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Entscheidungen

Haftfragen

Strafvollzug, Tragen von Damenkleidung, Zulässigkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 09.02.2011 - 1 Ws 29/11 (StrVollz)

Fundstellen:

Leitsatz: 1. Der Antrag eines Strafgefangenen auf Veranlassung psychologischer Behand-lung durch einen Fachpsychologen ist nicht an § 14 NJVollzG, sondern an §§ 56 ff NJVollzG zu messen, wenn der Gefangene sich darauf beruft, trans-sexuell zu sein.

2. Das Tragen von Damenbekleidung im Strafvollzug durch einen männlichen Gefangenen kann wegen des in § 22 NJVollzG eingeräumten Anspruchs auf Tra-gen eigener Kleidung nicht mit allgemeinen Zweckmäßigkeits- oder sich an tra-dierten Verhaltensmustern orientierenden Erwägungen versagt werden.

3. Vor der Entscheidung, einem männlichen Gefangenen das Tragen von Damen-bekleidung zu untersagen, um ihn vor Übergriffen anderer Gefangener zu schüt-zen, muss die Vollzugsbehörde prüfen, ob zur Beseitigung der Gefahr vorrangig anderweitige Maßnahmen - insbesondere gegenüber Personen, von denen die Gefahr ausgeht - in Betracht kommen.

4. Die Gestattung des Erwerbs von Körperpflegemitteln (hier: Kosmetika) beim Anstaltskaufmann umfasst regelmäßig auch die Genehmigung zum Besitz dieser. Der gleichwohl erfolgende Entzug stellt den Widerruf eines begünstigenden Ver-waltungsaktes dar, der nur unter den Voraussetzungen des § 100 NJVollzG i.V.m. § 49 VwVfG in Betracht kommt.


Oberlandesgericht Celle
1 Ws 29/11 (StrVollz)
84 StVK 103/10 LG Hannover
Beschluss
In der Strafvollzugssache pp.
wegen Erwerbs von Damenbekleidung u.a.


hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer 14 des Land-gerichts Hannover vom 26. November 2010 nach Beteiligung des Zentralen juristi-schen Dienstes für den niedersächsischen Justizvollzug durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx, den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxxxxxxx und den Richter am Oberlandesgericht xxxxxxxxxx am 9. Februar 2011 beschlossen:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin P. wird abgelehnt.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, soweit der Antrag auf gericht-liche Entscheidung gegen die Sicherstellung der beim Antragsteller be-schlagnahmten Gegenstände und gegen die Versagung des Erwerbs und des Tragens von Damenober- und unterbekleidung zurückgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache, auch zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hannover zurückverwiesen.

Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf bis zu 600 € festgesetzt.


G r ü n d e :

I.

Der Antragsteller verbüßt derzeit auf der Grundlage des Urteils des Landgerichts Hannover vom 22. Februar 2007 wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen und sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person in mehreren Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten.

Nach Angaben des Antragstellers liegt bei ihm seit längerer Zeit eine Transsexua-lität vor. Er begehrt daher die psychologische Betreuung durch einen externen Fachpsychologen. Zudem will er zur Durchführung einer sogenannten Alltagser-probung Damenober- und unterbekleidung erwerben, um diese nach Einschluss tragen zu können. Beide Anliegen sind ihm von der Antragsgegnerin versagt wor-den. Zudem hat die Antragsgegnerin diverse Schminkutensilien und eine Damen-strumpfhose im Rahmen einer Zellenkontrolle vorgefunden, diese sichergestellt und zur Habe des Antragstellers genommen.

