Diese Homepage verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf die Website zu analysieren. Außerdem gebe ich Informationen zu Ihrer Nutzung meiner Website an meine Partner für soziale Medien, Werbung und Analysen weiter.

OK Details ansehen Datenschutzerklärung

Entscheidungen

StPO

Auskunftsverlagen, Sozialgeheimnis, Strafverfolgungsinteresse, Abwägung

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Aurich, Beschl. v. 15.04.2011 - 12 Qs 43/11

Leitsatz: Die Preisgabe von Personalien eines unbekannten Informanten, der dem Jugendamt einen angeblichen sexuellen Missbrauch eines Kindes mitgeteilt hat, ist zur Durch-führung eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der falschen Verdächti-gung gegen Unbekannt nur unter den die Befugnis des § 73 SGB X einengenden Voraussetzungen des § 65 SGB VIII und nach einer Güterabwägung im Einzelfall zulässig.


Landgericht
Aurich
Beschluss
12 Qs 43/11

6 Gs 207/11 Amtsgericht Aurich
520 UJs 3568/11 Staatsanwaltschaft Aurich


In der Strafsache

gegen

Unbekannt
wohnhaft unbekannt,
Staatsangehörigkeit: nicht bekannt,

wegen falscher Verdächtigung

hier: Anordnung auf Auskünfte der Sozialbehörden

hat die II. große Strafkammer des Landgerichts Aurich auf die Beschwerde der Stadt E. - Ju-gendamt - vom 03.03.2011 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 24.02.2011 (Az: 6 Gs 207/11) durch die unterzeichneten Richter

am 15.04.2011


beschlossen:

I. Die Beschwerde der Stadt E. - Jugendamt - vom 03.03.2011 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aurich vom 24.02.2011 (Az: 6 Gs 207/11) wird als unbegründet verworfen.

II. Der Antrag auf Aussetzung der Vollziehung wird damit gegenstandslos.

III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen im Beschwerdeverfahren hat die Beschwerdeführerin selbst zu tragen.

******************

Gründe:

I.
Nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen hat am 11.01.2011 eine unbekannte Person gegenüber dem Jugendamt der Stadt E. - der Beschwerdeführerin - telefonisch Mutmaßungen bezüglich einer Kindeswohlgefährdung angestellt. Aufgrund dessen ist die Beschwerdeführerin tätig geworden und hat die Lebensgefährtin des Anzeigeerstatters und zugleich Kindesmutter diesbezüglich zu einem Gespräch geladen. In diesem Gespräch soll - so die Bekundung des Anzeigeerstatters gegenüber der Polizei - ihm von Seiten eines Mitarbeiters des Jugendamtes mitgeteilt worden sein, dass er die Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht habe. Es wurde ferner eine ärztliche Untersuchung durchgeführt, in der allerdings keine Anzeichen für einen sexuellen Missbrauch festgestellt wurden. Angesichts dessen hat die Staatsanwaltschaft Aurich ein Verfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der falschen Verdächtigung und der Verleumdung eingeleitet und beim Amtsgericht Aurich - Ermittlungsrichter - einen Antrag gestellt, die Beschwerdeführerin dazu zu verpflichten, die Personalien des unbekannten Informanten mitzuteilen. Gegen eine entsprechende, auf § 73 Abs. 2, 3 SGB X i.V.m. § 72 Abs. 1 S. 2 SGB X gestützte Anordnung wendet sich nunmehr die Beschwerdeführerin, wiederum vertreten durch den Fachbereichsleiter des Jugendamtes, mit der vorliegenden Beschwerde.

II.
1.
Die Beschwerde ist gem. § 304 StPO zulässig. Insbesondere ist hier die Beschwerdebefugnis der Stadt E. - Jugendamt -, wiederum vertreten durch dessen Fachbereichsleiter, im Hinblick auf die sich aus der Regelung des § 67d Abs. 2 S. 1 SGB X ergebenden Verantwortlichkeit der übermittelnden Stelle für die Rechtmäßigkeit der Übermittlung gegeben (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss v. 11. 10. 2006 - 3 Ws 374/06, NJW 2006, S. 3656), zumal die Beschwerdeführerin über die geforderte Information verfügt und als solche auch Adressatin des Beschlusses ist.

