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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Unterbringung, erhebliche rechtswidrige Tat, Anforderungen

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 17.11.2011 - 32 Ss 140/11

Fundstellen:

Leitsatz: Ahndet der Tatrichter ein Vergehen der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung, bei der der Angeklagte im Zustand der alkoholbedingt erheblich vermin-derten Schuldfähigkeit einem Polizeibeamten einen gezielten Faustschlag gegen die Stirn versetzt hat, mit einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, so handelt es sich um eine erhebliche rechtswidrige Tat i. S. d. § 64 StGB.


32 Ss 140/11
Oberlandesgericht Celle

Beschluss
In der Strafsache
gegen pp.
wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte u.a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revision des Angeklag-ten gegen das Urteil der 12. kleinen Strafkammer des Landgerichts Verden vom 20. Juli 2011 nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht am 17. November 2011 einstimmig beschlossen:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Übrigen wird die Revision verworfen.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Straf-kammer des Landgerichts Verden zurückverwiesen.


G r ü n d e :

I.
Das Amtsgericht Verden hatte den Angeklagten durch Urteil vom 2. November 2010 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körper-verletzung und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Verden hinsichtlich der Beschränkung als unwirksam erachtet und sie durch Urteil vom 20. Juli 2011 insgesamt als unbe-gründet verworfen.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der 27-jährige Angeklagte ledig und hat zwei Kinder. Er ist arbeitslos und bezieht monatlich 365 Euro Arbeitslosengeld II. Im Alter von 15 Jahren begann der Angeklagte Haschisch zu konsumieren, später auch Kokain, Ecstasy und Speed sowie ab dem 18. Lebensjahr vorrangig Heroin. Seit 1 1/2 Jahren befindet sich der Angeklagte im Substitutionsprogramm. Das Bundeszentralregister weist für den Angeklagten 9 Eintragungen aus, darun-ter vier Geldstrafen sowie eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten zur Bewährung (Ur-teil des Amtsgerichts Verden vom 8. Oktober 2009) jeweils wegen Erschleichens von Leistungen, ferner u.a. eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten zur Bewährung wegen unerlaubten Erwerbs von Kokain in 61 Fällen (Urteil des Amtsgerichts Verden vom 30. Oktober 2008) sowie zuletzt eine Verur-teilung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10 Euro wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung und Beleidigung (Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 25. Oktober 2010). Wegen der Verur-teilungen zu Freiheitsstrafen steht der Angeklagte bis 2013 unter Bewährung.

Zur Sache stellte das Landgericht fest, dass der Angeklagte am 9. Juni 2010 ge-gen 1.50 Uhr nach einem Besuch eines V. Volksfestes zu Hause mit seiner Mutter in Streit geriet, woraufhin seine Schwester die Polizei alarmierte. Bei Eintreffen der Polizei schrie er die Beamten an, sie sollten verschwinden, weil es sich um eine Familienangelegenheit handele. Als die Mutter des Angeklagten auf die Frage ei-nes Beamten, ob sie geschlagen worden sei, nickte, ging der Angeklagte aggres-siv auf seine Mutter los, woraufhin sich der Beamte S. zwischen die Mutter und den Angeklagten stellte und diesen am Arm festhielt. Daraufhin versetzte der An-geklagte dem Beamten S. einen Faustschlag auf die Stirn. Anschließend wurde er von den Beamten S. und B. nach Einsatz von Pfefferspray vor die Haustür ge-bracht, wobei er um sich schlug und trat, die Beamten wiederholt als „Hurensöh-ne“, „Bullenschweine“ und „Drecksäcke“ beschimpfte und mit dem Kopf gegen einen Türpfosten schlug. Dabei erlitt er eine leichte Platzwunde. Vor der Haustür konnte er zu Boden gebracht und fixiert werden. Als eine weitere Polizeistreife mit Diensthund am Tatort erschienen war, trat der Angeklagte erneut wild um sich, insbesondere in Richtung des Hundes, von dem er daraufhin in den Oberschenkel gebissen wurde.

Auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens hat das Landgericht eine Tatzeit-BAK von 2,49 g Promille angenommen und damit eine erhebliche Vermin-derung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit festgestellt, eine Schuldunfähigkeit aber sicher ausgeschlossen.

Von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat das Land-gericht ohne Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen, weil vom Angeklagten in Zukunft keine erheblichen rechtswidrigen Taten zu erwarten seien und die Vollstreckung der Maßregel wegen deren zu erwartender Dauer gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoße.

Gegen das Urteil des Landgerichts wendet sich der Angeklagte mit der Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt und insbesondere geltend macht, dass das Landgericht zu Unrecht von der Anordnung der Unter-bringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen habe.

II.
Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg, soweit es sich gegen die Rechtsfolgenent-scheidung im angefochtenen Urteil richtet. Im Übrigen ist es unbegründet.

1.
Die Revision ist zulässig. Zwar wendet sie sich weitestgehend gegen die unter-bliebene Anordnung der Maßregel nach § 64 StGB, wodurch der Angeklagte nicht beschwert ist (BGH NStZ 2010, 270). Jedoch hat der Angeklagte das Rechtsmittel durch die ausgeführte Sachrüge auch auf die Feststellungen zum Schuldspruch und die Strafzumessung erstreckt. Damit unterliegt auch die unterlassene Anord-nung nach § 64 StGB revisionsgerichtlicher Kontrolle, weil das Verschlechte-rungsverbot insoweit nicht gilt (§ 358 Abs. 2 S. 3 StPO).

