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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Falsche Angaben, Erlangung, EU-Aufenthaltskarte, Strafbarkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Urt. v. 19.02.2014 - 3 Ss 6/14

Leitsatz: Die zur Erlangung einer EU-Aufenthaltskarte nach § 5 Abs. 1 FreizügG/EU für Familien-angehörige von Unionsbürgern vorsätzlich gegenüber der Ausländerbehörde abgegebene falsche Erklärung, mit einem Unionsbürger bestehe eine eheliche Lebensgemeinschaft, erfüllt weder den Tatbestand unrichtiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels nach § 95 II Nr. 2 AufenthG noch denjenigen der mittelbaren Falschbeurkundung nach § 271 Abs. 1 StGB.


Oberlandesgericht Bamberg, Urteil vom 19. 2. 2014 - 3 Ss 6/14
Zum Sachverhalt:
Das AG hat den Angekl. am 28.02.2013 wegen unrichtiger Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels (§ 95 II Nr. 2 AufenthG) zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 25 Euro verurteilt. Auf die Berufung des Angekl. hat das LG mit Urteil vom 08.08.2013 die erstinstanzliche Entscheidung aufgehoben und den Angekl. aus Rechtsgründen freigesprochen. Nach den Feststellungen beantragte der 1987 in Deutschland geborene Angekl., der indischer Staatsan-gehöriger ist, am 18.03.2011 zusammen mit der bulgarischen Staatsangehörigen Valeria C. beim Ausländeramt der Stadt D. für sich die Ausstellung einer neuen Aufenthaltskarte für Fami-lienangehörige von Unionsbürgern i.S.v. § 5 I FreizügG/EU. Gegenüber der zuständigen Sach-bearbeiterin des Amtes gab der Angekl. an, mit Valeria C. im Dezember 2009 in Bulgarien die Ehe geschlossen zu haben und mit ihr seit dieser Zeit eine eheliche Lebensgemeinschaft zu führen. Diese Angaben waren im Hinblick die eheliche Lebensgemeinschaft mit der bulgarischen Staatsangehörigen falsch und erfolgten in der Absicht, in den unberechtigten Besitz einer Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern zu gelangen. Tatsächlich führte der Angekl. mit Valeria C. in Deutschland keine eheliche Lebensgemeinschaft. Valeria C. war nur zum Zweck der Antragstellung nach D. gereist. Aufgrund der Angaben stellte das Ausländeramt dem Angekl. eine Aufenthaltskarte für Familienangehörige von Unionsbürgern mit einer Gültig-keitsdauer von 6 Monaten aus. Die gegen das den Angekl. freisprechende Urteil des LG gerich-tete und mit der näher ausgeführten Sachrüge begründete Revision der StA blieb ohne Erfolg.
Aus den Gründen:
Das statthafte (§ 333 StPO) und auch sonst zulässige (§§ 341 I, 344, 345 StPO) Rechtsmittel ist unbegründet. Das angefochtene Urteil genügt in sachlich-rechtlicher Hinsicht noch den Anforderungen, die an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind. Insbesondere ermöglicht die Darstellung der Urteilsgründe dem Senat die revisions-rechtliche Nachprüfung dahin, ob der Freispruch auf einer bedenkenfreien Tatsachen-grundlage und aufgrund rechtlich einwandfreier Erwägungen des Tatrichters erfolgt ist.
1. Nach § 95 II Nr. 2 AufenthG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geld-strafe bestraft, wer „unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder benutzt, um für sich oder einen anderen einen Aufenthaltstitel oder eine Duldung zu beschaffen oder eine so beschaffte Urkunde wissentlich zur Täuschung im Rechtsverkehr gebraucht“.