Gegen die Versagung der begehrten Maßnahmen bzw. die Sicherstellung der zur Habe genommenen Gegenstände erhob der Antragsteller Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Er fühlt sich aufgrund seiner sexuellen Orientierung diskriminiert. Die Kammer hat mit dem angefochtenen Beschluss den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet verworfen. Zur Begründung verweist sie auf die Stellungnahme der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren, die sie in wörtli-cher Rede wiedergibt und der die Kammer mit kurzen zusätzlichen Ausführungen beitritt. Demnach sei die behauptete Transsexualtität des Antragstellers nur vor-geschoben, um sich nicht mit den Ursachen für seine Straftaten auseinanderset-zen zu müssen. Hierzu seien die Gründe des Urteils des Landgerichts Hannover vom 22. Februar 2007, das hierzu erstellte Sachverständigengutachten, der Ab-schlussbericht der sozialtherapeutischen Abteilung, ein weiteres im Rahmen des Verfahrens über die vorzeitige Entlassung aus der Haft eingeholtes Sachverstän-digengutachten eines Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie die Einschätzung eines hinzugezogenen Psychiaters, der Gespräche mit dem Antrag-steller geführt hat, ausgewertet worden. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 14 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG, der eine Ausführung zu einem externen Fachpsychologen rechtfertigen könnte, liege demnach nicht vor. Der Erwerb von Damenbekleidung komme nicht in Betracht, weil die vom Antragsteller erstrebte Alltagserprobung im Sinne der wissenschaftlichen Empfehlungen nicht sozialverträglich innerhalb einer Haftanstalt des geschlossenen Männervollzugs vorgenommen werden könne. Der Schutz des Antragstellers vor zu befürchtenden Übergriffen anderer Gefangener sei höher einzuschätzen als seine sexuelle Orientierungslosigkeit. Auch wenn der Antragsteller die Kleidung erst nach Einschluss tragen wolle, könne nicht ausge-schlossen werden, dass diese Sachen von anderen Mitgefangenen entdeckt wer-den würden. Die sichergestellten Gegenstände habe der Antragsteller schließlich über den Einkauf der Antragsgegnerin erhalten und bedurfte insoweit keiner weite-ren Zustimmung für den Erwerb. Jedoch seien solche Gegenstände lediglich für weibliche Inhaftierte vorgesehen. Zudem müsste der Antragsteller bei Entdecken auch dieser Gegenstände durch andere Gefangene mit tätlichen Auseinanderset-zungen rechnen.

Gegen den angefochtenen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des An-tragstellers. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Der Be-schluss gebe in unzulässiger Weise allein die Stellungnahme der Antragsgegnerin wieder, die ungeprüft der Entscheidung der Kammer zugrunde gelegt worden sei. Bei Transsexualität handele es sich um eine Krankheit, die einen Anspruch auf ärztliche Behandlung nach § 57 NJVollzG begründe. Die Verweigerung des Besit-zes von Damenbekleidung und Kosmetika verstoße gegen Art. 3 Abs. 3 GG.

Der zentrale juristische Dienst für den niedersächsischen Justizvollzug hat zur Rechtsbeschwerde des Antragstellers Stellung genommen und beantragt, den angefochtenen Beschluss im Ganzen aufzuheben und die Sache an die Kammer zurückzuverweisen. Die Bezugnahme der Kammer auf die Stellungnahme der An-tragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren genüge nicht den inhaltlichen Anforde-rungen, die § 115 StVollzG für die Darstellung im Beschluss aufstelle. Der Senat werde daher nicht in die Lage versetzt, die Entscheidung der Kammer auf Rechts-fehler zu überprüfen. Im Übrigen lasse der Beschluss nicht erkennen, dass sich die Kammer mit den Voraussetzungen der heranzuziehenden Rechtsgrundlagen für die Maßnahmen der Antragsgegnerin erschöpfend befasst habe.

II.

Die Rechtsbeschwerde hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Er-folg. Im Übrigen ist sie zwar zulässig, aber unbegründet.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zunächst zulässig im Sinne des § 116 StVollzG, weil es geboten ist, die Nachprüfung zur Fortbildung des Rechts zu ermöglichen. Zur rechtlichen Stellung von Transsexuellen oder Menschen mit transsexuellen Nei-gungen im Strafvollzug hat der Senat bislang keine Stellung genommen. Im Übri-gen gilt es, den im Folgenden dargestellten Rechtsfehlern entgegenzutreten. Un-zulässig ist indessen die vom Antragsteller erhobene Verfahrensrüge, weil sie den sich aus § 118 Abs. 2 Satz 2 StVollzG ergebenden erhöhten Darlegungsanforde-rungen nicht genügt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch zumindest teilweise begründet und führt zur Zurückverweisung der Sache an die Kammer.

a. Hinsichtlich der vom Antragsteller begehrten Behandlung bei einem externen Fachpsychologen hat die Rechtsbeschwerde indessen keinen durchgreifenden Rechtsfehler aufgedeckt.

