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Entscheidungen

Haftfragen

Beschleunigungsgrundsatz, Untersuchungshaft, Haftfortdauer

Gericht / Entscheidungsdatum: VerfGH Sachsen, Beschl. v. 26.02.2015 - Vf. 7-IV-15 (EIS)

Leitsatz: Zur Fortdauer der Untersuchungshaft in einem umfangreichen Verfahren mit schwierigen Beweiserhebungen


DER VERFASSUNGSGERICHTSHOF
DES FREISTAATES SACHSEN
IM NAMEN DES VOLKES
Beschluss
In dem Verfahren
über die Verfassungsbeschwerde und
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
des Herrn X., zurzeit Justizvollzugsanstalt Dresden, Hammerweg 30, 01127 Dresden, Verfahrensbevollmächtigter Rechtsanwalt Ulf Israel, Helgolandstraße 9b, 01097 Dresden,
hat der Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen durch die Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes Birgit Munz, die Richter Jürgen Rühmann), Uwe Berlit, Christoph Degenhart, Ulrich Hagenloch, Hans Dietrich Knoth, Hans-Heinrich Tanz, die Richterin Andrea Versteyl sowie den Richter Wilhelm-Henrich Vomdamme
am 26. Februar 2015

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1. Die Verfassungsbeschwerde wird zurückgewiesen.
2. Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründel
1.
Mit seiner am 22, Januar 2015 bei dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen ein-gegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die mit Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 23. Dezember 2014 (2 Ws 541/14) ergangene Anordnung der Haftfortdauer gemäß §§ 121, 122 StPO und beantragt, diesen Beschluss und den zugehörigen Haftbefehl im Wege der einstweiligen Anordnung aufzuheben und den Beschwerdeführer aus der Untersuchungshaft zu entlassen.
Gegen den Beschwerdeführer wird — neben weiteren neun Beschuldigten — ein Ermittlungs-verfahren wegen Betrugs geführt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 22. Oktober 2013 (271 Gs 3914/13) wurde gegen den Beschwerdeführer Haftbefehl erlassen. Er sei dringend verdächtig, im Rahmen seiner Leitungs- und Kontrollfunktionen für Unternehmen der Infinus Gruppe, mit der jedenfalls ab Oktober 2011 eine Art Schneeballsystem betrieben worden sei, mittäterschaftlich Betrug und Kapitalanlagebetrug begangen zu haben; hiervon betroffen sei ein Anlagevolumen in Höhe von mindestens rund 400 Millionen EUR. Es bestehe der Haftgrund der Fluchtgefahr. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 5. November 2013 in Untersuchungshaft
Am 5. November 2013 durchsuchte die Staatsanwaltschaft die Geschäftsräume der Unternehmensgruppe und sicherte Beweismittel im Umfang von 50 Terrabyte auf elektronischen Datenträgern und ca. 1.700 Umzugskartons mit schriftlichen Unterlagen. Diese Beweismittel wurden in der Folge im Hinblick auf gebildete Ermittlungsschwerpunkte ausgewertet. Darüber hinaus wurden Beschuldigte und Zeugen, hierunter zahlreiche Anleger, vernommen. Im September 2014 fanden zudem weitere länderübergreifende Durchsuchungen bei Versicherungsgesellschaften statt.
Am 29. Oktober 2013 hatte die Staatsanwaltschaft Dresden Herrn ppp. GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft beauftragt, ein Sachverständigengutachten zu der Frage zu erstellen, ob die I. Unternehmensgruppe mit ihrem Geschäftsmodell in der Lage war, die für die Kapitalanlagen versprochenen Renditen dauerhaft zu erwirtschaften, oder ob die versprochenen Renditen letztlich nur mithilfe von Mitteln gezahlt werden konnten, die aus immer neuen Kapitalanlagen stammten. Der Gutachter reichte am 29. April 2014 und am 22. September 2014 Zwischenberichte ein, Das Gutachten erstattete er am 11. Dezember 2014. Am 7. November 2014 beauftragte die Staatsanwaltschaft den Gutachter unter Verweis auf den zweiten Zwischenbericht, nach dem sich die Anhaltspunkte 111r das Vorliegen eines Schneeballsystems verdichtet hätten, mit einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme zur Werthaltigkeit der von den Anlegern erworbenen Forderungen.
