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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Ermittlungsverfahren, Antrag, StA, Erforderlichkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Limburg, Beschl. v. 27.11.2012 - 5 AR 33/12

Leitsatz: Im Ermittlungsverfahren ist für die Beiordnung eines Verteidigers grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft erforderlich. Die Prüfung nach § 141 Abs. 3 StPO obliegt in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Allein auf Antrag des Beschuldigten ist allerdings ein Verteidiger dann zu bestellen, wenn anderenfalls die Anforderungen der EMRK an einem fairen Verfahren nicht gewahrt wären.


In pp.
Dem Beschuldigten wird Rechtsanwältin B. als Verteidigerin von Amts wegen beigeordnet.

I.
Die Staatsanwaltschaft Limburg führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Verbreitung, Erwerbes und Besitzes kinder- pornografischer Schriften (§ 184b StGB).
Das Ermittlungsverfahren ist eingeleitet worden aufgrund der Erkenntnisse einer Durchsuchung der Wohnung des Beschuldigten, die während laufender Hauptverhandlung von der 5. großen Strafkammer des Landgerichts Limburg angeordnet wurde.
Das Verfahren vor der Kammer mit gleichgelagertem Tatvorwurf führte wegen Schuldunfähigkeit zum Freispruch; eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus lehnte die Kammer mangels Verhältnismäßigkeit der Maßregel ab (Landgericht Limburg, 5. große Strafkammer, Urteil v. 6.8.2012, Geschäftszeichen 4 Js 6194/11 - juris). Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt und verfolgt ihren Antrag auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus weiter. In jenem Verfahren ist Rechtsanwältin B. als Verteidigerin von Amts wegen beigeordnet. Im vorliegenden Ermittlungsverfahren hat sich Rechtsanwältin B. mit Schriftsatz vom 7.8..2012 als Wahlverteidigerin gemeldet, verbunden mit dem Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidigerin und der Erklärung, für den Fall der Beiordnung werde das Wahlmandat niedergelegt.
Die Dezernentin der Staatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 13.8.2012 gegenüber der Verteidigerin erklärt, es werde kein Antrag der Staatsanwaltschaft auf Beiordnung gestellt. Nach näheren Ausführungen der Verteidigerin zur mangelnden Verteidigungsfähigkeit hat die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 24.8.2012 ihre Haltung beibehalten. Es sei angesichts der Revision im Verfahren 4 Js 6194/11 offen, inwieweit die Vorwürfe weiter verfolgt würden. Der Ausgang des Revisionsverfahrens solle abgewartet werden.
Die Verteidigerin ist dem mit inhaltlichen Ausführungen entgegen getreten und hat mit Schriftsatz vom 14.9.2012 beantragt,
die Sache angesichts einer Ermessungsreduzierung auf Null dem Vorsitzenden der Strafkammer zur Entscheidung vorzulegen. Dies hat Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 20.9.2012 abgelehnt. Die versagte Antragstellung sei nicht anfechtbar; eine Vorlage sei daher nicht veranlasst. Die daraufhin unmittelbare Antragstellung der Verteidigung gegenüber dem Vorsitzenden der Kammer führte nach Anforderung zur Aktenvorlage - verbunden mit der weiterhin versagten Antragstellung hinsichtlich einer Beiordnung.
II.
Die Beiordnung der Verteidigerin im Vorverfahrens war auf Antrag des Beschuldigten auszusprechen (§§ 141 Abs. 4, 3 Satz 1 StPO), da in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 StPO notwendig sein wird.
1. Es ist ersichtlich, dass der Beschuldigte sich nicht selbst verteidigen kann (§ 140 Abs. 2 Satz 1 StPO). Die Verteidigungsfähigkeit richtet sich nach den geistigen Fähigkeiten, dem Gesundheitszustand und sonstigen Umständen des Falles. Geistige und seelische Gebrechen führen je nach Grad der Behinderung zur Pflicht, einen Verteidiger zu bestellen (vergl. OLG Hamm NJW 2003, 3286 - juris). Eine Beiordnung ist schon dann notwendig, wenn an der Fähigkeit zur Selbstverteidigung erhebliche Zweifel bestehen (vergl. OLG Frankfurt StV 1984, 370 - juris). Vorliegend ist eine Verteidigungsunfähigkeit aufgrund der Erkenntnisse zur Person des Beschuldigten aus dem Verfahren 4 Js 6194/11 offenkundig. Die Kammer hat im Urteil vom 6.8.2012 zum psychischen Zustand unter anderem festgestellt: Die Sachverständige Dr. M. hat ausgeführt, beim Angeklagten sei eine paranoide Schizophrenie mit unvollständiger Remission (ICD-10: F20.04) zu diagnostizieren. Die Diagnose einer Schizophrenie stimme mit bereits früher gestellten Diagnosen überein. So habe der Facharzt für Psychiatrie Dr. B. im Rahmen der Einrichtung einer Betreuung 1998 einen akuten Schub einer schizophrenen Psychose mit überwiegend wahnhaften und paranoiden Anteilen bei offensichtlicher Erstmanifestation (ICD 10: F20.0) diagnostiziert. Der seit 1999 behandelnde Psychiater und Nervenarzt P. habe 2009 und aktuell ein chronisches Defektsyndrom