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Entscheidungen

StPO

Akteneinsicht, Pflichtverteidiger, Wahlverteidiger

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Naumburg, Beschl. v. 21.01.2011 - 1 Ws 52/11

Fundstellen:

Leitsatz: Den durch die Akteneinsicht seines Pflichtverteidigers gewonnenen Erkenntnisstand hat sich der Beschwerdeführer zurechnen zu lassen.


In pp.

Die weitere Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Halle vom 17. Dezember 2010 wird als unbegründet verworfen.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Halle (Saale) hat am 22. Oktober 2010 wegen des dringenden Tatverdachts des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 5 Fällen und des gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 4 Fällen, gestützt auf den Haftgrund der Fluchtgefahr Haftbefehl (395 Gs 671/10) gegen den Beschuldigten erlassen. Dieser befindet sich seit der am 26. Oktober 2010 erfolgten Verkündung des Haftbefehls in Untersuchungshaft.
Mit Beschluss vom 26. Oktober 2010 ordnete das Amtsgericht Halle den nach Angabe des Beschuldigten mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragten Rechtsanwalt Fe. aus H. als Pflichtverteidiger bei, dessen Gesuch auf Akteneinsicht durch staatsanwaltschaftliche Verfügung vom 29. Oktober 2010 entsprochen wurde.
Mit Schriftsatz vom 15. November 2010 zeigte Rechtsanwalt F. aus B. unter Voll-machtsvorlage die Verteidigung des Beschuldigten an und beantragte Akteneinsicht. Mit Schriftsatz vom 28. November 2010 erhob Rechtsanwalt F. namens und in Vollmacht des Beschuldigten Haftbeschwerde sowie mit weiterem Schriftsatz vom 08. Dezember 2010 Untätigkeitsbeschwerde wegen der Nichtbescheidung der Haftbeschwerde vom 28. November 2010.
Mit Beschluss vom 17. Dezember 2010 (2b Qs 506 Js 31451/09 (226/10) und 2b Qs 506 Js 31451/09 (227/10) ) hat die 2. große Strafkammer des Landgerichts Halle die Beschwerde gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts Halle (Saale) vom 22. Oktober 2010 als unbegründet verworfen und zugleich die Untätigkeitsbeschwerde vom 08. Dezember 2010 gegen die Nichtbescheidung der mit Schriftsatz vom 28. November 2010 eingelegten Haftbeschwerde für erledigt erklärt.
Der hiergegen gerichteten weiteren Beschwerde des Beschuldigten vom 05. Januar 2011 hat das Landgericht Halle durch Beschluss vom 12. Januar 2011 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. Ausweislich der Verfügung der Staatsanwaltschaft Halle vom 13. Januar 011 wurde Rechtsanwalt F. zur Gewährung der Akteneinsicht eine CD mit Akteninhalt übersandt.
II.
Die gemäß § 310 Abs. 1 StPO zulässige weitere Beschwerde des Beschuldigten hat in der Sache keinen Erfolg.
Der Beschuldigte ist der ihm mit Haftbefehl des Amtsgerichts Halle vom 22. Oktober 2010 zur Last gelegten Straftaten nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen aufgrund der im Haftbefehl bezeichneten Beweismittel, namentlich der Erkenntnisse aus den erfolgten Telekommunikations- und Observationsmaßnahmen sowie dem Gutachten des Landeskriminalamts Sachsen vom 23. Juni 2010 dringend verdächtig. Die nur fragmentarische Einlassung des Beschuldigten, er kenne die im Haftbefehl stehenden Namen nicht und habe auch kein Hotel gesucht, ist nicht geeignet, den bestehenden dringenden Tatverdacht zu entkräften.
Gegen den Beschuldigten besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO, weil bei Würdigung aller Umstände des Falles es wahrscheinlicher ist, dass sich der Angeklagte dem Strafverfahren entziehen, als dass er sich ihm zur Verfügung halten werde. Im Falle einer Verurteilung müsste der Beschuldigte mit der Verbüßung einer deutlich über 5 Jahre liegenden Freiheitsstrafe rechnen, mithin einer Strafe, die einen erheblichen Fluchtanreiz begründet, wohingegen mögliche Flucht hemmende Umstände nicht ersichtlich sind.
