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Entscheidungen

OWi

Akteneinsicht, Bußgeldverfahren, Bedienungsanleitung, Beweisantrag

Gericht / Entscheidungsdatum: VerfGH Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 29.102.2010 - VGH B 27/10

Fundstellen:

Leitsatz: Zur Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (hier: durch Ablehnung der Einsichtnahme in die Zulassung einer Bedienanleitung eines Geschwindigkeitsmessgerätes durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt)
VERFASSUNGSGERICHTSHOF


RHEINLAND-PFALZ
VGH B 27/10
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
In dem Verfahren
betreffend die Verfassungsbeschwerde des Herrn …,
Bevollmächtigter: Rechtsanwälte S., P. & M., T-straße ..., P.,
gegen
a) das Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 6. April 2010 - 2020 Js 5598/10.32 OWi -
b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. Juni 2010 - 2 SsRs 54/10 -
hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz in Koblenz aufgrund der Beratung
am 29. Oktober 2010,
an der teilgenommen haben:
Präsident des Verfassungsgerichtshofs Prof. Dr. Meyer Präsident des Oberlandesgerichts Bartz, Präsident des Oberlandesgerichts Kestel, Vizepräsident des Oberverwaltungsgerichts Steppling Landrat Dr. S., Universitätsprofessor Dr. H., Universitätsprofessor Dr. R., Kreisverwaltungsdirektorin N., Rechtsanwältin JU Dr. T. LL.M. beschlossen:
Das Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 6. April 2010 - 2020 Js 5598/10.32 OWi - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. Juni 2010 - 2 SsRs 54/10 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 6 Abs. 2 der Verfassung für Rheinland-Pfalz). Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Westerburg zurückverwiesen.
Dem Beschwerdeführer sind die durch das Verfassungsbeschwerdeverfahren verursachten notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu ersetzen.
Gründe
I.
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen eine Verurteilung durch das Amtsgericht Westerburg in einem Ordnungswidrigkeitsverfahren und den hierzu ergangenen Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz.
1. Der Beschwerdeführer wurde am 21. September 2009 bei einer Geschwindigkeitsmessung mittels Lasermessgerät mit 125 km/h statt der erlaubten 100 km/h erfasst. Abzüglich der Toleranz ergab sich danach eine Überschreitung von 21 km/h.
Gegen den Bußgeldbescheid, mit dem ein Bußgeld von € 70,- festgesetzt wurde, legte der Beschwerdeführer durch seinen Prozessbevollmächtigten Einspruch ein. Zur Begründung wurde pauschal vorgetragen, dass „augenscheinlich“ eine unverwertbare Lasermessung vorliege.
2. a) Im Folgenden Verfahren vor dem Amtsgericht Westerburg wurde der Beschwerdeführer mit Urteil vom 6. April 2010 - 2020 Js 5598/10.32 OWi - wegen fahrlässig begangener Verkehrsordnungswidrigkeit zu einer Geldbuße von € 70,- verurteilt. Weil der Beschwerdeführer Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe war, verlängerte sich wegen des Verstoßes seine Probezeit um weitere zwei Jahre.
Im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung trug der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers vor: Seines Erachtens sei die Lasermessung unverwertbar. Deren Grundlage sei die seit Mai 2009 anzuwendende neue Bedienungsanleitung für das verwendete Lasermessgerät Riegl FG21-P. Danach könne nunmehr der sogenannte Aligntest (Einrichtung des Visiers) in einem Entfernungsbereich zwischen 30 und 1000 m erfolgen, während nach der zuvor geltenden Bedienungsanleitung für den Aligntest nur ein Bereich zwischen 100 und 300 m (je nach Aufbau) zulässig gewesen sei. Eine bauliche Veränderung habe das Gerät nicht erfahren. Im vorliegenden Fall sei der Aligntest in 64 m Entfernung erfolgt, also unter Inanspruchnahme des nunmehr erweiterten Entfernungsbereichs.