2.
Die Beschwerde bleibt in der Sache indes ohne Erfolg.

a) Die Berechtigung der Strafverfolgungsbehörden zu Ermittlungsmaßnahmen der vorliegenden Art steht grundsätzlich unter dem Vorbehalt datenschutzrechtlicher Sonderbestimmungen. Diesbezüglich bestimmt § 35 Abs. 1 S. 1 SGB I, dass jeder einen Anspruch darauf hat, dass ihn betreffende Sozialdaten i.S.v. § 67 Abs. 1 SGB X nicht unbefugt erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Gemäß § 35 Abs. 3 SGB I besteht für Sozialbehörden keine Auskunftspflicht, keine Zeugnispflicht und keine Pflicht zur Vorlegung oder Auslieferung von Schriftstücken, nicht automatisierten Dateien und automatisiert erhobenen, verarbeiteten oder genutzten Sozialdaten. Dieser Schutz des Sozialgeheimnisses bezieht sich auch auf die Verwendung von Sozialdaten im Strafverfahren.

Die mit dem angefochtenen Beschluss angeforderten Angaben über die Personalien des un-bekannten Informanten stellen Sozialdaten i.S.d. § 35 Abs. 1 SGB I i.V.m. § 67 Abs. 1 SGB X dar. Bei Sozialdaten handelt es sich um Einzelangaben über persönliche oder sachliche Ver-hältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person. Der Begriff ist umfassend zu verstehen, so dass hierunter sowohl der Name eines Behördeninformanten (vgl. BVerwG, Urteil v. 04.09.2003 - 5 C 48/02, NJW 2004, S. 1543 ff.) als auch dessen inhaltliche Angaben (VG Oldenburg, Urteil v. 14.12.2009 - 13 A 1158/08, NVwZ-RR 2010, S. 439) fallen können. Angesichts dessen unterliegen die geforderten Informationen grundsätzlich dem Schutz vor unbefugter Offenbarung.

b) Gleichwohl ist die Durchbrechung des Sozialgeheimnisses gerechtfertigt und damit im Er-gebnis die gerichtliche Anordnung auf Auskünfte dieser Sozialdaten zutreffend, da die gesetz-lichen Voraussetzungen gem. § 73 Abs. 2, 3 SGB X i.V.m. § 72 Abs. 1 S. 2 SGB X hierfür gegeben sind. Im vorliegenden Fall führt nämlich die Staatsanwaltschaft Aurich ein Strafver-fahren wegen des begründeten Verdachts der falschen Verdächtigung und Verleumdung. Der beim zuständigen Amtsgericht - Ermittlungsrichter - gestellte Antrag bezieht sich dabei lediglich auf die Offenbarung der Personalien des unbekannten Informanten, so dass die gerichtliche Anordnung ohne Rücksicht auf die Bedeutung der zugrundeliegenden Straftat i.S.d. § 73 Abs. 1 SGB X zulässig und begründet ist.

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung des in § 65 SGB VIII normierten besonderen Vertrauensschutzes, wonach Sozialdaten, die einem Mitarbeiter der öffentlichen Jugendhilfe zum Zweck persönlicher und erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, von diesem nur unter den dort enumerativ aufgeführten, engeren Voraussetzungen weitergegeben werden dürfen.

aa) Zwar geht die Beschwerdeführerin im Ansatz zutreffend davon aus, dass die Offenba-rungsbefugnisse des Jugendamtes aufgrund § 65 SGB VIII eine wesentliche Einschränkung erfahren. Denn nach der Verfahrensvorschrift des § 37 S. 1 SGB I gehen die speziellen Da-tenschutzregelungen in den übrigen Büchern des Sozialgesetzbuches den allgemeinen sozi-alverfahrensrechtlichen Regelungen des SGB X vor, so dass auch die Anordnung zur Daten-übertragung nach § 73 Abs. 1, 3 SGB X nur zulässig ist, soweit die Regelungen zum beson-deren Vertrauensschutz nach § 65 SGB VIII nicht entgegenstehen (ebenso LG Saarbrücken, Beschluss v. 19.03.2007 - 4 Qs 12/07 I, zit. n. juris; Bieresborn, in: von Wulffen, SGB X7, § 73 Rz. 12; Kunkel, StV 2000, S. 531 (535)).

