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Entscheidungen

Zivilrecht

Amtshaftung, vorläufige Untersagung, Berufsausübung, Seelotse

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Schlswig, urt. v. 15.01.2015 - 11 U 23/14

Leitsatz: Hält ein Seelotse auf der Elbe sich nicht an die empfohlenen Richtgeschwindigkeiten, ohne dass es zu einer konkreten Gefährdung der Schifffahrt auf der Elbe kommt, darf die Wasser- und Schifffahrtsdirektion ihm nicht ohne weiteres vorläufig die Seelotsentätigkeit untersagen.


In pp.
Auf die Berufung des Klägers wird das am 17. Januar 2014 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Kiel unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:


Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 42.875,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 41.344,71 € seit dem 26. November 2012 sowie auf weitere 1.530,59 € seit dem 6. Juli 2013 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger zu 62 %, die Beklagte zu 38 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung seitens der jeweiligen Gegenseite durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.


Gründe



I.

1
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Amtshaftungsanspruch geltend, und zwar mit dem Vorwurf, diese habe ihm zu Unrecht einstweilen seine Tätigkeit als Seelotse untersagt. Wegen des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angegriffenen Urteils verwiesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

2
Der Kläger könne gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch geltend machen, da diese ihm gegenüber keine Amtspflichten verletzt habe. Die vorläufige Untersagung der Tätigkeit als Seelotse sei nach § 15 SeeLG rechtmäßig gewesen. Es hätten aus damaliger Sicht dringende Gründe für die Annahme bestanden, dass die Bestallung des Klägers widerrufen würde, und zwar gemäß § 14 Nr. 3 SeeLG.

3
Dringende Anhaltspunkte für einen gröblichen Pflichtenverstoß hätten sich aus den unstreitigen Tatsachen betreffend die Fahrt der „T. am 13. Februar 2011 ergeben. Der Kläger sei seinerzeit nicht, wie von § 26 Abs. 1 S. 1 SeeSchStrO vorausgesetzt, mit sicherer Geschwindigkeit gefahren, um Gefährdungen durch Sog oder Wellenschlag zu vermeiden. Er habe auf dieser Fahrt drei Mal in erheblichem Maße die vom Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg empfohlenen Geschwindigkeiten überschritten. Zwar handele es sich insoweit nicht um eine verbindliche Bestimmung der jeweiligen Höchstgeschwindigkeit. Sie gäben allerdings derart verlässliche Anhaltspunkte dazu, was in den gekennzeichneten Streckenabschnitten des Elbmündungsgebiets als sichere Geschwindigkeit anzusehen sei, sodass ein Verstoß gegen die SeeSchStrO jedenfalls dann anzunehmen sei, wenn die Geschwindigkeitsüberschreitung nicht durch erhebliche nautische Gründe gerechtfertigt sei. Die Empfehlungen beruhten ihrerseits auf dem nautischen Sachverstand des Wasser- und Schifffahrtsamts Hamburg sowie der Lotsenbrüderschaft Elbe.

4
Auf die Frage, ob die Geschwindigkeitsempfehlungen auf Testfahrten mit einem Bemessungsschiff beruhten, dessen Maße die der „T.“ deutlich überstiegen hätten, komme es nicht an. Dies ändere nichts daran, dass die Empfehlungen letztlich für alle Schiffstypen gälten.

5
Die Beklagte sei nicht gehalten gewesen, vor Erlass des Bescheids die vom Kläger geltend gemachten nautischen Gründe für die Geschwindigkeitsüberschreitungen sachverständig klären zu lassen, denn die Geschwindigkeitsüberschreitungen als solche, aus denen sich der gröbliche Verstoß herleiten lasse, seien unstreitig. Es sei lediglich die Frage einer Rechtfertigung offen gewesen. Die Angaben des Klägers wiederum in seiner Stellungnahme seien für sich genommen nicht geeignet gewesen, die Annahme eines gröblichen Verstoßes auszuräumen. Denn etwaige Gefahren beim Passieren eines entgegenkommenden Schiffes hätten auch durch eine Reduzierung der Geschwindigkeit der „T.“ oder beider Schiffe gemindert werden können. Im Übrigen sei die nautische Bewertung der damaligen Sachlage zwischen den Parteien äußerst streitig. Die Einschätzung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord wiederum begegne keinen offenkundigen Bedenken. Vor diesem Hintergrund habe sie im Rahmen ihrer Prognoseentscheidung zu der Einschätzung gelangen dürfen, dass nautische Gründe die Geschwindigkeitsüberschreitungen voraussichtlich nicht würden rechtfertigen können. Die Einholung eines nautischen Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich gewesen, denn § 15 SeeLG sehe im Interesse der Sicherheit der Schifffahrt gerade vor, dass das Erwerbsinteresse des einzelnen Seelotsen insoweit zurücktreten müsse.