Als problematisch erachtete der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers die Eichung des maßgeblichen Geräts. So sei das Gerät zum Einsatzzeitpunkt zwar unstreitig geeicht gewesen. Die Eichung selbst sei allerdings bereits am 25. November 2008 - also unter Geltung der alten Bedienungsanleitung - vorgenommen worden. Eine Nacheichung mit Einführung der neuen Bedienungsanleitung im Mai 2009 habe nicht stattgefunden, obwohl hier der zulässige Entfernungsbereich für den Aligntest erheblich ausgeweitet worden sei.
Aus diesem Grund stellte er in der mündlichen Verhandlung vom 22. März 2010 unter Beweis, dass bei der Eichung, die turnusgemäß Ende 2009 - also nach der Tat - stattgefunden habe, unter Beachtung der neuen Bedienungsanleitung eine veränderte Prüfmethode angewendet worden sei, die sich auf den Aligntest beziehe.
Diesen Beweisantrag lehnte das Gericht ab. Ob bei den Eichungen 2008 und Ende 2009 unterschiedliche Prüfmethoden angewandt worden seien, sei ohne Belang. Denn die neue Bedienungsanleitung sei durch die Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen worden. Die Messgeräte müssten ab Inkrafttreten dieser Neufassung mit der neuen Bedienungsanleitung eingesetzt werden. Da die PTB dies so zugelassen habe, sei von einer einwandfreien Funktion dieser Geräte auszugehen. Die neue Bedienungsanleitung diene lediglich der Konkretisierung des Aligntests.
b) Mit Blick auf die Begründung des abgelehnten Beweisantrags begehrte der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers nunmehr Einsicht in die dort in Bezug genommene PTB Zulassung. Auf Nachfrage habe die Richterin angegeben, dass ihr die Unterlagen der PTB aus einem anderen Verfahren vorlägen. Weil das Gericht dem Ersuchen nicht nachkam, beantragte der Prozessbevollmächtigte hierüber einen gerichtlichen Beschluss herbeizuführen. Der ablehnende Beschluss über eine Offenlegung der PTB Unterlagen wurde damit begründet, dass diese Unterlagen nicht Bestandteil der Akte seien und sich deshalb das Akteneinsichtsrecht darauf nicht beziehe. Gründe für eine Beiziehung der genannten Unterlagen sehe das Gericht nicht.
c) Daraufhin lehnte der Beschwerdeführer Richterin E. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Richterin erwecke objektiv den Eindruck, für die Verteidigung wichtige Informationen zurückhalten zu wollen. In ihrer dienstlichen Stellungnahme gab Richterin E. an, ihre Entscheidungen objektiv und unparteiisch getroffen zu haben. Die Ablehnung der Einsicht in die PTB Unterlagen beruhe - wie im Beschluss dargelegt - auf sachlichen Gründen. Überdies könne nicht bestätigt werden, dass die begehrten Informationen für die weitere Verteidigung wesentlich seien. Mit Beschluss vom 30. März 2010 wies das Amtsgericht Westerburg durch RAG W. das Ablehnungsgesuch zurück. Die sachlich begründete Ablehnung der Offenlegung begründe keine Besorgnis der Befangenheit.
d) Im zweiten Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. April 2010 beantragte der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers erneut, ihm die Unterlagen der PTB zugänglich zu machen. Das Gericht habe einen Beweisantrag unter Bezug auf diese Unterlagen abgelehnt, so dass ihm zur Verteidigung diese Unterlagen zugänglich gemacht werden müssten. Der neuerliche Antrag wurde abermals abgelehnt. Zur Begründung nahm das Gericht im Wesentlichen Bezug auf die Ablehnung vom 22. März 2010 und stellte erneut klar, dass es eine Beiziehung der Unterlagen für nicht erforderlich halte.
Ebenfalls in der mündlichen Verhandlung vom 6. April 2010 beantragte der Prozessbevollmächtigte eine weitere Beweiserhebung. Darin stellte er unter Beweis, dass eine verlässliche Messung nur gewährleistet sei, wenn das Gerät nach Maßgabe der zum Zeitpunkt der Eichung am 25. November 2008 gültigen Bedienungsanleitung angewendet, also der Aligntest in einer Entfernung zwischen 150 und 200 m durchgeführt werde. Begründet wurde der Antrag abermals damit, dass nach der Änderung der Bedienungsanleitung eine Nacheichung erforderlich gewesen wäre. Auch dieser Beweisantrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass dies zur Erforschung der Wahrheit nach pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts nicht erforderlich sei. Mit der Änderung der Bedienungsanleitung hinsichtlich des Aligntests sei die bestehende Eichung nicht aufgehoben worden. Das Gerät habe auch schon vorher bei einem Aligntest im Bereich zwischen 30 und 1000 m ordnungsgemäße Messergebnisse geliefert; insoweit habe zuvor nur die Zulassung gefehlt.