a) Diese Voraussetzungen liegen hier, wie das LG zutreffend erkannt hat, deshalb nicht vor, weil von der Strafbewehrung des § 95 II Nr. 2 AufenthG entsprechend dem eindeu-tigen Normwortlaut nur unrichtige Angaben zur Beschaffung eines Aufenthaltstitels i.S.v. von § 4 AufenthG oder einer Duldung i.S.v. von § 60 a AufenthG erfasst sind, nicht aber falsche Angaben zur Ausstellung einer sog. EU-Aufenthaltskarte nach § 5 I FreizügG/EU für freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige von Unionsbürgern, die selbst nicht Unionsbürger sind (Renner/Bergmann/Dienelt-Winkelmann Ausländerrecht 10. Aufl. § 95 AufenthG Rn. 112). Die EU-Aufenthaltskarte stellt zweifelsfrei keinen Aufenthaltstitel im Sinne dieser Bestimmung dar. Was als Aufenthaltstitel anzusehen ist, hat der Gesetzgeber in § 4 I 2 AufenthG geregelt. Das Aufenthaltsgesetz und damit auch diese Vorschrift finden indessen auf EU-Bürger und deren Familienangehörige grundsätzlich, d.h. soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, keine Anwendung (§ 1 II Nr. 1 AufenthG i.V.m. § 1 FreizügG/EU), sodass schon deswegen eine Bestra-fung nach § 95 II Nr. 2 AufenthG im Zusammenhang mit der Beantragung einer EU-Aufenthaltskarte ausscheidet. Unabhängig davon wird dieses Dokument auch nicht von der enumerativen Aufzählung in § 4 I 2 AufenthG erfasst.
b) Nichts anderes folgt aus dem Umstand, dass gemäß § 11 I FreizügG/EU die Be-stimmung des § 95 II Nr. 2 AufenthG auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die nach § 2 I FreizügG/EU das Recht auf Einreise und Aufenthalt haben, „entspre-chende Anwendung“ findet. Diese Verweisung erschöpft sich darin, den persönlichen Anwendungsbereich dieser Strafnorm auf Angehörige der EU-Mitgliedstaaten und deren Familienangehörige auszudehnen, nicht aber falsche Angaben im Zusammenhang mit der Beantragung einer EU-Aufenthaltskarte unter Strafe zu stellen. Hierfür sprechen sowohl die grammatikalische Interpretation, Gründe der Gesetzessystematik sowie die Entstehungsgeschichte und die ratio legis.
aa) Schon der Wortlaut des § 11 I FreizügG/EU belegt eindeutig, dass der Gesetzgeber allein den Anwendungsbereich des § 95 II Nr. 2 AufenthG in personeller Hinsicht auf die unter das FreizügG/EU fallenden Personen erweitern, nicht aber auch Falschangaben im Zusammenhang mit der Beantragung von EU-Aufenthaltskarten pönalisieren wollte. Durch § 11 I FreizügG/EU wird die entsprechende Anwendung u.a. des § 95 II Nr. 2 AufenthG explizit „auf Unionsbürger und ihre Familienangehörigen“ angeordnet. Damit wird der personale Bezug klar hervorgehoben. Hätte der Gesetzgeber eine Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs dahingehend gewollt, dass zusätzlich zu den in § 95 II Nr. 2 AufenthG genannten Aufenthaltstiteln bzw. Duldungen auch EU-Aufenthaltskarten erfasst sein sollten, wäre die bloße Bezugnahme auf „Unionsbürger und deren Familienangehörige“ nicht plausibel.
bb) Diese am Wortlaut der Norm orientierte Auslegung wird zusätzlich durch die Geset-zessystematik gestützt. Während - wie bereits dargelegt - in § 11 I 1 FreizügG/EU die Verweisung auf Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich der Person des Ausländers erfolgt, hat der Gesetzgeber in § 11 I S. 3 bis 7 FreizügG/EU die entspre-chende Anwendung von Normen des Aufenthaltsgesetzes in Bezug auf Aufenthaltskar-ten angeordnet. Diese Differenzierung zwischen personaler und sachlicher Verweisung auf einzelne Bestimmungen des Aufenthaltsrechts unterstreicht die Richtigkeit der vor-genommenen Wortlautinterpretation.
