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Leitsatz: 1. Dem Verletzten i.S. von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB steht kein subjektiver Anspruch auf die Durchführung von Sicherungsmaßnahmen im Rahmen der Rückgewinnungshilfe nach §§ 111b ff. StPO zu. Ihm fehlt es daher bei einer Beschwerde gegen die Aufhebung von Sicherungsmaßnahmen - hier der Pfändung von Einkünften des Angeschuldigten aus einem Lottogewinn - an der erforderlichen Beschwerdebefugnis
2. Die Abhängigkeit des Betroffenen von Sozialleistungen zu Lasten der öffentlichen Hand als Folge der Pfändung seiner einzigen Einkünfte - hier der Rentenzahlungen aus einem Lottogewinn - begründet für sich keine außergewöhnliche Härte i.S der nach §§ 111d Abs. 2 StPO, 928 ZPO auch im Strafverfahren geltenden Schutzklausel des § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO.
3. Für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen nach §§ 111b ff. StPO zugunsten eines Verletzten i.S. von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB ist dessen Schutzbedürftigkeit ohne Bedeutung.
2 Ws 214/12 Oberlandesgericht Celle Beschluss In der Strafsache gegen pp. wegen Betruges u. a.
hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerden der Staatsanwaltschaft und der Beteiligten gegen den Beschluss der 6. großen Straf-kammer Wirtschaftsstrafkammer - des Landgerichts Stade vom 22.05.2012 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Landgericht am 25.09.2012 beschlossen:
Die Beschwerde der Beteiligten wird auf ihre Kosten als unzulässig verwor-fen.
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft wird der angefochtene Be-schluss aufgehoben. Der Antrag des Angeschuldigten auf gerichtliche Ent-scheidung gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Stade vom 03.02.2012 wird als unbegründet verworfen.
Die durch die Beschwerde der Staatsanwaltschaft angefallenen Kosten trägt der Angeschuldigte.
G r ü n d e :
I. Die Staatsanwaltschaft Stade wirft dem Angeschuldigten mit der am 29.09.2011 vor dem Landgericht Stade erhobenen Anklage vor, sich als Mitarbeiter des D. B. Kunden & Finanzcenters in B., einer Filiale der Beteiligten, in der Zeit von Februar 2007 bis Dezember 2010 durch 156 Taten Kundengelder in Höhe von ca. 4 Millio-nen ertrogen zu haben. Die D. B. AG hat die ihren Kunden entstandenen Schä-den erstattet.
Bereits mit Beschluss vom 14.03.2011 ordnete das Amtsgericht Stade zur Siche-rung der den Verletzten aus den Straftaten erwachsenen Ersatzansprüche gegen den Angeschuldigten dinglichen Arrest i. H. von 1 Millionen an. Am 16.03.2011 erließ die Staatsanwaltschaft eine Pfändungsanordnung bzgl. des von dem Ange-schuldigten bei einem Gewinnspiel erworbenen Anspruchs auf eine Zehnjahres-rente i. H. von monatlich 1.000,00 .
Mit Bescheid vom 03.02.2012 lehnte die Staatsanwaltschaft den vom Angeschul-digten wegen eingetretener Arbeitslosigkeit und wegen der Befristung seines An-spruchs auf Arbeitslosengeld I bis Ende Februar 2012 gestellten Antrag auf Auf-hebung der Pfändungsmaßnahme ab.
Am 23.04.2012 stellte der Angeschuldigte einen erneuten Antrag auf Freigabe der Rente, weil er keine Sozialleistungen erhalte und daher auf die monatliche Rentenzahlung angewiesen sei. Das Landgericht legte sein Begehren als Antrag auf gerichtliche Entscheidung über den ablehnenden Bescheid der Staatsanwalt-schaft vom 03.02.2012 aus und hob die Pfändungsanordnung mit Wirkung ab dem 01.03.2012 auf. Zugleich ordnete es die aufschiebende Wirkung für den Fall der Einlegung einer Beschwerde gegen diese Entscheidung an. Das Landgericht ist der Ansicht, die Fortdauer der Pfändungsmaßnahme sei unverhältnismäßig. Die Lotto-Rente werde bereits seit März 2011 gepfändet. Sie habe für den Angeschuldigten existenzsichernde Bedeutung. Bei Fortdauer ihrer Pfändung sei er auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II angewiesen. Dies gehe zu Lasten der öffentlichen Hand. Eine solche Verlagerung der Folgen einer Straftat auf die Allgemeinheit sei vom Gesetz nicht gewollt. Die Beteiligte könne ihre Ersatzansprüche gegen den Angeschuldigten auch selbst durch Erwirken eines Vollstreckungstitels auf dem Zivilrechtsweg sichern und anschließend die Pfändung betreiben.
