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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Sorgfaltspflicht, Übungsleiter, ehrenamtlicher Fußballtrainer,

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamburg, Beschl. v. 28.04.2015 - 1 Rev 13/15

Leitsatz: Die Sorgfaltspflichten eines ehrenamtlichen Übungsleiters sind anhand von Verhaltensregeln der Sportverbände, des geistig-sittlichen Reifegrades der Teilnehmer und den zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten sowie mit Blick darauf zu bestimmen, dass der Übungsleiter ehrenamtlich eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit entfaltet.


1 Rev 13/15
Beschluss v. 28. April 2015
In der Strafsache
gegen pp.
hat der 1. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg am 28. April 2015 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 27. Oktober 2014 gemäß § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Hamburg-Harburg zurückverwiesen.

Gründe
Das Amtsgericht Hamburg-Harburg hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte Revision eingelegt, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat Erfolg.

I.
1. Das Amtsgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
a) Am 17. Mai 2013 trainierte der Angeklagte auf dem Fußballplatz des Vereinsgeländes D. e.V. die dortige C-Jugendmannschaft. Nach dem Training gegen 20 Uhr, als die Mannschaft den Platz bereits verlassen hatte, ging der Angeklagte zu seinen Spielern und wies sie darauf hin, dass die nicht zum ersten Mal zu Trainingszwecken auf die Pfosten gekippten, jeweils knapp 200 kg schweren Tore wieder „zusammen aufgestellt“ werden müssten. Einen ausdrücklichen Hinweis, dass die Tore nur unter seiner Aufsicht aufgestellt werden dürfen, erteilte der Angeklagte nicht. Nach dieser Aufforderung begab sich der Angeklagte in den Geräteraum. Der 13-jährige Zeuge F. drängte den 14-jährigen Zeugen G. und den 12-jährigen Zeugen Sch. dazu, die Tore schnell aufzustellen. Er lief sodann - gefolgt von diesen beiden Zeugen - in Richtung eines Tores, vor dem der 7-jährige, nicht zur Mannschaft gehörende Geschädigte E. mit einem Freund Fußball spielte. Nachdem der Zeuge F. den Jungen zunächst vergeblich aufgefordert hatte wegzugehen, hob er das Tor an. Der Geschädigte hängte sich an die gegenüberliegende Querverstrebung des Tores. Als dieses bis zum Kipppunkt angehoben war, setzte die Hebelwirkung ein und das Tor schnellte in die aufrechte Position zurück, ohne dass der Zeuge F. das Tor noch aufhalten konnte. Der Geschädigte wurde von der Querverstrebung am Kopf getroffen und mit diesem zwischen Boden und Querverstrebung eingeklemmt. Er verstarb wenige Stunden später an den Folgen seiner Verletzungen.
b) Das Amtsgericht hat eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen mit der Begründung angenommen, die Sorgfaltspflichtverletzung des Angeklagten liege „nicht nur in der mangelhaften Anweisung der jugendlichen Spieler, sondern vordringlich und im Schwerpunkt in dem Unterlassen, sich [nicht] unmittelbar nach der Anweisung auf das Spielfeld zu den Toren zu begeben.“ (UA S. 13) Dem Angeklagten hätte bewusst sein müssen, dass 12- bis 14-Jährigen nicht eigenverantwortlich das Aufstellen der Tore überlassen werden könne. Aufgrund seiner Kenntnisse sei für ihn vorhersehbar gewesen, dass beim Aufrichten der Tore von 12- bis 14-Jährigen ein Mensch tödlich getroffen werden könnte.

II.
Die Revision hat Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand, weil sich das Amtsgericht durch die Wahl eines unzutreffenden rechtlichen Maßstabes bei der Bestimmung der Sorgfaltspflicht den Blick auf den notwendigen Umfang seiner im Übrigen sorgfältig getroffenen Feststellungen verstellt hat.

