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Entscheidungen

StPO

Strafaussetzung, Widerruf, Bestellung, Pflichtverteidiger

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Backnang, Beschl. v. 13.08.2014 - 2 BWL 90/11

Leitsatz: 1. Die Anordnung, jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, ist keine Weisung i.S.d. § 56c StGB, wenn sie lediglich der Erleichterung der Bewährungsüberwachung dient.
2. Mangelnde Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer alleine rechtfertigt nach dem klaren Wortlaut des § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB den Widerruf der Straf-aussetzung nicht.
3. Im Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung ist dem Verurteilten ein Pflichtverteidiger beizuordnen, wenn Gericht und Staatsan-waltschaft abweichende Rechtsauffassungen vertreten.


Amtsgericht Backnang Backnang, 13.08.2014
2 BWL 90/11
6 Ds 32 Js 11787/10 - AK 228/2011 AG Tettnang
Verfügung
In dem Bewährungsverfahren
pp.

Dem Verurteilten wird für das Verfahren über den Widerruf der Strafaussetzung Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger bestellt.

Gründe
I.

Gegen den Angeklagten wurde mit Urteil des Amtsgericht Tettnang vom 23.05.2011, rechtskräftig seit dem 02.08.2011, wegen versuchten Diebstahls u. a. die Gesamtfrei-heitsstrafe von acht Monaten verhängt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Bewährungsbeschluss vom 23.05.2011 enthält unter Ziffer 4 folgende Regelung: "Der Angeklagte hat jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich und unaufgefordert nachzuweisen."

Mit Beschluss vom 30.05.2012 unterstellte das Amtsgericht Backnang, das die Be-währungsüberwachung zwischenzeitlich übernommen hatte, gemäß § 56d, 56e StGB den Verurteilten der Aufsicht und Leitung der zuständigen Bewährungshelferin. Nachdem zwischenzeitlich davon auszugehen war, dass sich der Verurteilte nicht mehr im hiesigen Bezirk aufhält, wurde die Bewährungsüberwachung vorübergehend vom Amtsgericht Tettnang zurückgenommen. Zwischenzeitlich hält sich der Verurteil-te jedoch wieder im hiesigen Bezirk auf, sodass das Amtsgericht Backnang mit Be-schluss vom 25.07.2014 erneut die Bewährungsüberwachung übernommen hat. Noch gegenüber dem Amtsgericht Tettnang beantragte die Staatsanwaltschaft den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, da der Verurteilte flüchtig im Sinne des § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO sei. Über seinen Aufenthalt habe der Verurteilte das Gericht nicht informiert, weshalb ein Verstoß gegen die "Weisung" vorliege, jeden Wohnsitz-wechsel anzuzeigen. Die Wohnungslosigkeit begründe die Besorgnis, der Verurteilte werde erneut Straftaten begehen. Neben dem Widerruf der Strafaussetzung bean-tragt die Staatsanwaltschaft Ravensburg den Erlass eines Sicherungshaftbefehls.

Mit Verfügung vom 30.07.2014 regte das Gericht gegenüber der Staatsanwaltschaft Ravensburg die Rücknahme der vorgenannten Anträge an. Es erscheine fraglich, ob die Anordnung, der Verurteilte möge jeden Wohnsitzwechsel mitteilen, eine Weisung im Sinne des § 56c StGB darstellt. Auf einen Verstoß gegen die Anordnung werde ein Widerruf wohl nicht gestützt werden können.

In Beantwortung der entsprechenden gerichtlichen Verfügung erklärte die Staatsan-waltschaft Ravensburg, die Anträge würden nicht zurückgenommen. Das Landgericht Ravensburg habe bereits wiederholt auf Beschwerden der Staatsanwaltschaft hin Entscheidungen von Amtsgerichten aufgehoben, die Widerrufsanträge gegen flüchti-ge Verurteilte abgelehnt hätten. Die Auffassung des Gerichts, es liege keine Weisung im Sinne § 56 c StGB vor, erscheine wenig überzeugend. Im Übrigen habe sich der Verurteilte durch sein Verhalten der Aufsicht und Leitung der Bewährungshilfe entzo-gen.

