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Entscheidungen

OWi

Fahrverbot, Absehen, Feststellungen

Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 08.10.2014 - 3 Ws (B) 488/14 - 162 Ss 135/14

Leitsatz: 1. Das Verhängen eines Regelfahrverbotes schränkt grundsätzlich die Mobilität des Betroffenen ein und bedingt berufliche oder wirtschaftliche Nachteile. Diese häufigsten Folgen eines Regelfahrverbotes sind hinzunehmen. Daher reichen allein die Hin-weise der Betroffenen auf ihre bundesweite Tätigkeit im Außendienst sowie auf ihre private Situation als alleinerziehende Mutter ohne familiäre Unterstützung nicht aus, um von einem Regelfahrverbot abzusehen.
2. Der Tatrichter muss bereits aus Gründen der Gleichbehandlung und der Rechtssicherheit erkennen lassen, dass er sich mit den Angaben der Betroffenen zur Auswirkung eines Regelfahrverbotes kritisch auseinandergesetzt hat.


In der Bußgeldsache
gegen pp.
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts in
Berlin am 8. Oktober 2014 beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Berlin wird das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. Juni 2014 im Rechtsfolgenausspruch mit den dazugehörenden Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:
Das Amtsgericht hat die Betroffene wegen fahrlässiger Zuwiderhandlung gegen §§ 41 Abs. 2 (richtig: § 41 Abs. 1 i.V.m. Anlage 2 Zeichen 274), 49 (zu ergänzen: Abs. 3 Nr. 4) StVO nach § 24 StVG zu einer Geldbuße von 300,00 Euro verurteilt. Von der Anordnung eines Fahrverbotes, wie im zu Grunde liegenden Bußgeldbescheid erfolgt, hat es unter Erhöhung des als Regelsatz vorgesehenen Bußgelds nach § 4 Abs. 4 BKatV abgesehen. Hiergegen richtet sich die zulässig auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft Ber-lin, mit der die Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat (vor-läufigen) Erfolg.

Zu Recht beanstandet die Amtsanwaltschaft, dass das Absehen von der Anordnung des Regelfahrverbotes durch die Tatrichterin rechtsfehlerhaft ist. Der Tatbestand des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Tabelle 1 Buchstabe c Nr. 11.3.6 des Anhangs zur An-lage zu § 1 Abs. 1 BKatV ist erfüllt, weil die Betroffene die zulässige Höchstge-schwindigkeit im innerörtlichen Bereich um 34 km/h überschritten hat. Dies indiziert – verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. BVerfG NZV 1996, 284, 285) – das Vorliegen eines groben Verstoßes der Betroffenen gegen die Pflichten einer Kraftfahrzeugfüh-rerin im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG mit der Folge, dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes bedarf (vgl. BGHSt 38, 125, 134; BGHSt 38, 231, 235 f.; BGHSt 43, 241, 247).

Nur wenn der Sachverhalt zugunsten der Betroffenen so erheblich vom Regelfall ab-weicht, dass er als Ausnahme zu werten ist, kann die Anwendung der Regelbeispiel-technik des Bußgeldkataloges unangemessen sein (vgl. Senat, Beschluss vom 19. September 1997 – 3 Ws [B] 586/97 – juris Rn. 2). Dem tatrichterlichen Beurteilungs-spielraum sind jedoch aus Gründen der Gleichbehandlung und Rechtssicherheit en-ge Grenzen insoweit gesetzt, als die Feststellungen die tatrichterliche Annahme ei-nes Ausnahmefalles nachvollziehbar erscheinen lassen müssen (vgl. Senat, Be-schlüsse vom 13. August 1997 – 3 Ws [B] 410/97 – juris Rn. 3 und 10. Juli 1998 – 3 Ws [B] 335/98 – juris Rn. 3). Dies ist hier nicht der Fall.

Das Amtsgericht hat hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse der Betroffenen ledig-lich festgestellt, dass diese als Außendienstmitarbeiterin im Vertrieb eines Telefon-anbieters Kunden im gesamten Bundesgebiet betreue und auch regelmäßig die Zent-rale in Köln aufsuchen müsse. Als allein erziehende Mutter von zwei Kindern sei sie zudem auf die Benutzung ihres PKWs angewiesen, da sie ihren sechsjährigen Sohn jeden Tag in die Schule bringen müsse, die 25 km von Wandlitz entfernt sei, und es weder öffentliche Verkehrsmittel noch einen Schulbus gebe. Die Kita, die ihr zweijäh-riges Kind besucht, sei 3 km entfernt. Sie habe keinerlei Unterstützung vom Kindes-vater oder sonst von Verwandten. Hinsichtlich des Absehens vom Fahrverbot hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass ein solches die Betroffene in ihrer Le-benssituation in besonders hartem Maße treffen würde.

