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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Habeas-Corpus-Anordnung, brasilianisches Recht, Anrechnung, ausländische Haft

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 28.04. 2011 – 2 Ws 558/10

Fundstellen:

Leitsatz: Die nachträgliche Teilaufhebung einer in einem brasilianischen Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe durch eine Habeas-Corpus-Anordnung nach brasilianischem Recht führt nicht zur Anrechenbarkeit der für jenes Verfahren verbüßten Untersu-chungs- und Strafhaft auf ein deutsches Strafverfahren, für das Auslieferungshaft notiert war.


KAMMERGERICHT
Beschluß
Geschäftsnummer:
2 Ws 558/10
In der Strafsache gegen pp.
zur Zeit in der Justizvollzugsanstalt Tegel,
wegen erpresserischen Menschenraubes u.a.
hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
am 28. April 2011 beschlossen:

Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Be-schluß des Landgerichts Berlin – Strafvollstreckungskam-mer - vom 25. August 2010 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.


G r ü n d e :

Das Landgericht Berlin verurteilte den Beschwerdeführer am
22. Mai 2009 (rechtskräftig seit dem 25. November 2009) wegen erpresserischen Menschenraubes in Tateinheit mit besonders schwerer Vergewaltigung und gefährlicher Körperverletzung (Tatzeit 8. April 2005) zu einer Freiheitsstrafe von acht Jah-ren und ordnete an, daß die in Brasilien vollzogene Ausliefe-rungshaft im Maßstab 1 : 3 auf die Strafe anzurechnen ist.

Wenige Tage nach diesem Verbrechen reiste der Beschwerdeführer nach Brasilien. Am 19. April 2005 wurde er am Flughafen in Rio de Janeiro festgenommen, als er mit 22 Kilogramm Kokain im Ge-päck nach Deutschland ausreisen wollte. Das 4. Bundeskriminal-gericht in Brasilien – Abteilung Rio de Janeiro - 2005.5101503665-7 - verurteilte ihn deshalb am 8. September 2005 wegen Verstoßes gegen Artikel 12,18 Abschnitte I und III des Gesetzes Nr. 6.368/76 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und 83 Tagen Geldstrafe. Gegen dieses Urteil legte er erfolglos Berufung ein. Das regionale Bundesgericht der 2. Re-gion hielt das Urteil mit Mehrheitsbeschluß vom 6. Dezember 2006 aufrecht. Das Urteil ist seit dem 25. Juli 2007 rechts-kräftig.

Während des Berufungsverfahrens trat am 23. August 2006 eine Änderung des dortigen Betäubungsmittelgesetzes in Kraft, das in Artikel 33, § 4 Gesetz 11.343/2006 eine mildere Strafe vorsah als das Gesetz 6.368/1976, welches Grundlage der Verurteilung des Beschwerdeführers war. Der Beschwerdeführer hatte deshalb bereits unmittelbar nach dem Beschluß des Bundesgerichts der 2. Region vom Dezember 2006 Klärungsanträge in der Absicht eingereicht, die Anwendung der günstigeren Vorschriften zu erzielen. Diese Anträge wurden mit der Begründung abgelehnt, daß die Gerichtskammer „ihre Pflicht in der Sitzung vom 20. Oktober erfüllt habe und deswegen verhindert sei, den Rechtsstreit neu zu bewerten, insbesondere was Klärungsanträge betrifft....“
Der Beschwerdeführer strengte daraufhin eine Habeas-Corpus-Anordnung an. Da nach der Reform des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches durch das Gesetz 7.209/1984 in Artikel 2 be-stimmt worden war, daß das spätere Gesetz, wenn es für den An-geklagten in irgendeiner Form günstiger ist, auf frühere Taten anzuwenden sei, selbst wenn bereits ein rechtswirksames Urteil vorliegt und die Strafe bereits vollstreckt wird, entschied die 6. Kammer des Obersten Gerichtshofs in Brasilia in Anwendung dieses Gesetzes am 6. Mai 2008, die ursprünglich auf fünf Jahre festgesetzte Strafe auf ein Jahr und zwei Monate Frei-heitsstrafe und 18 Tagessätze zu ermäßigen. Die gemilderte Strafe wäre demnach am 18. Juni 2006 vollständig in Brasilien verbüßt gewesen.

