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Rechtsprechung

Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. A 73/09 OLG Hamm

Leitsatz: Die förmliche Auslieferungshaft kann auch bei Vorliegen des Europäischen Haftbefehls in Telefaxform angeordnet werden.

Senat: 2

Gegenstand: Auslieferungssache

Stichworte: Europäischer Hafbefehl, Form

Normen: IRG 15; IRG 83 Nr. 2; IRG 83a; IRG 83b

Beschluss:

Auslieferungssache
betreffend den polnischen Staatsangehörigen
wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland nach Polen zur Strafvollstreckung wegen Urkundenunterdrückung, Betruges u.a. – Artikel 275 § 1, Artikel 276, Artikel 270 § 1, Artikel 286 § 1, Artikel 297 § 1 in Verbindung mit Artikel 11 § 2 und Artikel 64 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches –,
(hier: Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft).
Auf die Anträge der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 26. Juni und vom 01. Juli 2009 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 07. 07. 2009 durch
beschlossen:
Gegen den Verfolgten wird die förmliche Auslieferungshaft angeordnet.
Gründe:
Die polnischen Behörden betreiben gegen den Verfolgten ein Auslieferungsverfahren zum Zwecke der Strafvollstreckung wegen Urkundenunterdrückung, Betruges und anderer Delikte.
1.
Der Senat hat durch Beschluss vom 09. Juni 2009 – (2) 4 Ausl A 73/09 (176/09) –, auf den zur Vermeidung von Wiederholungen in vollem Umfang Bezug genommen wird, die vorläufige Auslieferungshaft angeordnet (§ 16 IRG).
Nachdem die polnischen Behörden nunmehr den Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Trzcianka vom 16. Februar 2009 (Aktenzeichen: III Kop 368/08) nebst deutscher Übersetzung im Original übersandt haben, der die Voraussetzungen des § 83a IRG erfüllt, war die förmliche Auslieferungshaft gegen den Verfolgten gemäß § 15 IRG anzuordnen. Hinsichtlich der Einwendungen des Verfolgten aus seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Hamm am 01. Juni 2009, er habe zu den in dem Europäischen Haftbefehl in Bezug genommenen Tatzeiten (11. März 2008 und 15. bis 16. März 2008) in Polen Strafhaft verbüßt, hat das Bezirksgericht in Poznan durch Schreiben vom 09. Juni 2009 – eingegangen bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm am 22. Juni 2009 – mittlerweile mitgeteilt, dass es nicht möglich ist, dass der Verfolgte zu den genannten Tatzeiten in Strafhaft verweilte.
Im Hinblick darauf, dass es sich bei dem dem Europäischen Haftbefehl zugrundeliegenden Urteil (rechtskräftiges Urteil des Amtsgerichts Trzcianka vom 11. August 2008 – VI K 126/08 –) um ein Abwesenheitsurteil handelte, hat das Bezirksgericht in Poznan durch das vorgenannte Schreiben vom 09. Juni 2009 ausdrücklich mitgeteilt, dass es sich um ein Abwesenheitsurteil nach Artikel 479 der polnischen Strafprozessordnung gehandelt hat. Deutsche Gerichte haben grundsätzlich das Zustandekommen eines ausländischen Strafurteils, zu dessen Vollstreckung der Verfolgte ausgeliefert werden soll, nicht zu überprüfen ( BVerfG, NJW 1983, 1726; Senatsbeschlüsse vom 17. April 1997 – (2) 4 Ausl. 92/97 (18/97) –, abgedruckt in: NStZ-RR 1997, 242 – 243 mit weiteren Nachweisen und vom 19. Mai 2009 – (2) 4 Ausl A 17/09 (129/09) –). Wenn sich indes Anhaltspunkte dafür ergeben, dass das Urteil in Abwesenheit des Verfolgten ergangen ist, muss geprüft werden, ob die Auslieferung und die ihr zugrundeliegenden Akte mit dem völkerrechtlich verbindlichen, nach Art. 25 GG zu beachtenden Mindeststandard elementarer Verfahrensgerechtigkeit und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar sind ( BVerfG, NJW 1983, 1726; Senatsbeschluss vom 17. April 1997 – (2) 4 Ausl. 92/97 (18/97) –, abgedruckt in: NStZ-RR 1997, 242 – 243). Nach diesem Mindeststandard verfassungsrechtlicher Garantien muss dem Verfolgten in dem ausländischen Strafverfahren hinreichend rechtliches Gehör gewährt und eine angemessene Verteidigung ermöglicht worden sein (Senatsbeschluss vom 17. April 1997 – (2) 4 Ausl. 92/97 (18/97) –, abgedruckt in: NStZ-RR 1997, 242 – 243; Senatsbeschluss vom 02. Oktober 2002 – 2 WS 327/02 –, jeweils mit weiteren Nachweisen). Voraussetzung hierfür ist, dass der Verfolgte nachweislich von dem gegen ihn konkret geführten Strafverfahren und von anstehenden und zu erwartenden Hauptverhandlungsterminen Kenntnis erhalten hat, auf welchem Weg auch immer (Senatsbeschluss vom 17. April 1997 – (2) 4 Ausl. 92/97 (18/97) –, abgedruckt in: NStZ-RR 1997, 242 – 243 mit weiteren Nachweisen).