e) In den Gründen des Urteils vom 6. April 2010 wird zur begehrten Offenlegung der PTB Unterlagen weiter ausgeführt, dass auch unter dem Gesichtspunkt der Aktenergänzung keine Einsicht in die PTB Unterlagen gewährt werden müsse. Hierbei handele es sich letztlich um eine Frage der ordnungsgemäßen Beweiserhebung durch das Gericht. Das Gericht sei deshalb nur in solchen Fällen gehalten, zusätzliche Unterlagen beizuziehen, wenn die Verteidigung dafür objektiv nachvollziehbare Gründe vortrage. Eine Beiziehung von Unterlagen „ins Blaue hinein“ genüge nicht. Fehle es an nachvollziehbaren Gründen, handele es sich um ein Aktenergänzungsersuchen, welches als Anregung an das Gericht zu werten sei. Da das erkennende Gericht jedoch keinerlei konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung erkannt habe, habe es die Beiziehung weiterer Unterlagen für nicht erforderlich gehalten.
3. Gegen das Urteil stellte der Prozessbevollmächtigte einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Der Zulassungsantrag wurde unter anderem mit der Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter begründet.
Ein Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter liege vor, weil der das Ablehnungsgesuch zurückweisende Beschluss vom 30. März 2010 keine eigenständige Begründung enthalte, sondern nur formelhafte Wendungen und die dienstliche Stellungnahme der abgelehnten Richterin wiedergebe. Neben diesem formellen Verstoß sei inhaltlich nicht berücksichtigt worden, dass Richterin E. durch die beschriebene Verfahrensführung kontinuierlich den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt habe.
Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei dadurch verletzt, dass die Einsichtnahme in Unterlagen verwehrt worden sei, die das Gericht seinerseits zur Ablehnung eines Beweisantrags herangezogen habe. Konkret habe er unter Beweis gestellt, dass bei der Eichung nach alter Bedienungsanleitung und nach neuer Bedienungsanleitung unterschiedliche Prüfverfahren angewendet worden seien. Damit habe er aufzuzeigen wollen, dass die Messung unter Beachtung der neuen Bedienungsanleitung nicht schlicht auf Grundlage der alten Eichung hätte erfolgen dürfen. Mit dem Hinweis auf die entsprechende PTB Zulassung sei dieser Beweisantrag abgelehnt worden. Auch auf ausdrückliches Verlangen sei keine Einsicht gewährt und zwei dahingehende Anträge abgelehnt worden. Dadurch sei es der Verteidigung mangels Kenntnis verwehrt gewesen, sich zu allen entscheidungserheblichen und ihr nachteiligen Beweisergebnissen zu äußern. Im Falle der Vorlage hätten sich zwei Möglichkeiten ergeben: Entweder es wäre daraus hervorgegangen, dass die geäußerten Bedenken aus dem Zusammenspiel von alter Eichung und neuer Bedienungsanleitung unbegründet sind, oder die Verteidigung hätte - bei fortbestehenden Zweifeln - auf den dort vorgefundenen Inhalt mit weiteren konkreten Beweisanträgen reagieren können.
Die vom Gericht gegebenen Begründungen, warum eine Einsicht nicht gewährt werden könne, gingen an der Sache vorbei. Es gehe weder um Akteneinsicht noch um Aktenergänzung. Das Gericht selbst habe durch die darauf gestützte Ablehnung des Beweisantrags die Unterlagen der PTB zum entscheidungserheblichen Gegenstand des Verfahrens gemacht, indem die Vereinbarkeit von alter Eichung und neuer Bedienungsanleitung als gerichtsbekannt dargestellt worden sei. Weitere Einblicke in die Quelle der gerichtlichen Kenntnis seien ohne tragbare Begründung nicht gewährt worden. Dies gelte auch hinsichtlich der Ablehnungsgründe für die weiteren Beweisanträge.