6
Es hätten auch hinreichende Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass der Kläger infolge des gröblichen Verstoßes gegen seine Berufspflichten ungeeignet sei, den Lotsenberuf weiter auszuüben. Dies ergebe sich bereits daraus, dass die Bestimmung des § 26 SeeSchStrO von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Sicherheit der Schifffahrt sei und ihre Beachtung zu den wichtigen Pflichten eines Lotsen zähle, da es insoweit um die Vermeidung erheblicher Gefahren gehe. Deswegen habe es der vorläufigen Untersagung auch nicht entgegengestanden, dass es seinerzeit nicht zu einer konkreten Gefährdung aufgrund der Geschwindigkeitsüberschreitungen gekommen sei. Das Wasser- und Schifffahrtsamt habe zudem die vorläufige Untersagung mit der Anordnung, ein verkehrspsychologisches Gutachten einzuholen, verknüpfen dürfen. Schließlich seien keine Ermessensfehler erkennbar.

7
Gegen die Klagabweisung wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er macht Folgendes geltend:

8
Das Landgericht habe die Voraussetzungen des § 15 SeeLG verkannt. Dem Wasser- und Schifffahrtsamt sei vorzuwerfen, dass dieses ihm, dem Kläger, einen bestimmten Gutachter habe aufzwingen wollen, der nicht über die nötige Qualifikation verfügt habe. Darüber hinaus habe die Beklagte keine vorläufige Untersagung aussprechen dürfen. Bei der Lotsung des Schiffes „T.“ sei ihm, dem Kläger, kein gröblicher Pflichtenverstoß unterlaufen. Es gebe keine verbindlichen Vorschriften über die Geschwindigkeiten auf der Elbe, sondern lediglich Empfehlungen des Wasser- und Schifffahrtsamtes Hamburg. Mit den gegebenen nautischen Gründen habe sich das Landgericht nicht auseinandergesetzt. Es habe ohne sachverständige Abklärung unterstellt, dass erhebliche Gefährdungen von Sog und Wellenschlag ausgegangen seien. Auch das Wasser- und Schifffahrtsamt habe sich mit dem von ihm, dem Kläger, vorgebrachten nautischen Erwägungen auseinandersetzen müssen. Darüber hinaus sei offengeblieben, bei welcher Geschwindigkeit überhaupt von erheblichen Gefährdungen durch Sog oder Wellenschlag auszugehen gewesen sei. In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass die Geschwindigkeitsmessung über ein GPS-Gerät auf einem sich auf der Elbe bewegenden Schiff erheblichen Unsicherheiten unterliege. Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass er, der Kläger, wegen des streitgegenständlichen Vorfalls nicht wegen einer Ordnungswidrigkeit belangt worden sei.

9
Der Kläger beantragt,

10
das Urteil des Landgerichts Kiel vom 17.01.2014, Az. 12 O 127/13 abzuändern und

11
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 107.578,24 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.08.2012 zu zahlen;

12
2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn weitere 2.118,44 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

13
Die Beklagte beantragt,

14
die Berufung zurückzuweisen.

15
Die Beklagte verteidigt das angegriffene Urteil, und zwar mit folgenden Argumenten: Soweit die Berufungsbegründung neues Vorbringen erhalte, sei dieses nicht zuzulassen. Im Übrigen halte das angefochtene Urteil den Berufungsangriffen des Klägers stand. Die Anordnung der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord vom 3. März 2011, mit der dem Kläger vorläufig die Berufsausübung untersagt worden sei, sei rechtmäßig gewesen. Gleiches gelte für den weiteren Bescheid, mit dem dem Kläger aufgegeben worden sei, seine verkehrspsychologische Eignung mittels einer Begutachtung durch Herrn Dr. B. nachzuweisen.

16
Zu Recht sei das Landgericht davon ausgegangen, dass der Kläger bei der Lotsung des Schiffes „T.“ gröblich gegen seine Lotsenpflichten verstoßen habe. Die Geschwindigkeitsüberschreitungen seien wiederholt und erheblich gewesen. Die Geschwindigkeitsempfehlungen der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord seien insoweit verbindlich, als sie Konkretisierungen des Begriffs, der sicheren Geschwindigkeit im Sinne des § 26 SeeSchStrO darstellten. Eine Überschreitung der sicheren Geschwindigkeit begründe eine Gefährdung durch Sog und Wellenschlag. Deswegen habe sich der Kläger an die Empfehlungen grundsätzlich halten müssen, um seinen Berufspflichten gerecht zu werden.