Aufgrund eines Auslieferungsersuchens in hiesiger Sache ordnete der Oberste Gerichtshof in Brasilia am 30. November 2005 gegen den Verurteilten die vorläufige Auslieferungshaft an und bewilligte am 22. März 2007 (rechtskräftig seit dem 11. Mai 2007) das Auslieferungsbegehren mit der Maßgabe, daß er zu-nächst seine in Brasilien verhängte Strafe verbüßen müsse, be-vor er ausgeliefert werde.

Auf die hiesige Anfrage zur Dauer der Auslieferungshaft teilte das brasilianischen Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten am 10. Juni 2008 mit, daß sich der Verurteilte dort weiterhin zur Haftverbüßung seiner fünfjährigen Haftstrafe im Justiz-vollzug befinde. Mit Verbalnote vom 29. Juli 2010 teilte das brasilianische Ministerium für auswärtige Angelegenheiten er-gänzend mit, daß am 22. September 2008 die Entlassung des Ver-urteilten verfügt worden sei, da seine bei der brasilianischen Justiz anhängigen Verfahren beendet gewesen seien. Dies hatte das brasilianische Justizministerium bereits am 1. Juli 2010 vorab informell mitgeteilt.

Die Auslieferung erfolgte am 26. November 2008. Am 27. November 2008 wurde der Beschwerdeführer in Deutschland festgenommen und befand sich bis zum 24. November 2009 in Untersuchungshaft. Die Strafe wird seit dem 25. November 2009 vollstreckt. Die Vollstreckungsbehörde hat den Beginn der Auslieferungshaft mit dem Tag der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Brasilia vom 6. Mai 2008 bestimmt. Danach sind zwei Drittel der Strafe am 17. Juli 2012 verbüßt. Das vorläufige Strafende ist auf den 20. März 2015 notiert.

Der Beschwerdeführer macht Einwendungen gegen die Vollstrekkung geltend und begehrt seine sofortige Haftentlassung. Er ist der Auffassung, er habe sich wegen der nachträglichen Ermäßigung der Strafe durch Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 6. Mai 2008 bereits seit dem 19. Juni 2006 in Brasilien in Auslieferungshaft befunden. Diese Zeit sei im Maßstab 1:3 auf die mit Urteil des Landgerichts Berlin vom 22. Mai 2009 fest-gesetzte Strafe anzurechnen. Die Vollstreckung der Strafe aus diesem Urteil sei deshalb durch die anzurechnende Ausliefe-rungshaft erledigt.

Hilfsweise beantragt er eine Entlassung nach § 57 Abs. 1 StGB, falls das Gericht davon ausgehen sollte, daß die Ausliefe-rungshaft erst mit dem endgültigen Auslieferungsbeschluß vom 15. März 2007 vollzogen worden sei. Danach seien bereits mehr als zwei Drittel der Strafe verbüßt.

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Landgericht Berlin – Strafvollstreckungskammer – die Einwendungen des Verurteilten gegen die Strafzeitberechnung abgelehnt und seinen Hilfsantrag als unbegründet verworfen. Der Verurteilte habe sich erst seit dem 6. Mai 2008 in Auslieferungshaft befunden. Davor sei bis zur erstinstanzlichen Verurteilung Untersuchungshaft und danach Strafhaft vollzogen worden. Diese könne auch nicht gemäß dem Rechtsgedanken der funktionalen Verfahrenseinheit auf die hiesige Strafe angerechnet werden.

Mit seiner dagegen eingelegten sofortigen Beschwerde macht der Verurteilte geltend, daß der Oberste Gerichtshof mit seinem Beschluß vom 6. Mai 2008 die Strafe auf ein Jahr und zwei Mo-nate festgesetzt und damit festgestellt habe, daß die Verbüßung der Strafe über den daraus resultierenden Endzeitpunkt, den 19. Juni 2006 hinaus, rechtswidrig gewesen sei. Deshalb sei bei nachträglicher Betrachtung die Auslieferungshaft bzw. die vorläufige Auslieferungshaft der alleinige Haftgrund gewesen. Diese sei nach § 51 StGB auf die zu vollstreckende Strafe anzurechnen.