4. Mit Beschluss vom 24. Juni 2010 - 2 SsRs 54/10 - verwarf das Oberlandesgericht Koblenz den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Eine Zulassung wegen einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Voraussetzungen für eine willkürliche und den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs missachtende Ablehnung der gestellten Beweisanträge nicht gegeben sei. Auch die - nicht willkürlich - erfolgte Ablehnung des Befangenheitsantrags rechtfertige keine Zulassung der Rechtsbeschwerde.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde vom 16. Juli 2010 - die sich gegen das Urteil des Amtsgerichts Westerburg vom 6. April 2010 und den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 24. Juni 2010 richtet - rügt der Beschwerdeführer Verstöße gegen Art. 6 Abs. 1 und 2 der Verfassung für Rheinland-Pfalz - LV -. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten ihn in seinen Ansprüchen auf rechtliches Gehör und den gesetzlichen Richter. Zur Begründung wiederholt der Beschwerdeführer im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde. Mit der ablehnenden Entscheidung des Oberlandesgerichts seien die beim Amtsgericht Westerburg begründeten Verletzungen verfestigt worden.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Der Verfassungsgerichtshof entscheidet gemäß § 49 Abs. 1 des Landesgesetzes über den Verfassungsgerichtshof - VerfGHG - ohne mündliche Verhandlung, weil er diese zur Aufklärung des Sachverhalts oder Erörterung des Sach- und Streitstandes für nicht erforderlich hält.
1. Die vom Beschwerdeführer erhobene Rüge ist statthaft. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz ist gemäß § 44 Abs. 2 Satz 2 VerfGHG befugt, die Durchführung des bundesprozessrechtlich geregelten Verfahrens der Gerichte an den Grundrechten der Landesverfassung zu messen, soweit diese den gleichen Inhalt wie entsprechende Rechte des Grundgesetzes haben (vgl. VerfGH RP, AS 29, 89 [91 f.]). Die als verletzt gerügten Grundrechte aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Art. 6 Abs. 2 LV sind inhaltsgleich mit den Gewährleistungen des Grundgesetzes in Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG.
Der Rechtsweg ist erschöpft (vgl. § 44 Abs. 3 Satz 1 VerfGHG); insbesondere war der Beschwerdeführer vor seiner Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht gehalten, eine zusätzliche Anhörungsrüge zu erheben. Denn gegen die vom Beschwerdeführer vorgetragene Gehörsverletzung durch das Amtsgericht Westerburg ist eine Anhörungsrüge nach § 71 Abs. 1 OWiG i. V. m. § 33a StPO nicht statthaft. Der Entscheidung des Amtsgerichts Westerburg fehlt insoweit die Unanfechtbarkeit. Der Beschwerdeführer hat seine Gehörsrüge - wie gesetzlich vorgesehen - im Rahmen der Zulassung der Rechtsbeschwerde als Zulassungsgrund gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG geltend gemacht. Eine eigenständige Gehörsverletzung durch das Oberlandesgericht Koblenz, die eine gesonderte Anhörungsrüge vorausgesetzt hätte (vgl. § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 356a StPO; dazu BayVerfGH, Entscheidung vom 16. März 2010 - Vf. 62-VI-09 -; VerfGH des Saarlandes, Beschluss vom 10. Januar 2008 - Lv 4/07 - jeweils nach juris), macht der Beschwerdeführer nicht geltend. Die Verfassungsbeschwerdefrist des § 46 Abs. 1 VerfGHG ist gewahrt.
2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch begründet.
a) Das Urteil des Amtsgerichts Westerburg verletzt den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 6 Abs. 2 LV).
Art. 6 Abs. 2 LV garantiert den Beteiligten an einem gerichtlichen Verfahren, dass sie Gelegenheit erhalten, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde zu legenden Sachverhalt und zur Rechtslage zu äußern. Das Gericht hat diese Äußerung zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (VerfGH RP, AS 29, 224 [226]). Darüber hinaus verbietet der Anspruch auf rechtliches Gehör dem Gericht, seiner Entscheidung Tatsachen zugrunde zulegen, zu denen die Beteiligten nicht Stellung nehmen konnten (vgl. BVerfGE 84, 188 [190]; Dennhardt in: Grimm/Caesar, Verfassung für Rheinland-Pfalz, 2000, Art. 6 Rn. 11). Damit garantiert der Anspruch auf rechtliches Gehör grundsätzlich auch ein Recht auf Information über den Verfahrensstoff (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 10. Aufl. 2009, Art. 103 GG Rn. 17, m. w. N.).