Mit Beschlüssen vorn 3. Juni 2014 (2 Ws 196/14) und vorn 22. September 2014 (2 Ws 388/14) ordnete das Oberlandesgericht Dresden im Rahmen der ersten und zweiten Haftprüfung nach §.§ 121 ff. StPO die Fortdauer der Untersuchungshaft an.
Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 23. Dezember 2014 (2 Ws 541/14) wurde im Rahmen der dritten Haftprüfung nach §§ 121 ff. StPO erneut die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet, Es bestehe weiterhin der dringende Tatverdacht des mittäterschaftlich begangenen Betrugs durch Betreiben eines Schneeballsystems zum 'Nachteil einer Vielzahl von Kapitalanlegern mit einem immensen Gesamtschaden. Aufgrund aller vorliegenden Erkenntnisse sei in der Gesamtschau insbesondere — ungeachtet des vom Beschwerdeführer gerügten Fehlens einer gutachterlichen Bezifferung — das Vorliegen eines Betrugsschadens anzunehmen. Darüber hinaus seien der Haftgrund der Fluchtgefahr und die Erforderlichkeit des Untersuchungshaftvollzugs weiterhin gegeben. Wichtige Gründe hätten bislang kein Urteil zugelassen; der Beschleunigungsgrundsatz sei noch gewahrt. Das Verfahren sei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht schwierig und außerordentlich umfangreich und könne nicht mit einem durchschnittliehen, bei einer Großen Wirtschaftsstrafkammer anzuklagenden Strafverfahren verglichen werden. Dies rechtfertige auch den Vollzug der Untersuchungshaft von mehr als einem Jahr bis zum Beginn der Hauptverhandlung; in einem Verfahren wie dem vorliegenden sei es praktisch nicht möglich, innerhalb eines Jahres seit der Inhaftierung mit der Hauptverhandlung zu beginnen. Das Aktenmaterial aus 500 Leitz-Ordnern sei — auch gutachterlich — zu sichten, auszuwerten und aufzubereiten; es handele sich um eine sehr große Zahl geschädigter Anleger und ein aus 22 Einzelgesellschaften bestehendes, internationales Firmengeflecht, Mit Ausnahme eines Mitbeschuldigten hätten sich die Beschuldigten bislang nur rudimentär oder gar nicht zur Sache eingelassen. Eine Anklageerhebung könne sachgerecht erst nach Vorlage des Auswertungsgutachtens erfolgen, welches nun am 1 1 Dezember 2014 bei der Staatsanwaltschaft eingegangen sei und 160 Seiten umfasse. Die Erstellung des Gutachtens sei bereits im Oktober 2013 in Auftrag gegeben worden; die Dauer der Gutachtenerstellung sei nicht zu beanstanden. In die Analyse und Auswertung der Unterlagen seien zeitgleich insgesamt sechs Wirtschaftsprüfer eingebunden gewesen, die 5.306 Arbeitsstunden investiert hätten. Parallel zur laufenden Gutachtenerstellung habe die Staatsanwaltschaft zudem im September 2014 länderübergreifend die Geschäftsräume betroffener Versicherungsgesellschaften durchsucht und hierzu die Verantwortlichen vernommen. Darüber hinaus habe sie u.a. weitere 35 Geschädigte sowie einen Beschuldigten (nach-)vernommen. Die Staatsanwaltschaft beabsichtige, zeitnah Anklage zu erheben und die Abfassung der Anklageschrift fortzusetzen, deren Gerüst bereits feststehe. Vorsorglich sei zu beachten, dass — wenn schon die Staatsanwaltschaft für die Anklageerhebung mehrere Monate benötige — ein entsprechender Zeitraum auch der Wirtschaftsstrafkarnmer für die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens zuzubilligen sein werde.