II.

Dem Verurteilten war Rechtsanwalt K. zum Pflichtverteidiger zu bestellen. Im Verfah-ren über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung richtet sich in Ermange-lung einer speziell auf das Strafvollstreckungsverfahren zugeschnittenen gesetzlichen Regelung die Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 2 StPO entsprechend. Die Bestellung eines Verteidigers ist hiernach erforderlich, wenn die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage oder die Unfähigkeit des Verurteilten zur Selbstverteidigung dies gebietet (Burhoff, Handbuch für das strafrechtliche Ermitt-lungsverfahren, 6. Auflage 2013, Rn. 2137).

Eine schwierige Sach- und Rechtslage liegt vor, wenn im Widerrufsverfahren in tat-sächlicher und oder rechtlicher Hinsicht Fragen aufgeworfen werden, die über die Probleme hinausgehen, die in einem solchen Verfahren regelmäßig zu beurteilten sind (KG NStZ-RR 2006, 211). Vorliegend ist zu prüfen, ob Ziffer 4 des Bewährungs-beschluss vom 23.05.2011 überhaupt eine Weisung im Sinne des § 56c StGB dar-stellt. Gericht und Staatsanwaltschaft vertreten hierzu unterschiedliche Auffassungen; welcher dieser Ansichten das Rechtsmittelgericht folgen würde, ist nicht absehbar. Vertreten aber Justizorgane unterschiedliche Rechtsauffassungen, begründet dies die Erforderlichkeit der Mitwirkung eines Verteidigers (Burhoff, Handbuch für das straf-rechtliche Ermittlungsverfahren, 6. Auflage 2013, Rn. 2205).

Die Notwendigkeit der Verteidigung ergibt sich zudem aus der Antragsbegründung der Staatsanwaltschaft Ravensburg, lässt diese doch besorgen, dass der Verurteilte aufgrund einer Verkennung der Rechtslage mit einem Widerrufsantrag konfrontiert ist. Insbesondere erscheint fraglich, ob die Anordnung, jeden Wohnsitzwechsel mitzuteilen, überhaupt eine Weisung i.S.d. § 56c StGB darstellt. Weder dem Bewährungsbeschluss selbst noch den Gründen des der Bewährung zugrunde liegenden Urteils lässt sich entnehmen, dass die Anordnung in Ziff. 4 des Bewährungsbeschlusses der Lebenshilfe für den Verurteilten und damit der Verhinderung neuen Straftaten dient. Dies wäre jedoch Voraussetzung, um die Anordnung als Weisung im Sinne des § 56 c StGB qualifizieren zu können. Weisungen zielen darauf ab, die Lebensführung des Verurteilten spezialpräventiv zu beeinflussen; Anordnungen mit anderer Zielsetzung sind unzulässig (Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 56c, Rn. 1a). Vorliegend dient die Anordnung wohl ausschließlich der Erleichterung der Bewährungsüberwachung für das Gericht durch die Sicherstellung der Erreichbarkeit des Verurteilten. Es handelt sich deshalb wegen eines nicht von § 56 c StGB erfassten Zwecks der Anordnung nicht um eine Weisung (so auch OLG Frankfurt, StraFO 2007, 383; OLG Oldenburg, NStZ 2008, 461). Den Charakter einer Weisung würde die Anordnung erst erlangen, wenn mit ihr mehr erstrebt würde, als nur eine bessere Überwachung des Verurteilten, etwa eine stabilisierende Einflussnahme auf seine Lebensführung (OLG Celle, NStZ 2004, 627). Dies ist wie ausgeführt vorliegend nicht der Fall.