aa. Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, ein Rechtsfehler liege bereits darin, dass sich der Beschluss in einer Wiedergabe der Stellungnahme der Antragsgegnerin erschöpft, kann dem nicht gefolgt werden. Zu den sich aus § 115 StVollzG für die Darstellung des Beschlusses ergebenden Anforderungen hat der Senat in der Vergangenheit mehrfach ausgeführt, dass das Gericht die entscheidungserhebli-chen Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte so vollständig und nachvollzieh-bar wiedergeben muss, dass eine hinreichende Überprüfung des Beschlusses im Rechtsbeschwerdeverfahren möglich ist. Daran hat sich auch durch die Neufas-sung des § 115 Abs. 1 StVollzG durch das am 1. April 2005 in Kraft getretene Siebte Gesetz zur Änderung des Strafvollzugsgesetzes vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 930) im Grundsatz nichts geändert; nach wie vor will der Gesetzgeber die vollständige und unschwere Überprüfbarkeit der gerichtlichen Entscheidung in der Rechtsbeschwerdeinstanz sicherstellen (vgl. OLG Celle, Nds. Rpfl. 2005, 379; OLG Hamburg NStZ 2005, 592; OLG Nürnberg ZfStrVo 2006, 122; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2007, 325). Ausdrücklich hat der Gesetzgeber in § 115 Abs. 1 Satz 2 StVollzG festgeschrieben, dass der Sach- und Streitstand seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt zusammengestellt werden muss. Danach muss der Tatbestand insgesamt eine sowohl für die Beteiligten als auch für außenstehende Dritte verständliche, klare, vollständige und richtige Grundlage der Entscheidung bieten (ebenda). Nur hinsichtlich der Einzelheiten lässt § 115 Abs. 1 Satz 3 die Bezugnahme auf Aktenbestandteile zu. Diese Bezugnahme darf dabei indes nicht allgemein, sondern muss ausdrücklich durch konkrete Bezeichnung der einzelnen Schriftstücke nach Herkunft und Datum erfolgen. Des Weiteren muss sie zutreffen. Die Entscheidungsgründe müssen die Gründe wiedergeben, die für die richterliche Überzeugungsbildung zum Sachverhalt und für dessen rechtliche Beurteilung im Einzelnen maßgebend gewesen sind (ebenda). Möglich ist hier aber auch die Bezugnahme auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung, allerdings nur, soweit dadurch die Verständlichkeit der Darstellung und der Begründung aus sich heraus nicht in Frage gestellt wird (ebenda), und - wie § 115 Abs. 1 Satz 4 StVollzG auch ausdrücklich herausstellt - deutlich wird, dass sich das Gericht diese Überlegungen zu eigen macht.

Dem wird der angefochtene Beschluss - soweit es die vom Antragsteller er-wünschte psychologische Behandlung betrifft - (noch) gerecht. Durch die wörtliche Wiedergabe der Ausführungen der Antragsgegnerin werden dem Senat lückenfrei der Sachverhalt und die der Entscheidung zugrundeliegenden Erwägungen der Antragsgegnerin mitgeteilt. Diesen hat sich auch die Kammer angeschlossen. Dem steht auch nicht die Entscheidung des Senats vom 18. Januar 2010 (1 Ws 569/09 (StrVollz)) entgegen, wonach eine Bezugnahme nur auf die Begrün-dung der angefochtenen Maßnahme der Antragsgegnerin, nicht aber auf deren im gerichtlichen Verfahren erfolgte Stellungnahme zulässig ist. Lässt sich nämlich aus der Stellungnahme der Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren zugleich wie hier - die Begründung für die angefochtene Maßnahme entnehmen, ist zumindest im Fall der wörtlichen Wiedergabe der Ausführungen der Antragsgegnerin gegen die von der Kammer vorgenommene Darstellung von Rechts wegen nichts zu erinnern.

bb. Es stellt indessen einen Rechtsfehler dar, dass sowohl die Antragsgegnerin als auch ihr folgend die Kammer den Antrag des Antragstellers auf Veranlassung einer psychologischen Betreuung durch einen Fachpsychologen lediglich unter dem Gesichtspunkt gewürdigt haben, ob ein wichtiger Anlass für eine Ausführung des Antragstellers gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG vorgelegen hat. Erkennbar ging es dem Antragsteller nämlich in erster Linie mit seinem Begehren darum, ei-ne psychologische Betreuung aufgrund der von ihm behaupteten Transsexualität zu erhalten. Ein solches Begehren ist nicht an § 14 Abs. 1 Satz 2 NJVollzG, son-dern an §§ 56 ff NJVollzG zu messen.