17
Die Geschwindigkeitsmessung durch die Verkehrszentrale Brunsbüttel sei auch nicht ungenau gewesen. Das Messverfahren sei auch in der Rechtsprechung anerkannt. Darüber hinaus werde stets ein Toleranzabzug von 1 kn berücksichtigt. Auch ein geringerer Tiefgang habe eine deutliche Überschreitung der empfohlenen Geschwindigkeit nicht gerechtfertigt. Durch die Richtgeschwindigkeit sollten die Uferbefestigungen und Anlagen geschont werden. Da die Schiffsgrößen und die Schiffsanzahl zunähmen, solle nicht jede Schiffspassage die maximal zulässige Belastung der Uferbefestigungen und Anlagen hervorrufen. Deswegen müssten auch Schiffe mit geringerem Tiefgang die empfohlenen Geschwindigkeiten der Wasser- und Schifffahrtsdirektion einhalten.

18
Im Rahmen der vorläufigen Untersagung der Berufsausübung sei eine vertiefte Prüfung der vom Kläger geltend gemachten nautischen Gründe für seine Fahrweise nicht geboten gewesen. Die Klärung habe dem Widerrufsverfahren vorbehalten werden können. Im Übrigen sei ein Passieren auch großer sich begegnender Containerschiffe im fraglichen Elberevier ohne Einschränkung in jedem Bereich außer in Kurven möglich. Deswegen sei es nautisch nicht zu rechtfertigen gewesen, die empfohlene Geschwindigkeit mehrfach erheblich zu überschreiten, um das Passieren an einer bestimmten Stelle stattfinden zu lassen.

19
Es hätten seinerzeit im Übrigen auch Gründe dafür bestanden, einen wiederholten Pflichtenverstoß des Klägers im Hinblick auf die Überschreitung der empfohlenen Geschwindigkeiten anzunehmen. Insoweit sei auf die früheren Geschwindigkeitsüberschreitungen anlässlich der Fahrten in den Jahren 2009 und 2010 Bezug zu nehmen. So sei bei der Fahrt am 3. Dezember 2010 auf der „B.“ die empfohlene Geschwindigkeit um mehr als 2 kn überschritten worden. Der Kläger habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass dieser Pflichtenverstoß bei weiteren Vorfällen nicht zu seinen Ungunsten berücksichtigt werde.

20
Auch die Wahl des Gutachters mit Bescheid vom 8. November 2011 sei ordnungsgemäß und rechtmäßig. Die Auswahl sei erst getroffen worden, nachdem der Kläger einen anderen Gutachter abgelehnt habe. Zwar habe dem Kläger das Recht zugestanden, einen eigenen Gutachter vorzuschlagen. Die letztliche Entscheidung liege aber dennoch bei der Behörde. Auf keinen Fall könne es den Mitarbeitern der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord als Verschulden vorgeworfen werden, dass diese nach den Weigerungen des Klägers, sich medizinisch psychologisch untersuchen zu lassen, diesem einen Gutachter vorgegeben habe.

21
Schließlich sei der Kläger für den von ihm geltend gemachten Vermögensschaden selbst verantwortlich. Die vorläufige Untersagung sei mit der auflösenden Bedingung versehen gewesen, dass der Kläger ein Gutachten vorlege, das seine verkehrspsychologische Eignung bestätige. So habe er die Ursache für seinen Verdienstausfall umgehend beseitigen können. Das sei binnen eines Monats möglich gewesen. Darüber hinaus habe der Kläger die Einlegung eines Rechtsmittels versäumt. Er habe gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem die Aufhebung der Anordnung des Sofortvollzugs abgelehnt worden sei, mit dem Rechtsmittel der Beschwerde angreifen können. Die Nichteinlegung dieses Rechtsmittels sei kausal für den überwiegenden Teil des geltend gemachten Schadens.


II.

22
Die Berufung ist zum Teil begründet.

23
Der Kläger kann gegen die Beklagte aus Amtshaftung (§ 839 BGB, Art. 34 GG) einen Schadensersatzanspruch geltend machen, allerdings nicht in beantragter Höhe, sondern lediglich in Höhe von 41.344,71 €. Dies ergibt sich aus Folgendem:


1.

24
Die Voraussetzungen für eine Inanspruchnahme der Beklagten wegen einer Amtspflichtverletzung liegen vor. Die Amtspflichtverletzung liegt in der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Tätigkeit als Seelotse mit Bescheid vom 3. März 2011 (Anlage B1). Mit diesem Bescheid verstieß der befasste Mitarbeiter der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes gegen seine Amtspflicht zu rechtmäßigem Handeln. Diese Amtspflicht entspricht dem aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) resultierenden Gebot, bei der Erfüllung der Staatsaufgaben Gesetz und Recht zu beachten und zu wahren (Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl., S. 46). Diese Pflicht wurde deswegen verletzt, weil der genannte Bescheid rechtswidrig ist.

