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Entscheidungen

StPO

Durchsuchungsanordnung, Begründung, Anforderungen, Pflichtverteidiger, Ermittlungsverfahren

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Erfurt, Beschl. v. 23.04.2012 - 7 Qs 101/12

Leitsatz: 1. Zu den Anforderungen an die Begründung einer Durchsuchungsanordnung.
2. Zur Beiordnung eines Pflichtverteidigers im Ermittlungsverfahren von Amts wegen.


Landgericht Erfurt
7 Qs 101/12
BESCHLUSS
In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
wegen Betruges u.a.
hier: Beschwerde gegen Durchsuchungsanordnung u.a.
hat das Landgericht Erfurt - 7. Straf- und Beschwerdekammer - am 23. April 2012 beschlossen:

Auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 26.01.2012 wird festgestellt, dass der Durchsu-chungsbeschluss des Amtsgerichts Erfurt vom 06.12.2011 (Az.: 48 Gs 2676/11) bzw. die Anord-nung der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten rechtswidrig war.

Die vorläufige Sicherstellung der in dem Durchsuchungs-/Sicherstellungsprotokoll vom 25.01.2012 unter der laufenden Nummer pppp. aufgeführten Gegenstände wird aufgehoben und deren unver-zügliche Herausgabe an den Beschuldigten angeordnet. Darüber hinaus wird die unverzügliche Herausgabe sämtlicher zwischenzeitlich gefertigter Kopien bzw. Datenträger angeordnet.

Dem Beschuldigten wird Rechtsanwalt Martin Neldner aus Ilmenau als Pflichtverteidiger beigeord-net.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten trägt die Staatskasse.

Gründe
Gegen den Beschuldigten wird ein Verfahren wegen Betruges, der Hehlerei, der Urkundenfäl-schung sowie des Verstoßes gegen Urheberrechtsgesetz geführt.

Das Verfahren kam in Gang aufgrund des Hinweises einer in der Asylbewerberunterkunft Y. täti-gen Sozialarbeiterin, die der Polizeiinspektion Z. mitteilte, ein Herr X. wolle gegen eine in A. ansäs-sige Person Anzeige wegen Sozialleistungsbetruges erstatten.

Der Kurzmitteilung der PI Z. vom 03.06.2011 zufolge wurde Herr X. mit einer Dolmetscherin zum Sachverhalt am 02.06.2011 befragt. Dabei belastete er den Beschuldigten, seinen Cousin. Wegen sämtlicher Einzelheiten wird auf jene Kurzmitteilung Bezug genommen.

Die Polizeiinspektion B. bzw. die Staatsanwaltschaft Erfurt nahmen sodann einige Ermittlungen vor, die die Vorwürfe allerdings nicht erhärteten. Mit Verfügung vom 15.11.2011 ersuchte die Staatsanwaltschaft Erfurt die PI Z. darum, den Zeugen und seine Ehefrau zu detaillierten Fragen erneut zu vernehmen und ihre Angaben zu konkretisieren. Dies erwies sich als unmöglich, da bei-de zwischenzeitlich in ihr Heimatland XXX zurückgekehrt waren, wie die PI Z. unter dem 22.11.2011 mitteilte.

Durch Beschluss vom 06.12.2011 (Az.: 48 Gs 2676/11) ordnete das Amtsgericht Erfurt nach §§ 102, 105 Abs. 1, 162 Abs. 1 StPO ohne vorherige Anhörung die Durchsuchung der Person, der Wohnung mit Nebenräumen, der Geschäftsräume mit Nebenräumen, der Fahrzeuge und der Werkstatt im Wohnhaus des Beschuldigten an, nach folgenden Gegenständen:
- raubkopierte XXXXXXXXXXXXX
- raubkopierte XXXXXXXXXXXX
PC des Beschuldigten,
- Unterlagen XXXXXXXXXXX
- Unterlagen XXXXXXXX

Zudem wurde die „Beschlagnahme" der jeweils aufgeführten Gegenstände nach §§ 94, 98 StPO angeordnet, sofern sie nicht freiwillig herausgegeben würden.

