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Entscheidungen

StPO

Rechtsmittelverzicht, Sprachunkundiger, Wirksamkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Nürnberg, Beschl. v. 05.05.2014 - 2 Ws 704/13

Leitsatz: 1. Der Rechtsmittelverzicht eines Sprachunkundigen ist wegen Verstoßes gegen ein faires Verfahren unwirksam, wenn nicht ersichtlich ist, dass er die ihn belastenden Teile einer gerichtlichen Entscheidung (hier Weisungen nach § 56c StGB) verstanden hat. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn er eine vorgefertigte, inhaltlich teilweise unrichtige Belehrung über Bewährungsauflagen unterzeichnete, ein Mitgefangener als Übersetzer fungierte, ohne dass ersichtlich ist, ob dieser richtig und wortgetreu die vollständige Entscheidung oder nur die unzureichende Belehrung übersetzt hat, und der Verurteilte keine Gelegenheit hatte, sich vorher mit seinem Verteidiger zu beraten.
2. Eine mit der Reststrafenaussetzung verbundene Weisung ist unzulässig, wenn ihr jegliche Beziehung zum Resozialisierungsziel fehlt. Dies ist in der Regel der Fall, wenn dem Verurteilten auferlegt wird, unverzüglich nach seiner Entlassung auszureisen und die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und jedwede Einreise in die Bundesrepublik Deutschland, entsprechend dem Ausweisungsbescheid der Ausländerbehörde, zu unterlassen.


In dem Strafvollstreckungsverfahren
gegen pp.
wegen Verstoßes gegen das BtMG
hier: Beschwerde des Verurteilten gegen Anordnung verschiedener Weisungen im Rahmen der Aussetzung der Vollstreckung einer Reststrafe zur Bewährung

erlässt das Oberlandesgericht Nürnberg -2. Strafsenat- durch die unterzeichnenden Richter am 05.05.2014 folgenden
Beschluss

I. Auf die Beschwerde des Verurteilten I… D… wird der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 22.11.2013 hinsichtlich der unter Nummern 3 a und c des Entscheidungssatzes enthaltenen Weisungen aufgehoben.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren trägt die Staatskasse.






Gründe:
I.
Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des Landgerichts Traunstein vom 01.08.2008 (Az.: 2 KLs 120 Js 37126/06) wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in neun Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Er verbüßte diese Strafe in der Justizvollzugsanstalt S… . Zwei Drittel der Strafe waren seit dem 25.07.2012 verbüßt, Strafende war zum 26.05.2016 vorgemerkt. In der Zeit vom 26.07.2012 bis 25.09.2013 hat der Verurteilte eine durch Urteil des Landgerichts Traunstein vom 09.07.2009 (Az.: 6 KLs 201 Js 10942/08) wegen gemeinschaftlichen Raubes verhängte Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten vollständig verbüßt.
Der Verurteilte ist albanischer und kanadischer Staatsangehöriger. Er besitzt nur geringe Kenntnisse der deutschen Sprache.
Durch seit 03.01.2009 bestandskräftigen Bescheid der Landeshauptstadt München - Kreisverwaltungsreferat - vom 27.11.2008 (Az.: KVR-II/313 BS; Bl. 203 ff. d.A.) wurde der Verurteilte aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen, ihm die Wiedereinreise untersagt, und angeordnet, dass er nach erfülltem Strafanspruch des Staates nach Kanada abgeschoben wird.
Mit Verfügung vom 16.07.2013 ordnete die auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing (künftig: Strafvollstreckungskammer) dem Verurteilten analog § 140 Abs. 2 StPO Frau Rechtsanwältin Dr. G… als Pflichtverteidigerin für das laufende Prüfungsverfahren gemäß § 57 Abs. 1 StGB bei.