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Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf. Das Ober-landesgericht verkenne bereits die verfassungsrechtlichen Maßstäbe des Beschleunigungsgebots, indem es formalisiert auf die Größe des Aktenbestandes abstelle, Darüber hinaus befasse es sich nicht. mit dem von der Verteidigung gerügten Umstand, dass das am 11. Dezember 2014 vorgelegte Gutachten für die Beurteilung der Strafbarkeit des Verhaltens des Beschwerdeführers jedenfalls unzureichend sei; das für die Begründung eines wesentlichen Tatbestandsmerkmals des Betrugstatbestandes erforderliche Gutachten zur Schadensbemessung sei erst mit einer Verspätung von mehr als einem Jahr angeordnet worden. Das Oberlandesgericht setze sieh des Weiteren nicht hinreichend mit der Frage auseinander, ob das Gutachten mit der gebotenen Beschleunigung erstellt worden sei. Der Entscheidung lasse sich weder entnehmen, ob der veranlasste Personaleinsatz Bedeutung und Umfang des Verfahrens gerecht werde, noch werde darauf eingegangen, dass die Staatsanwaltschaft keine zeitlichen und personellen Zielvorgaben gemacht habe. Es werde nicht erörtert, dass noch in der zweiten Haftfortdauerentscheidung von einer Gutachtenvorlage Ende Oktober 2014 ausgegangen worden sei; diese Frist sei um sechs Wochen überschritten worden. Zum anderen gehe das Gericht nicht darauf ein, dass die vom Gutachter und seinen Mitarbeitern jeweils rechnerisch benötigten 110 Arbeitstage nur einem halben Arbeitsjahr entsprächen, das Gutachten demgegenüber erst nach 14 Monaten vorgelegt worden sei.
Das Staatsministerium der Justiz macht in seiner Stellungnahme zu der Verfassungsbeschwerde insbesondere gehend, das Gutachten habe nicht innerhalb von sechs Monaten erstattet werden können, weil dem Sachverständigen nicht von Beginn an die gesamten Unterlagen und Daten in aufbereiteter Poren vorgelegen hätten. Der Sachverständige habe den Personaleinsatz in Abhängigkeit vom Personalbedarf in der jeweiligen Phase flexibel gesteuert. Im Rahmen der Begutachtung anfallende, aufeinander aufsetzende Arbeiten könnten zudem nicht parallel ausgeführt werden.

II.
Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist nicht begründet. Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 23. Dezember 2014 (2 Ws 541/14) verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Freiheitsgrundrecht aus Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf
1. Art. 16 Abs. 1 Satz 2 SächsVerf garantiert die Freiheit der Person, In diesem Freiheitsgrundrecht ist das in Haftsachen geltende verfassungsrechtliche Beschleunigungsgebot angelegt, Daher ist der Freiheitsanspruch des noch nicht verurteilten Beschuldigten den vom Standpunkt der Strafverfolgung aus erforderlichen und zweckmäßigen Freiheitsbeschränkungen ständig als Korrektiv entgegenzuhalten (SächsVerfGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 — Vf. 7-IV-10 [HS]/Vf. 8-1V-10 [e.A.] juris Rn. 15; st. Rspr.).
Das Beschleunigungsgebot verlangt, dass die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen. Kommt es zu von dem Beschuldigten nicht zu vertretenden, sachlich nicht zu rechtfertigenden und vermeidbaren erheblichen Verfahrensverzögerungen, steht dies regelmäßig einer weiteren Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft entgegen (SächsVerfGH, Beschluss vom 29. September 2011 — Vf. 95-IV-11 Helfe 96-1V-11 juris Ra. 12).
Zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit muss abgewogen werden, Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Haftdauer auch unabhängig von der zu erwartenden Strafe Grenzen setzt (SächsVerfGH, Beschluss vorn 25. November 2005 — Vf, 86-IV-05 w juris Rn. 27). Gleichzeitig ist zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem Interesse an einer wirksamen Strafverfolgung mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft regelmäßig vergrößert (SächsVerfGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 — Vf. 7-1V-10 [Hs/Vf. 8-IV-10 — juris Rn. 15). Im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse kommt es in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer an, die etwa von der Komplexität der Rechtssache, der Vielzahl der beteiligten Personen oder dem Verhalten der Verteidigung abhängig sein kann (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 — Vf. 60-IV-06 [HS]/Vf. 61-IV-06 [e.A.] juris Rn, 21). Dies macht eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich. Mit zunehmender Dauer der Untersuchungshaft sind dabei höhere Anforderungen an das Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes zu stellen. Entsprechend dem Gewicht der zu ahndenden Straftat können zwar kleinere Verfahrensverzögerungen der Fortdauer der Untersuchungshaft nicht entgegenstehen. Jedoch vermag allein die Schwere der Tat und die sich daraus ergebende Straferwartung bei erheblichen, vermeidbaren und dem Staat zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht zur Rechtfertigung einer ohnehin schon lang andauernden Untersuchungshaft zu dienen (vgl. BVerfG Beschluss vom 23. Januar 2008, StV 2008, 198 [199]).