25
Tatsächlich lagen die gesetzlichen Voraussetzungen für eine vorläufige Untersagung im Falle des Klägers nicht vor. Gemäß § 15 SeeLG kann eine vorläufige Untersagung der Berufsausübung gegen einen Seelotsen erfolgen, sofern dringende Gründe für die Annahme bestehen, dass die Bestallung zurückgenommen oder widerrufen werden wird, wenn dies die Sicherheit der Schifffahrt erfordert. Im vorliegenden Fall lagen keine dringenden Gründe für eine drohende Rücknahme der Bestallung vor. Außerdem erforderte die Sicherheit der Schifffahrt nicht die vorläufige Untersagung der Berufsausübung.


a)

26
Dringende Gründe setzen das Vorliegen von Tatsachen voraus, welche den dringenden Verdacht begründen, dass die Voraussetzungen für die Rücknahme der Bestallung vorliegen (Heinrich/Steinicke, Seelotswesen, 3. Aufl., Erl. z. § 15 SeeLG). Zwar ist es nicht erforderlich, dass die der Entscheidung zugrunde gelegten Vorfälle bereits abschließend untersucht und geklärt worden sind. Dies ist Aufgabe des Widerrufsverfahrens gemäß § 14 SeeLG. Auf der anderen Seite reichen bloße Vermutungen nicht aus. Es muss eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass in der Person des betroffenen Seelotsen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Bestallung erfüllt sind. Hiervon kann in diesem Fall nicht ausgegangen werden.

27
Zu Unrecht hat die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung angenommen, dass dringende Gründe für einen Widerruf der Bestallung nach Maßgabe des § 14 Nr. 3 SeeLG gegeben waren.

28
Der Senat ist gehalten, die Rechtsanwendung der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung im Hinblick auf die Auslegung dringender Gründe im Sinne des § 15 SeeLG vollständig zu überprüfen. Die Auslegung unbestimmter Gesetzesbegriffe, d. h. die Ermittlung ihres Sinngehalts, ist wie jede Auslegung eine Rechtsfrage, die auch von dem die Rechtmäßigkeit der Anwendung prüfenden Gericht uneingeschränkt unter eigener Verantwortung zu beantworten ist (Wolff, Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl., § 31 III Rn. 9). Dies gilt auch bei der Auslegung sogenannter Typenbegriffe, denen verschiedene, aber ähnliche Lebenssituationen als ihre Ausprägungen unterfallen. Hierzu gehören Begriffe wie „wichtiger Grund“, oder auch „dringende Gründe“ (a.a.O., Rn. 11). Insoweit hat die entscheidende Behörde keinen Beurteilungsspielraum. Die Gerichte sind ihrerseits nicht an die im Verwaltungsverfahren getroffenen Feststellungen und Wertungen gebunden (a.a.O., Rn. 16). Gleiches gilt auch hier.