Das Gericht führte zur Begründung aus, es bestehe nach den bisherigen Ermittlungen der Ver-dacht, dass der Beschuldigte gewerbsmäßig im Internetauktionshaus „ebay" unter anderem raub-kopierte PC-Programme und CD-Roms für Navigationssysteme vertreibe. Ferner werde ihm Hehlerei zur Last gelegt, da er nach eigenen Angaben gegenüber einem Zeugen einen PC erworben habe, der aus einer Diebstahlshandlung in einer Bank stamme. Er solle auch Unterlagen zur Vorlage bei Behörden fälschen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.

Aufgrund dieses Beschlusses vom 06.12.2011 wurde am 25.01.2012 eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Dabei wurden in der Wohnung des Beschuldigten in XXXXXXXX Gegenstände si-chergestellt, die im Wohnzimmer und im Kinderzimmer gefunden worden waren. Auf das Durchsu-chungs- / Sicherstellungsprotokoll vom 21.01.2012 sowie das Protokoll über kriminaltechnische Tatortarbeit vom selben Tag wird insoweit Bezug genommen.

Der Beschuldigte ließ gegen den Durchsuchungsbeschluss vom 06.12.2011 mit anwaltlichem Schriftsatz vom 26.01.2012 Beschwerde einlegen mit dem Antrag, festzustellen, dass die Anord-nung der Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten rechtswidrig war. Zugleich wurde bean-tragt, die vorläufige Sicherstellung der im Protokoll genannten Gegenstände aufzuheben und die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung auszusetzen.
Darüber hinaus wurden die Bestellung des Verteidigers zum Pflichtverteidiger und Akteneinsicht beantragt.
Wegen der Begründung für jene Anträge wird auf den Beschwerdeschriftsatz vom 26.01.2012 so-wie auf die weiteren Schriftsätze vom 08.02., vom 10.02., vom 16.02. und vom 15.03.2012 verwie-sen. Insbesondere wird gerügt, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt wurde und es bereits an konkreten Tatsachen für einen Anfangsverdacht fehle. Es hätte eine Vielzahl weiterer Ermittlungsansätze gegeben, die weniger einschneidend als die Durchsuchung gewesen wären.

Das Amtsgericht half der Beschwerde unter dem 19.03.2012 nicht ab und legte die Sache unter Vermittlung der Staatsanwaltschaft Erfurt der Beschwerdekammer des Landgerichts Erfurt zur Entscheidung vor, wo sie am 30.03.2012 einging.

II.
1.
Die Beschwerde des Beschuldigten gegen die Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Erfurt vom 06.12.2011 ist statthaft und zulässig (§ 304 StPO). Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

Der angefochtene Beschluss enthält bereits keine hinreichenden tatsächlichen Angaben zu den Tatvorwürfen. Zudem war die Anordnung der Durchsuchung angesichts der weiteren zur Verfü-gung stehenden Ermittlungsansätze unverhältnismäßig. Die Kammer folgt insoweit den überzeu-genden und treffenden Ausführungen des Verteidigers. Die nachstehenden Ausführungen erfolgen ergänzend.

Eine Durchsuchung ist regelmäßig ein schwerwiegender Eingriff in die grundgesetzlich durch Art. 13 Abs. 1 GG geschützte Lebenssphäre des Betroffenen. Sie steht daher ebenso wie ihre Anord-nung unter dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es ist Aufgabe des Rich-ters, von vorneherein für eine angemessene Begrenzung der Zwangsmaßnahme Sorge zu tragen. Er muss durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Mög-lichen und Zumutbaren sicherstellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollier-bar bleibt. Ein Durchsuchungsbefehl, der keinerlei oder nur unzureichende tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthält, wird diesen Anforderungen nicht gerecht (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss v. 22.03.1999 — 2 BvR 2158/98, juris). Jedenfalls bedarf es für die Zulässigkeit einer Durchsuchung gemäß § 102 StPO eines durch Tatsachen konkretisierten Verdachts, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer in Betracht kommt (s. etwa BGH, Beschluss vom 05.08.2003, StR 7/03, Rn. 10, Juris).

