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Gericht / Entscheidungsdatum: LG Braunschweig, Beschl. v. 01.04.2015 - 15 Ns 53/15
Leitsatz: Zur Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr
Landgericht Braunschweig 15 Ns 53/15 Beschluss In der Strafsache gegen pp. Verteidiger: Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schleinitzstr.14, 381 06 Braunschweig, wegen Verstoßes gegen das BtMG Der Haftfortdauerbeschluss des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 05.01.2015 (10 Ls 804 Js 27609/13) wird aufgehoben.
Gründe: Der Angeklagte ist in der Vergangenheit bereits wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten, jedoch noch nicht wegen Verstoßes gegen das BtMG. Zuletzt wurde er mit Urteil des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 08.08.2013 unter Einbeziehung einer vorausgegangenen des Amtsgerichts Wolfenbüttel wegen Beleidigung in zwei Fällen in Tatmehrheit mit Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Die dort verfahrensgegenständlichen Taten beging der Angeklagte am 15.07.2012. Wegen des Inhalts des Urteils wird Bezug genommen auf BI. 99 ff. des Bewährungsheftes AG Wolfenbüttel 11 BRs 23/09.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Braunschweig erließ das Amtsgericht Braunschweig am 21.06.2014 gegen den Angeklagten einen Durchsuchungsbeschluss. Der Angeklagte war verdächtig, gewerbsmäßig mit Betäubungsmittel unerlaubt Handel zu treiben. Bei der anschließenden Durchsuchung, die am 23.08.2013 in der Wohngemeinschaft des Angeklagten stattfand, wurden tatsächlich auch insgesamt 6,9 g Marihuana sowie zwei Kapseln Amphetamine zu je 0,2 g gefunden, die dem Angeklagten zuzuordnen waren.
Der Durchsuchen zeitlich nachfolgend gab der Zeuge S. am 25.09.2013 gegenüber der Polizei an, dass er den Angeklagten im Juni 20113 kennengelernt habe und von diesem seitdem - seit Juni 2013 - bis Mitte August 2013 10 - 15 mal im Monat Marihuana gekauft habe und zwar jeweils 1 g für 10 . Es wird Bezug genommen auf Bd. I, Bi. 48 49 d. A,.
Weiter gab der Zeuge B. - ein vormaliger Mitbewohner des Angeklagten am 18.09.2013 gegenüber der Polizei an, dass der Angeklagte kiffe und Drogen verkaufe. Der Angeklagte habe in seinem Zimmer regelmäßig in einer Plastikdose ca. 100g Marihuana aufbewahrt. Der Angeklagte habe ihm - dem Zeugen - auch gesagt, dass er - der Angeklagte - mit dem Verkauf von Drogen Gewinn mache. Es sei einmal von 750 bis 900 die Rede gewesen. Wegen der Angaben des Zeugen B. wird Bezug genommen auf Bd. I BI. 41 ff. d. A.
Die Staatsanwaltschaft Braunschweig hat dann Anklage zum Amtsgericht - Schöffengericht Wolfenbüttel erhoben. Dem Angeklagten wurde zur Last gelegt, im Zeitraum vom 01.06. bis zum 23.08.2013 an den Zeugen S. in mindestens 25 Fällen gewerbsmäßig handelnd jeweils 1 g Marihuana für je 10 verkauft zu haben, ferner am 23.08.2014 unerlaubt im Besitz der o.g. Betäubungsmittel gewesen zu sein.
Zu einem ersten Hauptverhandlungstermin vor dem Amtsgericht Wolfenbüttel am 16.09.2014 erschienen die Zeugen S. und B. nicht.
In einem neuen Hauptverhandlungstermin am 01.12.2014 belastete der Zeuge B. den Angeklagten. Ferner gab er an, zum Hauptverhandlungstermin vom 16.09.2014 nicht erschienen sei, weil er von einem weiteren Zeugen dem Zeugen B. - bedroht worden sei. Auf Nachfrage des Gerichts, warum der Zeuge B. Anlass gehabt habe, ihn den Zeugen B. zu bedrohen, erklärte der Zeuge B., dass der Angeklagte und der Zeuge B. befreundet seien. wegen der protokollierten Angaben des Zeugen B. wird Bezug genommen auf Bd. I, Bl. 237 238 d.A.