Aufgrund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der Freiheit der Person muss das Verfahren der Haftprüfung und Haftbeschwerde so ausgestaltet sein, dass nicht die Gefahr einer Entwertung der materiellen Grundrechtsposition besteht (vgl. zu Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG BVerfG, Beschluss vom 30. August 2008 — 2 BvR 671/08 — juris Rn. 22). Im Grundsatz haben sich die mit Haftsachen betrauten Gerichte deshalb bei der Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft mit den einzelnen Voraussetzungen eingehend auseinanderzusetzen und diese auf hinreichend gesicherter Tatsachenbasis zu begründen. Dies erfordert aktuelle Ausführungen zu dem weiteren Vorliegen der Voraussetzungen der Untersuchungshaft, zur Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie zur Frage der Verhältnismäßigkeit (BVerfG, a.a.O.). Die Ausführungen müssen in Inhalt und Umfang eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht nur für den Betroffenen selbst, sondern auch ihr das die Anordnung treffende Fachgericht im Rahmen einer Eigenkontrolle gewährleisten; sie müssen in sich schlüssig und nachvollziehbar sein SächsVerfGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 — Vf, 7-1V-10 [1-1S)/Vf. 8-1V-10 [e.A.) — juris Rn. 18).

Wann das bloße Fehlen von Ausführungen zur Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit einen Verstoß gegen das Freiheitsgrundrecht zur Folge hat, hängt von der jeweiligen Sachlage im Einzelfall ab. Einerseits wird eine Begründung zur Wahrung des Beschleunigungsgebots bei Fbedenklihc kurzer Dauer der Untersuchungshaft meist nicht geboten sein (SächsVerfGH, Beschluss vom 27. September 2010 — Vf. 60-1V-10 [11SVVf. 61-IV-10 juris Rn. 31). Insbesondere bedarf es keiner Begründung, wenn die Nachrangigkeit des Freiheitsanspruchs offen zutage liegt und sich daher von selbst versteht (vgl. zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Unterbringung BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1985, BVerfGE 70, 297 [315]), Andererseits ist eine näher begründete Abwägung bei Haftfortdauerentscheidungen nach § 122 StPO immer notwendig (vgl. z.B. SächsVerfGH, Beschluss vom 28. Januar 2010 — Vf, 7-1V-10 [HS)/Vf. 8-IV-10 [e.A,] juris Rn. 18). Gleiches muss — ungeachtet der Straferwartung — in aller Regel bei einer mehr als sechsmonatigen Untersuchungshaft gehen, wenn Anhaltspunkte für eine erhebliche, vermeidbare und dem Staat zurechenbare Verfahrensverzögerung bestehen (SächsVerfGH, Beschluss vom 23. Februar 2012 — Vf. 5-IV-12 [11S]lVf. 6-1V-12 [e.A.]).

2. Der angegriffene Beschluss wird diesen Anforderungen auch in Ansehung der zum Entscheidungszeitpunkt bereits seit mehr als einem Jahr andauernden Untersuchungshaft gerecht.

a) Die Entscheidung lässt die gerichtliche Abwägung zwischen dem Freiheitsgrundrecht des Beschuldigten und dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit sowie die gerichtlichen Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit allgemein in derzeit noch hinreichendem Maße erkennen.

Indem das Oberlandesgericht die Tatvorwürfe umreißt und auf den enormen Schaden, die Vielzahl an Geschädigten und auf die drohende hohe Freiheitsstrafe verweist, bezieht es sich auf Umstände, die, ohne dass dies weiterer Erörterung bedürfte, ein hohes Strafverfolgungsinteresse indizieren (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 4. Juli 2013 — Vf. 61-1V-13 RIS)/Vf. 62-IV-13 [e.A.]), Es ist auch nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass das Oberlandesgericht die Straferwartung nicht konkret benennt und das hypothetische Ende einer zu verhängenden Freiheitsstrafe nicht ausdrücklich in den Blick nimmt, Es liegt auch ohnedem auf der Hand, dass die Höhe der vom Beschwerdeführer zu erwartenden Freiheitsstrafe der Fortdauer der seit etwa einem Jahr andauernden Untersuchungshaft unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten und Resozialisierungsgesichtspunkten derzeit nicht entgegensteht (vgl. SächsVerfG1-1, Beschluss vom 4. Juli 2013 — VE 37-IV-13 [1-1SYVf. 38-IV-13 [e.A.j). Nach den Umständen des Einzelfalls durfte hier zudem für die Begründung des Fehlens milderer Maßnahmen i.S.v. § 116 StPO derzeit umfassend auf die Gesichtspunkte Bezug genommen werden, die

