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Entscheidungen

Haftfragen

U-Haft, Beschlagnahem, Briefkontrolle, Schutz der Privatsphäre

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Köln, Beschl. v. 25.04.2013 - 2 Ws 244/13

Leitsatz: Die vertrauliche Kommunikation in Briefen eines Gefangenen an Familienangehörige als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung kann dem Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG unterliegen und daher einer Beschlagnahme eines Briefes mit beleidigendem Inhalt entgegen stehen.


In pp.
Die Beschwerde wird auf Kosten des Angeklagten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Am 05.02.2013 hat die 10. große Strafkammer des Landgerichts K. den Angeklagten, der aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts K. vom 23.05.2012 seit diesem Tage bis zum 26.06.2012 inhaftiert war und der sich nach zwischenzeitlicher Haftverschonung und Wiederinvollzugsetzung des Haftbefehls seit dem 17.10.2012 erneut in Untersuchungshaft befindet, wegen Geiselnahme in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit vorsätzlicher Körperverletzung, wegen gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Bedrohung, Nötigung und Freiheitsberaubung von über einer Woche Dauer zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit Beschluss vom selben Tage hat die Kammer die Haftfortdauer angeordnet. Gegen das Urteil hat der Beschwerdeführer Revision eingelegt.
Mit Beschluss vom 28.02.2013 hat die 10. große Strafkammer des Landgerichts K. in der Besetzung mit den Richtern ... angeordnet, zwei Schreiben des Angeklagten aus der Justizvollzugsanstalt an seine Verlobte, die Zeugin K., vom 25.02.2013 und 27.02.2013 zu beschlagnahmen, vorläufig sicher zu stellen, von der Beförderung auszuschließen und nach Fertigung einer beglaubigten Ablichtung, die zu den Akten zu nehmen sei, zur Habe des Angeklagten in der JVA zu nehmen. Begründet worden ist dies damit, dass die Schreiben einerseits dazu bestimmt und geeignet seien, Zeugen zu beeinflussen, und sie zum anderen umfangreiche Passagen beinhalteten, die den Tatbestand der Beleidigung zum Nachteil des Vorsitzenden der Kammer wie des früheren Verteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalts B. aus K. erfüllten.
Der Angeklagte hat durch seinen jetzigen Verteidiger mit Schriftsatz vom 06.03.2013 Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts K. vom 28.02.2013 eingelegt. Nachdem der Angeklagte die an dem Beschluss vom 28.02.2013 beteiligten Richter in dem Beschwerdeschriftsatz zugleich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, die 10. große Strafkammer des Landgerichts K. ohne Beteiligung der abgelehnten Richter das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurückgewiesen und der Senat mit Beschluss vom 08.04.2013 die sofortige Beschwerde des Angeklagten dagegen verworfen hat, hat das Landgericht K. der Beschwerde vom 06.03.2013 mit Beschluss vom 11.04.2013 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der sofortigen Beschwerde als unbegründet beantragt.
II.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 304 Abs. 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
1.
Allerdings trägt die in dem angefochtenen Beschluss gegebene Begründung insoweit die Beschlagnahme der beiden Briefe des Angeklagten nicht, als darauf abgestellt wird, diese Schreiben verwirklichten die Straftatbestände der Beleidigung und der üblen Nachrede gemäß §§ 185, 186 StGB zum Nachteil der Mitglieder der 10. großen Strafkammer sowie weiterer Verfahrensbeteiligter, namentlich des früheren Verteidigers des Angeklagten, Rechtsanwalts B. aus Köln.
Ohne Zweifel sind die Bezeichnung des Vorsitzenden der 10. großen Strafkammer als "Rassist" sowie des früheren Verteidigers als "...", "alter Sack" und "Teufel auf zwei Beinen" grundsätzlich geeignet, den Straftatbestand der Beleidigung zu erfüllen, ebenso, wie die Behauptung, Vorsitzender und Verteidiger hätten in kollusivem Zusammenwirken aus verfahrensfremden Gründen, insbesondere wirtschaftlichen Interessen, mittels Unterdrückung von Entlastungsbeweisen die rechtswidrige Verurteilung des Angeklagten betrieben, im Falle einer nicht geschützten Kundgabe gegenüber Dritten den Straftatbestand der üblen Nachrede erfüllen würde.