Nach Einholung einer Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt S… vom 25.06.2013, die der Strafaussetzung zur Bewährung nicht entgegen trat, sowie eines Gutachtens der Sachverständigen Dr. (IM T…) M… P… vom 28.10.2013 setzte die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 22.11.2013 die weitere Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Traunstein vom 01.08.2008 mit Wirkung ab dem 20.12.2013 zur Bewährung aus, setzte die Bewährungszeit auf fünf Jahre fest, und erteilte folgende Weisungen:

"3. Der Verurteilte wird angewiesen:
a) Unverzüglich nach seiner Entlassung auszureisen und das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen;
b) Unverzüglich nach seiner Entlassung außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland einen festen Wohnsitz zu begründen und diesen sowie jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich und unaufgefordert dem Gericht schriftlich mitzuteilen;
c) Jedwede Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, entsprechend dem Ausweisungsbescheid des Kreisverwaltungsreferats München vom 27.11.2008, zu unterlassen;
d) Dem Gericht jede Befristung des Ausweisungsbescheids des Kreisverwaltungsreferats München vom 27.11.2008 und jede daraufhin geplante Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland rechtzeitig vorher schriftlich und unter Nennung des Aufenthaltsgrundes sowie des voraussichtlichen Aufenthaltsortes mitzuteilen."
Am 27.11.2011 wurde der Beschluss dem Verurteilten in der Justizvollzugsanstalt S… eröffnet. Hierbei unterzeichnete er ein (offenbar) vorgefertigtes Protokoll, in dem er folgendes erklärte:
"Ich habe davon Kenntnis erhalten, dass durch Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg mit dem Sitz in Straubing vom 22.11.2013 StVK 311/2008 (StA Traunstein - 120 VRs 37112/06) - die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Bewährungszeit beträgt 5 Jahre.
Ich bin über die Bedeutung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung, die Bewährungszeit, die Auflagen und Weisungen sowie die Möglichkeit des Widerrufs der Strafaussetzung gemäß § 56 f StGB belehrt worden.
Ich habe insbesondere davon Kenntnis erhalten, dass die Strafaussetzung widerrufen wird, wenn ich in der Bewährungszeit eine Straftat begehe, gegen Auflagen und Weisungen gröblich oder beharrlich verstoße oder mich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers entziehe. Des Weiteren wurde ich darauf hingewiesen jeden Wechsel meines Aufenthalts während der Bewährungszeit dem Bewährungshelfer anzuzeigen.
Ich bestätige, obigen Beschluss erhalten zu haben.
Mit meiner Entlassung bin ich einverstanden. Auf die Einlegung von Rechtsmittel wird verzichtet."
Der Verurteilte gab seine Entlassungsanschrift an und unterzeichnete die vorbereitete Erklärung.
Handschriftlich ist noch vermerkt:
"Als Dolmetscher in albanischer Sprache hat der Gefangene G… V…, geb. …, fungiert."
Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer ist der Verteidigerin des Verurteilten am 26.11.2013 zugestellt worden. Mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 28.11.2013, eingegangen bei Gericht per Telefax am selben Tag, erhob der Verurteilte Beschwerde gegen die unter Nummern 3 a und 3 c erteilten Weisungen. Zur Begründung stützt er sich unter anderem auf eine Entscheidung des 1. Strafsenats des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 28.03.2011 (Az.: 1 Ws 114/11), wonach sich Weisungen im Rahmen einer Bewährung nicht auf Maßnahmen richten dürften, die im Ausländerrecht ausdrückliche Regelung erfahren haben.
Mit Verfügung vom 17.12.2013 half die Strafvollstreckungskammer der Beschwerde nicht ab.
Am 19.12.2013 wurde der Verurteilte aus der Justizvollzugsanstalt S… entlassen und nach Kanada abgeschoben.
Mit Schreiben vom 20.12.2013, ergänzt durch Schreiben vom 02.01.2014 und 08.01.2014 wies die Verteidigerin darauf hin, dass der Rechtsmittelverzicht unwirksam sei, da ein Fall notwendiger Verteidigung gemäß § 140 Abs. 2 StPO analog vorliege und hieran kein Verteidiger mitgewirkt habe. Es komme hinzu, dass der Verurteilte die deutsche Sprache kaum beherrsche.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Schreiben vom 23.12.2013 und 09.01.2014 beantragt, die Beschwerde kostenpflichtig als unzulässig zu verwerfen.

II.