1. Unabhängig von der Frage, ob ein Begehungs- oder unechtes Unterlassungsdelikt vorliegt, begeht eine fahrlässige Tötung, wer die ihn treffende Sorgfaltsanforderung missachtet, welche bei Erfüllung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zum Nichteintritt des Erfolges geführt hätte, sofern er dies nach seinen subjektiven Kenntnissen und Fähigkeiten vermeiden konnte und wenn gerade die Pflichtwidrigkeit objektiv und subjektiv vorhersehbar den Erfolg gezeitigt hat (BGH, Urt. vom 22. November 2000 - 3 StR 331/00, NStZ 2001, 143, 144; BGH, Urt. vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13, NJW 2015, 96, 98; vgl. zum fahrlässigen Unterlassungsdelikt OLG Karlsruhe, Beschl. vom 16. November 2007 - 3 Ws 216/07, BauR 2008, 139 f; LK-Jähnke, 11. Aufl., § 222 Rn. 3), wobei die Vorhersehbarkeit des Verlaufs im Allgemeinen genügt, alle konkreten Einzelheiten brauchen nicht voraussehbar zu sein (BGH, Urt. vom 10. Juli 1958 - 4 StR 180/58, BGHSt 12, 75, 77; BGH, Beschl. vom 25. September 1990 - 4 StR 359/90, BGHSt 37, 179, 180). Die Elemente der Sorgfaltspflicht, der Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit hängen dabei vielfach voneinander ab; so kann die Sorgfaltspflicht, fremde Rechtsgüter nicht zu beeinträchtigen, beispielsweise nur aus der Erkennbarkeit eines Risikos entstehen (Fischer, StGB, 62. Aufl., § 15 StGB Rn. 14).

Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt bestimmen sich bei alledem nach den Anforderungen, die bei objektiver Betrachtung der Gefahrenlage ex ante an einen besonnenen und gewissenhaften Menschen in der konkreten Lage und sozialen Rolle des Handelnden zu stellen sind (BGH, Urt. vom 19. April 2000 - 3 StR 442/99, NJW 2000, 2754, 2758; BGH, Urt. vom 13. März 2003 - 2 StR 239/02, NStZ 2003, 657, 658; BGH, Urt. vom 4. September 2014 - 4 StR 473/13, NJW 2015, 96, 98). Ob der Täter sorgfaltswidrig gehandelt hat, muss in allgemeiner Form durch Abwägung aller rechtlich relevanten Belange unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles bestimmt werden. Dabei dürfen sozial anerkannte Tätigkeiten, wie etwa im Sport, nicht so eingeschränkt werden, dass sie ihres eigentlichen Wesens entkleidet werden (BayObLG, Urt. vom 8. November 1960 - RReg 3 St 83/1960, JR 1961, 72, 739; LK-Vogel, 12. Aufl., § 15 Rn. 216).

2. Vor diesem Hintergrund sind die Sorgfaltspflichten eines ehrenamtlichen Übungsleiters anhand von Verhaltensregeln der Sportverbände, des geistig-sittlichen Reifegrades der Teilnehmer und den zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten sowie mit Blick darauf zu bestimmen, dass der Übungsleiter ehrenamtlich eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit entfaltet.

a) Sorgfaltspflichten können dabei durch Verhaltensregeln der Sportverbände als Regelwerk ohne Rechtsnormqualität vorgegeben sein, die zwar keine verbindliche Kraft gegenüber der Allgemeinheit entfalten, aber wichtige Anhaltspunkte dafür bieten können, welche sichernden Maßnahmen zur Vermeidung von Unfällen nach der allgemeinen Lebenserfahrung notwendig erscheinen und was insoweit geboten ist (vgl. LK-Jähnke, a. a. O., Rn. 5; LK-Vogel, a. a. O., Rn. 219 f; Schroeder/Kauffmann, Sport und Recht, S. 21, 26 f).