bb) Insoweit liegen hier auch Sozialdaten i.S.d. § 65 SGB VIII vor. Denn hierzu zählen alle Informationen, die etwas über eine individualisierbare natürliche Person aussagen und damit zur Identifikation dienen. Dementsprechend fallen alle Kenntnisse aus der privaten Sphäre, die ein Mitarbeiter des Jugendamtes bei Erfüllung seiner Aufgaben von Außenstehenden erlangt hat, unter diese Geheimhaltungspflicht. Dies gilt in erster Linie für den Namen von Betroffenen also auch Informanten sowie für deren inhaltlichen Angaben (VG Göttingen, Urteil v. 09.02.2006 - 2 A 199/05, zit. n. BeckRS 2006, 24213; VG Oldenburg, a.a.O., S. 439). Während nach den allgemeinen Regeln des Sozialdatenschutzes von Behördeninformanten eine Preisgabe der Personalien nur nach einer Güterabwägung erfolgen darf, nämlich dann, wenn ausreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Behördeninformation wider besseres Wissen und in Schädigungsabsicht erfolgte (vgl. BVerwGE 119, 11 = NJW 2004, S. 1543), sind anvertraute Daten i.S.d. § 65 Abs. 1 S. 1 SGB VIII, zu denen auch Hinweise von Informanten zählen, im Jugendhilferecht aus Gründen des Kindeswohls unabhängig davon geheim zu halten, ob ein Geheimhaltungsgrund im berechtigten Interesse des Informanten liegt oder ob ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme vorliegen, der Informant habe wider besseren Wissens in der vorgefassten Absicht, den Ruf eines anderen zu schädigen, gehandelt oder auch leichtfertig falsche Informationen gegeben (VG Oldenburg, a.a.O., S. 439).

cc) Gleichwohl ist der angefochtene Beschluss auch unter den die Befugnis des § 73 SGB X einschränkenden Voraussetzungen des § 65 Abs. 1 SGB VIII rechtmäßig. Denn die Weitergabe der Information erfolgt hier - entgegen dem Beschwerdevorbringen - gem. § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB VIII unter Bedingungen, unter denen einer der in § 203 Abs. 1 oder 3 StGB genannten Personen ebenfalls befugt wäre. Die Befugnis wiederum, Privatgeheimnisse in den in § 203 Abs. 1 und 3 StGB genannten Fällen preiszugeben, ergibt sich hier mangels Einwilligung namentlich aus den dem rechtfertigenden Notstand (§ 34 StGB) angelehnten Grundsätzen über die Güterabwägung widerstreitender Interessen und Pflichten (BGHSt 1, 366 (368); Kühl, in: Lackner/Kühl, StGB27, § 201a Rz. 9; Rogall, NStZ 1983, S. 1 (6)). Eine derartige Abwägung lässt im vorliegenden Fall die Durchbrechung des Sozialgeheimnisses selbst in Ansehung des § 65 Abs. 1 SGB VIII gerechtfertigt erscheinen:

(1) Die Kammer verkennt hierbei nicht, dass der Gesetzgeber in § 35 SGB I i.V.m. §§ 67 ff. SGB X die hervorgehobene Stellung des Sozialdatenschutzes zum Ausdruck gebracht hat. Gemäß § 65 Abs. 1 SGB VIII gilt dies insbesondere für die Belange der öffentlichen Jugend-hilfe, weil anderenfalls kaum jemand bereit wäre, sich zum Schutz gefährdeter Kinder an das Jugendamt zu wenden (vgl. Kaufmann, ZfJ 2005, S. 433 (435)). Zudem ist das nachvollziehbare Interesse des Betroffenen - hier des Anzeigeerstatters-, sich über Behördeninformanten zu informieren, für sich genommen noch nicht geeignet, eine Offenbarung von Sozialdaten zu rechtfertigen (VG Oldenburg, a.a.O., S. 439). Denn die Jugendämter sind auf die Anzeige von Verdachtsfällen durch Personen, die sich um das Wohlergehen von Kindern oder Jugendlichen sorgen, angewiesen, um zum Schutz der jungen Menschen eingreifen zu können. Die Tatsache, dass gerade nahestehende Personen, wie Verwandte, Nachbarn, Freunde oder auch Familienangehörige über den dafür notwendigen Einblick in familieninterne Konfliktlagen verfügen, macht es nachvollziehbar, dass eine solche Anzeige entweder gänzlich anonym oder aber unter Angabe von Personendaten unter der Zusicherung erfolgt, dass diese vom Jugendamt nicht weitergegeben werden (so ausdrücklich VG Oldenburg, a.a.O., S. 439; vgl. auch Kunkel, StV 2000, S. 531 (535)). Könnten die Jugendämter diese Vertraulichkeit nicht garantieren, wären sie eines wichtigen Mittels beraubt, um eventuelle familiäre Probleme rechtzeitig zu entdecken und zu lösen (vgl. VG Schleswig, Urteil v. 11.05.2009 - 15 A 160/08, zit. n. BeckRS 2009, 35031).