Der angefochtene Beschluss leidet im Lichte dieses Maßstabes unter mehreren Mängeln. So wird zwar ein Betrugsvorwurf erhoben, der dahingehende Verdacht — unberechtigter Bezug von Sozial-leistungen — jedoch nicht einmal erwähnt. Weiter werden keinerlei Tatsachen angeführt, die die vorgeworfenen Taten — immerhin Betrug, Hehlerei, Urkundenfälschung und Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz — belegen. Einleitend heißt es lediglich, der Beschuldigte „soll gewerbsmäßig im Internetauktionshaus „ebay" unter anderem raubkopierte PC-Programme und CD-Roms für Navigationssysteme vertreiben." Weiter habe er „nach eigenen Angaben gegenüber einem Zeu-gen" einen PC erworben, der aus einer Diebstahlshandlung in einer Bank stamme. Zudem „soll (er) auch Unterlagen zur Vorlage bei Behörden verfälschen". Diese allgemein gehaltenen Behauptun-gen ohne jede Angabe konkreter Beweismittel sind nicht hinreichend, den schwerwiegenden Grundrechtseingriff der Wohnungsdurchsuchung zu rechtfertigen.

Letztlich beruht der Durchsuchungsbeschluss einzig und allein auf den pauschalen und im Duktus des „Anschwärzens" gehaltenen Behauptungen des Herrn X, der in XXXXXX geboren, offenbar aus einer Asylbewerberunterkunft in Deutschland wieder in sein Heimatland zurückgekehrt ist und somit nicht mehr „nachvernommen" werden konnte. Seine im Beisein eines Dolmetschers getätigte Aussage wurde zudem nicht unmittelbar und als förmliche Zeugenvernehmung, sondern lediglich in einer polizeilichen „Kurzmitteilung" wiedergegeben. Angesichts dieser Begleitumstände handelt es sich bei den Tatvorwürfen um nicht mehr als bloße Vermutungen, auf die ein Durchsuchungs-beschluss nach allgemeiner Auffassung nicht gestützt werden darf.

Soweit die Staatsanwaltschaft darauf hinweist, die im Vorfeld des Durchsuchungsbeschlusses durchgeführte Kontenüberprüfung habe deutlich gemacht, „dass Bareinzahlungen getätigt wurden", ist nicht erkennbar, inwieweit dies den Verdacht strafbarer Handlungen belegen sollte. Der Verteidiger weist zu Recht darauf hin, dass es sich im ersten Halbjahr 2011 lediglich um drei Bareinzahlungen in Höhe von YYYYY EUR gehandelt habe.

Die Durchsuchungsanordnung verstößt auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Die angeordneten Durchsuchungen stehen nicht in angemessenem Verhältnis zur Stärke des Tatverdachts, zur Bedeutung des Aufklärungsinteresses und zur Schwere der dem Beschul-digten zur Last gelegten Handlungen. So hatten die bisherigen Untersuchungen wie Kontoauskünf-te oder eine Auskunft der Agentur für Arbeit die Verdachtsmomente gerade nicht bestätigt.
Insbesondere kamen — worauf der Verteidiger zu Recht abstellt - weniger einschneidende Maß-nahmen als die Durchsuchung in Betracht, um den Verdacht gegen den Beschuldigten zu erhärten (oder auszuräumen).
Da der Durchsuchungsbeschluss rechtswidrig war, erfasst dies auch die, vorgenommene Sicher-stellung von Gegenständen. Sämtliche sichergestellten Gegenstände sind daher — wie angeord-net - unverzüglich an den Beschwerdeführer herauszugeben. Diese Herausgabepflicht erfasst auch die zwischenzeitlich gespiegelten Daten und jedwede Kopie von Unterlagen bzw. der Fest-platten.