1. Die statthafte (§ 454 Abs. 4 Satz 1, § 453 Abs. 2 StPO) Beschwerde ist zulässig, insbesondere formgerecht erhoben (§§ 304, 306 StPO). Der Rechtsmittelverzicht ist infolge der Art und Weise seines Zustandekommens unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. auch OLG Bremen, StV 2012, 425) unwirksam. Es bestehen erhebliche Zweifel, dass der der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtige Verurteilte über die im angefochtenen Beschluss enthaltenen Weisungen zutreffend informiert wurde, ehe er den Rechtsmittelverzicht erklärte. Es ist bereits unklar, ob ihm nur die vorgefertigte Erklärung oder auch der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 22.11.2013 von dem im Protokoll namentlich benannten Mitgefangenen übersetzt wurde, da nicht protokolliert wurde, was letzterer übersetzt hat. Darüber hinaus ist ungesichert, ob eine wortgetreue Übersetzung erfolgte, da es sich bei dem Mitgefangenen offenbar nicht um einen öffentlich bestellten und vereidigten Übersetzer handelt. Außerdem ist - worauf die Beschwerde zu Recht hinweist - der Inhalt der dem Rechtsmittelverzicht vorausgehenden Belehrung des Verurteilten schon deshalb unzutreffend, weil er über Verstöße belehrt wurde, die überhaupt nicht Gegenstand der ihm auferlegten Weisungen sind. Da er keinem Bewährungshelfer unterstellt wurde, kann es keinen Widerrufsgrund darstellen, wenn er sich der Aufsicht und Leitung des Bewährungshelfers entzieht; aus demselben Grund läuft die Belehrung ins Leere, soweit er darauf hingewiesen wurde, jeden Aufenthaltswechsel dem Bewährungshelfer anzeigen zu müssen. Schließlich geht aus dem Belehrungstext nicht hervor, dass der Verurteilte über die Ausreisepflicht und das Einreiseverbot belehrt worden ist. In diesem Zusammenhang ist auch von Bedeutung, dass der Verurteilte vor Abgabe der Verzichtserklärung keine Gelegenheit hatte, sich mit seiner Pflichtverteidigerin über die Zulässigkeit einer derartigen Weisung zu beraten.
Nach alledem kann der Rechtsmittelverzicht keinen Bestand haben.
2. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
a) Nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann mit der Beschwerde (neben einer nachträglich verlängerten Bewährungszeit) nur gerügt werden, dass eine getroffene Anordnung gesetzwidrig sei. Das Beschwerdegericht kann die nach § 56c StGB im Rahmen der Ausgestaltung der Bewährung erteilten Weisungen daher nur darauf prüfen, ob sie mit dem Gesetz in Übereinstimmung stehen. Eine erteilte Weisung ist gesetzwidrig, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder wenn sie sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. OLG Dresden NStZ-RR 2008, 27; OLG Stuttgart NStZ-RR 2004, 89 je m.w.N.). Unzulässig sind in der Regel aber auch Weisungen, die dem Ziel derselben nach dem Sinn des Gesetzes, nämlich die in den Verurteilten hinsichtlich seiner Besserung gesetzten Erwartungen und ein etwaig noch verbleibendes Restrisiko bezüglich strafrechtlich relevanten Verhaltens abzusichern, nicht dienen, sondern allenfalls anderweitige Zwecke verfolgen. Weisungen gemäß § 56c StGB sind richterliche Gebote und Verbote, die ausschließlich dem Zweck dienen, dem Verurteilten bei seinem Bemühen zu helfen, keine Straftaten mehr zu begehen. Weisungen, bei denen jegliche Beziehung zum Resozialisierungsziel fehlt, sind unzulässig (vgl. zum Ganzen OLG Koblenz NStZ 1987, 24 f.; OLG Köln, NStZ-RR 2010, 49 Rdn. 15 nach juris; Fischer, StGB, 60. Aufl. § 56c Rdn. 4; Schönke/Schröder/Stree, StGB, 28. Aufl. § 56c Rdn. 1, 2 ,6 und 14).
