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Entscheidungen

StPO

Protokollberichtigung, Verfahren, Trunkenheitsfahrt

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 12.10.2010 - III-3 RVs 49/10 OLG Hamm

Fundstellen:

Leitsatz: 1. Eine Protokollberichtigung, bei der das nach der Rechtsprechung des BGH vorgeschriebene Verfahren nicht beachtet worden ist, ist i.d.R. unwirksam.

2. Die Erfahrung oder die "empfindliche Nase eines Polizeibeamten reicht zur Feststellung einer bestimmten Menge von Alkohol im Blut des Angeklagten nicht aus.


OBERLANDESGERICHT Hamm
BESCHLUSS
III-3 RVs 49/10 OLG Hamm
Strafsache
gegen pp.
wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr.
Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Bad Oeynhausen vom 15.12.2009 hat der 3. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. Oktober 2010 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht M.A., die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft sowie nach Anhörung des Angeklagten bzw. seines Verteidigers gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Bad Oeynhausen zurückverwiesen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Bad Oeynhausen hat den Angeklagten am 15.12.2009 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 40,- E verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von noch fünf Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.
Nach den zugrunde liegenden Feststellungen befuhr der Angeklagte am 16.07.2009 gegen 21.26 Uhr mit einem Personenkraftwägen der Marke Daimler-Chrysler mit dem amtlichen Kennzeichen MI-GM 129 in alkoholbedingt fahruntüchtigem Zustand u.a. die Werster Straße in Bad Oeynhausen in Richtung Löhne. Seine Fahruntüchtigkeit hätte der Angeklagte bei Änwendung der erforderlichen Sorgfalt erkennen können und müssen.
Die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten hat das Amtsgericht zunächst aufgrund der Aussage des ihn anhaltenden Polizeibeamten festgestellt. Nach dessen Wahrnehmung hatte der Angeklagte Alkohol konsumiert und zeigte deutliche, typische alkoholbedingte Ausfallerscheinungen, insbesondere einen unsicheren Gang und körperliche Koordinationsschwierigkeiten. Unabhängig von der Feststellung eines konkreten Atem-Blutalkoholwertes könne aus dem Vorliegen des von dem Zeugen beschriebenen Atemalkoholgeruchs und der von ihm geschilderten körperlichen Defizite kein anderer als der Rückschluss gezogen werden, dass der Angeklagte zuvor alkoholisiert ein Fahrzeug geführt hat und hierzu körperlich nicht mehr in der Lage gewesen sei. Dies werde auch dadurch gestützt, dass die Polizeibeamten aufgrund der Beobachtung Dritter alarmiert worden seien, die aufgrund der auffälligen Fahrweise die Polizei in Minden über das Fahrzeug informiert hatten.
„Ohne dass es überhaupt noch hierauf ankäme" — so das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil — werde die Fahruntüchtigkeit des Angeklagten auch durch die entnommene Blutprobe und den nach Auswertung der Blutprobe festgestellten Blutalkoholwert von 2,76 Promille zur Blutentnahmezeit um 22.12 Uhr gestützt. Im Weiteren macht das Amtsgericht dann Ausführungen zur Verwertbarkeit des Ergebnisses der Blutprobe, deren Entnahme durch die Polizeibeamten und nicht etwa durch einen Richter angeordnet worden war.

Mit der form- und fristgerecht eingelegten Revision des Angeklagten wird die Sachrüge erhoben. Darüber hinaus erhebt der Angeklagte mehrere Verfahrensrügen.

