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Entscheidungen

OWi

Fahrverbot, Augenblicksversagen, beharrlicher Verstoß

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 09.03. 2012 - 2 Ss OWi 195/12

Leitsatz: 1. Die auf die Begründung gestützte Aufklärungsrüge, ein Zeuge oder der Betrof-fene habe in der Hauptverhandlung anders ausgesagt als im Urteil festgestellt, ist unzulässig (§ 344 II 2 StPO), weil sich das Rechtsbeschwerdegericht nicht über das Verbot der Rekonstruktion der Beweisaufnahme hinwegsetzen darf (u.a. An-schluss an BGH StraFo 2011, 229 f. = StV 2011, 453 f. = NStZ 2011, 590 f.).

2. Auch der Annahme einer beharrlichen Pflichtenverletzung i.S.v. § 4 II 2 BKatV kann im Einzelfall die mangelnde individuelle Vorwerfbarkeit des Verkehrsversto-ßes entgegen stehen.

3. Macht der Betroffene geltend, eine ihm unbekannte innerörtliche Geschwindig-keitsbeschränkung auf 30 km/h nicht wahrgenommen zu haben, weil die entspre-chenden Verkehrszeichen durch einen LKW bzw. den Gegenverkehr verdeckt worden seien, kommt die Berufung auf ein sog. Augenblicksversagen nur aus-nahmsweise in Betracht, wenn der Betroffene zugleich die nach § 3 III Nr. 1 StVO zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht unerheblich überschritten hat (Festhaltung an OLG Bamberg, Beschluss vom 01.06.2010 - 3 Ss OWi 814/10 [bei juris] = VRR 2010, 350 [Deutscher] = VA 2010, 193 [Ls]).

4. Ob eine solche Überschreitung allein zur Bejahung des subjektiven Vorwurfs der Beharrlichkeit ausreicht, bedarf keiner Entscheidung, wenn weitere Aspekte hinzutreten, die der Anerkennung eines Augenblicksversagens wertungsmäßig entgegen stehen. Insoweit kann auch die Vorahndungslage des Betroffenen zu berücksichtigen sein.