So liegt es hier. Die Erwartung, ein Verurteilter werde infolge seiner Abschiebung jedenfalls im Inland keine Straftaten mehr begehen, vermag für sich allein eine günstige Kriminalprognose nicht zu rechtfertigen (OLG Stuttgart, Beschl. vom 26.08.1987 - 3 Ws 166/87, Leitsatz in juris). Demgemäß sind Weisungen gegenüber einem Ausländer, unverzüglich aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen und entsprechend einem Ausweisungsbescheid nicht mehr einzureisen, in der Regel unzulässig (vgl. OLG Koblenz NStZ 1987, 24 f.; LG Braunschweig StV 2001, 240; Fischer, StGB, 60. Aufl. § 56c Rdn. 4). Somit ist die mit einer Strafaussetzungsentscheidung verbundene Weisung an einen Ausländer, zur Vermeidung einer Wiederholungstat seinen Aufenthalt außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen, rechtswidrig, da sie im Ergebnis einer Ausweisung des Verurteilten aus der Bundesrepublik Deutschland gleichkommt. Ein solcher Eingriff ist jedoch abschließend durch das Aufenthaltsgesetz geregelt und liegt ausschließlich im Kompetenzbereich der Ausländerbehörde (BayObLGSt 1980, 101 Rdn. 11 nach juris; OLG Schleswig SchlHA 1991, 118, 119; OLG Koblenz NStZ 1987, 24, 25).
Allerdings werden Ausnahmen hiervon für möglich erachtet (vgl. Schönke/Schröder/Stree, StGB, 28. Aufl. § 56c Rdn. 14). So geht das OLG Köln zwar auch davon aus, dass Weisungen, denen jegliche Beziehung zum Resozialisierungsziel fehlt, unzulässig seien. Dies sei aber nicht der Fall, wenn die Gefahrenquelle, neue Straftaten zu begehen, maßgeblich im weiteren Aufenthalt des Verurteilten in Deutschland liege. So verhalte es sich, wenn die Straftaten mit mehrfachen illegalen Einreiseversuchen in Zusammenhang stünden und vor allem in der Perspektivlosigkeit seines Aufenthalts in Deutschland lägen, wo der Verurteilte sich nur vorübergehend aufgehalten habe und nie einer geregelten Arbeit nachgegangen sei, so dass weitere Straftaten zu erwarten seien, wenn mit einer erneuten Einreise zu rechnen sei (NStZ-RR 2010, 49 Rdn. 16 nach juris). Zum selben Ergebnis kommt das LG Berlin (NStZ 2005, 100 Rdn. 11 nach juris), wenn der Verurteilte zu dem alleinigen Ziel nach Deutschland eingereist sei, hier Straftaten zu begehen (konkret zur illegalen Arbeitsaufnahme), und es ihm nicht möglich gewesen sei, sich hier aufzuhalten, ohne Straftaten zu begehen. Die günstige Prognose habe somit von der Ausreiseweisung abgehangen.
Ein derartiger Ausnahmefall (unabhängig davon, ob ein solcher grundsätzlich anzuerkennen wäre) liegt aber ersichtlich nicht vor. Die vorliegend unter Nummer 3 a und c erteilten Weisungen sind weder erforderlich noch geeignet, die günstige Prognose zu stützen.
Die Strafvollstreckungskammer stützt ihre Einschätzung einer positiven Sozialprognose auf das psychiatrische Sachverständigengutachten vom 28.10.2013. Danach sei der Verurteilte emotional stabil und verfüge über ausreichende Copingmechanismen. Im Rahmen des sozialen Empfangsraums stellte die Sachverständige fest, dass die finanziellen Schwierigkeiten, die auch maßgeblicher Umstand der Tatbegehung waren, nunmehr der Vergangenheit angehörten, da die Ehefrau des Verurteilten über ein ausreichendes Einkommen (Anm.: als Zahnärztin) verfüge. Desweiteren stelle sich dem Verurteilten mit seiner Ehefrau sowie seinem neun Jahre alten Sohn ein stabiles Familienumfeld dar, in welches er sich voraussichtlich problemlos werde wieder integrieren können. Infolge des Wohnsitzes seiner Familie in Kanada werde er auch seine weitere Zukunft dort gestalten.