II.
1. Die zulässige Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung des § 261 StPO Erfolg. Der Angeklagte hat hierzu vorgetragen, dass das Blutalkoholgutachten vom 20.07.2009 als Beweismittel verwertet worden sei, obwohl dieses Gutachten weder durch Verlesung noch in anderer Weise in die Hauptverhandlung eingeführt worden sei, weder im Wege des Vorhalts, noch der Inaugenscheinnahme, des Selbstleseverfahrens, der Befragung von Zeugen oder durch Vernehmung des Sachverständigen.
Der Vortrag der Revision wird bewiesen durch das Hauptverhandlungsprotokoll vom 15.12.2009. Dies lautet auszugsweise wie folgt:
„Beschlossen und verkündet:
Das Blutalkoholgutachten vorn 20.07.2009 wird verlesen."
Mit Beschluss vom 30.09.2010 hat das Amtsgericht Bad Oeynhausen das Sitzungsprotokoll vom 15.12.2009 auf Anregung der Generalstaatsanwaltschaft Hamm dahingehend berichtigt, dass unter den vorbezeichneten Passus des Hauptverhandlungsprotokolls der Satz eingefügt wurde:
„Der Beschluss wurde ausgeführt.”
Eine derartige Protokollberichtigung hatte die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm mit Schreiben vom 09.08.2010 angeregt. Zu diesem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft hatte der Verteidiger des Angeklagten Stellung genommen, und zwar auch zur Frage der Protokollberichtigung. Zur eigentlichen Protokollberichtigung
selbst durch das Amtsgericht Bad Oeynhausen ist weder der Angeklagte noch der Verteidiger gehört worden. Es. sind auch keine dienstlichen Äußerungen der Protokollbeamten — Richterin und Protokollführerin — eingeholt worden. Vielmehr erfolgte die Protokollberichtigung auf einen Vermerk der Amtsrichterin, wonach diese eine „klare und deutliche Erinnerung" an die Verlesung des Blutalkoholgutachtens in der Hauptverhandlung vom 15.12.2009 habe. Auch dieser Vermerk ist vor der Protokollberichtigung dem Angeklagten oder dem Verteidiger nicht zur Stellungnahme zugeleitet worden. Eine dienstliche Äußerung der Protokollführerin ist gar nicht eingeholt worden. Sie hat vielmehr auf der Grundlage des vorgenannten Vermerks der Amtsrichterin die Protokollberichtigung durchgeführt und gegengezeichnet.