Zum Sachverhalt:
Das AG hat den Betr. am 07.11.2011 wegen einer am 17.06.2011 fahrlässig begangenen Über-schreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 27 km/h zu einer Geldbuße verurteilt. Daneben hat es gegen ihn wegen eines beharrlichen Pflichtenverstoßes ein (Regel-) Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet. Mit seiner Rechtsbeschwerde rügt der Betr. die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel blieb ohne Erfolg (§ 349 II StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG).
Aus den Gründen:
1. Unabhängig davon, ob der Betr. gehalten gewesen wäre, in der Hauptverhandlung entsprechende Beweisanträge zu stellen, erweisen sich die beiden Aufklärungsrügen auf Einholung eines Sachverständigengutachten bzw. Einnahme eines Augenscheins einerseits sowie auf weitere „Einvernahme des Betroffenen“ andererseits, bereits des-halb als unzulässig, weil das Rechtsbeschwerdegericht aufgrund des Vortrags in der Rechtsbeschwerdebegründung nicht in die Lage versetzt wird, zu prüfen, weshalb sich das AG gedrängt sehen musste, eine weitere Beweiserhebung durchzuführen. In bei-den Fällen stützt sich die Beschwerdebegründung darauf, der Zeuge bzw. der Betr. habe in der Hauptverhandlung etwas anderes ausgesagt, als es das AG festgestellt habe. Mit dieser Begründung ist eine Aufklärungsrüge nicht zulässig, weil sich das Rechtsbeschwerdegericht nicht über das Verbot der Rekonstruktion der Beweisauf-nahme hinwegsetzen darf (BGH StraFo 2011, 229 f. = StV 2011, 453 f. = NStZ 2011, 590 f.; Cirener NStZ-RR 2012, 65, 70).
2. Bei der Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge stehen dem Senat nur die schriftlichen Urteilsgründe zur Verfügung.
a) Gegen den Schuldspruch bestehen – worauf die GStA zutreffend hinweist – keine rechtlichen Bedenken. Soweit mit der Rechtsbeschwerde auch geltend gemacht wird, „ein fahrlässiges Verhalten war dem Betroffenen deshalb schon nicht vorzuwerfen, weil ein über das normale Augenblicksversagen hinausgehender Fall vorliege“, erweist sich dies als unzulässiger Angriff gegen die Feststellungen.
b) Auch der Rechtsfolgenausspruch ist im Ergebnis nicht zu beanstanden:
aa) Nach den Feststellungen des AG erfüllt der Geschwindigkeitsverstoß die Voraus-setzungen für einen Regelfall nach § 4 II 2 BKatV. Gegen den Betr. wurde am 10.06.2010, rechtskräftig seit 29.06.2010, wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 31 km/h (Tatzeit: 15.04.2010) eine Geldbuße von 120 € verhängt. Wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um 28 km/h (Tatzeit: 09.09.2009) wurde gegen ihn am 27.08.2010, rechtskräftig seit 11.09.2010, eine Geldbuße von 300 € verhängt. Bei der verfahrensgegenständlichen Tat am 17.06.2011 kam es zu einer Geschwindigkeits-überschreitung um 27 km/h. Bei solchen Zuwiderhandlungen ist regelmäßig ein beharr-licher Pflichtverstoß i.S.v. § 25 I 1 StVG indiziert, bei dem ein Absehen vom Fahrverbot nur bei Vorliegen wesentlicher Besonderheiten in Betracht kommt.
bb) Insoweit ist der Rechtsbeschwerde allerdings zuzugeben, dass das AG sich hier fehlerhaft nicht mit dem Vorliegen eines sog. Augenblicksversagens auseinandergesetzt hat. Auch bei Vorliegen einer beharrlichen Pflichtverletzung nach § 4 II 2 BKatV kann es an der individuellen Vorwerfbarkeit fehlen, wenn der Verstoß nur auf einfacher/leichter Fahrlässigkeit beruht (König in Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 41. Aufl. § 25 StVG Rn. 23). Trotz der gewichtigen Indizwirkung hat sich der Bußgeldrichter jedenfalls dann mit der Frage des Vorliegens einer leichten Fahrlässigkeit auseinander zu setzen, wenn aufgrund der Einlassung des Betr. dazu Anlass besteht (Burmann/Heß/Jahnke/Janker Straßenverkehrsrecht 22. Aufl. § 25 StVG Rn. 18 m.w.N).
cc) Das war hier grundsätzlich der Fall. Denn nach der im Urteil wiedergegebenen und im Rahmen der Sorgfaltswidrigkeitsprüfung hinsichtlich des Schuldspruchs auch teil-weise berücksichtigten Einlassung des Betr., die Geschwindigkeitsbeschränkung an dieser Stelle sei ihm nicht bekannt gewesen, das auf der rechten Fahrbahnseite befind-liche Verkehrszeichen sei durch einen LKW verdeckt gewesen, beide Verkehrszeichen (also auch das auf der linken Seite angebrachte) seien direkt an der Kreuzung und in großer Höhe angebracht, wegen des auf der rechten Seite stehenden LKW und Gegen-verkehrs habe er das linke Zeichen nicht wahrgenommen, lag es jedenfalls nicht fern, dass das Übersehen des auf der linken Seite angebrachten Verkehrszeichens auf leich-ter Fahrlässigkeit beruhte. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht hinreichend deutlich, dass sich der Tatrichter einer solchen Möglichkeit bewusst war.
