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Entscheidungen

StPO

Molekulargenetische Untersuchung, Auftypisierung, BtM-Delikte

Gericht / Entscheidungsdatum: LG Paderborn, Beschl. v. 19.11.2014 - 01 Qs-22 Js 1365/13-56/14

Leitsatz: 1. Die Entnahme von Körperzellen zur Auftypisierung bereits gespeicherter DNA-Daten ist zulässig, wenn eine neue Anlasstat vorliegt (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung der Kammer.)
2. Indizien dafür, dass die wiederholte Begehung sonstiger Straftaten im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichsteht.
3. Auch BtM-Delikte sind taugliche Anlasstaten für die Entnahme von Körperzellen zur molekulargenetischen Untersuchung und Speicherung.


In pp.
Der Beschluss des Amtsgerichtes Paderborn vom 24.03.2014 wird aufgehoben.
Gemäß den §§ 81g Abs. 3, Abs. 4, 81a Abs. 2, 81f StPO wird die Entnahme von Körperzellen bei dem Verurteilten ... in Form einer Haar- bzw. Speichelprobe oder Blutentnahme zwecks Durchführung molekulargenetischer Untersuchungen, zur Speicherung des DNA Musters für künftige Verfahren in der DNA-Analyse-Datei (DAD), durch den Behördengutachter / Sachverständigen beim Landeskriminalamt NRW, gegebenenfalls auch gegen den Willen des Betroffenen, angeordnet.
Die entnommenen Körperzellen sind nach Abschluss der Untersuchung zu vernichten.
Für den Fall, dass der Verurteilte der gerichtlichen Anordnung nicht freiwillig Folge leistet, wird die Durchsuchung der Wohnung der genannten Person, einschließlich Nebenräume, wie Keller, Dachboden, Garage und eventuelle Geschäftsräume, sowie eventuellen Kraftfahrzeugen gemäß §§ 102, 105 StPO angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Verurteilte.
Gründe
I.
Mit Urteil des Amtsgerichts Paderborn vom 15.1.2014 wurde der Verurteilte wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln (0,6 g Marihuana) zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.
Hinsichtlich des Verurteilten fanden sich folgende Eintragungen im Bundeszentralregister:
Am 17.5.2006 sah die Staatsanwaltschaft Paderborn von der Verfolgung einer Körperverletzung gemäß § 45 Abs. 2 JGG ab.
Am 22.3.2007 sei die Staatsanwaltschaft Paderborn von der Verfolgung einer Sachbeschädigung nach § 45 Abs. 2 JGG ab.
Am 20.9.2007 verhängte das Amtsgericht Paderborn gegen den Angeklagten einen Freizeitjugendarrest und eine richterliche Weisung wegen Körperverletzung.
Am 23.9.2010 verhängte das Amtsgericht Paderborn gegen den Angeklagten wegen Beihilfe zum Diebstahl in einem besonders schweren Fall zwei Freizeitjugendarreste.
Am 24.2.2012 verurteilte das Amtsgericht Paderborn den Verurteilten wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln in 42 Fällen und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Anbau von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von neun Monaten zur Bewährung. Die Strafaussetzung zur Bewährung musste widerrufen werden, die Strafvollstreckung ist seit dem 17.5.2013 erledigt.
Am 31.10.2012 verurteilte das Amtsgericht Paderborn den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Freistrafe von drei Monaten und zwei Wochen, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auch diese Bewährung wurde widerrufen.
Mit Verfügung vom 7.2.2014 beantragte die Staatsanwaltschaft Paderborn die Entnahme von Körperzellen beim Verurteilten nach den §§ 81g Abs. 3, 81a Abs. 2, 81f StPO. Hinsichtlich des Verurteilten waren bereits DNA-Daten gespeichert, jedoch war dies nach dem überholten EU-Standard mit nur 8 Merkmalen geschehen. Mittlerweile ist dieser Standard auf 13 Merkmale erweitert worden, so dass in der Sache eine Auftypisierung, bzw. Aktualisierung der Daten beantragt ist.
Mit Verfügung vom 20.2.2014 hörte das Amtsgericht Paderborn den Verurteilten an, welcher sich jedoch bislang nicht zur Sache äußerte.
Mit Beschluss vom 24.3.2014 lehnte das Amtsgericht Paderborn den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Entnahme und Untersuchung von Körperzellen ab. Hierzu führte es im Wesentlichen aus, dass Voraussetzung für die Anordnung der Entnahme von Körperzellen eine Straftat von erheblicher Bedeutung, die mindestens dem mittleren Bereich der Kriminalität zuzurechnen ist, erforderlich sei. Dies sei beim Besitz von 0,6 g Marihuana nicht der Fall.
Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft Paderborn mit ihrer Beschwerde vom 14.4.2014. Die Staatsanwaltschaft bringt im Wesentlichen vor, dass der Verurteilte mittlerweile dreimal wegen Betäubungsmitteldelikten zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Die letzte Verurteilung erfolgte zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung. In einer Gesamtschau der Taten des Verurteilten sei davon auszugehen, dass dies einer einzelnen Straftat von erheblicher Bedeutung im Unrechtsgehalt gleichstehe. Zudem sei die Entnahme von Körperzellen und die Speicherung der DNA-Daten in der DAD als Maßnahme zu Gunsten des Betroffenen zu sehen, da er durch eine Speicherung einer größeren Anzahl von Merkmalen schneller als Verdächtiger von Straftaten ausgeschlossen werden könne.
Das Amtsgericht Paderborn hatte der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt. Das Amtsgericht wies ergänzend zu den Gründen aus dem angefochtenen Beschluss darauf hin, dass sich durch die erneute Anordnung der Entnahme von Körperzellen die Prüf- und Speicherfristen in der DNA-Analyse-Datei (DAD) verlängern würden. Dies sei in Relation zur ausgeurteilten Tat unverhältnismäßig.
II.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet.
1. Nach § 81g StPO dürfen zur Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen werden. Dies setzt normalerweise Straftaten von erheblicher Bedeutung voraus. Nach § 81g Abs. 1 S. 2 StPO kann die wiederholte Begehung sonstiger Straftaten im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichstehen. Ob wiederholt begangene Straftaten einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleich stehen, ist in einer Gesamtschau der Verhältnisse zu entscheiden (Meyer-Goßner, StPO, § 81g, Rn.7c). Hierbei ist eine schematische Betrachtung, welche mit einem gewissen Automatismus zur Annahme der Voraussetzungen des § 81g Abs. 1 S. 2 StPO führt unzulässig (BVerfG, NStZ 2001, 328 [BVerfG 14.12.2000 - 2 BvR 1741/99]; BVerfG, NStZ-RR 2007, 378 [BVerfG 14.08.2007 - 2 BvR 1293/07]; BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 19.2.2009, Az.: 2 BvR 287/09; BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 10.3.2009, Az.: 2 BvR 400/09). Die Gerichte sind bei der Auslegung und Anwendung des § 81g StPO gehalten, die Bedeutung und Tragweite des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung angemessen zu berücksichtigen (BVerfG, StraFo 2009, 276 [BVerfG 22.05.2009 - 2 BvR 287/09]). Deswegen muss das Gericht im Fall einer Anordnung nach § 81g Abs. 1 Satz 2 StPO einzelfallbezogen darlegen, warum die wiederholte Begehung sonstiger Straftaten im Unrechtsgehalt einer Straftat von erheblicher Bedeutung gleichsteht (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 19.2.2009, Az.: 2 BvR 287/09, zitiert nach [...], Rn.14).
Nach Ansicht der Kammer ist in folgenden Fällen der Verurteilung auch aus Bagatelldelikten ein einer Straftat der mittleren Kriminalität gleichstehender Unrechtsgehalt aber indiziert:
- 5 oder mehr Verurteilungen aus einem einschlägigen Delikt bei denen eine Spurenverursachung über DNA möglich ist. In diesem Falle ist nämlich auch die erneute Begehung eines Bagatelldeliktes Ausdruck einer gesteigerten Gleichgültigkeit des Verurteilten gegenüber dem geschützten Rechtsgut und der Verbotsnorm.
In dem Streit, ob Betäubungsmitteldelikte überhaupt geeignete Delikte für eine Körperzellenentnahme zum molekulargenetische Untersuchung sind (Nachweise zum Streitstand bei: Karlsruher Kommentar-Senge, StPO, § 81g, Rn. 8), ist die Kammer der Auffassung, dass dies zu bejahen ist. Aus den Erfahrungen der Kammer als große Strafkammer zeigt sich, dass auch in Verfahren wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Beweisführung über DNA-Gutachten möglich und zielführend ist. Fallkonstellationen, bei denen der Täter mit den Drogen bzw. deren Verpackung in Berührung kommt und dabei auswertbare Körperspuren hinterlässt sind nicht nur vorstellbar (OLG Köln, NStZ-RR 2005, 56 [OLG Köln 16.09.2004 - 2 Ws 215/04]), sondern in der Praxis der Kammer auch vorgekommen.
oder
- 3 Verurteilungen, die sich auf verschiedene Deliktsgruppen (Körperverletzungen, BtMG-Delikte, usw.), bei denen eine Spurenverursachung über DNA möglich ist, beziehen und bei denen mindestens eine Tat dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen ist. In diesen Fällen hat der Verurteilte nämlich bereits einmal zum Ausdruck gebracht, dass er zur Verwirklichung von Straftaten der mittleren Kriminalität willens und in der Lage ist und dass es sich hierbei nicht um eine einmalige Ausnahmesituation gehandelt hat.
oder
- Eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt ist. Insbesondere wenn das letzte ergangene Urteil negative Ausführungen zur Sozialprognose enthält. Denn § 81g StPO dient nach seinem Zweck der vorsorglichen Beweisbeschaffung für künftige Strafverfahren (BVerfG, NStZ 2001, 328 (329) [BVerfG 14.12.2000 - 2 BvR 1741/99]). War die letzte Verurteilung hingegen eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe mit Bewährung, so dürfte - wenn nicht besondere Umstände vorliegen - eine Entnahme von Körperzellen zur molekulargenetische Untersuchung in aller Regel unzulässig sein (BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 19.2.2009, Az.: 2 BvR 287/09; BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 10.3.2009, Az.: 2 BvR 400/09).
Eine Auftypisierung ohne erneute Anlasstat hält die Kammer weiterhin für unzulässig.
Im vorliegenden Fall ist das dritte Kriterium erfüllt. Hier wurde der Verurteilte zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Das Tatgericht hat auch die verhältnismäßig geringe Freiheitsstrafe von nur vier Monaten nicht mehr zur Bewährung aussetzen können, weil sich gezeigt hat, dass der Angeklagte nicht in sozial gefestigten Verhältnissen lebt und sich in der Vergangenheit Bewährungsstrafen nicht hat zur Warnung dienen lassen.
Besondere Umstände, die der Indizwirkung entgegenstehen könnten sind vorliegend nicht gegeben.
2. Ob eine Entnahme von Körperzellen zu molekulargenetischen Untersuchung erforderlich ist, wenn bereits Daten des Verurteilten in der DAD gespeichert sind, wenn auch nach altem Standard, wird unterschiedlich beurteilt. Insbesondere wird eine Erforderlichkeit in diesen Fällen verneint (OLG Bremen, NStZ 2006, 653 [OLG Bremen 23.03.2006 - Ws 18/06]; LG Saarbrücken, StraFo 2012, 499).
Die Gegenauffassung hält eine Entnahme von Körperzellen zur Auftypisierung der bereits gespeicherten Daten für zulässig (LG Freiburg/Breisgau, Beschluss vom 30.07.2013, Az.: 2 Qs 12/12.). Dem schließt sich die Kammer an. Die bisherige, entgegenstehende Rechtsprechung der Kammer (LG Paderborn, StV 2013, 434) wird aufgegeben.
Eine Maßnahme ist erforderlich, wenn zur Erreichung des angestrebten Zieles keine andere mildere aber gleich wirksame Maßnahme zur Verfügung steht. Daraus folgt, dass die Alternative zur Entnahme von Körperzellen gleichwertig sein muss. Als Alternative kommt hier ein Rückgriff auf den bereits gespeicherten Datenbestand in Betracht. Diese Alternative ist aber nicht gleichwertig, weil die gespeicherten Daten qualitativ hinter den neu zu gewinnenden zurückstehen. Dies ist vorliegend aus zwei Gründen gegeben.
a) Zum einen muss die Qualität der gespeicherten Daten den gestiegenen Anforderungen bei der Datenauswertung genügen. Der Datenbestand in der DAD umfasste Ende 2009 insgesamt 835.275 DNA-Identifizierungsmuster. Erfasst waren bis dahin 66.8721 Personen und 166.554 nicht zugeordnete Spuren. Dieser Bestand steigt ständig an, was allerdings auch zwangsläufig das Risiko eines zufälligen Datenbank-Treffers erhöht (Schneider/Schneider/Fimmers/Brinkmann, NStZ 2010, 433 (434)). Eine größere Anzahl an gespeicherten Merkmalen ist auch in größerem Maße geeignet, Zufallsverfahren entgegenzuwirken.
b) Darüber hinaus kann der momentan gespeicherten Datensatz nicht im europäischen Ausland verwendet werden. Gemäß Abs. 8 der Erwägungen im Rahmenbeschluss 2009/905/JI des Rates der Europäischen Union vom 30. November 2009, treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um die Integrität der den anderen Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten oder zum Abgleich übermittelten DNA-Profile zu garantieren. Hierzu ist mindestens eine Speicherung der Daten nach derzeit gültigem EU-Standard notwendig, welcher in Artikel 7 Absatz 4 des Beschlusses 2008/616/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere der grenzüberschreitenden Kriminalität angegeben ist. Nach § 1 PrümVtrAG (BGBl. 2009 I, S. 2507) ist dieser Ratsbeschluss unmittelbar in Deutschland anwendbar.
3. Soweit das Amtsgericht unter Hinweis auf die Entscheidung OLG Bremen, NStZ 2006, 653 [OLG Bremen 23.03.2006 - Ws 18/06] anführt, dass eine erneute Anordnung der Entnahme von Körperzellen auch zu einer Verlängerung der Speicherungsfristen führen würde, was vorliegend der Verhältnismäßigkeit entgegenstünde, vermag die Kammer dem nicht beizutreten. Denn Anlass für die erneute Entnahme von Körperzellen ist eine erneute Straftat des Verurteilten, mithin ein von ihm vermeidbares Verhalten. Dass Straftaten dazu führen, dass Informationen in Dateien und Registern nicht nach regulärem Fristablauf gelöscht sondern länger gespeichert werden, ist der deutschen Rechtsordnung nicht fremd (z.B. § 38 BZRG) und vom Verurteilten als Konsequenz seines strafbaren Tuns hinzunehmen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 2 StPO.


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