(1) Nach §§ 56 ff NJVollzG hat die Vollzugsbehörde den Gefangenen allumfas-sende Heilfürsorge zu gewähren; ihnen steht ein Rechtsanspruch auf Gewährung der hierfür notwendigen Leistungen zu (vgl. Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsge-setz, § 56 Rn. 1). Ihrer Verpflichtung kommt die Vollzugsbehörde zunächst durch Einrichtung und Unterhaltung der ärztlichen Versorgung (§ 180 NJVollzG) und durch Maßnahmen der Gesundheitsfürsorge nach. Diese umfassen nach § 57 Abs. 1 und 2 NJVollzG bzw. § 59 NJVollzG i.V.m. den Regelungen im SGB V ei-nen Anspruch des Gefangenen auf Krankenbehandlung durch ärztliche Behand-lung einschließlich Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Be-handlung. Als Krankheit ist ein regelwidriger, d.h. ein vom Leitbild eines gesunden Menschen abweichender Körper- oder Geisteszustand anzusehen, der ärztlicher Betreuung bedarf (BSGE 35, 10, 12). Auch Erkrankungen im psychischen oder psychiatrischen Bereich fallen hierunter; gleiches gilt für Beeinträchtigungen, die ihre Ursache in einem gestörten Verhältnis zwischen seelischem und körperlichem Zustand haben. Sämtliche Erkrankungen begründen einen Anspruch auf fachge-rechte Therapie (OLG Karlsruhe, NJW 2001, 3422; OLG Frankfurt NStZ 1981, 320; Calliess/Müller-Dietz, a.a.O., § 58 Rn. 1).

(2) Transsexualität ist als Krankheit in dem zuletzt genannten Sinne anerkannt (vgl. OLG Karlsruhe a.a.O mit weiterführenden Nachweisen; vgl. auch ICD-10 F 64.0). Sie ist durch die vollständige psychische Identifikation mit dem anderen, d.h. dem eigenen Körper widersprechenden Geschlecht gekennzeichnet. Der/Die Transsexuelle fühlt sich dem anderen Geschlecht ganz und gar zugehörig. Die Geschlechtsorgane empfindet er/sie im Gegensatz zu Homosexuellen, Transvesti-ten und Fetischisten als Irrtum der Natur. Das Verhältnis des seelischen zum kör-perlichen Zustand entspricht daher nicht demjenigen eines gesunden Menschen.

cc. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt indessen nicht zum Erfolg der Rechtsbe-schwerde, weil anhand der Beschlussgründe ausgeschlossen werden kann, dass dem Antragsteller ein Anspruch auf Behandlung durch den von ihm benannten Fachpsychologen zusteht. Denn die Antragsgegnerin - bzw. das insoweit tätig ge-wordene medizinische Personal - ist wie die Kammer der Überzeugung, dass bei dem Antragsteller ein Krankheitsbild „Transsexualismus“ überhaupt nicht vorliegt. Insoweit sind in nicht zu beanstandender Weise alle zur Verfügung stehenden Er-kenntnisquellen bemüht worden. Weder aus den vorliegenden Sachverständigen-gutachten, noch aus der Behandlung durch die sozialtherapeutische Einrichtung noch durch Explorationsgespräche eines von der Antragsgegnerin hinzugezoge-nen Psychiaters sind Anzeichen dafür aufgedeckt worden, dass bei dem Antrag-steller eine psychische Erkrankung vorliegt. Allein der Antragsteller selbst behaup-tet, seit längerer Zeit transsexuell zu sein. Mit der Entscheidung, eine Behand-lungserforderlichkeit zu verneinen, hat sich die Antragsgegnerin damit innerhalb des ihr zustehenden Ermessens bewegt. Einer gerichtlichen Kontrolle unterfällt eine ärztliche Entscheidung aber nur, wenn erkennbar ist, dass der Anstaltsarzt die Grenzen des pflichtgemäßen ärztlichen Ermessens überschritten hat (vgl. OLG Frankfurt, a.a.O.). Dass die Kammer hierzu selbst keine Ausführungen gemacht hat, ist wegen der Spruchreife der Sache, die dem Senat eine eigenständige Entscheidung nach § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG ermöglicht, für den ausbleibenden Erfolg der Rechtsbeschwerde ohne Bedeutung.

