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Entscheidungen

StPO

Pflichtverteidiger, Vertrauensschutz

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 10.09. 2013 – 4 Ws 116/13

Leitsatz: Ist die Frage der Notwendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, gilt dies grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft. Das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts ist jedoch dann nicht schutzwürdig, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat.


KAMMERGERICHT
Beschluss
Geschäftsnummer:
4 Ws 116/13
In der Strafsache gegen
pp.
wegen Diebstahls

hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 10. September 2013 beschlossen:

Die Beschwerde der Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der Strafkammer 76 des Landgerichts Berlin vom 29. Juli 2013 wird verworfen.

Die Beschwerdeführerin hat die Kosten der Beschwerde zu tragen.



G r ü n d e :

Das Amtsgericht Tiergarten hat die Angeklagte am 15. Juni 2012 wegen Beihilfe zum Diebstahl zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro sowie zur Zahlung von 30.000 Euro an die Geschädigte und Adhäsionsklägerin verurteilt. In der Haupt-verhandlung war ihr im Termin am 5. Juni 2012 ihr Verteidiger, Rechtsanwalt W, ge-mäß § 140 Abs. 2 StPO als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Gegen das Urteil hat die Angeklagte Berufung und hinsichtlich der Adhäsionsentscheidung außerdem „sofortige Beschwerde“ eingelegt. Die Berufungshauptverhandlung ist für den 9. Ok-tober 2013 anberaumt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Vorsitzende der Berufungskammer die Bestellung des Rechtsanwalts W zum Pflichtverteidiger auf-gehoben.

Die dagegen gerichtete Beschwerde der Angeklagten ist gemäß § 304 StPO zulässig und insbesondere auch nicht durch § 305 Satz 1 StPO ausgeschlossen, weil der an-gegriffene Beschluss mit der Urteilsfindung in keinem Zusammenhang steht, sondern hiervon unabhängig der Sicherung des justizförmigen Verfahrens dient und dadurch eigenständige verfahrensrechtliche Bedeutung erlangt (vgl. Senat, Beschluss vom 11. Februar 2010 – 4 Ws 15/10 – m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO 56. Aufl., § 141 Rn. 10a, § 305 Rn. 5). Sie hat jedoch keinen Erfolg.

1. Das Landgericht war vorliegend nicht an der Aufhebung der Pflichtverteidigerbe-stellung gehindert.

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO gilt zwar grundsätzlich für das gesamte Verfahren bis zur Rechtskraft. Ist die Frage der Not-wendigkeit der Verteidigung in irgendeinem Verfahrensstadium positiv beantwortet worden, muss es – abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmen nach den §§ 140 Abs. 3 S. 1, 143 StPO – insbesondere dann bei der Bestellung bleiben, wenn das Gericht lediglich seine rechtliche Auffassung über das Vorliegen der Vorausset-zungen einer Pflichtverteidigerbestellung ändert (vgl. BGHSt 7, 69, 71; OLG Düssel-dorf NStZ 2011, 653). Denn der Eintritt einer Änderung ist nach objektiven Kriterien zu bestimmen. Insofern ist es grundsätzlich unbeachtlich, wenn das Gericht im Laufe des Verfahrens nur seine subjektive Auffassung hinsichtlich der Notwendigkeit der Pflichtverteidigung durch eine andere Beurteilung ersetzen will oder ein während des Verfahrens neu zuständig werdendes Gericht die Auffassung des Vorderrichters nicht zu teilen vermag (vgl. OLG Düsseldorf a.a.O. und StV 1995, 117, 118). Dies gebietet der Grundsatz des prozessualen Vertrauensschutzes (vgl. BGH a.a.O.; OLG Düsseldorf NStZ 2011, a.a.O.; Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschluss vom 21. Oktober 1983 – 1 Ws 734/83, 1 Ws 842/83, 1 Ws 735/83, 1 Ws 736/83 – [juris]).

Das Vertrauen des Angeklagten auf die einmal getroffene positive Entscheidung des Gerichts ist jedoch dann nicht schutzwürdig, wenn sich die für die Anordnung der Pflichtverteidigung maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben oder das Gericht von objektiv falschen Voraussetzungen ausgegangen ist (vgl. OLG Düssel-dorf NStZ 2011 und StV 1995, jeweils a.a.O.). Dem steht es gleich, wenn das Gericht die Bestellung in grob fehlerhafter Verkennung der Voraussetzungen des § 140 StPO vorgenommen hat. Denn auch in diesem Fall kann sich ein schützenswertes Vertrauen in den Bestand der Entscheidung nicht bilden. Die Bestellung des Pflichtverteidigers erweist sich vorliegend als eine derart fehlerhafte Entscheidung.