cc) Ferner wird dieses Ergebnis auch durch die Entstehungsgeschichte und den hieraus abzuleitenden Normzweck belegt. Wie bereits ausgeführt, findet das Aufenthaltsgesetz auf EU-Bürger und deren Familienangehörige gemäß § 1 II Nr. 1 AufenthG i.V.m. mit § 1 FreizügG/EU grundsätzlich keine Anwendung, solange das Gesetz nichts anderes bestimmt. Mit der Verweisung durch § 11 I 1 FreizügG/EU auf § 95 II Nr. 2 AufenthG war dem Gesetzgeber daran gelegen, die Ungleichheit zu beseitigen, die ohne eine entsprechende Regelung darin bestanden hätte, dass sich zwar Deutsche und Angehö-rige von Drittstaaten, nicht aber EU-Bürger und deren Familienangehörige im Zusam-menhang mit der Beantragung von Aufenthaltstiteln bzw. Duldungen strafbar machen könnten. In der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 23.04.2007 heißt es inso-weit (vgl. BT Drucks. 16/5065 S. 212): „Die in § 95 II Nr. 2 AufenthG (u.a. unrichtige Angaben zur Titelbeschaffung sowie – durch dieses Gesetz neu eingeführt – unrichtige Angaben zur Beschaffung einer Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung) unter Strafe gestellte Handlung ist auch für Deutsche strafbar. Die Strafbarkeit wird mit dem Verweis in § 11 I FreizügG/EU auf Unionsbürger ausgedehnt.“
c) Gegen diese durch Wortlaut, Gesetzessystematik, Entstehungsgeschichte und Normzweck belegte Auslegung des § 11 I 1 FreizügG/EU lässt sich entgegen der Auf-fassung der rechtsmittelführenden Staatsanwaltschaft auch nicht einwenden, dass damit „kein Anwendungsbereich bestünde“, die Verweisung mithin leerliefe. Wie bereits dargelegt, kann sich auch ein Inländer durch Falschangaben bei der Titelbeschaffung für einen Ausländer nach § 95 II Nr. 2 AufenthG strafbar machen. Genauso verhält es sich letztlich aufgrund der Verweisung mit EU-Bürgern und deren Familienangehörigen, wenn und soweit sie etwa bei der Titelbeschaffung für Dritte tätig würden. Ungeachtet dessen könnte sich u.U. der Angehörige eines EU-Bürgers auch bei der Beantragung eines Aufenthaltstitels für sich selbst nach § 95 II Nr. 2 AufenthG strafbar machen. Nach § 2 IV 2 FreizügG/EU bedürfen nämlich Familienangehörige, die ihrerseits nicht Unionsbürger sind, für die Einreise eines Visums nach den Bestimmungen für Ausländer, für die das Aufenthaltsgesetz gilt. Hiervon sind sie gemäß § 2 IV 3 FreizügG/EU nur entbunden, wenn sie eine gültige Aufenthaltskarte besitzen.
2. Einen Rechtsfehler zeigt das angegriffene Urteil auch nicht deshalb auf, weil der Angekl., wie die GenStA meint, aufgrund der tatrichterlichen Feststellungen zumindest wegen mittelbarer Falschbeurkundung gemäß § 271 I StGB hätte verurteilt werden müssen.