Aufgrund der Beschwerdeentscheidung war eine Anordnung nach § 307 Abs. 2 StPO nicht mehr erforderlich, zumal eine Durchsicht der Asservate bisher mit Blick auf die Beschwerde zurückge-stellt worden war bzw. aufgrund entsprechender Verfügung der Staatsanwaltschaft keine Auswer-tung erfolgen sollte. Jedwede Durchsicht und Auswertung der Asservate oder der mittlerweile ge-zogenen Kopien ist jedenfalls unzulässig.

2.
Der Kammer hält es angesichts der besonderen Umstände im vorliegenden Fall - ausnahmsweise und in pflichtgemäßer Ausübung ihres Ermessens - für geboten, dem Beschuldigten gemäß § 140 Abs. 2 i.V.m. § 141 Abs. 3 StPO bereits im Ermittlungsverfahren einen Pflichtverteidiger zur Seite zu stellen.

Die frühzeitige Verteidigerbestellung ist erforderlich, weil erkennbar ist, dass in einer eventuellen Hauptverhandlung ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegen wird und weil zudem wesentli-che Weichenstellungen in dem derzeitigen Verfahrensabschnitt erfolgten und erfolgen (vgl. BGH, Beschluss vom 25.07.2000, Az.: 1 StR 169/00, juris). Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der (wohl einzige) Belastungszeuge doch noch vernommen werden sollte. Zudem war und ist Akten-einsicht erforderlich, um die Rechtmäßigkeit des Durchsuchungsbeschlusses und die Ordnungs-mäßigkeit späterer Anordnungen überprüfen zu können (vgl. LG Lübeck, Beschluss vom 10.11.2010, Az.: 4 Qs 118/10).

Dabei war auch zu berücksichtigen, dass im Zuge des Ermittlungsverfahrens bereits Fehler unter-laufen sind, so dass die Mitwirkung eines Pflichtverteidigers zur Wahrung der Rechte des Beschul-digten unerlässlich erscheint. So kann fortan ein konventions- und menschenrechtskonformes so-wie faires Verfahren mit gewährleistet werden.

Der Beschuldigte ist im Übrigen offenkundig nicht in der Lage, sich selbst zu verteidigen, so dass die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO vorliegen. Der Beschuldigte ist der deutschen Spra-che nur begrenzt mächtig und bereits daher in seiner Verteidigungsfähigkeit eingeschränkt. Als Ausländer vermag er die durchaus komplizierte Rechtslage kaum zu erfassen und die möglichen Folgen einzuschätzen. Auch mit Blick auf die Vielzahl und Schwere der erhobenen Vorwürfe — vom Betrug bis zum Verstoß gegen das Urheberrechtsgesetz — war die Pflichtverteidigerbestel-lung erforderlich. Dies gilt auch mit Blick auf eventuelle ausländerrechtliche Sanktionen oder Nach-teile.

Eines — grundsätzlich erforderlichen — Antrages der Staatsanwaltschaft nach § 141 Abs. 3 S. 2 StPO bedurfte es hier ausnahmsweise nicht, da das der Staatsanwaltschaft eingeräumte Ermes-sen „auf Null reduziert" war. Der „Herrin des Ermittlungsverfahrens" ist hier zwar ein Ermessens- oder Beurteilungsspielraum eingeräumt. Jede andere Entscheidung als die Bestellung eines Pflichtverteidigers (bzw. eines Antrages hierzu) wäre jedoch ermessensfehlerhaft (vgl. LG Cottbus, Beschluss vom 13.05.2005, Az.: 22 Qs 15/05, juris). Es wäre im Übrigen eine bloße „Förmelei", zunächst der Staatsanwaltschaft aufzugeben, einen Antrag auf Bestellung eines Pflichtverteidigers zu stellen, um dann jenem Antrag Folge zu leisten. Angesichts der Ermessensreduzierung auf Null sah sich die Kammer in der Lage, im Zuge des Beschwerdeverfahrens ausnahmsweise selbst die Bestellung vorzunehmen.

3.
Da eine gerichtliche Entscheidung der Abänderung bedurfte, waren die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschuldigten der Staatskasse aufzuerlegen, § 467 Abs. 1 StPO analog.

Einsender: RA M. Neldner, 98693 Ilmenau

Anmerkung:


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