Angesichts der Schwere des Tatvorwurfs bestehen an der Verhältnismäßigkeit der getroffenen Haftanordnung keine Bedenken. Dass der Zweck der Untersuchungshaft durch mildere Mittel erreicht werden könnte (§ 116 Abs. 2 StPO) ist demgegenüber nicht ersichtlich. Ein Verstoß gegen das in Haftsachen geltende besondere Beschleunigungsgebot liegt angesichts des Umfangs des Verfahrens, das sich neben dem Beschuldigten gegen weitere mutmaßliche Bandenmitglieder richtet, trotz der seit fast 3 Monaten an dem Beschuldigten vollzogenen Untersuchungshaft nicht vor. Ein solcher Verstoß wird hier insbesondere auch nicht durch eine möglicherweise vorliegende Überschreitung der 3-Tage-Frist des § 306 Abs. 2 2. Halbsatz StPO begründet. Nach den dem Senat vorliegenden Akten ist ein Eingang der Haftbeschwerde vom 28. November 2010 bei dem Amtsgericht Halle allerdings erst am 08. Dezember 2010, somit 1 Tag vor der Vorlageverfügung des Amtsgerichts, feststellbar. Doch selbst wenn der Eingang des Rechtsmittels bei dem Amtsgericht früher erfolgt und die 3-Tage-Frist überschritten worden ist, liegt kein derartiger Verfahrensmangel vor, der zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führt bzw. eine Aufhebung des Haftbefehls gebietet, da es sich um eine Sollvorschrift handelt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 306 Rn. 11). Hierbei ist auch zu beachten, dass es sich bei dem Tag der Rechtsmitteleinlegung (28. November 2010) um einen Sonntag handelte, eine Vorlage bei dem zuständigen Richter somit frühestens am Montag erfolgen konnte.
Eine Aufhebung des Haftbefehls wegen einer dem Wahlverteidiger nicht rechtzeitig gewährten Akteneinsicht und eines damit einhergehenden Verstoßes gegen das Recht des Beschuldigten auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör ist nicht veranlasst.
Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg hat in ihrer Zuschrift vom 20. Januar 2011 hierzu ausgeführt:
„Soweit sich der Beschuldigte auf die gefestigte Rechtsprechung des Europäischen Ge-richtshofs für Menschenrechte bezieht, wonach die Waffengleichheit zwischen den Verfah-rensbeteiligten nicht gewährleistet sei, wenn dem Verteidiger der Zugang zu denjenigen Schriftstücken in der Ermittlungsakte versagt werde, die für die wirksame Anfechtung der Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung seines Mandanten wesentlich seien (vgl. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zuletzt durch Urteil vom 09.07.2009 – 11364/03; Urteil vom 13.12.2007 – 11364/03) wird Folgendes bemerkt:
Tatsächlich muss mit Blick auf diese gefestigte Rechtsprechung das Verfahren vor dem über die Haftbeschwerde entscheidenden Gericht kontradiktorisch sein und stets „Waffengleichheit“ zwischen den Prozessparteien – dem Staatsanwalt und der Person, der die Freiheit entzogen ist – (hier: dem Beschuldigten) gewährleistet werden. Gerade die Akteneinsicht gewährleistet den Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren, speziell auf Waffengleichheit (vgl. hierzu EGMR, StV 2001, 201 ff., StV 2008, 475 ff.).
Es ist zwar zutreffend, dass hier dem Ersuchen auf Akteneinsicht des Wahlverteidigers des Beschwerdeführers vom 15.11.2010 (Bd. VI Bl. 86 d. A.) erst knapp 2 Monate später (Bd. VI Bl. 122 d. A.) entsprochen wurde. Allerdings lässt sich daraus – entgegen dem Beschwerdevorbringen – kein Verstoß gegen ein faires rechtsstaatliches Verfahren und Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör herleiten, mit der Folge, dass im Ergebnis der Haftbefehl aufzuheben sei.
Das rechtliche Gehör soll als objektiv rechtliches Verfahrensprinzip, das für ein rechtsstaatliches Verfahren im Sinne des Grundgesetzes konstitutiv und grundsätzlich unabdingbar ist (vgl. BVerfGE 55, 1, 6), den Beteiligten ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung mit der Folge sichern, dass sie ihr Verhalten im Prozess selbst bestimmen und situationsspezifisch gestalten können (vgl. BVerfGE, Beschluss vom 19.01.2006 -2 BvR 1075/05). Der Einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE, a. a. O.). Es wird nicht verkannt, dass diesen Grundsätzen besondere Bedeutung zukommt, wenn im strafprozessualen Ermittlungsverfahren Eingriffsmaßnahmen ohne vorherige Anhörung des Betroffenen gerichtlich angeordnet werden. Unabhängig davon, dass hier das rechtliche Gehör dem Wahlverteidiger jedenfalls – nachträglich – im Beschwerdeverfahren mit der Übersendung der CD gewährt wurde, liegt hier ein Verstoß gegen die „Waffengleichheit“ nicht vor.
