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Rechtsprechung

Aktenzeichen: 3 Ws 206/09 OLG Hamm

Leitsatz: § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB (Erstverbüßerregelung) bleibt auch dann anwendbar, wenn der Verurteilte in der Sache zuvor Untersuchungshaft verbüßt hatte, dann aber nach Strafaussetzung zur Bewährung auf freien Fuß gelangt ist und nunmehr nach Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung und Verbüßung der Hälfte der Strafe über eine bedingte Entlassung zu entscheiden ist.

Senat: 3

Gegenstand: Beschwerde

Stichworte: Erstverbüßerregelung; Anwendbarkeit; Verbüßung von U-Haft

Normen: StGB 57

Beschluss:

Strafsache
In pp hat der 3. Strafsenat des OLG Hamm am 22. 06. 2009 durch beschlossen:

1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft nach Verbüßung der Hälfte der mit Urteil des Amtsgerichts Herford vom 16. März 2007 (3 Ls 36 Js 2516/06 ) verhängten (Gesamt-) Freiheitsstrafe wird angeordnet.
3. Der noch nicht verbüßte Strafrest der durch das oben genannte Urteil verhängten (Gesamt-)Freiheitsstrafe wird gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt.
Die Bewährungszeit wird auf 3 Jahre festgesetzt.
Der Verurteilte wird der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers unterstellt.
4. Die Belehrung über die Bedeutung der Strafaussetzung zur Bewährung sowie über einen möglichen Widerruf (auch bei Verstoß gegen Auflagen und Weisungen) wird dem Leiter der Vollzugsanstalt übertragen.
5. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die in diesem Verfahren der Verurteilten entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Die Strafvollstreckungskammer hat mit dem angefochtenen Beschluss die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft nach Verbüßung der Hälfte der gegen ihn vom Amtsgericht Herford verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren mit der Begründung, dass die Strafaussetzung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit nicht verantwortet werden könne abgelehnt.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg.
Zu Unrecht hat das Landgericht die bedingte Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gem. § 57 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 StGB liegen vor.
Der Verurteilte ist mit Urteil des Amtsgerichts Herford vom 16.03.2007 erstmals strafrechtlich verurteilt worden und ausweislich der Stellungnahme des Leiters der JVA C2 Erstverbüßer. Dass er in vorliegender Sache Untersuchungshaft verbüßt hat, die ausgeurteilte Freiheitsstrafe zunächst zur Bewährung ausgesetzt war, später aber widerrufen werden musste, ändert nichts an seiner Eigenschaft als Erstverbüßer. Untersuchungshaft – jedenfalls in derselben Sache – nimmt der nachfolgenden Strafvollstreckung nach nahezu einheilliger Meinung nicht den Charakter der Erstverbüßung (vgl. OLG Braunschweig NStZ 1999, 532; OLG Düsseldorf NStZ-RR 1996, 186; OLG Frankfurt NStZ-RR 2002, 28 LS; OLG Zweibrücken StV 1998, 670; Fischer StGB 56. Aufl. § 57 Rdn. 24 m.w.N.; vgl. auch OLG Hamm Beschl.v. 27.02.2002 – 2 Ws 47/02 = BeckRS 2002, 30243162). Untersuchungshaft und Strafhaft wegen derselben Tat bilden eine Einheit, wie sich aus der Anrechnungsregelung des § 51 Abs. 1 StGB ergibt (Hubrach in: LK-StGB 12. Aufl. § 57 Rdn. 32). Ansonsten würde auch jede Verbüßung von Untersuchungshaft der Anwendung von § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entgegenstehen, wofür ein sachlicher Grund nicht erkennbar ist (vgl. Appl in KK-StPO 6. Aufl. § 454b Rdn. 14; Fischer a.a.O. Rdn. 24). Die gegen den Verurteilten verhängte Freiheitsstrafe überstieg 2 Jahre nicht. Die Hälfte der Strafe hatte er am 11.03.2009 verbüßt. Er hat in die bedingte Entlassung eingewilligt.
Die bedingte Entlassung kann hier unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden. Zutreffend ist zwar – wie die Strafvollstreckungskammer ausführt –, dass der Verurteilte hinsichtlich seiner Betäubungsmittelabhängigkeit keine ganz klare Linie gezeigt hat, da er teils eine Therapienotwendigkeit verneint hat, weil er „clean“ sei, teils sich um eine ambulante Therapie bzw. um eine Strafunterbrechung nach § 35 BtMG bemüht hat. Auch ist richtig, dass er Bewährungsversager ist, da er nur 2 Monate nach der hier vollstreckten Verurteilung, erneut einschlägig in Erscheinung getreten (und zu einer Geldstrafe verurteiolt worden) ist, was zum Widerruf der in der vorliegenden Sache vom Tatrichter gewährten Strafaussetzung geführt hatte.
Diese Umstände vermögen letztlich aber bei Gesamtschau aller relevanten Faktoren die erforderliche günstige Legalprognose nicht zu hindern. Dabei ist nämlich zu berücksichtigen, dass der Verurteilte erst in vergleichsweise hohem Alter von mehr als 40 Jahren erstmals strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, was prognostisch per se schon als günstig einzustufen ist. Für eine nachhaltige, noch therapiebedürftige Betäubungsmittelabhängigkeit, die derzeit noch eine Rolle spielen könnte, ergeben sich keine hinreichenden Anhaltspunkte. Im Ausgangsurteil ist dazu nichts festgestellt. Aus dem Bewährungsheft ergibt sich aus dem Ergebnis einer Drogenscreenings aus dem Monat Juli 2007 nichts für einen Betäubungsmittelkonsum. Während der Strafhaft ist er insoweit auch nicht in Erscheinung getreten. Demnach gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass es nahe liegt, dass der Verurteilte aufgrund eigener Abhängigkeit wieder Straftaten begehen könnte.
Weiter ist zu Gunsten des Verurteilten zu werten, dass er sich ausweislich der Stellungnahme der JVA von der Strafhaft als Erstverbüßer beeindruckt zeigt. Während des Strafvollzuges hat er sich einwandfrei geführt und alle Lockerungen beanstandungsfrei genutzt. Er verfügt über eine hinreichend geordnete Entlassungsperspektive. Dem Restrisiko, dass der Verurteilte wegen seiner schlechten wirtschaftlichen Situation wieder in den Betäubungsmittelhandel abgleitet, kann hinreichend durch den Bewährungsdruck und durch die Bestellung eines Bewährungshelfers begegnet werden.
Angesichts der dargestellten Umstände, sieht der Senat derzeit auch keine Notwendigkeit für eine Therapieweisung. Sollten sich im Nachhinein, z.B. aufgrund näherer Erkenntnisse durch den Bewährungshelfer etc., anderweitige Erkenntnisse ergeben, so kann die Weisung nach §§ 56c, 56e StGB noch nachträglich erfolgen.
III.
Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 467 StPO.


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