Die sofortige Beschwerde ist nach § 462 Abs. 3 S. 1, § 458 StPO zulässig und rechtzeitig (§ 311 StPO) erhoben, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Eine Anrechnung der in Brasilien erlittenen Freiheitsent-ziehung ab dem 19. Juni 2006 ergibt sich nicht unmittelbar aus § 51 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 StGB. Danach ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung, die jemand aus Anlaß der Tat, die Gegenstand des Urteils ist, erlitten hat, grundsätz-lich auf die verhängte Strafe anzurechnen, wenn das Gericht nicht ausdrücklich anderes angeordnet hat. Nach § 51 Abs. 3 Abs. 1 StGB gilt dies auch, wenn der Verurteilte wegen dersel-ben Tat im Ausland bestraft worden ist. Damit soll verhindert werden, daß jemand durch eine Doppelverurteilung schlechter gestellt wird als er stehen würde, wenn er für die Tat nur einmal, nämlich im inländischen Verfahren, verurteilt worden wäre (vgl. BGHSt 35, 172, 177; Senat, Beschluß vom 13. Juni 2007 – 2 Ws 227/07 -).

Das von der Staatsanwaltschaft Berlin wegen der in Brasilien begangen Taten eingeleitete Ermittlungsverfahren 69 Js 169/05, das in einem inneren Zusammenhang mit dem in Brasilien geführte Verfahren stand und später nach § 153 c StPO eingestellt wurde, war zu keinem Zeitpunkt Bestandteil des hiesigen Verfahrens. Die Gefahr einer Doppelverfolgung bestand somit nicht. Die durch das Urteil des Landgerichts Berlin vom
22. Mai 2009 erfaßte Tat ist mit jener nicht identisch.

2. In entsprechender Anwendung des § 51 Abs. 1, 3 Satz 1, 2 iVm Abs. 3 StGB ist über den Wortlaut der Vorschrift hinaus eine Anrechnung von im Ausland vollzogener Strafe nach den Grundsätzen der Anrechnung verfahrensfremder Untersuchungshaft möglich, wenn zwischen der die Untersuchungshaft- und Auslie-ferungshaft auslösenden Tat und der Tat, die der Verurteilung zugrunde liegt, ein funktionaler Zusammenhang besteht (vgl. BVerfG NStZ 1999, 125, 126; BGHSt 43, 112). Daran fehlt es hier.

a) Die für eine Anrechnung erforderliche Verfahrenseinheit zwischen dem am 8. April 2005 in Berlin begangenem erpresseri-schen Menschenraub in Tateinheit mit Vergewaltigung und dem am 19. April 2005 in Rio de Janeiro festgestellten strafbaren Be-sitz und der versuchten Ausführung von Betäubungsmitteln liegt entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht schon deswegen vor, weil mit dem erpreßten Geld möglicherweise später in Brasilien der Erwerb von Betäubungsmitteln finanziert worden ist.