Insoweit bestehen keine Bedenken, dass die Auslieferung und ihr zugrundeliegende Akte, insbesondere das vorgenannte Urteil, mit dem völkerrechtlich verbindlichen, nach Art. 25 GG zu beachtenden Mindeststandard elementarer Verfahrensgerechtigkeit und den unabdingbaren verfassungsrechtlichen Grundsätzen der öffentlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland vereinbar ist, der in § 83 Nr. 3 IRG Niederschlag gefunden hat. Denn der Verfolgte hat von dem letztlich in seiner Abwesenheit geführten Strafverfahren Kenntnis erlangt, was sich aus den Ausführungen in dem Europäischen Haftbefehl ausdrücklich ergibt und worauf das Bezirksgericht in Poznan in seinem Schreiben vom 09. Juni 2009 ebenfalls verweist. Der Verfolgte ist danach ungeachtet seiner persönlich abgeholten Ladung vom 14. Mai 2008 zu den Hauptverhandlungsterminen am 17. Juni, 07. Juli und am 11. August 2008 (Urteilsverkündung) nicht erschienen, nachdem er zuvor am 20. und 21. März 2008 – nach Belehrung – in dieser Sache vernommen worden war.
2.
Zudem haben die polnischen Behörden nunmehr den – weiteren – Europäischen Haftbefehl des Bezirksgerichts in Poznan vom 22. Juni 2009 – III Kop 163/09 – bisher lediglich in Telefaxform – übermittelt, dem das seit dem 06. August 2008 rechtskräftige Urteil des Amtsgericht in Pila – II K 439/07 –, mit dem der Verfolgte zu einer noch in vollem Umfang zu verbüßenden Freiheitsstrafe in Höhe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt worden ist, sowie der Beschluss des Amtsgerichts Pila vom 25. November 2008 – II K 439/07 – über die steckbriefliche Fahndung nach dem Verfolgten zugrunde liegen.
Darin wird dem Verfolgten zur Last gelegt, in Pila in insgesamt sieben Fällen, jeweils gemeinsam und im Einvernehmen mit Dariusz Radtke, in der Absicht der Erreichung eines Vermögensvorteils,
am 11. Februar 2004 eine Bescheinigung über Einkünfte des Marek Kowalczyk bei der Firma PHU-MARGUS-Mariusz Grzebyta gefälscht und diese Urkunde zwecks der Erreichung eines Kredits in Höhe von 2700 Zloty bei der Lukas Bank SA Oddzial in Pila gebraucht zu haben,
am 04. März 2004 eine Bescheinigung über Einkünfte von Marek Kowalczyk bei der Firma PHU-MARGUS-Mariusz Grzebyta gefälscht und diese Urkunde zwecks der Erreichung eines Kredits in Höhe von 11 800 Zloty bei der Bank Pocztowy Oddzial in Pila für einen Autokauf (Daewoo Nexia) gebraucht zu haben,
am 11. März 2004 eine Bescheinigung über Einkünfte von Marek Kowalczyk bei der Firma PHU-MARGUS-Mariusz Grzebyta gefälscht und diese Urkunde zwecks der Erreichung eines Kredits in Höhe von 4 213,13 Zloty bei der AIG Bank Polska Oddzial in Pila für den Kauf einer Kochplatte 3440 Mastercook, einer Waschmaschine PF-53 Mastercook, eines Radiotonbandgerätes RCS-ST 1 JVC gebraucht zu haben,
am 06. Februar 2004 eine Bescheinigung über Einkünfte von Marek Kowalczyk bei der Firma PHU-MARGUS-Mariusz Grzebyta gefälscht und diese Urkunde zwecks der Erreichung eines Darlehns in Höhe von 10 344,81 Zloty von der GE Capital Bank SA gebraucht zu haben,
am 09. März 2004 eine unechte Erklärung über Einkünfte von Marek Kowalczyk bei der Firma PHU-MARGUS-Mariusz Grzebyta zwecks der Erreichung eines Kredits für einen Autokauf (Seat Ibiza) in Höhe von 29 172,61 Zloty von der Dominet Bank SA in Lublin gebraucht zu haben,
am 12. März 2004 eine Bescheinigung über Einkünfte von Marek Kowalczyk bei der Firma PHU-MARGUS-Mariusz Grzebyta gefälscht und diese Urkunde zwecks der Erreichung eines Kredits in Höhe von 6.17,85 Zloty bei der Kredyt Bank in Lublin für den Kauf von Fensterholzbauelementen gebraucht zu haben und