(2) Dagegen streitet jedoch die Tatsache, dass der Anzeigeerstatter unterschwellig dem be-sonders kreditgefährdenden, nicht unerheblichen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern ausgesetzt ist. Angesichts dessen ist ihm aus Gründen des Ehrschutzes Gelegenheit zu geben, sich zur Wehr zu setzen und den Namen des Hinweisgebers zu erfahren. Für eine Offenbarung der Sozialdaten spricht überdies der Umstand, dass es - anders als im Verfahren vor dem VG Oldenburg, a.a.O., S. 439 f. - nicht nur um das Anliegen des Betroffenen selbst geht, sondern dass hier ebenfalls die Staatsanwaltschaft ein legitimes und sogar richterlich überprüftes Auskunftsverlangen gestellt hat. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass im vorlie-genden Fall - anders als in dem von der Beschwerdeführerin zitierten Verfahren vor dem LG Oldenburg, Beschluss v. 30.11.2010 - 1 Qs 437/10, zit. n. juris - nicht die Beschlagnahme einer gesamten Email, sondern lediglich die Preisgabe der Personalien des anonymen Hin-weisgebers in Rede steht.

(3) Da sowohl das Persönlichkeitsrecht des Anzeigeerstatters als auch das Strafverfolgungs-interesse der Staatsanwaltschaft dem allein betroffenen Schutz der anvertrauten Sozialdaten vor unbefugter Offenbarung gegenüberstehen, überwiegt hier das Interesse an der Preisgabe der streitbefangenen Sozialdaten, zumal sich letztere hier nur auf die "weniger empfindlichen" Daten i.S.d. § 72 Abs. 1 S. 2 SGB X beziehen. Dieser Abwägungsvorgang stellt sich insoweit als verhältnismäßig dar und führt darüber hinaus auch zu sachgerechten Ergebnissen: Denn andernfalls entstünde ein strafrechtsfreier Raum, wodurch Denunziantentum unbeschränkt Vorschub geleistet würde. Zugleich würde man bei einer Verneinung der Offenbarungspflicht zu hohe Anforderungen an die Offenbarungsbefugnis stellen, was sich im Hinblick auf die Wahrnehmung berechtigter Informationsinteressen (vgl. § 193 StGB) des betroffenen Anzei-geerstatters als unvertretbar hemmend erwiesen hätte (in diesem Sinn Rogall, NStZ 1983, S. 1 (6)).

d) Soweit die Beschwerdeführerin daneben gem. § 307 Abs. 2 StPO die Aussetzung der Voll-ziehung einer Anordnung zur Datenübermittlung nach § 73 Abs. 1 und 3 SGB X beantragt, ist dieser Antrag mit dem vorliegenden Beschluss gegenstandslos geworden.

III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO. Z………… Dr. H………….

Einsender: RiLG Dr. Daniel Hunsmann, Aurich

Anmerkung:


zurück zur Übersicht

Die Nutzung von Burhoff-Online ist kostenlos. Der Betrieb der Homepage verursacht aber für Wartungs-, Verbesserungsarbeiten und Speicherplatz laufende Kosten.

Wenn Sie daher Burhoff-Online freundlicherweise durch einen kleinen Obolus unterstützen wollen, haben Sie hier eine "Spendenmöglichkeit".