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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Urteilsanforderungen, BtM-Scheinankauf

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Bamberg, Beschl. v. 21.07. 2014 - 3 Ss 86/14

Leitsatz: 1. Der Grundsatz des fairen Verfahrens (Art. 6 I 1 MRK) kann verletzt sein, wenn das im Rahmen einer Tatprovokation durch eine von der Polizei geführte Vertrauensperson angesonnene Drogengeschäft nicht mehr in einem deliktsspezifisch-angemessenen Verhältnis zu dem gegen den Provozierten stehenden Tatverdacht steht (u.a. Anschluss an BGHSt 45, 321; 47, 44; BGH STV 1995, 247 und StV 2014, 321.
2. Die staatliche Mitwirkung an einem Drogengeschäft, sei es durch einen verdeckten Ermittler, einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten oder eine Vertrauensperson der Polizei, stellt auch unterhalb der Schwelle einer konventions-widrigen Tatprovokation stets einen bestimmenden Strafmilderungsgrund dar. Bei einem unter polizeilicher Mitwirkung erfolgten BtM-Scheinaufkauf darf sich das tatrichterliche Urteil deshalb nicht auf die Mitteilung der reinen Verkaufs- und Übergabehandlungen nebst Mengen – und Preisangaben beschränken. In all diesen Fällen ist im Hinblick auf die Bestimmung des Schuldgehalts eine in sich geschlossene und damit aussagekräftige Darstellung der unter polizeilicher Mitwirkung erfolgten BtM-Scheinaufkäufe und aller sonstigen relevanten Begleitumstände (u.a. zu Verdachtsgrad, Tatgeneigtheit des Verdächtigen, Modalitäten der Geschäftsanbahnung und –abwicklung, Initiative für die Betäubungsmittelgeschäfte, Intensität der Einwirkung auf den Angeklagten) unverzichtbar.
3. Fehlende Feststellungen dieser Art zu einer Vielzahl wesentlicher Tatumstände entziehen nicht nur dem Rechtsfolgenausspruch sondern bereits dem Schuldspruch selbst die Grundlage.