am 12. März 2004 eine Bescheinigung über Einkünfte von Marek Kowalczyk bei der Firma PHU-MARGUS-Mariusz Grzebyta gefälscht und diese Urkunde zwecks der Erreichung eines Kredits für den Kauf von Installationsmaterialien in Höhe von 3 333,51 Zloty bei der Kredyt Bank in Lublin gebraucht zu haben.
Auch dieser Europäische Haftbefehl entspricht den Voraussetzungen des § 83a Abs. 1 Nummern 1 bis 6 IRG. Zwar genügt der bisher lediglich in Telefaxform vorliegende Europäische Haftbefehl, der nicht im Original oder beglaubigter Abschrift vorgelegt worden ist, nicht der Formvorschrift des Art. 12 Abs. 2 lit. a des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 (EuAlÜbk). Dies steht indes der Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft nicht entgegen (vergleiche dazu bereits: Senatsbeschlüsse vom 15. Januar 1996 – (2) 4 Ausl 416/95 (37) mit Verweis auf OLG Karlsruhe, NJW 1996, 3426 und OLG Düsseldorf, StV 1989, 27 zur Frage der Zulässigkeit der Dokumentation von Auslieferungsunterlagen – und vom 08. Dezember 2000 – (2) 4 Ausl 367/00 (106/00) –). Denn der Senat ist berechtigt und sogar verpflichtet, die Echtheit der Auslieferungsunterlagen – unbeschadet der Vorschrift des Art. 12 Abs. 2 lit. a EuAlÜbk selbständig zu prüfen. Wie das zu geschehen hat, ist nicht bindend vorgeschrieben oder gar geregelt, sondern das Oberlandesgericht entscheidet in freier Beweiswürdigung. Insbesondere ist nicht vorgeschrieben, dass die Echtheit eines Auslieferungsersuchens nur durch Vorlage einer Urschrift oder beglaubigten Abschrift nachgewiesen werden kann (Senatbeschluss vom 08. Dezember 2000 – (2) 4 Ausl 367/00 (106/00) –). Aus der Sicht des Senates bestehen keine Zweifel, dass die vom Bezirksgericht in Posen übermittelten Auslieferungsunterlagen mit den Originalen übereinstimmen. Auch die äußere Form und Gestaltung der Unterlagen sprechen dafür, dass diese von Originalen erstellt worden sind, an deren Echtheit zu zweifeln kein Anlass besteht.
Auch im Übrigen enthalten die übermittelten Unterlagen die erforderlichen Angaben. Namentlich sind die dem Verfolgten zur Last gelegten Straftaten im Sinne des § 83a Abs. 1 Nr. 4 IRG nach polnischem Recht nach Artikel 270 § 1, Artikel 286 § 1, Artikel 297 § 1 in Verbindung mit Artikel 11 § 2 und Artikel 64 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches bezeichnet; die höchste angedrohte Strafe ergibt sich aus Artikel 286 § 1 des polnischen Strafgesetzbuches und beträgt im Höchstmaß acht Jahre (§ 83a Abs. 1 Nr. 6 IRG).
Die beiderseitige Strafbarkeit der dem Verfolgten zur Last gelegten Straftaten ist nicht zu prüfen, da es sich um eine Katalogtat im Sinne des Artikels 2 Abs. 2 19. und 22. Spiegelstrich des Rahmenbeschlusses des Europäischen Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten vom 13. Juni 2002 handelt.
Die noch zu vollstreckende Strafe entspricht den Voraussetzungen des § 81 Nr. 2 IRG, da sie mehr als vier Monate beträgt. Die Auslieferung erscheint auch nicht von vorneherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG). Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte deutscher Staatsangehöriger sein könnte, sind nicht ersichtlich.
Aus der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 01. Juli 2009 ist nicht ersichtlich, dass diese beabsichtigt, Bewilligungshindernisse geltend zu machen. Die Voraussetzungen des § 83b IRG liegen auch nicht vor.
Da der Verfolgte aufgrund des Europäischen Haftbefehls vom 22. Juni 2009 mit der Vollstreckung einer – weiteren – nicht unerheblichen Freiheitsstrafe in Polen zu rechnen hat, wird der bestehende Fluchtanreiz noch verstärkt. Daher ist es wahrscheinlicher, dass der Verfolgte sich dem Auslieferungsverfahren durch Flucht entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten wird.
Um sich des Verfolgten zu versichern, sind mildere Maßnahmen als die Vollstreckung der Auslieferungshaft nicht ersichtlich.
Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft steht auch nicht außer Verhältnis zu der in Polen zu verbüßenden Strafe.
Vor diesem Hintergrund war die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen.




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