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Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Nürnberg, Beschl. v. 29.02.2012 - 1 St OLG Ss 292/11
Leitsatz: 1. Zu den Voraussetzungen einer Verfahrensrüge wegen der Unverwertbarkeit eines erstinstanzlichen Geständnisses nach Rechtsmitteleinlegung im Berufungsverfah-ren.
2. Notwendige Mindestvoraussetzung für die Annahme eines Verlesungs- und Verwer-tungsverbots ist, dass sich das Gericht, in dem die Verständigung getroffen wurde, von dieser gelöst hat. Ein instanzübergreifendes und vom Loslösungstatbestand un-abhängiges allgemeines Beweisverwertungsverbot hat keinen Eingang in § 257c Abs. 4 Satz 3 StPO gefunden.
In pp.
Der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Nürnberg hat unter Mitwirkung des Richters am Oberlandesgericht Dr. als Vorsitzendem Richter sowie der Richter am Oberlandesgericht und am 29.2. 2012 in dem Strafverfahren gegen P S wegen gefährlicher Körperverletzung
einstimmig b e s c h l o s s e n :
I. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11. August 2011 wird als unbegründet verworfen.
II. Der Revisionsführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e :
I. Das Amtsgericht Nürnberg hat den Angeklagten am 18.5.2010 wegen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt.
Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft und die Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Nürnberg-Fürth am 11.8.2011 nach sechstägiger Hauptverhandlung verworfen. Mit der Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 11.8.2011 als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
Nach ständiger obergerichtlicher Rechtsprechung ist gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO für eine zulässig erhobene Verfahrensrüge erforderlich, dass die den geltend gemach-ten Verstoß enthaltenden Tatsachen so genau dargelegt werden, dass das Revisions-gericht auf Grund dieser Darlegungen das Vorhandensein - oder Fehlen - eines Verfah-rensmangels feststellen kann, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen sind oder bewiesen werden (vgl. BGH NStZ 1996, 145). Dem wird der Vortrag der Revision nicht gerecht. Zur formgerecht erhobenen Rüge der Verletzung des § 257c Abs. 4 S. 3 StPO gehört die Mitteilung über die die Loslösung von der Bindung begründenden Tatsachen. Der Senat kann allein aus den vorgetragenen Tatsachen und auch nicht unter ergän-zender Heranziehung der Feststellungen im angegriffenen Urteil beurteilen, ob die Strafkammer unzulässigerweise ein im Rahmen einer Verständigung erster Instanz abgegebenes Geständnis verwertet hat.
aa) Die Revision trägt vor, dass die Berufungskammer gegen § 254 Abs. 1 StPO ver-stoßen habe, als sie im Rahmen der Beweisaufnahme die Einlassung des Angeklagten zur Sache vor dem Amtsgericht verlesen habe. Hintergrund des erstinstanzlich abgege-benen Geständnisses sei eine Verständigung gem. § 257c StPO gewesen. Nach § 257c Abs. 3 S. 4 StPO bestehe ein Beweisverwertungsverbot für das im ersten Rechtszug vor dem dem Amtsgericht abgelegte Geständnis im weiteren Verfahren, so dass dessen Verlesung in der Berufungshauptverhandlung fehlerhaft gewesen sei.
Aus den ergänzend heranzuziehenden Urteilsfeststellungen (vgl. Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 344 Rn. 20 m.w.N.) ergibt sich noch folgendes: Der Angeklagte zeigte sich am ersten Hauptverhandlungstag vor dem Landgericht geständig und gab an, den Geschädigten in das Gesicht getreten zu haben (BU S. 11). Er hatte sich zuvor in der (sodann ausgesetzten Berufungshauptverhandlung vom 13.12.2010) bei dem Verletz-ten entschuldigt und diesem ein Schmerzensgeld i.H.v. 1.000,-- übergeben (BU S. 11). Nachdem die Berufungskammer mit Blick auf die Rechtsfolgenentscheidung einige Zeugen zu den genaueren Umständen des Trittes gehört hatte, änderte der Angeklagte am vierten Hauptverhandlungstag sein Einlassungsverhalten (BU S. 12). Er gab nun-mehr an, von dem Bruder des Verletzten, geschlagen worden zu sein. Der Fußtritt habe im Zusammenhang mit der Gegenwehr gegen einen Angriff des Bruders gestanden. Er habe die beiden Brüder aufgrund der Lichtverhältnisse in der Diskothek verwechselt und deshalb ein unzutreffendes Geständnis abgelegt (BU S. 12). Die Berufungskammer hat das erstinstanzliche Geständnis des Angeklagten in ihrer Beweiswürdigung zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit seiner Bekundungen verwertet (BU S. 24 f.).
bb) Aufgrund dieser Feststellungen kann der gerügte Verfahrensverstoß nicht beurteilt werden. Allein das Vorliegen einer Verständigung erster Instanz begründet nicht schon automatisch ein Verwertungsverbot in zweiter Instanz.
(1) § 257c Abs. 4 S. 3 StPO enthält kein absolutes Verwertungsverbot. Der Gesetzge-ber hat vielmehr ausdrücklich ein Verwertungsverbot eines Geständnisses, das im Hinblick auf eine Verständigung abgelegt wurde, nur für den Fall kodifiziert, dass sich das Gericht von der Verständigung löst. Ein allgemeines instanzübergreifendes und vom Loslösungstatbestand unabhängiges Beweisverwertungsverbot hat keinen Eingang in das Verständigungsgesetz gefunden. In den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/12310, S. 15 li. Sp.) heißt es insoweit nur: Die Bindungswirkung nach Maßgabe von Absatz 4 gilt allgemeinen Grundsätzen entsprechend nur für das Tatsachengericht, das die der Verständigung zugrunde liegende Prognose abgegeben hat. Weder Beru-fungsgericht, Revisionsgericht noch das Gericht nach Zurückverweisung sind insoweit gebunden.