Das Amtsgericht Wolfenbüttel ordnete gegen den Angeklagten noch Im Fortsetzungstermin vom 15.12.2015 die Untersuchungshaft an. Angenommen wurde der Haftgrund der Verdunkelungsgefahr. Es wird Bezug genommen auf Bd. 1, BL 242 ff. d, A.,
Mit Urteil vom 05.01.2015 wurde der Angeklagte unter Freispruch Im Übrigen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in besonders schwerem Fall in zehn Fällen - begangen im Zeitraum vom 01.07. bis zum 15,08.2013 - und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in einem weiteren Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Wegen des Verkaufs von 1 g Marihuana an den Zeugen S. verhängte das Amtsgericht in 10 Fällen jeweils eine Einsatzstrafe von 1 Jahr und 2 Monate Freiheitsstrafe. Der Besitz der o.g. Betäubungsmittel wurde mit einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen geahndet. Schließlich wurde die genannte Gesamtfreiheitsstrafe gebildet. Die Möglichkeit, dass der Verkauf der Betäubungsmittel an den Zeugen S. aus einem einheitlichen Vorrat erfolgt sein könnte, womit eine Bewertungseinheit anzunehmen wäre, wurde nicht diskutiert,
Gegen das vorgenannte Urteil haben sowohl der Angeklagte als auch die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Letztere erstrebt insbesondere die Verhängung einer höheren Gesamtfreiheitsstrafe an. Der Verkauf der Betäubungsmittel an den Zeugen S. sei weiter auch vor dem 08.08.2013 erfolgt, so dass eine Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Einzelstrafe aus dem o.g. Urteil vom 08.08.2013 zu erfolgen habe.
Die Kammer hat den hier verfahrensgegenständlicher Haftbefehl mit Beschluss vom 05.03.2015 aufgehoben und darin dargelegt, dass eine Verdunkelungsgefahr jedenfalls schon deshalb nicht mehr bestehe, weil richterlich protokollierte Aussagen der damals unbeeinflussten - diese haben den Angeklagten belastet - Zeugen S. und E. vorlägen.
Gegen diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft Braunschweig Beschwerde eingelegt. Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft liegt subsidiär sogar den Haftgrund der Wiederholungsgefahr vor. Der Angeklagte habe Betäubungsmittelstraftaten begangen, für die das Amtsgericht jeweils eine Einzelstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten Freiheitsstrafe verhängt habe. Es drohe die Begehung vergleichbarer Straftaten. Unerwähnt blieb in der Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft, dass den genannten Einzelstrafen der gewerbsmäßige Verkauf von jeweils 1g Marihuana zugrunde lag.'
Auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft hat das Oberlandesgericht Braunschweig die o.g. Entscheidung der Kammer mit Beschluss vom 23.03.2015 auf den Bezug genommen wird (Bd. III, BI. 154 ff. d.A.) aufgehoben. Nach Auffassung des Senats besteht sowohl Verdunkelungs -als Wiederholungsgefahr.
II.
Der o.g. Haftbefehl ist nach Auffassung der Kammer aufzuheben, da kein Haftgrund besteht:
1. Der Haftgrund der Verdunklungsgefahr besteht nicht. Der o.g. Beschluss des Senats setzt sich dabei mit zwei Aspekten, die der Annahme von Verdunklungsgefahr entgegenstehen, aus Sicht der Kammer nicht auseinander
a) Wenn Verdunkelungshandlungen nicht geeignet sind, die Wahrheitsfindung zu erschweren, darf die Untersuchungshaft nicht angeordnet werden (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 112, Rn. 35): Die Zeugen B und S. haben trotz der behaupteten (versuchten) Einwirkung des Angeklagten belastend ausgesagt. Warum sollten sie sich in Zukunft beeindruckter zeigen? Zudem: Der - wichtigere - Zeuge S. wohnt inzwischen in einem weit entfernten soweit ersichtlich dem Angeklagten unbekannten Umfeld. Wie soll der Angeklagte faktisch überhaupt auf den Zeugen einwirken können?
b) Etwaige Einwirkungshandlungen des Angeklagten auf die Zeugen S. und B. sind schließlich auch angesichts der im Verfahren eingetretenen Beweislage nicht geeignet, die Ermittlung der Wahrheit im Sinne des § 112 StPO zu erschweren.