In pp.
Zum Sachverhalt:
Das AG hat den Angekl. wegen unerlaubten Handeltreibens mit BtM in nicht geringer Menge in 2 Fällen zu einer Gesamtfreiheitstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Be-währung aussetzte. Auf die hiergegen eingelegte, auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der StA hat das LG das Urteil des AG im Rechtsfolgenausspruch dahin abgeändert, dass es den Angekl. zur einer Gesamtfreiheitstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hat. Die weitergehende – nach Auffassung der Berufungskammer mangels wirksamer Rechtsmittelbeschränkung als unbe-schränkt zu behandelnde – Berufung hat das LG verworfen. Nach seinen Feststellungen besorgte sich der Angekl. jedenfalls in der Zeit von Februar bis Ende April 2012 Amphetamin und Haschisch und verkaufte dieses an einen Scheinaufkäufer der Polizei. Im Einzelnen verkaufte und übergab der Angeklagte in seiner Wohnung Anfang Februar 2012 ca. 20 Gramm Amphetamin (Wirkstoffgehalt: 1,9 Gramm Amphetamin-Base) und 11,2 Gramm Haschisch (Wirkstoffgehalt: 1,2 Gramm THC) zum Preis von 400 € an den Scheinaufkäufer P. Mitte Februar 2012 verkaufte und übergab der Angekl. in seiner Wohnung ca. 200 Gramm Amphetamin (Wirkstoffgehalt: 17,4 Gramm Amphetamin-Base) zum Preis von 1.500 € an den Scheinaufkäufer P., wobei das LG insoweit davon ausging, dass die Verkäufe aus einem „Rauschgiftvorrat“ stammten. Ende Februar 2012 verkaufte und übergab der Angeklagte in seiner Wohnung weitere ca. 1.540 Gramm Amphetamin (Wirkstoffgehalt: 125,3 Gramm Amphetamin-Base) und ca. 500 Gramm Haschisch (Wirkstoffgehalt: 489,5 Gramm THC) erneut an P. Die Berufungskammer hat dieses Verhalten des Angekl. rechtlich als unerlaubtes Handeltreiben mit BtM in nicht geringer Menge in 2 Fällen gewertet. Im Rahmen der Strafzumessung hat es zugunsten des Angekl. u.a. berücksichtigt, dass er die Betäubungsmittel an einen Scheinaufkäufer der Polizei veräußert habe.
Gegen dieses Urteil wendet sich die (unbeschränkte) Revision des Angekl., mit der er die Ver-letzung materiellen Rechts rügt. Das Rechtsmittel führte zu vollständigen Aufhebung des ange-fochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das LG.
Aus den Gründen:
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der statthaften (§ 333 StPO) und auch im Übri-gen zulässigen Revision des Angekl. führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.
1. Die Gründe des angefochtenen Urteils sind derart lückenhaft, dass sie einen sach-lich-rechtlichen Mangel aufweisen, der zur Aufhebung des Urteils in vollem Umfang zwingt. Die knappen tatsächlichen Feststellungen des LG lassen eine hinreichende Beurteilung des Unrechts- und Schuldgehalts der Taten nicht zu. Die Berufungskammer beschränkt sich darauf, die reinen Verkaufs- und Übergabehandlungen darzustellen. Eine in sich geschlossene Schilderung der maßgeblichen Begleitumstände, die zur sachgerechten Beurteilung der Taten zwingend erforderlich sind, unterbleibt indes. In Fällen, in denen – wie hier – BtM-Geschäfte mit einem polizeilichen Scheinaufkäufer geschlossen wurden, ist es nach der höchstrichterlichen Rspr. keinesfalls ausreichend, allein diesen Umstand festzustellen und zugunsten des Angekl. strafmildernd zu be-rücksichtigen. Dadurch wird der Schuldgehalt nicht hinreichend bestimmt.
a) In Fällen der vorliegenden Art stellt sich zunächst die Frage, ob eine Tatprovokation seitens der Strafverfolgungsbehörden vorangegangen war. Dabei ist [...] zu differenzie-ren, ob es sich um eine wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens gemäß Art. 6 I 1 MRK unzulässige, weil konventionswidrige Tatprovokation handelte oder nicht.
aa) Eine konventionswidrige Provokation ist dann anzunehmen, wenn eine unverdäch-tige und zunächst nicht tatgeneigte Person seitens der Strafverfolgungsbehörde, sei es durch einen verdeckten Ermittler, einen nicht offen ermittelnden Polizeibeamten oder eine Vertrauensperson der Polizei, zu der Straftat verleitet wird (vgl. hierzu grundlegend BGHSt 45, 321; ferner: BGHSt 47, 44; BGH StV 1995, 247; 2014, 321). Liegt eine derartige unzulässige Provokation vor, so handelt es sich hierbei um einen besonderen, gewichtigen und schuldunabhängigen Strafmilderungsgrund, der zur Unterschreitung der sonst schuldangemessenen Strafe führen muss (BGHSt 45, 321). Deshalb genügt es nicht, dies lediglich als gewöhnlichen Strafzumessungsgrund zugunsten des Angekl. zu berücksichtigen. Vielmehr ist – wie in Fällen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzöge-rungen – der Verstoß in den Urteilsgründen ausdrücklich festzustellen und bei der Fest-setzung der Rechtsfolgen zu kompensieren, wobei das Maß der Kompensation für das konventionswidrige Handeln exakt zum Ausdruck gebracht werden muss (BGH a.a.O. vgl. auch Fischer StGB 61. Aufl. § 46 Rn. 68; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl. Rn. 856 f.). Bei der Frage, ob ein zur Beurteilung der Konventionswidrigkeit relevanter Tatverdacht gegen den Angekl. bereits vorgelegen hatte, ist zu beachten, dass das von der Polizei angesonnene Drogengeschäft in einem angemessenen, deliktsspezifischen Verhältnis zu dem gegen den Angekl. stehenden Tatverdacht gestanden haben muss (vgl. BGHSt 47, 44; BGH NStZ-RR 2010, 289; Schäfer/Sander/van Gemmeren Rn. 852).