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den Haftgrund der Fluchtgefahr tragen (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vorn 4. Juli 2013 Vf, 37-1V-13).

b) Der Anordnung der Haftfortdauer liegt auch kein Prüfungsmaßstab zugrunde, der den Gewährleistungsgehalt des freiheitsgrundrechtlichen Beschleunigungsgebots nicht hinreichend beachtet. Das Oberlandesgericht stellt insbesondere nicht, wie der Beschwerdeführer meint, formalisiert auf die Größe des Aktenbestandes ab. Vielmehr geht das Gericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Verfassungsgerichtshofs davon aus, dass es im Rahmen der Abwägung zwischen dem Freiheitsanspruch und dem Strafverfolgungsinteresse in erster Linie auf die durch objektive Kriterien bestimmte Angemessenheit der Verfahrensdauer ankommt, was eine auf den Einzelfall bezogene Prüfung des Verfahrensablaufs erforderlich macht, ob die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen haben, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl, BVerfG, Beschluss vom 16. März 2006, NJW 2006, 1336 [1338j; SächsVerfGH, Beschluss vom 27. Juli 2006 — Vf. 60-1V-06 [HS)/Vf. 61-IV-06 [e.A,1), Anknüpfend an diesen Maßstab stützt der Senat seine Entscheidung auch in der Sache tragend auf seine Betrachtung und Bewertung der in diesem Fall von den Strafverfolgungsbehörden konkret ergriffenen Ermittlungsmaßnahmen.
c) Das Oberlandesgericht hat schließlich in seinen Ausfilterungen zur Wahrung des verfassungsrechtlichen Beschleunigungsgebots der erforderlichen Begründungstiefe hinreichend Rechnung getragen.
na) Es begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass das Oberlandesgericht keine zeitlichen Vorgaben für den Abschluss des Ermittlungsverfahrens und die Erhebung der Anklage gemacht hat, Die Staatsanwaltschaft hat ihre Tätigkeit als Strafverfolgungsbehörde ohnehin an den sich aus dem freiheitsrechtlichen Beschleunigungsgebot ergebenden Anforderungen auszurichten. Vor diesem Hintergrund können präventive gerichtliche Zeitvorgaben, die auf die Vermeidung künftiger Verstöße gegen den Beschleunigungsgrundsatz abzielen, allenfalls dann grundrechtlich geboten sein, wenn — hier nicht gegebene — Anhaltspunkte dafür bestehen, dass künftige Verzögerungen drohen.
bb) Der Beschwerdeführer rügt ferner ohne Erfolg, die Entscheidung setze sich nicht damit auseinander, dass das nun vorliegende Sachverständigengutachten als Grundlage für eine Anklageerhebung nicht ausreichend sei; das eigentlich erforderliche Gutachten zur Bemessung des Schaden sei unter Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot verspätet eingeholt worden.