Eine Erschwerung der Ermittlung der Wahrheit im Sinne des § 112 StPO besteht nämlich denn nicht, wenn richterlich protokollierte Aussagen der Geschädigten vorliegen, deren Inhalt zudem durch Vernehmung des Amtsrichters bezeugt werden können (KG Berlin, Beschluss vom 11.07.2012, 4 WE; 73112, zit. nach juris, Rn. 11 unter Bezugnahme auf OLG Karlsruhe, OLG Naumburg, OLG Schleswig), Die Kammer weist darauf hin, dem KG Berlin in dem dort zugrundeliegenden Fall als richterliche protokollierte Angaben allein- vgl. juris Rn. 1 - die Angaben der dort Geschädigten in der ersten Instanz vorlagen, wodurch die dort entschiedene Verfahrenssituation mit der hier vorliegenden identisch ist. Die Rechtfertigung der vorgenannten Rechtsprechung ergibt sich aus Sicht der Kammer vor nachfolgendem Hintergrund: Selbstverständlich bedeutet der Umstand, dass ein Zeuge aufgrund fortwirkender/erneuter Einwirkungshandlungen des Angeklagten in der zweiten Tatsacheninstanz gar keine oder von seinen Angaben in der ersten Instanz abweichende Angaben macht, eine Erschwernis der Wahrheitsfindung schon deshalb, weil dies zu erweiterten Überlegungen Im Rahmen der dann vorzunehmenden Beweiswürdigung führt. Indes stellt die Anordnung der Untersuchungshaft einen massiven Grundrechtseingriff dar. § 112 StPO ist daher als Ermächtigungsgrundlage für einen Grundrechtsrechtseingriff - wie alle zu Grundrechtseingriffen ermächtigenden Gesetze - im Lichte des Grundrechtseingriffs" restriktiv auszulegen. Nicht jede Erschwernis der Wahrheitsfindung rechtfertigt einen Grundrechtseingriff, sondern nur solche, die über das normale Maß an Schwierigkeiten hinausgeht, mit denen der Tatrichter üblicherweise bei der Wahrheitsfindung zu kämpfen" hat. Die Situation aber, dass der Tatrichter bei abweichenden/fehlenden Angaben des Zeugen auf dessen frühere Angaben gegenüber einem (Ermittlungs-)richter zurückgreifen muss, ist der StPO jedoch nicht fremd und wird auch über die freie Beweiswürdigung des Tatrichters gelöst (im Ergebnis ebenso auch schon LG Verden, StV 1983 248, 249).
2. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr besteht aus Sicht der Kammer ebenfalls nicht. Zwar besteht Anlass zur Besorgnis, dass der Angeklagte weiterhin Betäubungsmittelstraftaten der verfahrensgegenständlichen Art und damit Katalogstraftaten des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO begeht. Die erwartete Begehung von Katalogstraftaten des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO rechtfertigt aber nur dann den Erlass eines Haftbefehls, wenn es sich bei diesen Taten um solche handelt, die jede für sich eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Rechtsordnung darstellt. Die Taten müssen vom Unrechtsgehalt und im Schweregrad überdurchschnittlich und geeignet sein, in weiten Kreisen der Bevölkerung das Gefühl der Geborgenheit zu beeinträchtigen (vgl. zu alledem Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 112a, Rn. 9). Zwar war das Amtsgericht der Meinung, dass die Begehung von Taten der Art, deren Begehung auch für die Zukunft zu erwarten ist, die Verhängung einer Freiheitsstrafe von jeweils 1 Jahr und 2 Monaten rechtfertigt. Rein tatsächlich ging es aber jeweils nur um den Verkauf von 1 g Marihuana. Solche Taten sind aus Sicht der Kammer nicht geeignet, die beschriebenen Irritationen tief der Bevölkerung. hervorzurufen. Ob sich der Senat des vorgenannten Tatsachenhintergrundes bewusst war, erschließt sich dem o.g. Beschluss nicht.
Braunschweig, den 01.04.2015 Landgericht, 15. kleine Strafkammer
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