Daran anknüpfend führt die Strafvollstreckungskammer aus, infolge des bestandskräftigen Ausweisungsbescheides des Kreisverwaltungsreferats München vom 27.11.2008 dürfe der Verurteilte sich nach der Haftentlassung nicht mehr in Deutschland aufhalten; insoweit bestehe die begründete Erwartung, er werde auch, wie angekündigt, zu seiner Familie nach Kanada zurückkehren. Unter Abwägung aller entscheidungserheblichen Gesichtspunkte erscheine daher die Gefahr, dass der Verurteilte erneut straffällig werde, als derart gering, dass eine Entlassung in die Freiheit unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses des Allgemeinheit verantwortet werden könne.
Aus dieser Begründung ergibt sich, dass die Rückkehr des Verurteilten zu seiner Familie in Kanada einen wesentlichen Gesichtspunkt für die positive Sozialprognose darstellt. Entscheidend dafür, dass die Strafvollstreckungskammer von einer Rückkehr zur Familie ausgehen konnte, war aber der bestandskräftige Bescheid des Kreisverwaltungsreferats München vom 27.11.2008, mit dem der Verurteilte nach Kanada abgeschoben wurde, sowie die Ankündigung des Verurteilten, zu seiner Familie zurückzukehren.
Zu den erteilten Weisungen führt die Strafvollstreckungskammer aus, diese seien "erforderlich, um weitere Straftaten zu verhindern und eine effektive Überwachung zu ermöglichen sowie im Hinblick auf den beabsichtigten Wohnsitz im Ausland einigermaßen sicher zu stellen und für den Fall einer etwaigen erlaubten Wiedereinreise rechtzeitig entgegensteuern zu können."
Die von der Strafvollstreckungskammer bejahte positive Sozialprognose beruht auf der begründeten Erwartung der Rückkehr des Verurteilten zu und seinem Verbleib bei der Familie. Hierfür sind die unter 3 a und c erteilten Weisungen auch unter Berücksichtigung dieser Ausführungen der Strafvollstreckungskammer aber weder erforderlich noch geeignet.
Die Rückkehr des Verurteilten zu seiner Familie in Kanada wurde bereits dadurch hinreichend abgesichert, dass er durch bestandskräftigen Bescheid des Kreisverwaltungsreferats nach Kanada abgeschoben wurde. Demgegenüber bezieht sich die Ausreiseweisung allein auf ein Verlassen der Bundesrepublik Deutschland ohne Angabe des Zielstaates (ob eine solche überhaupt rechtlich zulässig wäre, braucht vorliegend nicht entschieden zu werden). Durch diese ist somit nicht gewährleistet, dass der Verurteilte tatsächlich Wohnung bei seiner Familie nimmt.
Die unter Nr. 3 c erteilte Weisung, mit der dem Verurteilten die Wiedereinreise in das Bundesgebiet verboten wurde, ist ebenfalls weder erforderlich noch geeignet, das Resozialisierungsziel zu sichern. An der Erforderlichkeit fehlt es schon deshalb, da das Wiedereinreiseverbot bereits im Bescheid des Kreisverwaltungsreferats München vom 27.11.2008 enthalten ist, auf den die Weisung ("entsprechend dem Ausweisungsbescheid") ausdrücklich Bezug nimmt. Aus Nummer 3 d der Weisung ergibt sich darüber hinaus, dass die Strafvollstreckungskammer die Dauer des Wiedereinreiseverbots offenbar an eine Befristung des Ausweisungsbescheids anknüpfen will, also überhaupt keine eigenständige Regelung trifft. Eine solche Frist enthält der Bescheid vom 27.11.2008 nicht; gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 AufenthG darf diese fünf Jahre nicht überschreiten.
Das Wiedereinreiseverbot ist darüber hinaus auch ungeeignet, das Resozialisierungsziel zu stützen. Es ist naturgemäß nicht mit einem Verbleib des Verurteilten bei seiner Familie verknüpft.