Ob ein Gutachten zur Klärung der einfach-rechtlichen erheblichen tatsächlichen Umstände beiträgt oder die einfachrechtlichen maßgeblichen Fragestellungen verfehlt, unterliegt als tatrichterliche Würdigung des Sachverhalts nur begrenzter verfassungsgerichtlicher Überprüfung (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 27, Juli 2006 — Vf. 60-1V-06 [HS]/Vf. 61-IV-06 te.A.1; Beschluss vom 11. Dezember 2003 — Vf. 794V•03), Das Oberlandesgericht stellt in diesem Zusammenhang fest, dass aufgrund aller Erkenntnisse in der Gesamtschau weiterhin ein dringender Tatverdacht auch hinsichtlich des Vorliegens eines Betrugsschadens bestehe und geht ferner — wie auch die Staatsanwaltschaft selbst in ihrem Vorlagebericht — davon aus, dass bereits das eingeholte Gutachten, mit dem das Geschäftsmodell der Infinus Unternehmensgruppe untersucht wurde, die für die (weitere) Abfassung der Anklageschrift erforderliche, tragfähige Beurteilung des angelasteten Verhaltens erlaubt, sodass aus der nachträglichen Erweiterung des Gutachterauftrags eine Verfahrensverzögerung nicht entsteht Dem setzt der Beschwerdeführer lediglich seine von der angegriffenen Entscheidung abweichende Auffassung entgegen, ohne dass aus seinem Vortrag oder sonst erkennbar wäre, dass die gerichtliche Bewertung gemessen an den für eine Anklageerhebung geltenden einfach-rechtlichen Vorgaben willkürlich ist oder ihr eine grundsätzlich unrichtige Anschauung von Inhalt und Bedeutung des Freiheitsgrundrechts zugrunde liegt.
cc) Ebenso wenig waren weitere Ausführungen zur Wahrung des Beschleunigungs-grundsatzes mit Blick auf die bei Versicherungsgesellschaften durchgeführten Durchsuchungen und die Vernehmungen geschädigter Anleger geboten. Sind in einem Ermittlungsverfahren verschiedene, nicht zeitgleich zu bewältigende Ermittlungsmaßnahmen erforderlich, liegt die Festlegung der Reihenfolge grundsätzlich im Gestaltungspielraum der Ermittlungsbehörden. Dass sich durch die hier gewählte Abfolge Verzögerungen ergeben haben oder absehbar ergeben werden, wird vom Beschwerdeführer substantiiert nicht geltend gemacht und ist auch sonst nicht erkennbar. Eine gerichtliche Erörterung der Reihenfolge der Ermittlungshandlungen war daher nicht veranlasst.

dd) Soweit der Senat davon ausgeht, dass die Erstellung des Sachverständigengutachtens den Anforderungen des Beschleunigungsgrundsatzes genügt, lässt die Entscheidungsbegründung gleichfalls in noch hinreichendem Maße eine Überprüfung des Abwägungsergebnisses für den Betroffenen selbst und für die Fachgerichte zu,

(1) In diesem Zusammenhang war es insbesondere grundrechtlich nicht unabweisbar geboten, sich mit der Frage ausführlicher auseinanderzusetzen, aus welchen Gründen es bei einem vom Senat rechnerisch ermittelten Aufwand von 110 Arbeitstagen je Mitarbeiter unvermeidbar war, dass die Gesamtdauer der Begutachtung mehr als 13 Monate betragen hat. Dass hier eine Gutachtenerstellung „aus einem Guß" — unabhängig von den sich aus der fachlichen Arbeitsgliederung ergebenden Zeitverlusten — nicht möglich war, liegt für die Beteiligten angesichts des ihnen bekannten Verlaufs und des Umfangs des Ermittlungsverfahrens auch ohne weitere Erörterung auf der Hand. Es bedurfte namentlich keiner besonderen Erläuterung, dass dem Gutachter mit der Beauftragung kein ausermittelter Sachverhalt zur Verfügung gestellt werden konnte, sondern dass er in den fortlaufenden Prozess des Ermittlungsverfahrens eingebunden wurde und seine Tätigkeit an dem Stand der ihm übermittelten Unterlagen und Erkenntnisse ausrichten musste. Des Gleichen bedurfte es hier angesichts der aktenkundigen, fachlichen Begründung des Gutachters für die von ihm gewählte Teamgröße (vgl. BI. 723 der Hauptakte des Ausgangsverfahrens) von Verfassungs wegen nicht zwingend einer weiteren Erörterung, dass die Ermittlungsbehörden nicht aufgrund des Beschleunigungsgebots gehalten waren, auf eine weitere Vergrößerung des Gutachterteams hinzuwirken.

(2) Anhaltspunkte für Verzögerungen, mit denen sich das Oberlandesgericht ausdrücklich hätte befassen müssen, ergeben sich insoweit auch nicht aus dem Umstand, dass das Gutachten zunächst für Ende Oktober „angekündigt" war, tatsächlich aber weitere sechs Wochen in Anspruch nahm. Diese sich im Rahmen haltende Überschreitung eines unverbindlich avisierten Fertigstellungstermins gibt hier erkennbar keinen Anlass zur Sorge, der Gutachter habe in der Endphase das Gutachten zögerlich bearbeitet, dem vom Oberlandesgericht nachzugehen gewesen wäre.