b) Werden Straftaten eines Täters in verschiedenen Strafver-fahren verfolgt, so setzt die Anrechnung der Freiheitsentzie-hung, die er in einem Verfahren erlitten hat, auf die in dem anderen Verfahren verhängte Strafe voraus, daß zwischen der die Untersuchungs- oder Auslieferungshaft auslösenden Tat und der Tat, die der Freiheitsentziehung zugrunde liegt, ein
irgendwie gearteter sachlicher Bezug bestanden hat (vgl. BVerfG, Beschluß vom 25. Januar 2008 - 2 BvR 1532/07- bei ju-ris). Damit soll sichergestellt werden, daß die Summe der Haftzeiten, die der Verurteilte für zwei oder mehrere Verfah-ren, die in einem inneren Zusammenhang stehen, verbüßt, nicht über die Höhe der insgesamt zu vollstreckenden Freiheitsstrafen hinausgeht und Haftzeiten möglicherweise gar nicht angerechnet werden. So ist bei vorliegender Überhaftnotierung ver-fahrensfremde Untersuchungshaft dann auf eine Freiheitsstrafe angerechnet worden, wenn Untersuchungshaft für Verfahren voll-zogen wurde, die später durch eine Einstellung nach § 154 StPO oder einen Freispruch endeten, der Verurteilte jedoch in dem Verfahren, für das Überhaft notiert war, verurteilt wurde (vgl. BVerfG NStZ 1999, 477; NStZ 2000, 277; KG StV 1998, 562), ferner dann, wenn zumindest eine potentielle Gesamt-strafenfähigkeit gegeben war (vgl. BVerfG NStZ 94, 607; 2001, 501). Maßgeblich für eine funktionale Verfahrenseinheit mit der Folge der Anrechnung verfahrensfremder Haft ist stets, daß sich die vorläufige Freiheitsentziehung in der einen Sache auf ein anderes Verfahren verfahrensnützlich ausgewirkt hat (vgl. BGHSt 43, 112, 120).

c) Im hier zu entscheidenden Fall befand sich der Verurteilte ununterbrochen wegen einer in Brasilien begangenen Straftat seit dem 19. Mai 2005 zunächst in Untersuchungshaft und ver-büßte die gegen ihn am 8. September 2005 verhängte Strafe (rechtskräftig seit dem 25. Juli 2007) unter Anrechnung der Untersuchungshaft ab Rechtskraft des Urteils als Strafhaft.

Nach brasilianischem Recht ist - dem deutschen Strafrecht ent-sprechend - die Haft von der Festnahme bis zum Urteil erster Instanz und zwischen dem erstinstanzlichem Urteil und dessen Rechtskraft als Untersuchungshaft zu werten. Erst ab Rechts-kraft des Urteils wird die Strafe als Freiheitsstrafe voll-streckt, auf die die Zeit der schon vollzogenen Untersuchungs-haft angerechnet wird (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Max-Planck-Instituts vom 28. Februar 2011).

Danach hat sich der Verurteilte bis zum 25. Juli 2007 aus-schließlich für das brasilianische Strafverfahren in Untersu-chungshaft und seitdem bis zum 6. Mai 2008 ebenfalls aus-schließlich für jenes Verfahren in Strafhaft befunden. Frühes-tens ab diesem Zeitpunkt wurde die Auslieferungshaft vollzogen, denn nach hiesigem Erkenntnisstand lag nach diesem Zeitpunkt keine weitere gegen den Verurteilten zu vollstreckende Strafe vor.

Dies entspricht den Verbalnoten des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten vom 10. Juni 2008 und vom 29. Juli 2010, wonach der Verurteilte sogar über den 6. Mai 2008 hinaus bis zum 22. September 2008 seine dortige Haftstrafe verbüßt habe.

Auch eine den Beschwerdeführer betreffende Verfahrensabfrage des ordentlichen Gerichts in Rio de Janeiro vom 6. August 2008 zum Strafablauf weist bis zum 16. Juni 2008 eine verbüßte Zeit von drei Jahren, zwei Monaten und sieben Tagen für die am
8. September 2005 vom 4. Bundeskriminalgericht festgesetzte Strafe aus. Vermerkt ist ferner eine „rechtsbeschränkende Strafe von einem Jahr und zwei Monaten“.

Die Verfahrensabfrage weist somit in Kenntnis der Habeas-corpus-Anordnung die bis zu diesem Zeitpunkt verbüßte Strafzeit ebenfalls als Strafverbüßung für die am 8. September 2005 verhängte Strafe aus.

d) Die aufgrund der Habeas-Corpus-Anordnung nach Rechtskraft erfolgte Ermäßigung der Strafe auf ein Jahr und zwei Monate mit der Folge, daß diese mit Ablauf des 19. Juni 2006 als verbüßt gilt, wirkt sich nicht auf die Anrechnung der Auslieferungshaft im hiesigen Verfahren aus und begründet keine rückwirkende Änderung der rechtlichen Einordnung der Haftverhältnisse.