Hiergegen richten sich die Beschwerden der Staatsanwaltschaft und der Beteilig-ten.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt,
die Beschwerde der Beteiligten als unzulässig zu verwerfen und auf die Be-schwerde der Staatsanwaltschaft den angefochtenen Beschluss aufzuhe-ben.
II.
Die Beschwerde der Beteiligten ist unzulässig. Ihr fehlt es an der nach § 304 Abs. 2 StPO erforderlichen Beschwerdebefugnis. Sie ist durch die Aufhebung der Pfändungsmaßnahme in dem angefochtenen Beschluss nicht unmittelbar in ihren Rechten verletzt, sondern allenfalls faktisch betroffen. Denn soweit sie durch die Taten des Angeschuldigten geschädigt wurde, steht ihr als Verletzter i. S. von § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB kein subjektiver Anspruch auf die Durchführung von Sicherstellungsmaßnahmen im Rahmen der Rückgewinnungshilfe nach §§ 111b, 111d StPO zu (vgl. Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Auflage, § 111b Rdnr. 48a; Rogall in Systematischer Kommentar StPO, 4. Auflage, § 111b Rdnr. 38 m. w. N.). Wer indes von einer strafprozessualen Maßnahme nur mittelbar oder faktisch betroffen ist, hat kein eigenes Beschwerderecht (vgl. KK-Engelhardt, StPO, 6. Auflage, § 304 Rdnr. 28 m. w. N.).
III.
Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist begründet. Der angefochte-ne Beschluss hält der rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Das Landgericht hat das Begehren des Angeschuldigten vom 23.04.2012 zutref-fend als Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 111 f. Abs. 5 StPO gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft vom 03.02.2012, mit dem die Aufhebung der Pfändung seines Rentenanspruchs aus dem Lotto-Gewinn abgelehnt wurde, aus-gelegt.
Für die Beendigung der Pfändungsmaßnahme bestand indes kein rechtlicher An-lass.
1. Die in der Rechtsprechung - soweit ersichtlich - ungeklärte Frage, ob im Verfahren der Beschwerde gegen die Ablehnung oder Stattgabe eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung nach § 111 f. Abs. 5 StPO durch das Beschwerdege-richt inzidenter auch die Rechtmäßigkeit der zugrundeliegenden Sicherstellungs- oder Arrestanordnung nach §§ 111 b Abs. 1 und 2, 111 d Abs. 1 StPO zu prüfen ist (ablehnend Gercke in Heidelberger Kommentar StPO, 4. Auflage, § 111f Rdnr. 1), kann dahinstehen. Im vorliegenden Fall jedenfalls sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Fortdauer des vom Amtsgericht Stade mit Beschluss vom 14.03.2011 nach §§ 111 b Abs. 2, 111 d StPO angeordneten dinglichen Arrestes weiterhin gegeben. Der Angeschuldigte ist der ihm in der Anklage vom 29.09.2011 zur Last gelegten Taten auf Grund seiner geständigen Einlassung verdächtig. Es ist zu erwarten, dass im Falle seiner Verurteilung auch Wertersatzverfall gemäß § 73 a Abs. 1 StGB angeordnet werden bzw. eine Anordnung nur deshalb unterbleiben wird, weil der Beteiligten als mögliche Verletzte i. S. von §§ 73 Abs. 1 Satz 2, 73a Abs. 1 StGB ein Ersatzanspruch gegen den Angeschuldigten erwachsen sein könnte, dessen Erfüllung ihm den Wertersatz für das aus den Taten Erlangte entziehen würde. Auch