29
Anhand der gegebenen Tatsachen kann nicht angenommen werden, dass der Kläger bei den Lotsungen in den Jahren 2009 und 2010, bei denen es zu Überschreitungen der vom Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg empfohlenen Geschwindigkeiten kam, tatsächlich mit überhöhter Geschwindigkeit im Sinne des § 26 Abs. 1 SeeSchStrO fuhr. Nach der genannten Vorschrift haben Fahrzeuge ihre Geschwindigkeit rechtzeitig soweit zu vermindern, wie es erforderlich ist, um Gefährdungen durch Sog und Wellenschlag zu vermeiden. Die vom Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg herausgegebenen Empfehlungen zu den zu fahrenden Geschwindigkeiten stellen in diesem Zusammenhang allerdings keine Anordnung von Höchstgeschwindigkeiten dar, sondern sind lediglich Orientierungswerte, bei deren Erreichen es für den Schiffsführer bzw. für den Lotsen Anlass gibt, die Geschwindigkeit mit Blick auf gegebene Gefährdung durch Sog und Schwell zu überprüfen und ggf. zu reduzieren. Dies ergibt sich zum einen aus den Informationen des Wasser- und Schifffahrtsamtes Hamburg (Anlage B12). Dort ist ausdrücklich ausgeführt, dass die Schiffswellen am Elbufer erhebliche Schäden verursachen können, wenn die Bestimmungen der SeeSchStrO nicht ausreichend beachtet werden und keine Orientierung an den Richtgeschwindigkeiten erfolgt. Das Wort „Orientierung“ weist darauf hin, dass die Richtgeschwindigkeit gerade keine Obergrenze der erlaubten Geschwindigkeit sein soll. Zum anderen geht auch aus der Arbeitsanweisung des Wasser- und Schifffahrtsamtes Hamburg an die Verkehrszentrale Brunsbüttel vom 17. November 2009 (Anlage B13) hervor, dass ein Überschreiten der Richtgeschwindigkeiten gerade keinen Verstoß gegen § 26 der SeeSchStrO indiziert. Denn gemäß der Arbeitsanweisung soll der Schiffsführung gerade keine konkrete Geschwindigkeitsvorgabe gemacht werden. Vielmehr ist ihr die gefahrene Geschwindigkeit in Knoten durch das Wasser mitzuteilen, und zwar verbunden mit folgendem Hinweis: „Bitte beachten Sie die Gefährdung durch Sog und Schwell.“ Daraus folgt, dass eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit, jedenfalls wenn sie nicht erheblich ist, für sich genommen noch keinen Anhalt dafür bietet, dass mit überhöhter, erheblichen Sog und Wellenschlag verursachender Geschwindigkeit gefahren wurde. Eine entsprechende Annahme verbietet sich daher bei den Vorfällen im Jahre 2009. Insoweit steht eine Geschwindigkeitsüberschreitung des Klägers von etwa 2 kn in Rede. Hinweise auf eine dadurch verursachte messbare Gefährdung durch Sog und Schwell gibt es nicht. Gleiches gilt hinsichtlich des Vorfalles vom 3. Dezember 2010, bei dem eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 3,64 Knoten in Rede steht. Diesem Vorfall zugeordnet ist ein Schreiben der Lotsenbrüderschaft Elbe an das Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg vom 9. Dezember 2010 (Anlage B14), in dem heißt, dass es sich bei dem gelotsten Schiff um ein Passagierschiff mit einer Länge von 208 m, einer Breite von 28 m sowie einem Tiefgang von 7,10 m und einem sehr geringen Blockkoeffizienten handele. Nach Aussage des Klägers - so heißt es weiter - habe das Passagierschiff während der gesamten Reise keinen Schwell verursacht, die Brückenbesatzung habe weder eine Primär-, noch eine Sekundärwelle beobachtet. Zwar ist abschließend ausgeführt, dass der Kläger sich in Zukunft an die Vorgaben der WSV halten werde. Eine Überschreitung der Fahrgeschwindigkeit im Sinne des § 26 Abs. 1 SeeSchStrO ist aber gerade nicht festgestellt. Auch insoweit ergeben sich nach dem oben Gesagten keine Anhaltspunkte für maßgebliche Gefährdung durch Schwell und Sog aufgrund dieser Fahrt. Diesbezüglich kann ergänzend auf die Ausführungen auf Seite 16 des Beschlusses des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 30. Mai 2011 - 7 B 6/11 - verwiesen werden.

30
In der somit verbliebenen Lotsung des Containerschiffes „T.“ am 13. Februar 2011 können zwar Anhaltspunkte für eine Überschreitung der gemäß § 26 Abs. 1 SeeSchStrO gebotenen Fahrgeschwindigkeit gesehen werden, denn hier ist die Geschwindigkeitsüberschreitung mit bis zu 6,7 Knoten erheblich. Empfohlen waren an der fraglichen Stelle lediglich 12 Knoten, sodass die Geschwindigkeit mehr als das 1,5-fache der Empfehlung ausmachte. Das Maß der Überschreitung mag in diesem Fall ein Indiz für eine rechtswidrig unangepasste Geschwindigkeit bieten, wenngleich auch in diesem Fall das Gegebensein einer konkreten Gefährdung durch Sog oder Schwell streitig ist. Dies kann allerdings auf sich beruhen, da auch insoweit jedenfalls kein grober Pflichtenverstoß anzunehmen ist. Der Umstand, dass ein Pflichtenverstoß zu einer Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs führte, reicht für sich genommen noch nicht aus, um diesen als gröblich zu werten. Eine gröbliche Pflichtverletzung liegt vor, wenn die Verletzung ein Ausmaß erreicht, dass das Vertrauen in die Berufsausübung seitens des betroffenen Lotsen so stark zerstört ist, dass dessen weitere Tätigkeit als Lotse nicht mehr verantwortet werden kann. Ein geeigneter Vergleichsmaßstab sind dabei Pflichtenverstöße von strafrechtlicher Relevanz (Heinrich/Steinicke, Seelotswesen, 3. Aufl., Erl. z. § 14 Nr. 3 SeeLG u. II.). Anhaltspunkte dafür, dass eine etwaige Pflichtvergessenheit des Klägers anlässlich der Lotsenfahrt am 13. Februar 2011 ein derartiges Ausmaß erreicht hatte, gab es zum Zeitpunkt der vorläufigen Untersagung nicht und haben sich auch später nicht gezeigt. Vielmehr hat der Kläger von Anfang an bereits in seiner Stellungnahme zu dem streitgegenständigen Vorfall vom 21. Februar 2011 nautische Gründe für die bei der Lotsung gewählten Geschwindigkeiten angeführt. Er habe den starken Wind seinerzeit berücksichtigen müssen und in Aussicht genommen, einen bestimmten Streckenabschnitt zu erreichen, um dort mit einem entgegenkommenden Schiff einen sicheren Passierabstand einzuhalten. Selbst wenn man mit der Beklagten die vom Kläger angegebenen Gründe nicht für geeignet hält, die erhebliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit zu rechtfertigen, wofür in der Tat spricht, dass laut unwidersprochen gebliebenem Vortrag der Beklagten ein sicheres Passieren einander entgegenkommender Schiffe auf der Elbe mit Ausnahme der Kurven ohne Einschränkung im Revier zulässig und möglich ist, erreicht der Pflichtenverstoß angesichts der Erklärung des Klägers nicht das Gewicht, welches einem strafbewehrten Pflichtenverstoß oder etwa einer Fahrt unter Drogeneinfluss gleichzusetzen wäre.

