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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Fluchtgefahr, Fluchtanreiz, hohe Straferwartung, familiäre Bindungen,

Gericht / Entscheidungsdatum: AB Backnang, Beschl. v. 19.03.2013 - 2 Ls 222 Js 113636/12

Leitsatz: 1. Zur verneinten Fluchtgefahr.
2. Allein der Umstand, dass die Ehefrau des Angeschuldigten aus Kroatien stammt und über die kroatische Staatsangehörigkeit verfügt, rechtfertigt die Annahme einer Fluchtgefahr nicht.


2 Ls 222 Js 113636/12
In dem Strafverfahren gegen
pp.
wegen unerlaubten gewerbsmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
erlässt das Amtsgericht Backnang durch am 19.03.2013 folgenden
Beschluss

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 19.12.2012, Aktenzeichen 26 Gs 2243/12 wird aufgehoben.
Der Angeschuldigte ist in vorliegender Sache aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe
I.
Der Angeschuldigte befindet sich aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Stuttgart vom 19.12.2012 seit diesem Tag in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart. Im Haftbefehl wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, er habe gemeinschaftlich mit seiner Ehefrau Z. aus den Räumlichkeiten des Anwesens B. in S. heraus einen professionellen Versandhandel mit Betäubungsmitteln betrieben, um sich durch fortlaufende und gewinn-bringende Weiterveräußerung der Betäubungsmittel eine Einnahmequelle von einigen Umfang und einiger Dauer zu eröffnen. Zu diesem Zweck habe der Angeschuldigte gemeinsam mit seiner Ehefrau am 18.12.2012 insgesamt 247g netto Marihuana, 210g netto Haschisch, 33,5 Ecstasytabletten und 20g netto Amphetamin vorrätig gehalten. Die Betäubungsmittel seien zum Teil verkaufsfertig abgepackt gewesen.
Das Verfahren gegen die Ehefrau des Angeschuldigten ist von der Staatsanwaltschaft Stutt-gart zwischenzeitlich gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Gegen den hier Ange-schuldigten erhob die Staatsanwaltschaft am 27.02.2013 Anklage zum Schöffengericht beim Amtsgericht Backnang und beantragte neben der Eröffnung des Hauptverfahrens, Haftbefehl im Umfang der Anklageschrift zu erlassen und Haftfortdauer anzuordnen. In der Anklageschrift wird dem Angeschuldigten zur Last gelegt, er habe spätestens im Juni 2012 den Entschluss gefasst, durch fortlaufende und gewinnbringende Weiterveräußerung von Betäubungsmitteln eine Einnahmequelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu erschließen. Er habe in Umsetzung dieses Beschlusses über das Internetportal "SilkRoad" einen professionellen Onlineshop eingerichtet. Im Rahmen einer Durchsuchung wurden die oben genannten Betäubungsmittel aufgefunden. Darüber hinaus wird dem Angeschuldigten in der Anklageschrift nunmehr auch zur Last gelegt, in insgesamt neun Fällen an gesondert verfolgte Abnehmer Betäubungsmittel veräußert zu haben, davon in zwei Fällen an einen zur Tatzeit erst 15-jährigen Abnehmer. Veräußert wurden jeweils 1-2g Marihuana.