der nach § 111 d Abs. 2 StPO i. V. m. § 917 Abs. 1 ZPO erforderliche Arrestgrund ist gegeben. Ohne den dinglichen Arrest würde die Vollstreckung des Verfalls bzw. der Ersatzansprüche der Beteiligten vereitelt. Denn die monatliche Lotto-Rente stellt für den arbeitslosen Angeschuldigten das einzige Einkommen dar und dient der Deckung seiner Lebenshaltungskosten. Daher kann nur im Wege des dinglichen Arrestes und der darauf gründenden Pfändung nach § 111 d Abs. 2 StPO verhindert werden, dass die Rentenzahlungen künftigen Vollstreckungsmaßnahmen entzogen werden. Da der dingliche Arrest sowohl zur Sicherung des späteren (Wertersatz)verfalls als auch der Ansprüche des Verletzten i. S. der Rückgewinnungshilfevorschriften der §§ 73 Abs. 1 Satz 2 StGB, 111b Abs. 5 StPO angeordnet werden darf (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 55. Auflage, § 111b Rdnr. 7 und § 111 d Rdnr. 4 m. w. N.), kann dahin stehen, ob die Beteiligte als Verletzte anzusehen ist. Für Letzteres spricht indes, dass sie im Rahmen der bestehenden Geschäftsbesorgungsverträ-ge ihren durch die Taten des Angeschuldigten geschädigten Kunden - als Ge-samtschuldnerin neben dem Angeschuldigten - zum Schadensersatz verpflichtet sein dürfte (§§ 675 Abs. 1, 280 Abs. 1, 278 Abs. 2 BGB) und bereits entsprechen-de Ersatzleistungen erbracht hat. Damit ist die von der Rechtsprechung für die Anerkennung als Verletzter i. S. von § 73 Abs. 2 Satz 2 StGB verlangte innere Verknüpfung des Anspruchs des Geschädigten und der prozessualen Tat, wonach der Anspruch als Folge der Tat i. S. des § 264 StPO erwachsen sein muss (vgl. BGH NStZ 2010, 326; StV 2009, 454; NJW 2001, 693 u. 2560), gegeben.
2. Die Lotto-Rente des Angeschuldigten unterfällt nicht den Pfändungsschutz-vorschriften nach § 111 d Abs. 2 StPO i. V. m. §§ 928, 850 ff ZPO. Denn es han-delt sich weder um geschütztes Arbeitseinkommen i. S. von §§ 850 a - 850 c ZPO noch um Einkünfte aus Unterhaltszahlungen i. S. von § 850 d und auch nicht um Vergütungen für persönlich geleistete Arbeiten bzw. Dienste oder Vergütungen aus der Überlassung von Wohngelegenheiten und sonstiger Sachbenutzung i. S. von § 850 i ZPO.
3. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Arrestvollziehungsmaßnahme nach § 111 d Abs. 3 StPO sind ebenfalls nicht gegeben, da der Arrest nicht wegen einer Geldstrafe oder wegen der voraussichtlichen Verfahrenskosten angeordnet worden ist.
4. Auch die über § 111 d Abs. 2 StPO i. V. m. § 928 ZPO mit der dortigen Verweisung auf die allgemeinen Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstre-ckung entsprechend anzuwendende Schutzklausel des § 765a Abs. 1 ZPO recht-fertigt nicht die Aufhebung der Pfändungsmaßnahme. Allein der Umstand, dass der Angeschuldigte infolge der Pfändung der Lotto-Rente für den Fall andauernder Arbeitslosigkeit auf die Gewährung von Arbeitslosengeld II angewiesen ist, be-gründet keine außergewöhnliche Härte i. S. von § 765 a Abs. 1 ZPO. Die Inan-spruchnahme von ALG II stellt keine besondere Zumutung dar und ermöglicht dem Angeschuldigten ein menschenwürdiges Dasein (vgl. BGH NJW 2005, 681).