31
Auch die weitere Voraussetzung des § 14 Nr. 3 SeeLG für einen Widerruf der Bestallung lag nach dem Erkenntnisstand vor der vorläufigen Untersagung am 3. März 2011 nicht vor. Jedenfalls ergaben sich insoweit keine dringenden Gründe. Nach der Bestimmung kann ein Widerruf der Bestallung nur erfolgen, sofern sich aus dem wiederholten oder gröblichen Pflichtenverstoß ergibt, dass der Lotse ungeeignet ist, seinen Beruf weiter auszuüben. Insoweit geht es um eine Prognoseentscheidung, bei der die Zuverlässigkeit des Lotsen in den Blick genommen werden muss. In dem Bescheid der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung vom 3. März 2011 wurde insoweit auf die wiederholten Überschreitungen der empfohlenen Geschwindigkeiten in den letzten zwei Jahren abgestellt. Diese Begründung trägt indes - wie oben ausgeführt - nicht, da die früheren Geschwindigkeitsüberschreitungen für sich genommen nicht geeignet sind, einen Pflichtenverstoß zu indizieren, der letzte Vorfall am 13. Februar 2011 wiederum keinen gröblichen Pflichtenverstoß bedeutete und aus diesem einmaligen Vorfall eine negative Prognose im Hinblick auf die Eignung und Zuverlässigkeit des Klägers als Lotsen nicht möglich ist.


b)

32
Die vorläufige Untersagung der Berufsausübung nach Maßgabe des § 15 SeeLG hat noch eine weitere Voraussetzung, die in diesem Fall nicht erfüllt ist. Danach darf die vorläufige Untersagung nur erfolgen, wenn dies die Sicherheit der Schifffahrt erfordert. Diese Voraussetzung ist Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Die Sicherheit der Schifffahrt muss gerade die vorläufige Untersagung der Berufsausübung erfordern. Das bedeutet, dass eine vorläufige Untersagung nicht erfolgen darf, sofern die Sicherheit der Schifffahrt durch andere, den betroffenen Lotsen weniger belastende Maßnahmen gewährleistet werden kann. Da im vorliegenden Fall bereits dringende Gründe für die Annahme eines Widerrufs der Bestallung nicht gegeben sind, liegt die Annahme fern, dass die Sicherheit der Schifffahrt die vorläufige Untersagung der Berufsausübung erfordert hat. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass - die Einschätzung der Beklagten hinsichtlich einer nautischen Pflichtverletzung bei der Lotsung am 13. Februar 2011 als richtig unterstellt - die Androhung einer vorläufigen Untersagung für den Fall wiederholter Pflichtverletzungen in Verbindung mit einer fachlichen Unterrichtung des Klägers über die Möglichkeiten des Passierens entgegenkommender großer Schiffe auf der Elbe ohne Überschreitung der empfohlenen Richtgeschwindigkeiten geeignet waren, den Kläger nachhaltig zur Beachtung einer angemessenen Fahrgeschwindigkeit im Rahmen seiner Lotsentätigkeit anzuhalten. Jedenfalls finden sich in dem Bescheid über die vorläufige Untersagung keine Erwägungen über die mögliche Geeignetheit milderer Maßnahmen gegen den Kläger.


2.

33
Die verletzte Amtspflicht ist auch bezogen auf den Kläger drittgerichtet. Denn er ist insoweit in seiner Berufsfreiheit (Art. 12 GG) betroffen und die Beklagte in Gestalt der Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord hat diese im Rahmen der Entscheidung über eine vorläufige Untersagung der Berufsausübung zu beachten.