II.
Der Haftbefehl des Amtsgerichts Stuttgart vom 19.12.2012 war aufzuheben und der Angeklagte auf freien Fuß zu setzen. Der Erlass eines neuen Haftbefehls im Umfang der Anklageschrift kam nicht in Betracht.
Zwar ist der Angeschuldigte nach derzeitigem Verfahrensstand der ihm in der Anklageschrift zur Last gelegten Taten dringend verdächtig, es fehlt jedoch an einem Haftgrund. Der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr scheidet schon deshalb aus, weil sich der Angeschuldigte im Rahmen seiner Vorführung am 19.03.2013 zur Sache geäußert und die ihm zur Last gelegten Taten eingeräumt hat. Auch Fluchtgefahr im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO besteht nicht.
Zwar hat der Angeschuldigte im Falle der Verurteilung mit einer erheblichen und möglicher-weise auch nicht mehr bewährungsfähigen Freiheitsstrafe zu rechnen, und es droht ihm ferner im Verurteilungsfalle der Widerruf der ihm im Urteil des Amtsgericht Waiblingen vom 22.03.2010 (6 Ds 91 Js 92557/09) der bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung. Seinerzeit war der Angeklagte wegen gemeinschaftlicher Unterschlagung zur Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt worden.
Eine hohe Straferwartung allein vermag jedoch Fluchtgefahr nicht zu begründen, die Straferwartung ist vielmehr lediglich Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme gerechtfertigt, ist der Beschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und flüchtig werden (Meyer-Goßner § 112 StPO, Rn. 24). Die Annahme, dass Fluchtgefahr besteht, muss aus bestimmten Tatsachen hergeleitet werden, allgemeine Befürchtungen genügen nicht.
Neben der Straferwartung sind vorliegend keine Gründe ersichtlich, die den Angeschuldigten zur Flucht veranlassen könnten. Insbesondere sind starke familiäre Bindungen vorhanden. Der Angeklagte, der über einen festen Wohnsitz verfügt, ist verheiratet und hat zwei Kinder im Alter von drei und neun Jahren. Diese festen familiären Bindungen sprechen erheblich gegen die Annahme, der Angeschuldigte werde alleine oder werde mit seiner Familie untertauchen.
Soweit in dem nunmehr aufgehobenen Haftbefehl darauf abgestellt wird, die kroatischen Wurzeln der Ehefrau des Angeschuldigten ließen befürchten, der Beschuldigte werde im In- oder Ausland untertauchen, teilt das Gericht die dieser Annahme zugrunde liegende Auffassung nicht. Der Umstand alleine, dass die Ehefrau des Angeschuldigten aus Kroatien stammt und über die kroatische Staatsangehörigkeit verfügt, rechtfertigt die Annahme einer Fluchtgefahr nicht. Der Angeschuldigte selbst ist deutscher Staatsangehöriger, seine beiden Kinder sind in Deutschland geboren, und seine Frau lebt seit über zwölf Jahren ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland. Ein Absetzen nach Kroatien wäre daher für den Angeschuldigten nicht nur die bloße Rückkehr in die alte Heimat, sondern würde eine vollständige Verlagerung des Lebensmittelpunktes bedeuten. Dies wäre nur möglich, wenn entweder erhebliche finanzielle Mittel vorhanden wären oder die Möglichkeit bestünde, über Freunde oder Verwandte der Ehefrau des Angeschuldigten Unterschlupf zu erhalten. Über eigene finanzielle Mittel verfügt der Angeschuldigte nicht, die Familie ist mit 80.000,00 € verschuldet. Sie lebte zuletzt von Sozialleistungen. Auch ist nicht ersichtlich, dass er sich illegale Einnahmen, etwa aus den ihm vorgeworfenen Betäubungsmittelgeschäften, in einem Umfang verschafft hat, die ihm und seiner Familie einen kompletten Neuanfang im Ausland ermöglichen würden. Die von der Kriminalpolizei durchgeführten Finanzermittlungen haben ergeben, dass auf das Konto des Angeschuldigten und seiner Ehefrau Bareinzahlungen in Höhe von 2.755,00 € geleistet wurden. Hierbei handelt es sich zwar um einen nicht unerheblichen Betrag, für eine komplette Verlagerung des Lebensmittelpunktes genügt er jedoch nicht. Dass die Kontakte der Ehefrau des Angeschuldigten nach Kroatien so gut sind, dass dort ein untertauchen des Angeschuldigten und seiner Familie einschließlich der beiden Kinder möglich wäre, ist dem Akteninhalt nicht zu entnehmen. Der Schwiegervater des Angeklagten ist verstorben, und die Mutter seiner Ehefrau lebt in Kroatien von ihrer Rente, so dass sie nicht in der Lage sein dürfte, den Angeklagten und seine Familie bei sich aufzunehmen und zu unterhalten.
Darüber hinaus fehlt es auch an hinreichend konkreten Anhaltspunkten dafür, dass der Angeschuldigte in der Betäubungsmittelszene untertauchen könnte. Soweit ersichtlich handelte der Angeschuldigte zwar durchaus professionell, jedoch sind die ihm zu Last gelegten Taten allesamt im Internet unter Gewährleistung der Anonymität aller Beteiligter begangen worden, so dass sich die Annahme der Fluchtgefahr auf die professionelle Tatbegehungsweise alleine nicht stützen lässt. Es handelt sich bei dem Angeschuldigten nicht um einen sogenannten "Straßendealer", der aufgrund seiner Drogengeschäfte über zahlreiche persönliche Kontakte in der BtM-Szene verfügt, die es ihm ermöglichen, seinen Aufenthaltsort häufig zu wechseln, in dem er bei anderen Szeneangehörigen untertaucht.
Anders als noch im nunmehr aufgehobenen Haftbefehl kann die Annahme der Fluchtgefahr auch nicht auf das gemeinschaftliche Zusammenwirken des Angeschuldigten mit seiner Ehe-frau gestützt werden, nachdem das Verfahren gegen seine Ehefrau zwischenzeitlich gem.
§ 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde.

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