2.
Die Feststellungen zum Schuldspruch halten sachlich-rechtlicher Prüfung stand. Insoweit verwirft der Senat die Revision auf Antrag der Staatsanwaltschaft gem. § 349 Abs. 2 StPO.

3.
Im Rechtsfolgenausspruch konnte das angefochtene Urteil auf die Sachrüge hin jedoch keinen Bestand haben. Es kann insoweit dahin gestellt bleiben, ob die ebenfalls auf die Rechtsfolgenentscheidung gerichtete - Verfahrensrüge zulässig ausgeführt ist.


a.
Die Urteilsgründe erlauben nicht die Nachprüfung, ob gemäß § 55 Abs. 1 StGB eine Gesamtstrafe mit der Geldstrafe von 60 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Bremen vom 25. Oktober 2010 zu bilden gewesen wäre. Aus den Feststellungen des angefochtenen Urteils ergibt sich insoweit lediglich, dass die jetzt abgeurteilte Tat vor jener Verurteilung begangen worden ist, so dass grundsätzlich Gesamtstrafenfähigkeit gegeben sein könnte.

Der Senat konnte die Entscheidung über die nachträgliche Gesamtstrafe insbe-sondere nicht dem Beschlussverfahren nach §§ 460, 462 Abs. 1 S. 1 StPO über-lassen. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht für den Fall zwischen-zeitlicher vollständiger Vollstreckung der vorgenannten Geldstrafe gegen den An-geklagten unter dem Aspekt des Härteausgleichs eine geringere Freiheitsstrafe festgesetzt hätte.

Zudem konnte dem Angeklagten bei der Strafzumessung nicht die Vorverurteilung wegen einer einschlägigen Straftat zur Last gelegt werden. Im Rahmen der erneu-ten Strafzumessung wird die Kammer ferner die vom Angeklagten vermisste Be-rücksichtigung seiner Verletzungsfolgen nachholen können.

b.
Auch die unterlassene Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält im Ergebnis revisionsrechtlicher Kontrolle nicht stand.

Zwar steht dem Tatrichter bei der Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt ein Ermessensspielraum zu, und zwar sowohl materiell-rechtlich gem. § 64 S. 1 StGB (als Sollvorschrift) als auch prozessual hinsichtlich der Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen nach § 246a S. 2 StPO in Fällen, in denen das Gericht die Anordnung der Maßregel nicht einmal erwägt (zu den Kriterien hierfür und den schon im Gesetzgebungsverfahren vertretenen unterschiedlichen Ansichten vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 246a Rn. 3 m.w.N.). Insoweit ist es auch nicht rechtsfehlerhaft, von der Hinzuziehung eines Sachverständigen abzusehen, wenn das Gericht bereits aus rechtlichen Gründen, die der Bewertung durch einen Sachverständigen entzogen sind, von der Anordnung der Maßregel absehen will, namentlich deswegen, weil die vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten keine erheblichen Straftaten i. S. d. § 64 StGB sind oder weil die Anordnung gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen würde.

Im konkreten Fall steht jedoch zu besorgen, dass das Landgericht zu enge Krite-rien an den Begriff der erheblichen rechtswidrigen Tat i. S. d. § 64 StGB angelegt hat. Zwar reichen hierfür geringfügige Taten wie der Erwerb kleiner Rauschgift-mengen zum Eigenverbrauch (BGH NStZ 1994, 280), kleine Diebstähle oder Be-trügereien (BGH NStZ 1992, 178) nicht aus. Insoweit hat das Landgericht, ausge-hend von der Prämisse, dass von dem Angeklagten nur solche Taten zu erwarten seien, die er schon begangen hat, rechtsfehlerfrei Taten der Leistungserschlei-chung und des Erwerbs von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum als erhebliche rechtswidrige Taten ausgeschlossen.

Etwas anderes gilt jedoch insbesondere für das Anlassgeschehen selbst, das das Landgericht (wie auch die Vorverurteilung wegen Erwerbs von Kokain) als Strafta-ten von einer „erheblicheren Kriminalität“, aber angesichts der Freiheitsstrafe von 6 Monaten als nicht „so schwerwiegend“ bezeichnet hat. § 64 StGB setzt keine schwerwiegende Kriminalität voraus; in Abweichung von § 63 StGB ist auch keine Gefahr für die Allgemeinheit erforderlich. Das Anlassgeschehen stellt sich als empfindliche Störung des Rechtsfriedens dar, indem der Angeklagte durch den Faustschlag gezielte körperliche Gewalt gegen einen Ermittlungsbeamten einge-setzt hat. Die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten bei einem nach §§ 21, 49 StGB bereits reduzierten Strafrahmen hebt die Tat deutlich aus dem Kreis geringfügiger Straftaten heraus.

Bei der Abwägung, ob die Vollstreckung der Maßregel nach § 64 StGB gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, wird das Landgericht auch zu be-rücksichtigen haben, dass neben dem Vollzug der hier zu verhängenden Frei-heitsstrafe auch der zu erwartende Widerruf zweier Bewährungsstrafen tritt. Zwar kann die Dauer des Maßregelvollzugs auf in anderen Verfahren verhängte Strafen nicht angerechnet werden (§ 44 b Abs. 1 Satz 2 StrVollzO); die erfolgreiche Ab-solvierung der Maßregel kann aber auch bei diesen Strafen für Entscheidungen nach § 57 StGB von erheblicher Relevanz sein.

Einsender: 1. Strafsenat des OLG Celle

Anmerkung:


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