Hieran gemessen wird das angegriffene Urteil des Amtsgerichts den sich aus Art. 6 Abs. 2 LV ergebenden Anforderungen nicht gerecht, denn der Beschwerdeführer konnte sich zur PTB Zulassung mangels Kenntnis deren Inhalts nicht äußern.
Hinsichtlich des Anspruchs auf Einsichtnahme in die PTB Zulassung kann es dahinstehen, ob das Gericht diese durch die Begründung des ablehnenden Beschlusses vom 22. März 2010 bereits selbst zum Gegenstand des Verfahrens gemacht hat. Das Gericht wäre nämlich jedenfalls verpflichtet gewesen, diese Unterlagen in den Prozess einzuführen, weil es damit eine außerhalb des Verfahrens begründete Erkenntnisquelle als gerichtskundige Tatsache in entscheidungserheblicher Weise verwertet hat (vgl. BVerfGE 10, 177 [183]). Aus anderen Verfahren übernommene tatsächliche Feststellungen unterliegen in gleicher Weise dem Gebot des rechtlichen Gehörs wie das vom Gericht selbst gewonnene Erkenntnismaterial (VerfGH Berlin, Beschluss vom 17. Juni 1996 - 4/96 - nach juris Rz. 17).
Es ist - wie die Generalstaatsanwaltschaft mit ihrem Antrag vom 15. Juni 2010 zu Recht ausführt - nicht zu beanstanden, wenn Gerichte im Allgemeinen die Quellen der eigenen Sachkunde nicht angeben müssen, sondern dies nur dann zu fordern ist, wenn es zum Beleg der Sachkunde erforderlich ist (vgl. Becker, in: Löwe-Rosenberg, Strafprozessordnung, 26. Aufl. 2009, § 244 StPO Rn. 74). Dahinter steht letztlich auch die Überlegung, dass sich eine unter Umständen in langjähriger Erfahrung erworbene eigene Sachkunde schon nicht als Angabe einzelner Quellen darstellen ließe. In solchen Fälle trägt der Richter mit seinem eigenen Wissen und seiner Erfahrung zur Rechtsfindung bei. Er ist dabei nicht auf die Fähigkeit zur kritischen Würdigung (fremder) fachlicher Gutachten beschränkt, sondern kann auf verwertbares eigenes Wissen zurückgreifen (vgl. BGH NJW 1991, 2824 [2825]).
Hier liegt der Fall jedoch anders. Das Amtsgericht stützt seine Begründung der Beweisantragsablehnung nicht auf eigene Sachkunde im oben beschriebenen Sinn. Vielmehr wird zur Begründung auf ein Dokument Bezug genommen, von dessen Inhalt das Gericht in einem anderen Verfahren Kenntnis erlangt habe. Aus dieser PTB Zulassung ergebe sich die Fortgeltung eines standardisierten Messverfahrens auch unter Anwendung der neuen Bedienungsanleitung, weshalb die unter Beweis gestellte Tatsache ohne Belang sei. Damit wird die letztlich maßgebliche Frage, ob das Gerät mit Einführung der neuen Bedienungsanleitung hätte neu geeicht werden müssen, nicht aus eigenen Sachkunde des Gerichts, sondern unmittelbar aus einer in einem anderen Verfahren gewonnenen Erkenntnisquelle heraus beantwortet.
Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang, dass die Annahme eines standardisierten Messverfahrens unabdingbare Voraussetzung für eine Verurteilung (ohne einzelfallbezogenes Sachverständigengutachten) ist, erschließt sich ohne weiteres, warum die in Bezug genommene PTB Zulassung selbst entscheidungserheblich ist. Der Inhalt entscheidungserheblichen Verfahrensstoffs muss jedoch - auch bei einer Verwertung des aus anderen Prozessen geschöpften Wissens - den Beteiligten zugänglich gemacht und ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, sich dazu zu äußern (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 2 BvR 982/00 - nach juris; BGH NJW 1991, 2824 [2825 f.]). Hierzu gehören insbesondere auch Behördenauskünfte aus anderen Verfahren, die den Beteiligten ebenfalls zur Kenntnis gebracht werden müssen (BVerfG, DAR 1976, 239 [239], Eichunterlagen).