Insbesondere wird dadurch die ab Rechtskraft des Urteils vom 8. September 2005 als Strafhaft vollzogene Freiheitsstrafe nicht nachträglich zu einer als anzurechnende Auslieferungshaft vollzogenen Strafe. Denn vollzogen wird immer nur die Haft für ein einziges Verfahren und nie diejenige, für die
Überhaft – im Streitfall Auslieferungshaft für den Haftbefehl im hiesigen Verfahren – notiert ist (vgl. Senat, Beschluß vom 13. Juni 2007 – 2 Ws 227/07 -; NStZ-RR 2005, 388).

Eine Habeas-Corpus-Anordnung ist ein Ausnahmerechtsbehelf, der, soweit die Voraussetzungen vorliegen, auch noch nach einer rechtskräftigen Entscheidung - wie hier – eingelegt werden kann. Ausweislich der Beschlußgründe erging die Habeas-Corpus-Anordnung, weil während des Berufungsverfahrens am 23. August 2006 eine Änderung des dortigen Betäubungsmittelgesetzes in Kraft trat, das in Artikel 33, § 4 Gesetz 11.343/2006 eine mildere Strafe vorsah als das Gesetz 6.368/1976, welches Grundlage der Verurteilung des Beschwerdeführers war.

Wenn eine Habeas-Corpus-Anordnung die Dauer einer rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe nachträglich verkürzt, wird damit gleichzeitig bestätigt, daß der Verurteilte eine höhere Strafe verbüßt hat, als er hätte verbüßen müssen. Diese Zeit der überschießenden Inhaftierung kann nach brasilianischer Rechtsprechung von der Strafe für ein anderes eigenständiges Delikt abgezogen werden, soweit das Delikt vor der Inhaftierung begangen wurde. Im übrigen steht dem Verurteilten, der eine höhere Strafe verbüßt als er nach der Habeas-Corpus-Anordnung verbüßen müßte, ein Anspruch auf eine zivilrechtlichen Entschädigung zu (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Max-Planck-Instituts vom 28. Februar 2011)

Soweit nach brasilianischem Recht ein Anspruch auf Entschädi-gung für eine über die nach Rechtskraft durch eine Habeas-Corpus-Anordnung ermäßigte Strafe hinaus vollzogene Freiheits-entziehung besteht oder diese auf eine andere rechtskräftig verhängte Strafe angerechnet werden kann (vgl. gutachterliche Stellungnahme des Max-Planck-Instituts), betreffen dieser Rechtsbehelf und seine Auswirkungen ausschließlich den dortigen Rechtskreis, begründen aber keinen Anspruch auf Anrechnung der rechtswidrig verbüßten Strafhaft nach den Grundsätzen der Anrechnung verfahrensfremder Untersuchungshaft entsprechend
§ 51 StGB auf eine von einem deutschen Gericht verhängten Strafe.

e) Dies gilt auch, soweit aufgrund des hiesigen Auslieferungs-begehrens bereits am 30. November 2005 die vorläufige Auslie-ferungshaft bewilligt worden ist.

In diesem Fall wäre zwar vom 30. November 2005 bis zum 25. Juli 2007 die Untersuchungshaft für das brasilianische Verfahren mit der Auslieferungshaft zusammengetroffen. Grundsätzlich kann dadurch ein sachlicher Zusammenhang zwischen der Untersu-chungshaft und der die Strafe auslösenden Tat hergestellt wer-den, wenn die dort zunächst vollstreckte Untersuchungshaft zu-gleich der Sicherung des hiesigen Verfahren gedient und sich verfahrensnützlich ausgewirkt hätte.