3.

34
Von einem Verschulden des befassten Amtsträgers in Form der Fahrlässigkeit ist auszugehen. Der Amtsträger hat die Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach aufgrund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden. Bei einem Rechtsirrtum kann zwar der Schuldvorwurf entfallen. Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werden kann, dann kann aus der Missbilligung dieser Auffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden. Der Amtsträger hat sich insoweit an der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu orientieren (Sprau, in: Palandt, BGB, 73. Aufl., § 839 Rn. 52). Hilfsweise hat er die einschlägige Kommentierung zur Hilfe zu nehmen, wenn die Rechtsanwendung in einem Spezialgebiet maßgeblich durch ein Werk oder zwei kommentierende Werke geprägt wird. Vorliegend müsste der Amtswalter der Kommentierung aus dem Werk „Seelotswesen“ von Heinrich und Steinicke zu § 14 SeeLG entnehmen, dass an das Vorliegen eines groben Pflichtenverstoßes die oben dargelegten hohen Anforderungen gestellt werden. Aus den vom Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg selbst herausgegebenen Informationen und Arbeitsanweisungen war darüber hinaus zu ersehen, dass dem Überschreiten der Richtgeschwindigkeit für sich keine Indizwirkung im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 26 Abs. 1 SeeSchStrO zukommt, vielmehr die konkrete Gefährdung durch Sog und Wellenschlag in den Blick zu nehmen ist.


4.

35
Ersatzfähig ist der durch den Pflichtenverstoß verursachte Schaden. Dieser besteht in dem vom Kläger geltend gemachten Verdienstausfall, der als entgangener Gewinn gemäß § 252 S. 1 BGB ersatzfähig ist. Der Kläger macht insoweit die entgangenen anteiligen Schiffsentgelte und Nebenverdienste geltend. Hier kann auf die vom Kläger als Anlage zur Klagschrift eingereichte Berechnungstabelle (Anlage K2) verwiesen werden.


5.

36
Ein anspruchsminderndes Mitverschulden des Klägers (§ 254 Abs. 1 BGB) ist nicht anzunehmen. Es ist ihm nicht vorwerfbar, dass er sich einer Begutachtung zwecks Nachweises seiner verkehrspsychologischen Eignung zunächst nicht unterzog. Zwar hätte der Kläger hierdurch die vorläufige Untersagung beenden können. Es ist allerdings zu beachten, dass diese ausweislich der obigen Ausführungen rechtswidrig war. Dies gilt mithin auch für die auflösende Bedingung des Nachweises seiner verkehrspsychologischen Eignung durch ein seeärztliches Zeugnis. Die auflösende Bedingung eines Nachweises der verkehrspsychologischen Eignung des Klägers durch ein seeärztliches Zeugnis war damit selbst rechtswidrig. Zwar kann gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG eine Ermessensentscheidung mit einer Nebenbestimmung in Form einer auflösenden Bedingung versehen werden. Allerdings führt die Rechtswidrigkeit des Hauptverwaltungsaktes zwingend zur Rechtswidrigkeit aller Nebenbestimmungen, mit denen er versehen wurde, und zwar ungeachtet ihrer Rechtsnatur (Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 36 Rn. 21). Da die vorläufige Untersagung als solche bereits als rechtswidrig anzusehen ist, hatte der Kläger einen Anspruch auf Aufhebung dieses Verwaltungsaktes, und zwar insgesamt. Er musste sich damit auf die ebenfalls rechtswidrige Bedingung einer amtsärztlichen Untersuchung nicht einlassen.

37
Dies im Rahmen des Mitverschuldens anders zu sehen hieße, den Kläger ungeachtet der Rechtswidrigkeit der vorläufigen Untersagung insgesamt mit einem Teil seines Regelungsgehaltes zu belasten. Die diesbezügliche Ablehnung eines Mitverschuldens entspricht auch der gesetzlichen Wertung. Gemäß § 36 Abs. 3 VwVfG darf eine Nebenbestimmung dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht zuwiderlaufen. Diese Bestimmung ist Ausdruck des Gebots der Sachbezogenheit von Nebenbestimmungen im Hinblick auf die gesetzliche Regelung, die durch den Verwaltungsakt im Einzelfall umgesetzt werden soll (Tiedemann, in: Beck'scher Onlinekommentar, VwVfG, Stand 1. Juli 2014, § 36 Rn. 21 f.). Der Zweck eines Verwaltungsaktes darf indes nur ein gesetzmäßiger sein, sodass es nicht angeht, mittels einer Nebenbestimmung den Adressaten eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes einem ohne diesen nicht gegebenen Handlungsdruck auszusetzen. Deswegen darf es nicht schadensmindernd angerechnet werden, dass sich der Kläger nicht auf die Untersuchungsmöglichkeit eingelassen hat, weil die Obliegenheit des Nachweises der verkehrspsychologischen Eignung durch ein seeärztliches Zeugnis den Kläger in einer Weise belastet, die er nicht hinnehmen muss. Faktisch würde man dem Kläger zudem entgegen der Maßgabe gemäß § 14 Nr. 2 SeeLG die Beweislast für seine geistige Eignung aufbürden.