Der Prozessbevollmächtigte des Beschwerdeführers hat die Einsicht in die PTB Zulassung auch nicht grund- bzw. begründungslos begehrt. Aufgrund des zeitlichen Ablaufs von Eichung und neuer PTB Zulassung hat die Verteidigung das Vorliegen eines standardisierten Verfahrens nicht im Allgemeinen, sondern mit substantiiertem Vortrag und entsprechenden Beweisanträgen zu widerlegen versucht. Werden nun - wie hier - die dahingehenden Beweisanträge abgelehnt, besteht auf Seiten der Verteidigung das Recht, mit den Gründen der Ablehnung konkret, also auch inhaltlich konfrontiert zu werden. Dies gilt umso mehr, als dem Verweis auf die PTB Zulassung nicht ausdrücklich entnommen werden kann, ob und, wenn ja, in welcher Weise dort die Frage der Eichung berücksichtigt wird.
Demnach hätte die zweimal beantragte Einsicht in die PTB Zulassung nicht verwehrt werden dürfen. Anhaltspunkte dafür, dass der Verteidigung die Einsichtnahme in die PTB Unterlagen aus sachlichen Gründen versagt wurde, sind nicht ersichtlich. Insbesondere gehen die Begründungen des Amtsgerichts Westerburg, die sich mit dem Akteneinsichtsrecht und dem Aktenergänzungsanspruch auseinandersetzen, an dem hier geltend gemachten Anspruch auf rechtliches Gehör vorbei. Wie ausgeführt, hat das Gericht die PTB Unterlagen selbst zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Damit erstreckt sich das Recht, sich über den entscheidungserheblich in Bezug genommenen Verfahrensstoff zu informieren, auch dann auf die PTB Zulassung, wenn diese nicht selbst zur Akte genommen wurde. Ein Ergänzungsbegehren ist vor diesem Hintergrund nicht erforderlich.
Insoweit kommt es dann auch nicht darauf an, ob die Ablehnung der gestellten Beweisanträge oder die Entscheidung über das Aktenergänzungsbegehren sachlich begründet und frei von Willkür getroffen wurden, wie es das Oberlandesgericht in seinem Beschluss vom 24. Juni 2010 - 2 SsRs 54/10 - annimmt. Die Beweisanträge selbst waren nicht Gegenstand der Gehörsrüge i. S. d. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, denn die Verteidigung wendete sich von Anfang an nicht gegen die Ablehnung der Beweisanträge, sondern gegen die verweigerte Zugänglichmachung der diese Ablehnung begründenden Unterlagen.
Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auch auf diesem Verfassungsverstoß. Dies gilt schon deshalb, weil - wie der Beschwerdeführer in seiner Begründungsschrift ausführt - nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Verteidigung auf den ihr dann offen gelegten Inhalt prozessual hätte reagiert können. Je nach Ergebnis der eigenen Einschätzung hätte die vom Gericht gegebene Begründung hingenommen oder hätten weitere Beweisanträge gestellt werden können.
b) Ob darüber hinaus auch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 LV verletzt ist, kann dahingestellt bleiben. Denn die Sache ist bereits aufgrund des Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 LV an das Amtsgericht Westerburg zurückzuverweisen. Hier besteht nicht die Möglichkeit, dass die vom Ablehnungsgesuch betroffene Richterin E. erneut mit der Sache befasst wird, da sie ausweislich des Geschäftsverteilungsplans (Präsidiumsbeschluss vom 26. März 2010 - G 5239/1 E-2/10 -) nicht mehr am Amtsgericht Westerburg tätig ist.
3. Das Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist kostenfrei (§ 21 Abs. 1 VerfGHG). Der Ausspruch über die Erstattung der notwendigen Auslagen beruht auf § 21a Abs. 1 Satz 1 VerfGHG


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