bei Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Aufgrund dieser Erkrankung lebe der Angeklagte sehr zurückgezogen, habe weder private freundschaftliche noch sexuelle Kontakte. Bei der paranoiden Schizophrenie mit unvollständiger Remission handele es sich um eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB. Die Schizophrenie sei eine schwere psychische Störung, die kognitive Beeinträchtigungen, eine Negativsymptomatik in Form von fehlenden emotionalen Prozessen sowie als Positivsymptomatik psychotische Zustände mit Wahnvorstellungen und Halluzinationen nach sich ziehe. Ergänzend ist anzumerken, dass dieser Zustand zur Einrichtung einer zivilrechtlichen Betreuung führte. Die Aufgabenkreise der Betreuung umfassen Vermögenssorge, Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie unterbringungsähnliche Maßnahmen. Es besteht ein Einwilligungsvorbehalt für den Abschluss von Verträgen mit einer Verpflichtung von über 100 . Der Beschuldigte kann diese Angelegenheiten nicht selbst regeln. In einem Ermittlungsverfahren ist er erst recht überfordert, Bedeutung und Tragweite einer Einlassung zu erfassen und seine Rechte wahrzunehmen. Die wirren Eingaben des Beschuldigten unterstreichen dies. Die Notwendigkeit eines Verteidigers folgt zudem aus der - zumindest aus Sicht der Staatsanwaltschaft - zu erwartenden Rechtsfolge einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB. Dies begründet die Zuständigkeit des Landgerichts und damit die des Vorsitzenden der hiesigen 5. großen Strafkammer für die Bestellung eines Verteidigers (§ 141 Abs. 4 StPO).
2. Die Beiordnung im Ermittlungsverfahren war ohne Antrag der Staatsanwaltschaft auszusprechen. Mit der überwiegenden Rechtsprechung (vergl. OLG Oldenburg StV 1993, 511; OLG Karlsruhe StV 1998, 123; LG Cottbus StV 2002, 414; a. A. LG Bremen StV 1999, 532 - zitiert jeweils nach juris; Übersicht zur Rechtsprechung Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 141 Rz. 24) ist im Ermittlungsverfahren - von Sonderregelungen im Recht der Untersuchungshaft abgesehen - grundsätzlich ein Antrag der Staatsanwaltschaft für eine Beiordnung erforderlich. Diese Ansicht wird hier geteilt. Die nach § 141 III StPO gebotene Prüfung obliegt in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Das Ergebnis, keinen Antrag zu stellen, bindet im Regelfall den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden. Die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft wird zudem überwiegend auch nicht im Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG als überprüfbar angesehen (vergl. OLG Karlsruhe StV 1998, 123 mit weiteren Nachweisen). Dies entbindet den für das Hauptverfahren zuständigen Vorsitzenden aber nicht von der Verantwortung, für ein den Anforderungen der EMRK genügendes Verfahren Sorge zu tragen (vergl. Löwe-Rosenberg a. a. O.). Unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens kann für die Verteidigerbestellung eine Ermessensreduzierung auf Null in Betracht kommen (vergl. Karlsruher Kommentar, StPO, 6. Aufl., § 141 Rz. 7; offen gelassen OLG Karlsruhe StV 1998, 123 - juris).
So liegt der Fall hier und führt zur Beiordnung allein auf Antrag des Beschuldigten.
Der Beschuldigte ist aufgrund seiner geistigen Fähigkeiten krankheitsbedingt unfähig sich zu verteidigen. Ohne Beiordnung entstünde ein Zustand der Verteidigungslosigkeit. Das Wahlmandat ist angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage des Beschuldigten, der ein bescheidenes „Einkommen“ aus seiner Tätigkeit in der Behindertenwerkstatt erzielt, nicht gesichert.
Im vorangegangenen Verfahren erfolgte denn auch eine Beiordnung.
In dieser Sache ist zwar ein Wahlmandat angezeigt worden. Neben einer sogleich beantragten Beiordnung ist dies mit einem Antrag auf Akteneinsicht verbunden worden. Die beantragte Akteneinsicht sollte so ersichtlich noch vor Bescheidung des Beiordnungsantrags gewährleistet sein.
Der derzeitige Stand des Ermittlungsverfahrens gibt auch Anlass für anwaltlichen Beistand. Die Dezernentin der Staatsanwaltschaft hat ausweislich des polizeilichen Vermerks vom 19.7.2012 gegenüber der Polizeidirektion P. ein Ersuchen erteilt, den Beschuldigten zu vernehmen.
Der Beschuldigte ist überfordert, in einer verantwortlichen Vernehmung seine Rechte ohne anwaltlichen Beistand zu wahren. Im Übrigen liegt es im Verfahrensinteresse, strafprozessual verwertbare Vernehmungen durchzuführen (vergl. zur Problematik eines Verwertungsverbots bei zu Unrecht versagter Beiordnung Karlsruher Kommentar a. a. O. Rz. 7 mit Rechtsprechungsübersicht).
Die Ladung zu einer Beschuldigtenvernehmung ist auf Anregung der Verteidigerin polizeilich zurück gestellt worden bis zur Entscheidung über die Beiordnung. Dies ist sachgerecht und belegt zudem, dass das Wahlmandat nicht gesichert ist. Das Vernehmungsersuchen der Staatsanwaltschaft besteht fort.

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