Der anders lautende Entwurf des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwalts-kammer (BRAK-E, ZRP 2005, 235, 237), der auf das Verständigungsgesetz von beson-derem Einfluss gewesen ist (vgl. Niemöller, in: Niemöller/Schlothauer/Weider, Verstän-digungsgesetz, 2010, Teil A Rn. 19; Jahn/Rückert, NStZ 2012, 48; Jahn/Müller, NJW 2009, 2625, 2626), wurde ausdrücklich nicht in das Gesetz übernommen. Dieser Ent-wurf sah vor, dass die Bindungswirkung mit dem Abschluss des Rechtszugs, in dem die Zusage erfolgt ist, entfällt (§ 243a Abs. 4 Nr. 5 BRAK-E) und ein Geständnis damit unverwertbar wird (§ 243a Abs. 5 S. 1 Hs. 2 BRAK-E). Dies wurde mit folgenden Erwä-gungen begründet (ZRP 2005, 235, 240): Prozessuale Folge des Wegfalls der Bin-dungswirkung einer Rechtsfolgenzusage ist die Wiederherstellung des Status quo ante. Ein Geständnis ist unverwertbar. Prozesshandlungen des Angeklagten sowie ein sons-tiges prozessuales Verhalten werden wirkungslos. ( ) Der Angeklagte wird insgesamt so gestellt, als sei es zu der Urteilsabsprache nicht gekommen. ( ) Insgesamt wird jedenfalls durch die Regelung des § 243a Abs. 5-neu das Problem der so genannten Vorleistungspflicht des Angeklagten im Zusammenhang mit einer Urteilsabsprache weitgehend entschärft.
(2) Notwendige Voraussetzung für die Annahme eines Verlesungs- und Verwertungs-verbot ist, dass sich das Gericht, in dem die Verständigung getroffen wurde, von dieser gelöst hat. Darüber hinaus wird in der Rechtsprechung auch ein Verwertungsverbot angenommen, wenn die Staatsanwaltschaft Berufung mit dem Ziel eingelegt hat, eine Strafe jenseits des abgesprochenen Rahmens zu erreichen, weil diese Fallgestaltung der Loslösung durch das Gericht gleichzustellen sei (vgl. OLG Düsseldorf StV 2011, 80, 81 m. krit. Anm. Kuhn StV 2012, 10; abl. zur Begr. auch Velten, StV 2012, 172, 176 Fn. 28; zust. hingegen Jahn, StV 2011, 497, 501).
Nachdem der Revisionsführer die relevanten, die Loslösung i.S.v. § 257c Abs. 4 StPO begründenden Tatsachen nicht mitgeteilt hat, genügt die erhobene Rüge nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO.
b) Zu den weiteren Rügen der Verletzung des § 244 Abs. 3 StPO und der Amtsaufklä-rungspflicht des § 244 Abs. 2 StPO hat die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellung-nahme vom 7.12.2011 unter Hinweis auf die Entscheidung BGH NJW 1988, 501, 502 ausgeführt:
Den Beweisantrag des Angeklagten auf Einvernahme der Zeugin Y S hat das Landgericht mit nicht zu beanstandender Begründung zurückgewiesen. Der Tatrichter darf eine Beweistatsache als bedeutungslos ansehen, wenn sie wie hier selbst für den Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen könnte, weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulasse und das Gericht in freier Beweiswür-digung den möglichen Schluss nicht ziehen will ( ). Nachdem die Strafkammer den Beweisantrag zu Recht zurückgewiesen hat, kann in dem Unterlassen der Einvernahme der Zeugin S auch kein Verstoß gegen die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) des Gerichts gesehen werden ( ).
Dem schließt sich der Senat an und weist ergänzend darauf hin, dass das Tatgericht in der Bewertung und Einstellung der Tatsache in das Beweisgefüge nicht an die abwei-chende Bewertung durch die Verteidigung gebunden war.
2. Auch die Sachrüge erweist sich als unbegründet.
Die Strafkammer hat trotz der Feststellung, dass der Angeklagte den für ihn erkennbar wehrlos auf dem Boden liegenden B S mindestens einmal mit dem beschuhten Fuß ins Gesicht [getreten hat], wobei er von vorne mit der Fußspitze gegen den Kopf des Wehrlosen trat, als ob er einen Fußball wegkicken wollte (BU S. 10 f.) und der Erwä-gung im Rahmen der Strafzumessung, dass seine Tat eine potenziell sehr gefährliche Handlung darstellte, die geeignet ist, schwerere Verletzungen herbeizuführen (BU S. 29), nur wegen einfacher Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) verurteilt. Durch die Ablehnung des Qualifikationstatbestandes des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dessen Vo-raussetzungen nach den Feststellungen der Strafkammer nahe liegen (vgl. BGH, NStZ 2010, 151 m. Anm. Hecker, JuS 2010, 648, 650 m. zahlr. w.N. in Fn. 14; OLG Köln, NStZ 2011, 477, 478; Fischer, StGB, 59. Aufl. 2012 § 224 Rn. 9c), ist der Angeklagte aber nicht beschwert.
III.
Die Revision wird daher gemäß § 349 Abs. 2 StPO durch einstimmig gefassten Be-schluss verworfen.
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