Damit dienen die Weisungen in Nummer 3 a und c allein dazu, den Aufenthalt des Verurteilten in Deutschland zu unterbinden und die Begehung von Straftaten in Deutschland zu verhindern. Die Ausreiseanordnung dient darüber hinaus dem Zweck, die Ausreise zu beschleunigen. Dieser Beschleunigungseffekt hat aber nichts mehr mit einer Hilfestellung auf dem Weg in eine straffreie Lebensführung zu tun; die Ausreiseweisung dient letztlich der Erzwingung, die bestandskräftig begründete ausländerrechtliche Verlassenspflicht zu erfüllen. Der bei einem Verstoß gegen das Verbot der Wiedereinreise drohende Bewährungswiderruf stellt sich letztlich als eine Erweiterung der der Ausländerbehörde zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, auf eine Wiedereinreise zu reagieren, dar. Eine solche Anordnung ohne Möglichkeit der Bewährungsüberwachung hilft dem Verurteilten nicht, künftige Straftaten zu vermeiden, sondern hindert ihn nur daran, sie als Täter oder Teilnehmer in der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich vorzunehmen (vgl. zum Ganzen Meyer, in Anm. zu OLG Koblenz, NStZ 1987, 26). Die Einhaltung der ausländerrechtlichen Beschränkungen wird mit den im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Maßnahmen zu überwachen und durchzusetzen sein. Für eine zusätzliche Reaktion – die Widerrufsmöglichkeit – auf einen Verstoß gegen die Ausweisungsverfügung besteht kein Anlass und keine gesetzliche Grundlage.
Den Anordnungen, unverzüglich aus der Bundesrepublik Deutschland auszureisen und entsprechend dem Ausweisungsbescheid des Kreisverwaltungsreferats nicht mehr einzureisen, fehlt somit eine tragfähige Beziehung zu dem Resozialisierungsziel (unabhängig davon, dass das Wiedereinreiseverbot nicht einmal von der Bewährungszeit sondern von einer verwaltungsrechtlichen Befristung abhängig gemacht wird).
b) Die Beschränkung der Beschwerde auf die angefochtenen zwei Weisungen und damit nur deren Aufhebung statt des gesamten Beschlusses der Strafvollstreckungskammer waren möglich, da hierdurch der Hauptentscheidung (Aussetzung des Strafrestes) nicht die Grundlage entzogen wurde. Für die Teilanfechtung von Beschlüssen mit der Beschwerde gelten die gleichen Grundsätze wie für die Rechtsmittelbeschränkung bei Berufung und Revision (vgl. OLG Frankfurt NJW 1980, 2535; OLG Koblenz NStZ 1987, 24, 25; aA für die vorliegenden Fallkonstellation OLG Schleswig SchlHA 1991, 118). In der Regel kann ein Aussetzungsbeschluss nicht von den damit verbundenen Weisungen getrennt werden, die Anfechtung und Aufhebung einzelner Weisungen führt also grundsätzlich zur Aufhebung des gesamten Beschlusses, da regelmäßig Weisungen nur erteilt werden, wenn dies als erforderlich erscheint, um dem Verurteilten Hilfe zu leisten, damit er keine weiteren Straftaten begeht (§ 56c Abs. 1 StGB). Bei Zusagen hinsichtlich bestimmter zukünftiger Lebensführung, deren Einhaltung erwartet werden kann, unterbleiben Weisungen in der Regel (§ 56c Abs. 4 StGB). Folglich stellen erteilte Weisungen in diesen Regelfällen eine tragende Grundlage für die Gesamtentscheidung dar und können nicht isoliert angefochten oder aufgehoben werden.
So liegt der Fall hier aber nicht. Wie ausgeführt, beruht die günstige Sozialprognose auf der Ankündigung des Verurteilten, zu seiner Familie zurückzukehren sowie der ihm durch Ausweisungsbescheid verwehrten Möglichkeit, sich weiter im Bundesgebiet aufzuhalten. Die angefochtenen Weisungen waren - wie ausgeführt - weder erforderlich noch geeignet, dieses Ziel zu erreichen.
Im psychiatrischen Sachverständigengutachten wird der soziale Empfangsraum des Verurteilten in Kanada als positiv bewertet; empfohlen wird, den Verurteilten in Kanada für zwei Jahre einem Bewährungshelfer zu unterstellen. Weitere Einschränkungen oder Vorsorgen werden nicht für erforderlich gehalten. Folglich kann nach Ansicht des Senats hier – abweichend vom Regelfall – ausgeschlossen werden, dass die Strafvollstreckungskammer bei Wegfall der angefochtenen Weisungen von der Strafaussetzung abgesehen hätte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 3 StPO, § 467 Abs. 1 StPO analog.

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