Das amtsgerichtliche Verhandlungsprotokoll vom 5. Juni 2012 weist keine Gründe für die Pflichtverteidigerbestellung aus; das Amtsgericht hat lediglich auf die Vorschrift des § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO Bezug genommen. Jedoch sind der Beiordnungsan-trag und die Bestellung selbst unmittelbar, nachdem das Gericht der Geschädigten deren im Termin anwesende Prozessbevollmächtigte im Adhäsionsverfahren als Zeugenbeistand „gemäß § 68b S. 1 StPO“ beigeordnet hatte, erfolgt. Ersichtlich war damit die Beiordnung des Verteidigers eine direkte Reaktion auf die Bestellung des Zeugenbeistands. Ein anderer Anlass für die Bestellung des Pflichtverteidigers ist nicht erkennbar, zumal das Amtsgericht zuvor mit Beschluss vom 2. Mai 2012 eine solche Bestellung noch abgelehnt hatte. Die Beiordnung eines Zeugenbeistands auf Seiten der Geschädigten rechtfertigt jedoch – unabhängig davon, dass sie hier nicht nach dem seit dem 1. Oktober 2009 die Bestellung eines Zeugenbeistands regelnden § 68b Abs. 2 Satz 1 StPO, sondern nach der Vorgängernorm erfolgt ist – die Be-stellung eines Pflichtverteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO nicht. Die Funktion eines Zeugenbeistands – auch des geschädigten Zeugen – unterscheidet sich nach Auf-gabenstellung wie Umfang der Tätigkeit erheblich von der eines Nebenklagevertre-ters bzw. des Beistands eines Nebenklagebefugten, dessen Bestellung nach § 140 Abs. 2 StPO a.F. bzw. § 140 Abs. 1 Nr. 9 StPO n.F. (allein) einen Fall notwendiger Verteidigung begründet. Es ist auch nicht ersichtlich, dass im konkreten Einzelfall durch die zeitlich auf die Dauer der Vernehmung der Geschädigten beschränkte Be-stellung eines Zeugenbeistands die Fähigkeit der Angeklagten, sich selbst zu vertei-digen, derart eingeschränkt würde, dass es aus Gründen der „Waffengleichheit“ (vgl. Meyer-Goßner a.a.O., § 140 Rn. 31) angezeigt gewesen wäre, ihr einen Pflichtver-teidiger – für das gesamte Verfahren – zu bestellen.

2. Die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung liegen auch sonst nicht vor, wie das Landgericht umfassend und zutreffend dargelegt hat. Das Beschwerdevor-bringen vermag eine andere Entscheidung nicht zu begründen.

Zwar sind bei der Beurteilung der Schwere der Tat auch zivilrechtliche Folgen der Verurteilung zu berücksichtigen (vgl. OLG Hamm StV 1989, 56; LG Koblenz JurBüro 2009, 42). Vorliegend sind diese mit dem im Adhäsionsverfahren ausgeurteilten Be-trag von 30.000 Euro angesichts der maßvollen Strafe, die erstinstanzlich verhängt wurde und sich im Berufungsrechtszug nicht mehr erhöhen kann (§ 331 Abs. 1 StPO), aber auch unter Berücksichtigung der schlechten wirtschaftlichen Lage der arbeitslosen Angeklagten nicht von einem solchen Gewicht, dass sie in einer Ge-samtschau Anlass zu der Bestellung eines Verteidigers gäben.

Die Ankündigung der Angeklagten, sie werde sich in der Berufungshauptverhandlung zur Sache einlassen, was zu einer Neubeurteilung der Sach- und Rechtslage führen werde, ist zu unbestimmt, um den Schluss zu rechtfertigen, der Schwierigkeitsgrad der Sach- oder Rechtslage werde sich dadurch in erheblicher Weise erhöhen. Gege-benenfalls wird in der Berufungshauptverhandlung erneut über eine Beiordnung zu entscheiden sein.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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