Jedoch verkennt der angefochtene Beschluss, dass die vertrauliche Kommunikation in Briefen an einen Familienangehörigen oder eine Vertrauensperson - auch die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung - als Ausdruck der Persönlichkeit und Bedingung ihrer Entfaltung dem Schutz des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art 1 Abs. 1 GG unterliegen (vgl. BVerfG, 1 BvR 1689/88; BVerfGE 90, 255, 260 [BVerfG 26.04.1994 - 1 BvR 1689/88]). In der noch zu der seinerzeitigen Fassung des § 119 Abs. 3 StPO ergangenen zitierten Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht zwar ausgeführt, dass es den Fachgerichten nicht verwehrt sei, eine die Beschränkung der Gefangenenkommunikation rechtfertigende Gefahr für die Ordnung in der Anstalt anzunehmen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein Untersuchungsgefangener dort eine Straftat begehen werde. Unter diesem Gesichtspunkt komme auch das Anhalten eines Gefangenenbriefes ehrkränkenden Inhalts in Betracht, wenn dies dazu diene, dass die Beleidigung nicht zur Kenntnis des Adressaten der Beleidigung oder eines anderen komme. Jedoch stehe gerade bei Äußerungen gegenüber Familienangehörigen und Vertrauenspersonen häufig weniger der Aspekt der Meinungskundgabe und die damit angestrebte Einwirkung auf die Meinungsbildung Dritter als der Aspekt der Selbstentfaltung im Vordergrund. Nur unter den Bedingungen besonderer Vertraulichkeit sei dem Einzelnen ein rückhaltloser Ausdruck seiner Emotionen, die Offenbarung geheimer Wünsche oder Ängste, die freimütige Kundgabe des eigenen Urteils über Verhältnisse und Personen oder eine entlastende Selbstdarstellung möglich. Unter solchen Umständen könne es auch zu Äußerungsinhalten oder -formen kommen, die sich der Einzelne gegenüber Außenstehenden oder in der Öffentlichkeit nicht gestatten würde. Nur dann, wenn der sich Äußernde selber die Vertraulichkeit aufhebe, so dass die Gelegenheit für Dritte, seine Äußerungen wahrzunehmen, ihm zuzurechnen sei und nicht erst durch den staatlichen Eingriff der Briefkontrolle geschaffen werde, könne er den Schutz der Privatsphäre und der Meinungsfreiheit nicht in Anspruch nehmen. Dies könne etwa dann der Fall sein, wenn der sich Äußernde die nötige Vorsicht gegen Kenntnisnahme Dritter außer Acht lasse oder Übermittlungswege wähle, die der Überwachung unterliegen, obwohl er ohne weiteres auch unüberwacht Kontakt aufnehmen könnte. Erst recht sei dies der Fall, wenn eine Mitteilung an Vertrauenspersonen nur genutzt werde, um den Briefkontrolleur oder durch ihn Dritte zu treffen. Dazu bedürfe es dann aber der Feststellung tatsächlicher Umstände, die diese Annahme rechtfertigen können (vgl. BVerfG, a. a. O, zitiert nach [...], Rn. 24-27). In einer anderen Entscheidung (2 BvR 2186/07, StV 2010, 142) hat das Bundesverfassungsgericht einen solchen Fall, in dem der Gefangene selbst die Vertraulichkeit aufhebt, verwirklicht gesehen, bei dem dieser die Empfängerin des Briefes, seine Freundin, dazu aufgefordert hatte, den Brief ihrer Schwester zu zeigen, zu der er selbst nicht in einer geschützten Vertrauensbeziehung stand.
Bei Anwendung vorstehender Grundsätze auf den vorliegenden Fall ergibt sich Folgendes: Die Äußerungen des Angeklagten in den Briefen an seine Verlobte unterliegen ungeachtet ihres Inhaltes dem Schutz der Privatsphäre. Dieser wurde nicht allein dadurch aufgehoben, dass dem Angeklagten bewusst war, dass die Briefe kontrolliert wurden, denn die damit gegebene Einschränkung der Vertraulichkeit seines geschriebenen Wortes war ihm nicht zuzurechnen. Auf den Schutz seiner Privatsphäre hat der Angeklagte auch nicht dadurch verzichtet, dass er in dem Brief vom 27.02.2013 die Empfängerin aufforderte, beide Schriftstücke zu Besuchen bei den von ihm in vorliegender Sache kontaktierten Anwälten mitzunehmen und diesen zu zeigen, damit die Zeugin bei Besprechungen noch zu unternehmender Schritte zwecks seiner Haftentlassung nichts vergesse. Denn aus evidenten Gründen unterliegt auch die Kommunikation mit den Verteidigern dem Schutz vor Eingriffen der Ermittlungsbehörden, so dass ein Anhalten der Briefe im Hinblick auf deren beleidigenden Inhalt bzw. den Vorwurf der üblen Nachrede nicht zulässig war.