a) Nach § 271 StGB wird bestraft, wer die Beurkundung eines unwahren Sachverhalts in einer öffentlichen Urkunde gleichsam als mittelbarer Täter herbeiführt. Allerdings kann nicht jede in einer öffentlichen Urkunde enthaltene Angabe, die ein Außenstehen-der durch Täuschung des (gutgläubigen) Amtsträgers bewirkt, Gegenstand einer mittel-baren Falschbeurkundung sein. Denn „beurkundet“ in diesem Sinne sind nur diejenigen Erklärungen, Verhandlungen oder Tatsachen, auf die sich der öffentliche Glaube, d.h. die volle Beweiswirkung für und gegen jedermann, erstreckt. Entscheidend ist, ob gera-de auch die inhaltlich falsch aufgezeichneten Umstände nach der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung des der Beurkundung zugrunde liegenden Gesetzes von der erhöhten Beweiswirkung erfasst sind. Dies setzt voraus, dass die fragliche Tatsache mit der Urkunde gegenüber jedermann bewiesen werden kann. Welche Angaben dies im einzelnen Fall sind, kann sich, wenn es an einer ausdrücklichen Vorschrift fehlt, mittel-bar aus den gesetzlichen Bestimmungen ergeben, die für Errichtung und Zweck der Urkunde maßgeblich sind. Dabei ist auch die Anschauung des Rechtsverkehrs zu be-achten. Bei der Prüfung, ob es hiernach gerechtfertigt ist, die erhöhte Beweiskraft der öffentlichen Urkunde auf eine darin angeführte Tatsache zu beziehen, muss ein stren-ger Maßstab angelegt werden. Eine Beweiswirkung für und gegen jedermann kann nur dann angenommen werden, wenn kein Zweifel besteht, dass dies unter Berücksichti-gung der Verkehrsanschauung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht (BGHSt 42, 131 ff. = NJW 1996, 2170 f.; OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 12 f. = OLGSt StGB § 271 Nr. 1; StV 2009, 135; OLG Naumburg StV 2007, 134 f.).
b) Eine Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 271 I StGB scheidet hier schon deshalb aus, weil der Angekl. bereits nicht die Beurkundung eines unwahren Sachverhalts in einer öffentlichen Urkunde bewirkt hat.
aa) Die nach dem bundeseinheitlich vorgegebenen Vordruck (vgl. § 58 S. 1 Nr. 13 i. V. m. Anlage D15 zur AufenthV) angefertigte ‚Aufenthaltskarte für Familienangehörige eines Unionsbürgers oder eines Staatsangehörigen eines EWR-Staates‘ enthält, bezo-gen auf die hier relevante Tatzeit in ihrer bis zum 31.08.2011 vorgegebenen Papierform auf Seite 2 Angaben zu Namen, Vornamen, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsan-gehörigkeit des Familienangehörigen, gefolgt von der Unterschrift des Karteninhabers. Auf Seite 3 befindet sich unterhalb des Lichtbildes des Inhabers der vorgedruckte Pas-sus: „Die Inhaberin bzw. der Inhaber dieses Dokuments hat ihre bzw. seine Identität und Staatsangehörigkeit mit folgendem Identitätsdokument dargelegt“, gefolgt von den hierauf bezogenen näheren Angaben zur Art des Identitätsdokuments mit Nummer, Ausstellungsdatum und Ausstellungsbehörde. Seite 4 der Aufenthaltskarte enthält An-gaben zur zeitlichen Gültigkeit der Aufenthaltskarte (als unbefristet oder zu einem be-stimmten Zeitpunkt endend), gefolgt von der Bezeichnung der ausstellenden Behörde. Die Seite schließt mit Datum und Unterschrift des für die ausstellende Behörde han-delnden Sachbearbeiters. Die Seiten 5 und 6 enthalten lediglich noch Felder für Gültig-keitsverlängerungen.
bb) Zu all diesen auf der Aufenthaltskarte festgehalten Daten hat der Angekl. gerade keine falschen Angaben gemacht, insbesondere nicht über seine Identität getäuscht. Soweit er anlässlich seiner Vorsprache beim Ausländeramt der Stadt D. am 18.03.2011 vorsätzlich jedenfalls die falsche Angabe gemacht hat, dass mit der bulgarischen Staatsangehörigen Valeria C. eine eheliche Lebensgemeinschaft bestehe, findet dies keinen Niederschlag in der ihm erteilten Aufenthaltskarte. Es kann deshalb dahin ste-hen, ob die falschen Angaben des Angekl. zum Bestehen einer ehelichen Lebensge-meinschaft überhaupt zu denjenigen Umständen zu rechnen wären, denen aufgrund der erhöhten Beweiswirkung öffentlicher Urkunden öffentlicher Glaube zuzuerkennen wäre. […]

Einsender: RiOLG Dr. Georg Gieg, Würzburg

Anmerkung:


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