Ohne Bedeutung ist, dass die bei der Fortdauer der Pfändungsmaßnahme zum Zwecke der Sicherung des späteren Verfalls bzw. bzw. der Ersatzansprüche der Beteiligten eintretenden finanziellen Verbindlichkeiten des Angeschuldigten über die Gewährung von Arbeitslosengeld II mittelbar mit öffentlichen Geldern getilgt werden. Aus den Schuldnerschutzvorschriften der §§ 850 ff. ZPO für Arbeitsein-kommen und vergleichbare Bezüge folgt der Rechtsgedanke, dass dem Schuldner in der Zwangsvollstreckung so viel belassen bleiben soll, dass er seinen Lebens-unterhalt selbst (durch Arbeit) erwirtschaften kann. Hingegen unterliegt sein Ver-mögen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht diesem Schutz. Es kann vielmehr unbegrenzt gepfändet werden, auch wenn der Schuldner dadurch vermögenslos und von öffentlichen Sozialleistungen abhängig wird (vgl. BGH a. a. O. für das zivilrechtliche Zwangsvollstreckungsverfahren). Eine Einschränkung, wonach bei (vorläufigen) Sicherungs- und Pfändungsmaßnahmen im Strafverfahren das Vermögen des Betroffenen im fiskalischen Interesse nur bis zur Grenze des Erreichens des Sozialleistungsanspruchs unterliegt, lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen.
5. Die Fortdauer der Pfändungsmaßnahme ist auch nicht unverhältnismäßig. Nach der Rechtsprechung ist, sofern durch eine vorläufige Sicherungsmaßnahme nahezu das gesamte Vermögen des Betroffenen entzogen wird, eine besonders sorgfältige Prüfung des Sicherstellungsinteresses und der Eigentümerposition des Betroffenen notwendig (vgl. BVerfG NStZ 2006, 639; OLG Hamburg, NJW 2012, 1601; OLG Köln, NJW 2004, 2397). Abzuwägen sind die Höhe des verursachten Schadens, das Sicherungsinteresse des Staates bzw. das Rückerlangungsinte-resse des Geschädigten, die tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten des Ge-schädigten zur Durchsetzung seiner Ansprüche, die Gefahr des Beiseiteschaffens oder des Verbrauchs von Vermögenswerten sowie der Tatzeitraum und die Anzahl der Taten. Stellt die Anordnung des dinglichen Arrestes für den Betroffenen eine unbillige Härte i. S. von § 73 c Abs. 1 StGB dar, kann bzw. muss von der vorläufi-gen Sicherstellung abgesehen werden (vgl. OLG Stuttgart, wistra 2007, 276; LG Hildesheim, StraFo 2008, 200). Eine unbillige Härte ist gegeben, wenn der Verfall im Einzelfall die Grundsätze der Billigkeit und das Übermaßverbot verletzen würde, weil seine Auswirkungen außer Verhältnis zu dem vom Gesetzgeber mit dem Verfall angestrebten Zweck stehen und daher die Verfallsanordnung schlechthin ungerecht erscheinen würde. Dies ist aber nicht schon dann anzu-nehmen, wenn bei dem Betroffenen als Folge des Verfalls Vermögenslosigkeit eintritt und er nicht mehr in der Lage ist, den Unterhalt für sich und seine Familie zu sichern (vgl. BGH NStZ 2010, 86).
Nach diesen Grundsätzen und unter Berücksichtigung der von dem Angeschuldig-ten über einen längeren Zeitraum begangenen Anzahl von 156 Taten, des verur-sachten Gesamtschadens von ca. 4 Millionen und der bisherigen Dauer der Pfändungsmaßnahme einerseits sowie seiner bei Fortdauer der Pfändungsmaß-nahme eintretenden Abhängigkeit von Sozialleistungen andererseits ist der Ver-hältnismäßigkeitsgrundsatz in keiner Weise berührt.
Dabei ist es auch ohne Bedeutung, dass es sich bei der Beteiligten als Geschädig-te, zu deren Gunsten sich die Pfändungsmaßnahme bei einem späteren Absehen von der Verfallsanordnung nach § 73 Abs. 1 Satz 2 StGB auswirken könnte, um ein Großunternehmen mit eigener Rechtsabteilung handelt, das staatlicher Hilfe bei der Durchsetzung seiner Entschädigungsansprüche nicht bedarf. Denn eine Differenzierung nach der wirtschaftlichen oder rechtlichen Potenz eines Geschä-digten ist weder der StPO zu entnehmen noch mit dem im OpferRRefG zum Aus-druck gekommenen Willen des Gesetzgebers, die Rechte der Verletzten im Straf-verfahren zu stärken, zu vereinbaren (so auch LG Hildesheim, StraFo 2008, 200).
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