Grundsätzlich sind jedoch die durch die Maßregel eines Fahrverbots bedingte Ein-schränkung der Mobilität und berufliche oder wirtschaftliche Nachteile als häufige Folgen hinzunehmen, ohne dass schon deshalb ein Absehen von einem Fahrverbot gerechtfertigt wäre (vgl. Senat, Beschlüsse vom 19. November 2003 – 3 Ws [B] 439/03 –, 22. September 2004 – 3 Ws [B] 418/04 – juris Rn. 5, 30. September 2004 – 3 Ws [B] 439/04 – juris Rn. 4 und 25. August 2005 – 3 Ws [B] 108/05 –; OLG Frankfurt NStZ-RR 2001, 344, 344). Vielmehr muss die Maßregel zu einer Härte ganz außergewöhnlicher Art führen, wie etwa der Verlust des Arbeitsplatzes bei ei-nem Arbeitnehmer oder der Existenzverlust bei einem Selbständigen, wobei nach der Einführung des § 25 Abs. 2a StVG mit der für eine unvorbelastete Betroffene beste-henden Möglichkeit, den Beginn der Wirksamkeit des Verbotes innerhalb eines Zeit-raumes von vier Monaten selbst zu bestimmen, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen ist (vgl. OLG Frankfurt DAR 2002, 82 = Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 2 Ws [B] 378/01 – juris Rn. 8). Dabei ist der Tatrichter gehalten, die dahingehende Einlassung der Betroffenen einer besonders kritischen Prüfung zu unterziehen. Hierbei hat er auch zu berücksichtigen, dass einer Betroffenen zuzumu-ten ist, durch eine Kombination von verschiedenen Maßnahmen (Urlaub, Einstellung eines Fahrers, Benutzung anderer Verkehrsmittel usw.) die Zeit eines Fahrverbotes zu überbrücken und für die finanziellen Belastungen notfalls einen Kredit aufzuneh-men (vgl. Senat a.a.O.; OLG Frankfurt DAR 2002, 82 = Beschluss vom 22. Oktober 2001 – 2 Ws [B] 378/01 – juris Rn. 8).

An der dazu erforderlichen detaillierten Darstellung der beruflichen Auswirkungen des Fahrverbots für die Betroffene, die es dem Senat ermöglichen würde, nachzuprüfen, ob das Amtsgericht einen besonderen Härtefall rechtsfehlerfrei angenommen hat, fehlt es jedoch. Hierzu sind in den Urteilsgründen insbesondere das durchschnittliche Monatseinkommen und das etwaige Vorhandensein von Ersparnissen darzulegen (vgl. Senat, Beschluss vom 30. September 2004 – 3 Ws [B] 439/04 – juris Rn. 5).

Überdies sind die Feststellungen zur Begründung des Absehens von der Verhängung eines Fahrverbots auch in sich widersprüchlich. Während einerseits festgestellt wor-den ist, die Betroffene müsse jeden Tag ihren sechsjährigen Sohn mit dem PKW zur 25 Km entfernten Schule bringen und erhalte dabei keine Unterstützung von dem Kindsvater oder sonst von Verwandten, wird andererseits, ersichtlich zur Begründung des Notwendigkeit einer Fahrerlaubnis für die Betroffene, ausgeführt, die die Be-troffene habe als Vertriebsmitarbeiterin Kunden im gesamten Bundesgebiet und müsse auch regelmäßig die Zentrale in Köln aufsuchen. Diese beiden Begründungen sind, jedenfalls ohne weitere Ausführungen, miteinander nicht vereinbar. Die Reisen der Betroffenen zu Kunden bzw. nach Köln, lassen es, jedenfalls soweit die Fahrten mit dem PKW durchgeführt werden, ausgeschlossen erscheinen, dass die Betroffene auch an diesen Tagen ihren Sohn selbst zur Schule bringt und dort abholt.

Die fehlende Vorbelastung der Betroffenen entspricht dem Regelfall, da der Buß-geldkatalog bei den von ihm vorgesehenen Rechtsfolgen von einem unvorbelasteten Ersttäter ausgeht (vgl. §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 1 BKatV; Senat, Beschlüsse vom 22. September 2004 – 3 Ws [B] 418/04 – juris Rn. 6 und 25. August 2005 – 3 Ws [B] 108/05 –).

Auch dass die Tat auf der Bundesautobahn 113 begangen wurde, ist kein Umstand, der den Sachverhalt zugunsten der Betroffenen vom Regelfall unterscheidet. Es ent-spricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass Geschwindigkeitsüber-schreitungen auf der Berliner Stadtautobahn als innerörtliche Verstöße zu behandeln sind; denn die nach der Tatbegehung innerhalb und außerhalb geschlossener Ort-schaften differenzierenden Regelungen des Bußgeldkatalogs sind auf die im Bereich geschlossener Ortschaften höhere abstrakte Gefährlichkeit von Geschwindigkeits-überschreitungen zurückzuführen, ohne dass es dabei auf die verkehrsrechtliche Klassifizierung der Straße ankommt (vgl. etwa Senat, VRS 109, 130). Die abstrakte Gefährlichkeit der vorliegenden Geschwindigkeitsüberschreitung um 42 % muss um-so mehr bejaht werden, als sich andere Kraftfahrer erfahrungsgemäß nicht darauf einstellen, dass die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von einer einzelnen Kraftfahrerin in einem derart hohen Maß überschritten wird (vgl. Senat, Beschluss vom 1. Juni 1992 – 3 Ws [B] 92/92 –). Dieser Umfang der Geschwindigkeitsüber-schreitung hätte zudem nach der ständigen Rechtsprechung des Senats eher die Annahme vorsätzlicher Begehungsweise nahe gelegt (vgl. Senat, Beschluss vom 2. Juni 2008 – 3 Ws [B] 128/08 – m.w.N.).

Da das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes somit keinen Bestand ha-ben kann und eine Wechselwirkung zwischen der Frage der Anordnung dieser Maß-regel und der Bemessung der Höhe der Geldbuße besteht, war das Urteil aufzuhe-ben und die Sache gemäß § 79 Abs. 6 OWiG an das Amtsgericht zurückzuverwei-sen. Es erscheint nahe liegend, dass zur Frage einer etwaigen Arbeitsplatzgefähr-dung der Betroffenen infolge eines Fahrverbots ergänzende Feststellungen getroffen werden können, wobei der Tatrichter gehalten sein wird, etwaige Angaben der Be-troffenen nicht ungeprüft zu übernehmen.


Einsender: RiKG Klaus-Peter Hanschke, Berlin

Anmerkung:


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