(3) Des Gleichen ist es hier nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden, dass sich der Senat nicht ausdrücklich mit dem Umstand auseinandergesetzt hat, dass die Staatsanwaltschaft dem Gutachter keine Frist für die Erstellung des Sachverständigengutachtens gesetzt und — soweit ersichtlich — nicht aktenkundig auf die besondere Eilbedürftigkeit der Begutachtung wegen bestehender Untersuchungshaft hingewiesen hat. Denn der Senat stellt ausdrücklich und in der Sache nach dem oben Gesagten noch hinreichend schlüssig und nachvollziehbar fest, dass die Erstellungsdauer des Gutachtens nach den Maßstäben des Beschleunigungsgebots nicht zu beanstanden ist. Vor diesem Hintergrund kann sich, wie auch der Senat selbst etwa in dem parallel gelagerten Beschluss vom 23. Dezember 2014 (2 Ws 545/14) ausführt, weder die fehlende Fristsetzung noch ein etwa unterlassener Hinweis der Staatsanwaltschaft auf die besondere Eilbedürftigkeit der Angelegenheit im Sinne einer grundrechtserheblichen Verzögerung der Begutachtung ausgewirkt haben.

ee) Auch die vorsorglichen Erwägungen des Oberlandesgerichts zum Zeitraum, der der Wirtschaftsstrafkammer für die Entscheidung über die Eröffnung der Anklage zuzubilligen sein werde, begründen keinen Verfassungsverstoß, denn die Haftfortdauerentscheidung beruht hierauf nicht. Diese Erwägungen führen insbesondere nicht dazu, dass insoweit schon jetzt hinreichend deutlich absehbare Verfahrensverzögerungen im gerichtlichen Zwischenverfahren bevorstünden, die bereits eingetretenen Verfahrensverzögerungen gleichzustellen wären (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 22. Januar 2015 — Vf. 112-IV-14 [HSI/Vf, 1134V-14 [e.A.}). Denn die verfassungsrechtlich bedenkliche pauschale Betrachtungsweise des Senats ändert nichts daran, dass die Strafkammer grundrechtlich gehalten sein wird, ihre Verfahrensbehandlung auch im Zwischenverfahren an der im Einzelfall gebotenen Beschleunigung auszurichten. Sie wird hierbei zu berücksichtigen haben, dass an den zügigen Fortgang des Verfahrens umso strengere Anforderungen zu stellen sind, je länger die Untersuchungshaft schon andauert.

ff) Die Entscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer auch nicht deshalb in seinem Freiheitsgrundrecht, weil sie sich nicht mit der erforderlichen personellen Ausstattung der Ermittlungsgruppe auseinandersetzt, denn auf insoweit etwa fehlenden Erwägungen beruht die Haftfortdauerentscheidung ebenfalls nicht.

(1) Der freiheitsgrundrechtliche Beschleunigungsgrundsatz beinhaltet das an die Strafverfolgungsbehörden und Strafgerichte gerichtete Gebot, alle möglichen und zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um die notwendigen Ermittlungen mit der gebotenen Schnelligkeit abzuschließen und eine gerichtliche Entscheidung über die einem Beschuldigten vorgeworfenen Taten herbeizuführen (vgl. SächsVerfGH, Beschluss vom 29. September 2011 — Vf. 95-1V-11 [Heia. 96-1V-11 [e.A.j). Dies bedeutet zugleich, dass den spezifischen Anforderungen, die die Ermittlungen in komplexen Umfangsverfahren an die Strafverfolgungsbehörden stellen, durch eine adäquate Ausstattung und Organisation der Ermittlungsgruppe Rechnung zu tragen ist.

(2) Es bedarf keiner weiteren Prüfung, inwieweit die Ermittlungsgruppe hier über hinreichende Ressourcen verfügt und ob angesichts des aktenkundigen Personal-aufwands der Staatsanwaltschaft und des Landeskriminalamtes ohne eine entsprechende Rüge des Beschwerdeführers im Haftprüfungsverfahren für das Oberlandesgericht Anlass zur Erörterung dieser Frage bestand. Da nach den gerichtlichen Feststellungen eine weitere Bearbeitung der Anklageschrift vor Eingang des Sachverständigengutachtens am 11. Dezember 2014 ohnehin nicht möglich gewesen wäre, hat sich zu dem vorn Oberlandesgericht betrachteten Zeitpunkt der polizeiliche und staatsanwaltliche Personalaufwand nicht auswirken können und ist damit für die angegriffene Entscheidung nicht tragend.

Mit der Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Einsender: RA U. Israel, Dresden

Anmerkung:


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