2.
Aufgrund der Beweiskraft des Protokolls (§ 274 StPO) steht fest, dass der Beschluss über die Verlesung des Blutalkoholgutachtens vom 20.07.2009 nicht ausgeführt wurde. Das Protokoll ist hierzu weder lückenhaft noch widersprüchlich, sondern insoweit eindeutig. Der Umstand, dass die Verlesung tatsächlich erfolgt ist, mithin der die Verlesung anordnende Beschluss tatsächlich ausgeführt wurde, gehört auch zu den wesentlichen Förmlichkeiten, deren Beachtung von der negativen Beweiskraft des Hauptverhandlungsprotokolls erfasst wird (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 273 StPO Rdnr. 9 m.w.N.).
Nach § 274 S. 1 StPO kann die Beachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Als Gegenbeweis lässt das Gesetz nur den Nachweis der Fälschung zu, § 274 S. 2 StPO. Darüber hinaus kann zwar nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs durch eine nachträgliche Berichtigung des Protokolls einer bereits ordnungsgemäß erhobenen Verfahrensrüge zum Nachteil des Revisionsführers die Tatsachengrundlage entzogen werden (BGHSt 51, 298 — 317; BVerfG, Beschluss vom 15.01.2009 — 2 BvR 2044/07, juris). Eine solche nachträgliche Protokollberichtigung hat vorliegend jedoch nicht in der gebotenen Weise statt-gefunden und kann auch nicht nachgeholt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 14.10.2010 — 2 StR 158/10, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 10.03.2009
5 Ss 506/08, juris).
Grundlage einer jeden Protokollberichtigung ist nach der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs die sichere Erinnerung der Urkundspersonen. Fehlt es hieran, kann das Protokoll nicht mehr berichtigt werden (BGHSt 51, 298, 314, 316). Vor einer beabsichtigten Protokollberichtigung müssen die Urkundspersonen zunächst den Beschwerdeführer hören. Widerspricht dieser der beabsichtigten Berichtigung substantiiert, sind erforderlichenfalls weitere Verfahrensbeteiligte — der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, der Nebenklagevertreter — zu befragen. Halten die Urkundsbeamten trotz des Widerspruchs an der Protokollberichtigung fest, ist ihre Entscheidung hierüber mit Gründen zu versehen. Die Gründe der Berichtigungsentscheidung unterliegen der Überprüfung durch das Revisionsgericht im Freibeweisverfahren. Im Zweifel gilt insoweit das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung (BGHSt 51, 298, 315 f; BGH NStZ 2008, 580, 581).
Nichts anderes gilt, wenn das vom Großen Senat vorgegebene Verfahren der Protokollberichtigung nicht eingehalten oder nicht durchgeführt wird. Auch dann gilt das Protokoll in der nicht berichtigten Fassung (BGH, Beschluss vom 14.07.20105
Eine ordnungsgemäße Protokollberichtigung ist hier nicht durchgeführt worden. Dienstliche Äußerungen der Protokollbeamten sind nicht eingeholt worden, jedenfalls fehlt es, wenn man den Vermerk der Amtsrichterin als dienstliche Äußerung auffassen will, an einer dienstlichen Äußerung der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle. Ganz wesentlich ist aber, dass die Gewährung rechtlichen Gehörs zu der beabsichtigten Protokollberichtigung durch das Amtsgericht Bad Oeynhausen selbst gegen- über dem Verteidiger bzw. dem Angeklagten vollständig unterlassen worden ist. Der Umstand, dass der Verteidiger sich in allgemeiner Form auf die Anregung der Generalstaatsanwaltschaft zur Berichtigung des Protokolls erklärt hatte, kann eine solche Anhörung nicht ersetzen, denn dem Verteidiger war zu dem damaligen Zeitpunkt die Äußerung der Amtsrichterin nicht bekannt. Er konnte damit auf ihre Äußerung, sie habe eine „klare und deutliche Erinnerung" nicht erwidern. Dies wäre aber ebenso zwingend geboten gewesen Wie die Herbeiführung einer dienstlichen Äußerung durch die Protokollführerin und der Gewährung rechtlichen Gehörs für den Ange- klagten bzw. den Verteidiger auch hierzu.
Eine nochmalige Rücksendung der Akten zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Berichtigungsverfahrens ist bei dieser Sachlage nicht geboten, denn sie käme der Wiederholung eines nicht ordnungsgemäßen Verfahrens unter Verletzung des Rechts des Angeklagten auf ein faires Verfahren gleich (BGH, Beschluss v. 14.07.2010 — 2 StR 158/10 -; OLG Hamm, 5. Strafsenat, Beschluss vom 10.03.2009, 5 Ss 506/08, juris; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 271 Rdnr. 26 a).
Neben einer ordnungsgemäßen Protokollberichtigung kommt eine freibeweisliche Aufklärung des tatgerichtlichen Verfahrensablaufs allein unter Berücksichtigung ab- gegebener dienstlicher Erklärungen und damit unter geringeren Anforderungen als in dem die Verfahrenswahrheit sichernden Protokollberichtigungsverfahren nach erhobener Verfahrensrüge zum Nachteil des Angeklagten nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 14.07.2010, 2 StR 158/10, juris m.w.N.). Dies insbesondere auch deshalb, weil das Bundesverfassungsgericht die Zulässigkeit der nachträglichen Protokollberichtigung mit der Folge, dass einer zulässig erhobenen Verfahrensrüge nachträglich die Grundlage entzogen wird, eng damit verknüpft hat; dass die Berichtigung das vom Bundesgerichtshof vorgegebene förmliche Verfahren einhält (BVerfG, Beschluss vom 15.01.2009, 2 BvR 2044/07, Randnummern 76 ff., juris). Ob hiervon in Fällen krasser Widersprüchlichkeit Ausnahmen zu machen sind, kann offen bleiben (BGH, Beschluss vom 14.07.2010, 2 StR 158/10, juris). Eine solche Widersprüchlichkeit liegt hier nicht vor.

3. Der Senat kann ein Beruhen des angefochtenen Urteils auf diesem Verfahrensverstoß nicht ausschließen. Soweit das Amtsgericht in dem angefochtenen Urteil aus- führt, dass es auf das Ergebnis der entnommenen Blutprobe für die Feststellung der Fahruntüchtigkeit des Angeklagten nicht mehr ankomme, ist dies ersichtlich fehlerhaft. Die Erfahrung oder die „empfindliche Nase" eines Polizeibeamten reicht zur Feststellung einer bestimmten Menge von Alkohol im Blut des Angeklagten nicht aus. Allein aus dem unsicheren Gang und körperlichen Koordinationsschwierigkeiten des Angeklagten kann ohne Grundlage eines festgestellten Blutalkoholwertes auch nicht tragfähig auf eine relative Fahruntüchtigkeit geschlossen werden. Dies bedeutet, dass ohne die Verwertung des Blutalkoholgutachtens die Annahme von Fahruntüch- tigkeit des Angeklagten nicht möglich ist. Deshalb beruht das angefochtene Urteil auch auf dem festgestellten Verfahrensverstoß. Auf die weiteren erhobenen Verfahrensrügen sowie auf die Sachrüge kommt es nicht mehr an, da die Revision bereits auf die Rüge der Verletzung des § 261 StPO einen vollen Erfolg erzielt hat.

Einsender: RA Brüntrup, Minden

Anmerkung:


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