StPO).

Das angefochtene Urteil war demnach im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, wobei
der Schuldausspruch bestehen bleiben konnte.

Das Amtsgericht wird die für die Strafzumessung nach § 46 StGB wesentlichen
Umstände, zu denen neben dem drohenden Bewährungswiderruf insbesondere der
bisherige Werdegang des Angeklagten einschließlich sämtlicher Vorstrafen, sein
Bewährungsversagen, die schnelle Rückfallgeschwindigkeit, der Grad der von der
Verurteilung durch das Amtsgericht Lüdenscheid vom 31. Januar 2008 ausgehenden
Warnfunktion und eventuell der konkrete Anlass der Tat – soweit dies für die
Strafzumessung von Bedeutung ist – auf der Grundlage entsprechender
Feststellungen zu erörtern haben, wobei der Senat nicht ausschließt, dass die –
äußerst mäßige - Geldstrafe unter Beachtung von § 358 Abs. 2 S. 1 StPO durch das
neue Rechtsfolgenerkenntnis unter Berücksichtigung sämtlicher für die
Strafzumessung bedeutender Umstände nicht bzw. nicht wesentlich unterschritten
wird.




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