Im vorliegenden Fall ist ein wesentlicher Umstand zu berücksichtigen, der bei den vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geführten Individualbeschwerden nicht gegeben war. Hierauf hat die Kammer in ihrem Nichtabhilfebeschluss vom 12.01.2011 bereits zutreffend hingewiesen (Bd. VI Bl. 126 d. A.). Hier wurde dem Pflichtverteidiger des Beschuldigten Rechtsanwalt Fe. bereits Ende Oktober 2010 (Bd. VI Bl. 56 d. A.) Einsicht in die Akten gewährt, auf die sich der Verdacht gegen den Beschuldigten im Wesentlichen stützt. Daraus folgt, dass – obgleich seinem Wahlverteidiger die Akteneinsicht (noch) nicht gewährt worden war – der Beschwerdeführer unter diesen Umständen nicht rügen kann, gänzlich im Unklaren gelassen worden zu sein oder nichts von Erkenntnissen gewusst zu haben, die den gegen ihn bestehenden Tatverdacht begründeten. Durch die Akteneinsicht seines Pflichtverteidigers Fe. hatte der Beschuldigte in dieser Phase des Verfahrens damit die Gelegenheit, die Feststellungen, auf die die Staatsanwaltschaft bzw. Gerichte Bezug nahmen, wirksam anzufechten, wie der Grundsatz der „Waffengleichheit“ dies erfordert. Die im Beschwerdeverfahren getroffenen Gerichtsentscheidungen wurden daher auf der Grundlage solcher Tatsachen und Beweismittel getroffen, über die der anwaltlich verteidigte Beschuldigte zuvor sachgemäß unterrichtet wurde und zu denen er sich äußern konnte. Den durch die Akteneinsicht seines Pflichtverteidigers gewonnenen Erkenntnisstand hat sich der Beschwerdeführer zurechnen zu lassen, zumal es der Beschuldigte war, der ausweislich seiner Beschuldigtenvernehmung vom 26.10.2010 (Bd. VI Bl. 82 d. A.), Rechtsanwalt Fe. namentlich benannte und mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen wollte (Vollmacht: Bd. V Bl. 31 d. A.).
Unter Berücksichtigung dieses wesentlichen Umstandes, der sich von dem vor dem Europäi-schen Gerichtshof für Menschenrechte geführten Verfahren erheblich unterscheidet – ist vorliegend die geforderte „Waffengleichheit“ zwischen dem Staatsanwalt und dem Beschuldigten, dessen Freiheit entzogen ist, gewährleistet. Daher ist es unter dem Gesichtspunkt der „Waffengleichheit“ auch ausreichend, den Wahlverteidiger – wie hier – darüber zu informieren, dass der Pflichtverteidiger des Beschuldigten bereits Akteneinsicht erhalten hat.
Da hier der Grundsatz der „Waffengleichheit“ nicht verletzt ist, mithin es dem Beschuldigten nicht unmöglich gemacht wurde, sich durch eine überzeugende Stellungnahme zu den Be-schuldigungen wirksam zu verteidigen, ist der Haftbefehl – auch unter Zugrundelegung der von dem Wahlverteidiger zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NStZ 1994, 551) und unter Berücksichtigung der o. a. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19.01.2006 – 2 BvR 1075/05 – nicht aufzuheben.“
Dem tritt der Senat bei.
Nur ergänzend weist der Senat darauf hin, dass eine weitere Beschwerde gegen die Ent-scheidung des Landgerichts über die mit Schriftsatz vom 08. Dezember 2010 eingelegte „Untätigkeitsbeschwerde“ nicht stattfindet. Eine reine „Untätigkeitsbeschwerde“ ist der StPO fremd (vgl. Meyer-Goßner, a. a. O., § 304 Rn. 3 m. w. N.), soweit sich diese – wie hier – lediglich gegen eine Verfahrensverzögerung richtet. Im Übrigen ist die „Untätigkeitsbeschwerde“ jedenfalls durch die am 09. Dezember 2010 durch das Amtsgericht Halle erfolgte Vorlage prozessual überholt und gegenstandslos geworden.
Gegen diese Entscheidung gibt es kein weiteres Rechtsmittel.


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