2.
Die Beschlagnahme und Nichtweiterleitung der Briefe findet dennoch in § 119 Abs. 1 S. 7 StPO i. V. m. § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO eine zureichende Rechtfertigung, da der Inhalt der Briefe den dringenden Verdacht begründet, dass der Angeklagte versuchte, in unlauterer Weise auf die Empfängerin, die Zeugin K., einzuwirken, in dem er diese zu einer Falschaussage für den Fall einer erneuten Hauptverhandlung nach eventueller Zurückverweisung der Sache durch das Revisionsgericht oder im Haftprüfungsverfahren zu bestimmen suchte.
Der Angeklagte hat sich u.a. mit folgenden Formulierungen an die Zeugin gewandt:
"Und zwar, weil der B. dich als Zeugin manipuliert hat! Er hat dich am 28.01. angerufen und zu dir gesagt, dass du sofort zu ihm in die Kanzlei kommen sollst. ... Vielleicht hat er dich sogar noch sexuell belästigt in seinem Büro?"
"Du hast zu mir gesagt, dass du deiner Mutter, im Vertrauen über Facebook geschrieben hast, dass es keine "Entführung" gab! Dass du freiwillig mitgekommen bist, es somit keine Entführung gab! Du hast zu deiner Mutter weiterhin gesagt, dass du mich gleich aber aus Rache bei der Polizei falsch belasten willst! Deine Mutter hat dir davon abgeraten, ... Als die Polizisten dich dann später vernommen haben, hast du mich dann doch aus Rache belastet!"
"Frag mal ob das geht, dass dein Vater sich hier offiziell hier als Besucher hier anmeldet, und dabei kommst du dann als Ersatz für ihn mit deiner Erlaubnis von der Staatsanwaltschaft!
Sag dass du wegen meiner "Ex", nicht in der JVA offiziellen Besucher stehen willst! Ob das geht das dein Vater auf der Liste steht, du aber für ihn kommst!
Oder mach es einfach so!
Hol dir ne Erlaubnis, wenn du dann hier bist, sag mein Vater wollte mitkommen, ist aber krank!
So bekommt "Sie" nix davon mit!"
"Du hast mich ja in deinem Brief gefragt, wie du mir helfen kannst!
So kannst du mir helfen:
...
Zu mir hast Du gesagt, dass du dich deiner Mutter anvertraut hast, indem du ihr erzählt hast, dass es keine Entführung war ..."
Diese Passagen belegen nicht nur, dass der Angeklagte versucht hat, die Zeugin zu bewegen, die gerichtlich getroffenen Vorkehrungen zur Überwachung ihrer Besuchskontakte zu ihm durch Täuschungen zu umgehen. Sie sind vor allem auch deshalb bemerkenswert, weil der Angeklagte der Zeugin detailliert beschreibt, was sie im Falle einer erneuten Vernehmung zu bekunden hätte, wenn sie ihm helfen wolle. Der Inhalt dieser von dem Angeklagten erwarteten Bekundungen steht nicht nur im Widerspruch zu den vom Landgericht getroffenen Feststellungen. Auch die Äußerungssituation legt zumindest den Verdacht nahe, dass der Angeklagte hier nicht den Inhalt tatsächlicher Aussagen oder Wahrnehmungen der Zeugin wiedergibt, sondern dieser vorschreibt, was sie als solchen ausgeben möge. Es ist jedenfalls zumindest ungewöhnlich, dass jemand, der bei den angeblichen Ereignissen, zu denen er sich äußert - anders als eben der Adressat seines Briefes -nicht zugegen war, diesem detailliert erläutert, wie sie sich zugetragen haben sollen. Nimmt man hinzu, dass der Angeklagte offen die Erwartung ausspricht, die Zeugin möge zielgerichtet, eben um ihm zu helfen, aussagen, und unter Berücksichtigung der landgerichtlichen Feststellungen dazu, inwieweit der Angeklagte im bisherigen Verlauf der Beziehung zu der Zeugin K. in der Lage war, diese in seinem Sinne zu beeinflussen und zu Falschangaben gegenüber Gesundheitseinrichtungen, Polizei und sonstigen Behörden sowie zu einer Falschaussage vor Gericht zu bestimmen, liegt auf der Hand, dass der Inhalt der angehaltenen Briefe zumindest geeignet ist, den dringenden Verdacht weiterer Verdunkelungshandlungen zu begründen.

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