Die verfassungsrechtliche Begründung für die gebotene Anrech-nung verfahrensfremder Untersuchungshaft liegt darin, daß es bei dem Bestehen eines spezifischen Zusammenhangs zweier Ver-fahren nicht dazu kommen soll, daß Untersuchungshaft in einem Verfahren verbüßt wird und die verbüßte Haft nach einer Ein-stellung oder einem Freispruch in diesem Verfahren nicht auf die in dem zusammenhängenden Verfahren verhängte Freiheits-strafe angerechnet wird. Damit soll verhindert werden, daß die Summe der Haftzeiten, die für die in einem spezifischen Zusam-menhang stehenden Verfahren verbüßt wurden und noch zu verbüßen sind, in einem mit dem Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG nicht mehr vereinbaren Maß über die Höhe der insgesamt vollstreckbaren Freiheitsstrafen hinausgeht und erlittene Haftzeiten möglicherweise gar nicht angerechnet werden (vgl. (vgl. BVerfG Beschluß vom 25. Jan. 2008 – 2 BvR 1532/07- in juris; BVerfG, NStZ 1999, 477; 2001, 501).

Bezogen auf den funktionalen Zusammenhang zwischen zwei im üb-rigen verfahrensrechtlich völlig verschiedenen Verfahren, die vor deutschen Gerichten anhängig und durch Untersuchungshaft und Überhaftnotierung für einen weiteren Haftbefehl miteinander verbunden waren, hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, daß sich die wechselseitige Sicherungsfunktion darin zeige, daß die beiden Haftbefehle je nach dem Stand des Verfahrens, wenn auch aus sachlichen Erwägungen heraus, ohne Schwierigkeiten ausgetauscht werden konnten und auch ausgetauscht worden sind. Damit seien sie wechselseitig Grundlage der von der Beschwer-deführerin im dortigen Verfahren erlittenen Untersuchungshaft gewesen und hätten der durchgehenden Sicherung der in der Bun-desrepublik erlittenen Untersuchungshaft gedient (BGHSt 43, 112). Der Senat hat im Zusammenhang mit einer funktionalen Verfahrenseinheit zwischen einem amerikanischen und einem deutschen Verfahren, die durch Überhaftnotierung für einen in dem deutschen Strafverfahren erlassenen Haftbefehl eingetreten war, die Verfahrensnützlichkeit darin gesehen, daß keine Haft-prüfungen nach §§ 121, 122 StPO vorgenommen werden mußten (vgl. Senat, Beschluß vom 13. Juni 2007 – 2 Ws 227/07 -).

Eine derartige wechselseitige Sicherungsfunktion und Nützlich-keit der beiden Verfahren bestand hier nicht.
Sowohl die vorläufige Auslieferungshaft als auch die Bewilli-gung des Auslieferungsbegehrens standen unter dem Vorbehalt der Verbüßung der in Brasilien verhängten Strafe und sollten erst nach dessen Abschluß Wirksamkeit entfalten. Sie dienten nicht der Sicherung des brasilianischen Verfahrens. Vielmehr wirkte sich die Auslieferungshaft auf das brasilianische Verfahren überhaupt nicht aus. Im Gegenzug hingegen behinderte das brasilianische Verfahren die möglichst rasche Auslieferung des Beschwerdeführers an die Bundesrepublik Deutschland und die Durchsetzung ihres Strafanspruchs. Dementsprechend enthält auch die den Beschwerdeführer betreffende Verfahrensabfrage vom 6. August 2008 keinen Hinweis auf die Auslieferungshaft und eine dadurch bedingte Überhaftnotierung.

3. Der bloße Umstand, daß zwischen der in Brasilien am 8. Sep-tember 2005 verhängten Strafe und der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts Berlin vom 29. November 1995 keine Gesamtstrafe gebildet werden kann, weil ausländische Strafen wegen des damit verbundenen Eingriffs in deren Vollstreckbarkeit nicht gesamtstrafenfähig sind, rechtfertigt ebenfalls nicht die Anrechnung der Strafe im Rahmen des § 51 Abs. 1 StGB (vgl. BVerfG, Beschluß vom 25. Januar 2008 – 2 BR 1532/07 – in Ju-ris). Das Landgericht Berlin hat dem Rechnung getragen, einen Härteausgleich vorgenommen und die Strafe entsprechend gemil-dert.

4. Da zwei Drittel der Strafe erst am 17. Juli 2012 erreicht sind, ist die Prüfung der Aussetzung des Strafrestes nach § 57 Abs. 1 StGB derzeit nicht geboten. Einen Antrag auf Aussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt hat der Beschwerdeführer nicht ge-stellt.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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