b. Keinen Bestand haben konnte der angefochtene Beschluss indessen, soweit dem Antragsteller der Erwerb von Damenbekleidung verweigert worden ist.

aa. Der angefochtene Beschluss war insoweit bereits aufzuheben, weil diesem schon ein konkreter Antrag des Antragstellers nicht zu entnehmen ist. Der Begriff der „Damenober- und unterbekleidung“ ist nämlich zu allgemein gehalten, um feststellen zu können, was der Antragsteller im Einzelfall begehrt. Erschöpft sich das Vorbringen des Antragstellers lediglich in der von der Kammer verwendeten Formulierung, dürfte der Antrag des Antragstellers bereits mangels konkreter Be-zeichnung der von ihm begehrten Kleidungsstücke als unzulässig zurückzuweisen sein. Mangels Wiedergabe oder Bezugnahme des Antrags im angefochtenen Be-schluss ist dem Senat indessen eine abschließende Beurteilung insoweit verwehrt.

bb. Darüber hinaus gibt der angefochtene Beschluss Anlass zur Beanstandung, weil die Antragsgegnerin wie auch die Kammer die Versagung des Erwerbs von Kleidung allein an § 76 Abs. 1 NJVollzG beurteilt haben. Diese Vorschrift regelt nur allgemein die Frage, ob und wann ein Gefangener Sachen in seinem Gewahr-sam haben darf. Maßgebend für den vorliegenden Fall ist aber vorrangig § 22 NJVollzG (vgl. auch KG, NStZ 2006, 583), der einem Gefangenen den Anspruch auf das Tragen eigener Kleidung einräumt. Anders als nach der vergleichbaren Regelung des § 20 StVollzG steht die Erlaubnis zum Tragen eigener Kleidung auch nicht im Ermessen der Vollzugsanstalt. Dadurch werden zugleich die Krite-rien für die Zustimmung der Vollzugsbehörde im Sinne des § 76 Abs. 1 NJVollzG zur Überlassung von Kleidung an den Gefangenen bestimmt (vgl. Schwind/Böhm/Jehle/Laubenthal-Thomas/Ullenbruch, § 83 StVollzG, Rn. 2). All-gemeine Zweckmäßigkeitserwägungen, auf die sich die Antragsgegnerin bei der Prüfung, ob ein Gefangener Sachen im Gewahrsam haben darf, berufen könnte, sind damit ausgeschlossen. Eine Versagung einzelner Kleidungsstücke kann demnach allein auf der Grundlage der Allgemeinklausel des § 3 Satz 2 NJVollzG vorgenommen werden. Danach können zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung der Anstalt erforderliche Beschränkungen dem Gefangenen auferlegt werden.

(1) Soweit die Antragsgegnerin bei ihrer Versagung darauf abgestellt hat, dass der Erwerb von Damenbekleidungsstücken nur für weibliche Inhaftierte vorgesehen ist, stellt dies keinen Umstand dar, der die Annahme einer Gefahr für die Anstalt vorsieht. Das Tragen eigener Kleidung ist Ausdruck des durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das auch die Selbstbestimmung des Einzelnen über die Darstellung der Person schützt. Der Einzelne soll selbst darüber befinden dürfen, wie er sich gegenüber Dritten oder der Öffentlichkeit darstellen will und was seinen sozialen Geltungsanspruch aus-machen soll (vgl. BVerfG NJW 2000, 1400). Tradierte Rollenerwartungen können dabei nicht zur Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen dienen (vgl. BVerfG NJW 2009, 661). Einer solchen Anschauung steht bereits Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG entgegen. Danach sind an das Geschlecht anknüpfende differenzierende Rege-lungen nur erlaubt, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind, oder eine Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht sie ausnahmswei-se legitimiert (vgl. BVerfG a.a.O).