bb) Aber auch in Fällen, in denen eine zulässige, weil nicht gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßende Provokation der Tat vorangegangen war, stellt dieser Umstand einen gewichtigen zugunsten des Angekl. zu wertenden Strafzumessungsgrund dar, dem nicht lediglich mit dem bloßen Hinweis darauf, dass die BtM an einen Scheinauf-käufer veräußert wurden, hinreichend Rechnung getragen werden darf. Denn staatliche Beteiligungshandlungen an Drogengeschäften, insbesondere bei einer staatlichen Initia-tive zu einem konkreten Drogengeschäft, stellen gewichtige Strafzumessungsgründe dar (vgl. BGH NStZ 2013, 99).
b) Schließlich ist auch jenseits einer Tatprovokation die Mitverursachung durch die Strafverfolgungsbehörde ein bestimmender Strafmilderungsgrund (Schäfer/Sander/van Gemmeren Rn. 860). Hierbei sind die Besonderheiten des Einzelfalls für den Grad der Berücksichtigung im Rahmen der konkreten Strafzumessung von ausschlaggebender Relevanz. Deshalb bedarf es der konkreten Feststellung und Wiedergabe im tatrichterli-chen Urteil, wie es zum Erstkontakt kam, ob von den Ermittlungsbehörden oder etwa dem Angekl. die Initiative für die BtM-Geschäfte ausgegangen ist und wie die Einzelhei-ten der weiteren Verabredungen waren. Von besonderem Gewicht ist es regelmäßig auch, welche Vorgespräche im Einzelnen geführt wurden, auf wessen Veranlassung dies jeweils geschah, wie stark die Intensität einer eventuellen Einwirkung auf den An-gekl. war und wie sich dieser zu einem etwaigen Ansinnen der Ermittlungsbehörden jeweils verhielt. Denn es besteht ein nicht nur marginaler Unterschied in Bezug auf das Ausmaß der Schuld, ob bei einem Angekl. das Tatinteresse bereits vorhanden war oder dessen Tatentschluss erst mehr oder weniger geweckt werden musste. Ferner wird in diesem Zusammenhang von maßgeblicher Bedeutung sein, wer die Art und den Um-fang der BtM-Geschäfte ins Spiel gebracht hatte. Demzufolge wären diese Umstände auch jenseits einer etwaigen, gegebenenfalls rechtmäßigen Tatprovokation, aufzuklären und im Urteil im Einzelnen darzulegen gewesen, um dem Revisionsgericht eine Nach-prüfung zu ermöglichen.
c) Das LG unterlässt es schon mitzuteilen, wie es überhaupt zu einem Kontakt zwi-schen der Polizei und dem Angekl. gekommen war, der letztlich zu den BtM-Geschäften geführt hat. Ferner wird nicht dargelegt, ob und inwieweit gegen den Angekl. bereits ein konkreter Tatverdacht im Sinne der §§ 152 II, 160 StPO bestanden hatte und ob dieser von vornherein tatgeneigt war. Schon gar nicht werden die relevanten Kontakte zwischen dem Scheinkäufer der Polizei und dem Angekl. im Detail festgestellt.
d) Dieser Darstellungsmangel im angefochtenen Urteil ist bereits auf die Sachrüge hin zu berücksichtigen (Schäfer/Sander/van Gemmeren Rn. 860), weil sich aus dem Urteil selbst ergibt, dass eine Beteiligung der Strafverfolgungsbehörden gegeben war und deshalb – wie dargelegt - zur sachgerechten Beurteilung der Schuld die Wiedergabe der einzelnen Tatumstände zwingend geboten gewesen wäre.
e) Der gegebene Erörterungs- und Darstellungsausfall hinsichtlich einer Vielzahl rele-vanter Tatumstände entzieht hier, nachdem das LG im Ergebnis zutreffend wegen der schon unzureichenden tatrichterlichen Feststellungen des Erstgerichts von der Unwirk-samkeit der Berufungsbeschränkung ausgegangen ist, nicht nur dem Rechtsfolgenaus-spruch einschließlich der Maßregelanordnung nach § 64 StGB sondern auch dem vom LG erkannten (und bestätigten) Schuldspruch selbst die Grundlage. Zwar ist eine Auf-hebung des Schuldspruchs gemäß § 353 I StPO in der Regel nicht geboten, wenn der Rechtsfehler nur den Schuldumfang betrifft und sich die Verurteilung jedenfalls im Er-gebnis rechtfertigt (vgl. BGHSt 32, 22; Meyer-Goßner/Schmitt StPO 57. Aufl. § 353 Rn. 7). Das setzt aber voraus, dass es sich lediglich um einzelne ergänzungsbedürftige Details handelt. Fehlt es indessen – wie hier – im angefochtenen Urteil an wesentlichen Modalitäten des Tathergangs, ist die Aufhebung des Schuldspruchs unvermeidbar (vgl. KK-Gericke StPO 7. Aufl. § 353 Rn. 13).
2. Nur vorsorglich bemerkt der Senat mit Blick auf die vom LG ausgesprochene Maßre-gelanordnung nach § 64 StGB, dass ein im Zeitpunkt der Berufungshauptverhandlung fortbestehender Hang des Angekl., berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu neh-men, jedenfalls durch die bisherigen Feststellungen nicht hinreichend belegt ist.
a) Bereits die Annahme eines Hangs im Sinne einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit oder zumindest einer eingewurzelten, auf psychischer Dispo-sition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung, immer wieder Rauschmittel zu sich zu nehmen (vgl. BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1 [Gründe] m.w.N.), ist unzulänglich belegt. Die Berufungskammer teilt im Wesentlichen nur das Ergebnis mit, ohne die Anknüpfungstatsachen sowie die gutachterlichen Äußerungen der Sachverständigen zu schildern, aus denen sie die Schlussfolgerung zieht. Dem Senat ist deshalb die Überprüfung nicht ermöglicht, ob die Rechtsfrage, beim Angekl. liege ein Hang im Sinne einer Abhängigkeit vor, zutreffend beurteilt wurde.
b) Ungeachtet dessen bleibt das LG eine nachvollziehbare Erklärung dafür schuldig, warum bei dem Angekl. trotz seiner durch Drogenscreenings [...] immerhin für den Zeitraum von Mitte Juli bis Ende 2013 objektiv nachgewiesener und vom Angekl. bestätigter Drogenabstinenz dennoch von einem sicher fortbestehenden Hang auszugehen sein soll. Hinzu kommt, dass das LG die sachverständige Annahme, wonach bei dem Angekl. „zwischenzeitlich“ von einer schon „zwei Jahre andauernden Abstinenz“ auszugehen sei, offenbar als zutreffend übernommen hat. [...]

Einsender: RiOLG Dr. Georg Gieg, Würzburg

Anmerkung:


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