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass auch bei der Annahme einer rechtswirk-samen Weisung ein Widerruf nur dann in Betracht käme, wenn gerade der Verstoß Anlass zu der Besorgnis gibt, der Verurteilte werde erneut Straftaten begehen (LG Bremen, StR 2008, 70). Für sich alleine genommen lässt der Verstoß aber nicht den Rückschluss auf eine kriminelle Prognose zu (BVerfG NStZ-RR 2007, 338). Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass aus dem Verstoß gegen die "Weisung" die Gefahr neuer Straftaten hergeleitet werden könne, sind nicht ersichtlich und werden von der Staatsanwaltschaft Ravensburg auch nicht in substantiierter Weise dargelegt. Im Wi-derrufsantrag wird lediglich ausgeführt, dass die Wohnungslosigkeit, die im Übrigen nicht belegt ist, die Besorgnis neuerlicher Straftaten begründe. Konkrete Anhaltspunkte, die eine solche Besorgnis rechtfertigen könnten, werden nicht vorgetragen.

Darüber hinaus ist der Verurteilte auch nicht flüchtig. Beim Amtsgericht Backnang ist unter dem Az. xx ein neuerliches Strafverfahren anhängig. Ein in dieser Sache vom Amtsgericht Waiblingen erlassener Haftbefehl wurde gegen Meldeauflage außer Voll-zug gesetzt. Dieser kommt der Verurteilte regelmäßig nach, und sein aktueller Auf-enthaltsort ist dem Gericht bekannt. Es ist deshalb nicht (mehr) von einer Flucht im Sinne des § 112 Abs. 2 StPO auszugehen. Der - mit keinerlei Fundstellen versehene - Hinweis der Staatsanwaltschaft Ravensburg auf von ihr erstrittene Entscheidungen des dortigen Landgerichts gibt zu einer Änderung der hier vertretenen Auffassung keinen Anlass.

Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft Ravensburg wird ein Widerruf der Strafaussetzung auch nicht darauf gestützt werden können, dass der Verurteilte sich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin beharrlich entzogen habe. Die ent-sprechenden Ausführungen der Staatsanwaltschaft lassen bereits außer acht, dass entsprechend dem eindeutigen Wortlaut des § 56f Abs. 1 Nr. 2 StGB ein Widerruf der Strafaussetzung bei unzureichender Zusammenarbeit mit dem Bewährungshelfer nur dann möglich ist, wenn der Verurteilte Anlass zu der Besorgnis gibt, er werde erneut Straftaten begehen. Es ist in der Rechtsprechung bis hin zum Bundesverfassungsgericht seit langem anerkannt, dass der Verstoß gegen die Weisung alleine nicht zum Widerruf führen kann. Zu dieser zwingenden Widerrufsvoraussetzung findet sich in den Ausführungen der Staatsanwaltschaft kein Wort.

Für einen Widerruf der Strafaussetzung ist zusätzlich erforderlich, dass der Verstoß zu einer neuen, negativen Kriminalprognose führt, die der Strafaussetzung zugrunde liegende Prognose also der Korrektur bedarf. Der Verstoß selbst ist dabei nicht mit der negativen Prognose gleichzusetzen, darüber hinaus ist der Widerruf auch keine Sanktion für den Weisungsverstoß (BVerfG NStZ-RR 2007, 338). Maßgeblich ist viel mehr, ob unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der Verstoß zu der krimi-nellen Neigung oder Auffälligkeit des Verurteilten so in einer kausalen Beziehung steht, dass die Gefahr weiterer Straftaten vorhanden ist. Dies lässt sich vorliegend, jedenfalls derzeit, nicht feststellen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass gegen den Verurteilten neue Verfahren geführt werden. Dort gilt die Unschuldsvermutung.

Nach alledem ist festzuhalten, dass im Rahmen des Widerrufsverfahrens hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft behaupteten Widerrufsgründe erheblicher Prüfungs-bedarf besteht. Auch ist die Einschlägigkeit ober- und verfassungsgerichtlicher Rechtsprechung zu prüfen. Damit ist der Verurteilte überfordert, es liegt mithin ent-sprechend § 140 Abs. 2 StPO eine schwierige Sach- und Rechtslage vor.
Richter am Amtsgericht

Einsender: RiAG T. Hillenbrand, Backnang

Anmerkung:


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