dd) Das berührt indessen den Bestand der Rechtsfolgenentscheidung im Ergebnis nicht. Da insoweit alle erforderlichen Feststellungen getroffen wurden, kann der Senat selbst entscheiden (§ 79 VI OWiG). Dabei geht er zugunsten des Betr. davon aus, dass das rechte Verkehrszeichen durch einen LKW verdeckt war und das Übersehen des auf der linken Seite angebrachten Verkehrszeichens auf leichter Fahrlässigkeit beruhte. Auch in diesem Fall ist allerdings aufgrund einer Gesamtabwägung der Einzelfallum-stände die Verhängung eines Fahrverbotes wegen beharrlicher Pflichtverletzung gebo-ten. Dies ergibt sich aus folgendem:
(1) Nach gefestigter Rechtsprechung der Obergerichte kann derjenige sich nicht auf „einfache Fahrlässigkeit“ berufen, wenn er die an sich gebotene Aufmerksamkeit in grob verkehrswidriger Weise unterlassen hat (König a.a.O. Rn. 20, 21, 23). Ein solcher Fall ist auch gegeben, wenn der Verkehrsteilnehmer nicht nur die durch Zeichen 274 ange-ordnete Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h sondern auch die normalerweise innerört-lich zulässige Geschwindigkeit von 50 km/h in nicht unerheblicher Weise überschritten hat (OLG Bamberg, Beschluss vom 01.06.2010 - 3 Ss OWi 814/10 [bei juris] = VRR 2010, 350 [Deutscher] = VA 2010, 193 [Ls]; König a.a.O.; Burhoff/Deutscher, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 3. Aufl. Rn. 1026, 984, jew. m.w.N). Hier wurde bei dem Betr. eine Geschwindigkeit von 60 km/h festgestellt, was nach Abzug der Messtoleranz eine Überschreitung um 7 km/h ergibt. Auch wenn dem Betr. insoweit nur Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, ist die Überschreitung jedenfalls nicht als unerheblich anzusehen (vgl. OLG Karlsruhe NZV 2004, 211 [für eine Überschreitung um 9 km/h]). Ob eine solche Überschreitung allein zur Bejahung des subjektiven Vorwurfs der Beharrlichkeit ausreicht, oder ob dies erst ab einer Überschreitung von mindestens 26 km/h der Fall sein kann (krit. insoweit Burhoff/Deutscher Rn. 1026 m.w.N), bedarf keiner Entscheidung, weil hier noch weitere Aspekte hinzukommen:
(2) Zum einen war der Betr. bereits vor dem eigentlichen Geschwindigkeitsverstoß nach seiner eigenen Einlassung (Abbiegen in eine ihm unbekannte Straße, haltender LKW auf der rechten Seite unmittelbar im Kreuzungsbereich, Gegenverkehr im Kreuzungsbereich) zu einer erhöhten Aufmerksamkeit auch hinsichtlich der in der unbekannten Straße geltenden Geschwindigkeit verpflichtet, zumal er – wie § 39 Ia StVO zeigt – nicht ohne weiteres darauf vertrauen konnte, dass in der ihm unbekannten Straße die innerörtlich zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h galt. Zum anderen kann die Vorahndungslage nicht unberücksichtigt bleiben. Der Betr. ist innerhalb eines Jahres vor der verfahrensgegenständlichen Tat bereits zweimal wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mindestens 26 km/h rechtskräftig vorgeahndet, zuletzt nur etwa 9 Monate vor der verfahrensgegenständlichen Tat. Darüber hinaus hat er vier weitere Vorahndungen wegen eines Verkehrsverstoßes, drei davon betreffen Geschwindigkeitsüberschreitungen, wobei in einem Fall ein Fahrverbot verhängt und auch vollstreckt wurde. Dies zeigt, dass es der Betr. mit der Einhaltung der Vorschriften des Straßenverkehrs, insbesondere der Geschwindigkeitsregeln, nicht so genau nimmt. Unter Abwägung der Umstände des Einzelfalles ist der Senat der Auffassung, dass trotz der entlastenden Umstände [...] die Verhängung des Regelfallfahrverbotes angezeigt ist.
ee) Die schriftlichen Urteilsgründe tragen auch die Verneinung einer unzumutbaren Härte. Nach der st.Rspr. des Senats ist erst dann das Absehen von der Anordnung eines nach § 25 I StVG gebotenen Fahrverbots aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit iSv. Art. 2 I, 20 III GG in Erwägung zu ziehen, wenn der Betr. Tatsachen substantiiert und verifizierbar vorträgt, die die Annahme einer Gefahr für seine wirtschaftliche Exis-tenz in ihrer gegenwärtigen Form selbst für den Fall „greifbar“ erscheinen lassen, dass der Betr. alle ihm zumutbaren Maßnahmen getroffen hat, die geboten erscheinen, die Auswirkungen eines - hier nur einmonatigen - Fahrverbots gering zu halten (BVerfG NJW 1995, 1541). Solche Tatsachen hat das AG nicht feststellen können. Sie ergeben sich auch nicht aus dem Rechtsbeschwerdevorbringen.

Einsender: RiOLG Dr. Georg Gieg, Würzburg

Anmerkung:


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