6.

38
Ein teilweiser Ausschluss des Schadensersatzanspruchs des Klägers folgt jedoch aus § 839 Abs. 3 BGB wegen fahrlässigen Unterlassens, den Schaden jedenfalls teilweise durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Insoweit geht es zu Lasten des Klägers, dass er die Ablehnung des Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die vorläufige Untersagung mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Schleswig-Holstein vom 30. Mai 2011 - 7 B 6/11 - nicht durch Einlegung der Beschwerde gemäß § 146 VwGO angegriffen hat. Ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs sowie die Beschwerde gegen eine ablehnende erstinstanzliche Entscheidung stellen Rechtsbehelfe im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB dar (vgl. BGH, Urt. v. 9. Okt. 2003 - III ZR 342/02, Juris, Rn. 13). Dies gilt auch im vorliegenden Fall.

39
Die Nichteinlegung der Beschwerde ist als schuldhaft anzusehen. Ein Verschulden beim Nichtgebrauch eines Rechtsmittels ist erst dann zu verneinen, wenn die Erfolgsaussicht des Rechtsmittels so gering oder zweifelhaft ist, dass dem Verletzten dessen Gebrauch nicht zuzumuten ist (Wöstmann, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2012, § 839, Rn. 347). Grundsätzlich kann sich zwar ein Betroffener auf die Richtigkeit einer erstinstanzlichen Entscheidung verlassen, da jede richterliche Entscheidung den Anspruch erheben darf, wohl erwogen zu sein (BGH, Urt. v. 6. Dez. 1984 - III ZR 141/83, Juris, Rn. 20). Diese Erwägung gilt jedoch für das einstweilige Rechtsschutzverfahren nicht (OLG München, Beschl. v. 9. Aug. 2004 - 1 U 3448/04, Juris, Rn. 30 f.). Im Hinblick darauf, dass die Frage der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, gegen den sich der Widerspruch richtet und dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, ein maßgebender Gesichtspunkt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist, konnte der Kläger ungeachtet der erstinstanzlichen abschlägigen Entscheidung davon ausgehen, dass er im Rechtsmittelzug insoweit obsiegen würde. Dies gilt umso mehr, als auch das zweitinstanzliche Gericht wiederum eine eigenständige summarische Prüfung der Rechtslage hätte vornehmen müssen, zumal der Kläger selbst - ungeachtet der erstinstanzlichen ablehnenden Entscheidung des Verwaltungsgerichts - die vorläufige Untersagung der Berufsausbildung für rechtswidrig gehalten hat, sich insoweit mithin nicht in einem Rechtsirrtum befand.

40
Damit fällt der Kläger mit seinem Schadensersatzanspruch insoweit aus, als der Gebrauch und zu unterstellende Erfolg des Rechtsmittels einen Schaden verhindert hätte. Angesichts des Umstands, dass das Verwaltungsgericht für seine Eilentscheidung etwas mehr als zwei Monate benötigte, da der Antrag auf einstweiligen Rechtschutz am 24. März 2011 gestellt wurde und die Entscheidung am 30. Mai 2011 erfolgte, ist davon auszugehen, dass eine Beschwerdeentscheidung mutmaßlich jedenfalls innerhalb von weiteren drei Monaten zu erlangen gewesen wäre. Das bedeutet, dass der Kläger mutmaßlich ab September 2011 die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs erlangt hätte. Für den Zeitraum ab dem 1. September 2011 ist ihm damit kein Schadensersatzanspruch zuzuerkennen. Dies bedeutet ausweislich seiner tabellarischen Aufstellung gemäß Anlage K2 (Bl. 9 GA), dass er lediglich einen Schadensersatz in Höhe von 41.344,71 € beanspruchen kann.


7.

41
Dem Kläger stehen auch vorgerichtliche Anwaltskosten aus Schadensersatzgesichtspunkten zu. Allerdings nur bezogen auf einen Gegenstandswert, wie er dem begründeten Teil des Schadensersatzanspruchs entspricht. Das macht 1.530,59 € aus.


8.

42
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 BGB.

43
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Einsender: entnommen Justiz Schledwig-Holstein

Anmerkung:


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