(2) Ebenfalls für die Beurteilung der Gefahr nicht heranzuziehen ist die Erwägung der Antragsgegnerin, dass die vom Antragsteller beabsichtigte und in der Wissen-schaft für die Behandlung von Transsexuellen empfohlene sogenannte Alltagser-probung nicht in sozialverträglicher Art und Weise in einem geschlossenen Män-nervollzug durchgeführt werden könne. Der Antragsteller selbst hat seinen Antrag auf das Tragen von Damenbekleidung nach Einschluss beschränkt. Eine All-tagserprobung im Sinne der wissenschaftlichen Empfehlungen, im realen Leben seine neue soziale Rolle ganz normal zu leben, kann also überhaupt nicht stattfin-den. Will der Antragsteller aber dennoch die von ihm gewählte Kleidung - sozusa-gen nur für sich - tragen, kann ihm dies nicht mit der Begründung, die Vorausset-zungen für eine sozialverträgliche Alltagserprobung seien vor Ort nicht gegeben, versagt werden.

(3) Allein der Gesichtspunkt, dass der Antragsteller sexuellen und gewalttätigen Angriffen anderer Gefangener ausgesetzt sein könnte, wenn diese von den Vor-lieben des Antragstellers durch Entdecken entsprechender Kleidungsstücke Kenntnis bekommen würden, könnte ein zulässiges Kriterium für eine Versagung aus Gründen der Sicherheit der Anstalt darstellen. Hierbei wird die Kammer bei der neu zu treffenden Entscheidung indessen zu berücksichtigen haben, dass nicht jede Art von Damenoberbekleidung geeignet sein dürfte, gewalttätiges Vor-gehen anderer Gefangener gegenüber dem Antragsteller auszulösen. Explizit
T-Shirts, Jacken oder Pullovern ist nicht ohne Weiteres anzusehen, ob sie der Damen- oder Herrenmode zuzurechnen sind. Vielmehr wird das Vorliegen einer Gefahr für die Anstalt von der Ausgestaltung der einzelnen vom Antragsteller be-gehrten Kleidungsstücke abhängen.

(4) Selbst bei Bejahung einer das Ermessen der Antragsgegnerin eröffnenden Gefahr wäre der angefochtene Beschluss gleichsam aufzuheben gewesen. Denn die sich hieraus ergebenden Erwägungen der Antragsgegnerin greifen zu kurz, wenn diese darauf abstellt, der Antragsteller wäre bei Entdeckung entsprechender Kleidung tätlichen und sexuellen Angriffen anderer Gefangener ausgesetzt. Die Antragsgegnerin hat dabei nämlich nicht in ihre Überlegungen einfließen lassen, dass die Gefahr, der sie begegnen will, nicht von dem als Nichtstörer in Anspruch genommenen Antragssteller, sondern von anderen Gefangenen ausgeht. Es ist mit den Grundsätzen rechtsstaatlicher Zurechnung indessen unvereinbar, wenn die Gefahr, dass bestimmte Personen sich in rechtswidriger Weise verhalten, nicht im Regelfall vorrangig diesen Personen zugerechnet und nach Möglichkeit durch ihnen gegenüber zu ergreifende Maßnahmen abgewehrt wird, sondern ohne weiteres Dritte oder gar die potentiellen Opfer des drohenden rechtswidrigen Verhaltens zum Objekt eingreifender Maßnahmen der Gefahrenabwehr gemacht werden (vgl. BVerfG StV 2011, 35; BVerfGE 69, 315 (360)). Rechtsstaatliche Zurechnung muss darauf ausgerichtet sein, nicht rechtswidriges, sondern rechtmäßiges Verhalten zu begünstigen (vgl. BVerfGE 116, 24 (49)). Dem läuft es grundsätzlich zuwider, wenn Maßnahmen zur Abwehr drohenden rechtswidrigen Verhaltens nicht vorrangig gegen den oder die Störer, sondern ohne weiteres - und in Grundrechte eingreifend - gegen den von solchem rechtswidrigen Verhalten potentiell Betroffenen ergriffen werden. Sind in einer Haftanstalt Maßnahmen zum Schutz eines Gefangenen vor Bedrohung durch Dritte erforderlich, müssen daher vorrangig bestehende - gegebenenfalls auch disziplinarische - Möglichkeiten der Einwirkung auf diejenigen ausgeschöpft werden, von denen die Bedrohung ausgeht. Eingreifende Maßnahmen gegenüber dem Bedrohten dürfen die Gerichte nicht anordnen oder billigen, ohne geprüft zu haben, ob sie nach diesen Grundsätzen unentbehrlich sind (vgl. BVerfG StV 2011, 35). Im Übrigen hätten auch Überlegungen zu weniger einschneidenden Maßnahmen auf der Hand gelegen (§ 4 NJVollzG), die den Ausführungen des angefochtenen Beschlusses indessen nicht zu entnehmen sind. So könnte daran zu denken sein, dass die Kleidungsstücke, die der Antragsteller nach Einschluss trägt, in den Zeiten des Umschlusses zu seiner Habe genommen werden könnten, so dass der von der Antragsgegnerin gehegten Befürchtung, andere Gefangene könnten die Kleidung entdecken, wirksam begegnet werden könnte.

c. Soweit der Antragsteller sich gegen die Sicherstellung der in seinem Haftraum aufgefundenen Gegenstände wendet, hatte die Rechtsbeschwerde ebenfalls Er-folg. Hierzu wird auf die bereits unter b. dargestellten Erwägungen, die gleichsam für den Besitz von Kosmetika als traditionell Frauen zugeordneten Gegenständen gelten, Bezug genommen. Zudem kommt hinzu, dass nach den Gründen des Be-schlusses der Antragsteller die sichergestellten Sachen bereits über den Einkauf der Antragsgegnerin erhalten hatte und somit durch diese bezüglich des Erwerbs genehmigt worden sind. Die Sicherstellung stellte den Widerruf eines begünsti-genden Verwaltungsaktes dar. Denn die Erlaubnis zum Erwerb von Gegenständen beinhaltet regelmäßig auch die Erlaubnis zum Besitz, solange sich die Vollzugs-behörde keinen entsprechenden Vorbehalt einräumt (vgl. OLG Celle, Beschluss des 1. Strafsenats vom 13. Oktober 2010, 1 Ws 488/10 (StrVollz); nur Leitsatz in NStZ-RR 2011, 31) und ein solcher vorliegend nicht erkennbar ist. Mithin hatte sich die Sicherstellung an § 100 NJVollzG i.V.m. § 1 NdsVwVfG i.V.m. §§ 48, 49 VwVfG zu messen. Da Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit der zunächst erteil-ten Genehmigung nicht gegeben sind, konnte der Widerruf nur nach § 49 Abs. 2 VwVfG erfolgen. Auf § 49 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG konnte dieser dabei nicht gestützt werden, weil dieser nur bei nachträglich eingetretenen Tatsachen Anwendung fin-det, ohne dass es auf den Zeitpunkt der Kenntnis dieser Tatsachen durch die An-tragsgegnerin ankommt (vgl. OLG Celle a.a.O.). Allein § 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG, der zur Verhütung schwerer Nachteile für das Gemeinwohl den Widerruf einer be-günstigenden Maßnahme ermöglichen kann, kam als Rechtsgrundlage für die er-folgte Sicherstellung in Betracht. Denn hierzu zählen auch das Leben und die Ge-sundheit Einzelner, deren Schutz unter Berücksichtigung von Art. 1 und Art. 2 GG eine vorrangige Aufgabe der Gemeinschaft ist (vgl. Kopp/Ramsauer, § 49 VwVfG, Rn. 56). Bei der dadurch eröffneten Ermessensentscheidung wäre indessen die Betroffenheit von Grundrechtspositionen des Antragstellers (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG) zu berücksichtigen gewesen, die - jedenfalls so-weit dem Beschluss zu entnehmen - in die gebotene Abwägung der Antragsgeg-nerin nicht eingeflossen ist. Vielmehr deutet der angefochtene Beschluss darauf hin, dass die Antragsgegnerin von einem strikten Vorrang der Gefahrenabwehr ausgegangen ist. Ob weitere Erwägungen, insbesondere auch dahingehend, ob die Gefahr auf mildere Weise abgewendet werden kann, erfolgt sind, ist mangels Darstellung der von der Antragsgegnerin insoweit vertretenen Begründung für den Senat nicht erkennbar.

3. Im Umfang der Aufhebung war die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen (§ 119 Abs. 4 Satz 3 StVollzG). Der Senat war aufgrund der vorgenannten Überlegungen nicht in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden oder die Antragsgegnerin zu einer Neubescheidung zu verpflichten (§ 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG).

III.

Der Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwältin P. war zurückzuweisen, da trotz Ankündigung eine Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers nicht zu den Akten gelangt ist.

IV.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 1 Nr. 8, 52 Abs. 1, 60, 63 Abs. 3, 65 GKG.

Einsender: 1. Strafsenat des OLG Celle

Anmerkung:


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