b) Maßgeblich für den Pflichtenmaßstab eines Übungsleiters ist zudem der geistig-sittliche Reifegrad der Teilnehmer zum Tatzeitpunkt. Neben der Dauer der Mitgliedschaft der Teilnehmer in einer Mannschaft ist dabei namentlich in den Blick zu nehmen, wie die Mannschaftsmitglieder untereinander ihre Verantwortlichkeit einschätzen und wie eingespielt sie aufeinander sind. Von Bedeutung ist ferner die bisherige Regelkonformität der Teilnehmer gegenüber Aufforderungen des Übungsleiters sowie der Aspekt, dass Jugendliche auch in Sportvereinen eine zunehmende Selbstständigkeit und Verantwortungsübernahme erlernen sollen.

c) Kommen - wie hier - nicht an dem Training beteiligte Dritte zu Schaden, ist maßgeblich, inwieweit deren Hinzutreten vorhersehbar war. Dabei ist namentlich zu berücksichtigen, wie das Trainingsgelände nach außen abgegrenzt und gegen den Zutritt Dritter gesichert ist, insbesondere, ob diesen rechtlich der Zutritt gestattet ist und ob diese sich dort üblicherweise aufhalten.

3. Gemessen an diesen Maßstäben tragen die amtsgerichtlichen Feststellungen die Annahme einer objektiven Sorgfaltspflicht dergestalt nicht, der mit Jugendlichen erfahrene Angeklagte hätte seinen Spielern ausdrücklich und eindeutig mitteilen müssen, dass die Tore nicht ohne ihn aufgestellt werden dürfen, und hätte sich unmittelbar nach der Anweisung auf das Spielfeld zu den Toren begeben müssen.

a) Im Urteil ist nicht dargetan, dass eine Sorgfaltspflicht durch Verhaltensregeln, etwa durch Regelungen des Hamburger Fußballbundes oder Traineranweisungen des Vereins, vorgegeben wäre. Es finden sich auch keine Hinweise auf eine Bedienungsanleitung des Tores. Festgestellt wird lediglich, dass das Tor mit einem Warnaufkleber versehen war, der vor einer Kippgefahr des Tores warnte.

b) Zudem hätte es genauerer Feststellungen zum geistig-sittlichen Reifegrad der jugendlichen Mannschaftsteilnehmer und ihrem Verantwortungsbewusstsein zum Tatzeitpunkt bedurft, die den Schluss erlauben, dass der Angeklagte nicht darauf vertrauen konnte, dass sie ohne seine Anwesenheit verantwortungsvoll die Tore wieder würden aufrichten können. Nicht unberücksichtigt bleiben darf hierbei, dass das Umlegen von Toren als Trainingsmethode vom Deutschen Fußballbund e.V. auf seiner Homepage benannt wird (UA S. 3) und es sich - der Platzgröße oder dem Alter der Jugendlichen angepasst - um Tore mit reduzierten Tormaßen handelte.

c) Schließlich hätte es vor dem Hintergrund, dass die Person, die das Tor an der oberen Latte anhebt - sei es eine Person oder seien es mehrere -, naheliegend durch die einsetzende Hebelwirkung des Tores selbst kaum gefährdet ist, eine Gefährdung vielmehr nur für denjenigen entstehen kann, der sich zweckwidrig an der gegenüberliegenden Rückseite des Tores aufhält, für die Vorhersehbarkeit des Tötungserfolges näherer Feststellungen zu der Erkennbarkeit des Hinzutretens Dritter bedurft. Es fehlen insoweit Angaben zu den örtlichen Gegebenheiten, der Gestattung und der Üblichkeit des Aufenthaltes Dritter auf dem Sportplatz sowie insbesondere dem Aufenthalt 7-jähriger Kinder um 20 Uhr abends.
4. Wegen der aufgezeigten Rechtsfehler hebt der Senat das Urteil mit den Feststellungen auf (§ 353 Abs. 1 und 2 StPO). Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass das nächste Tatgericht - sollte es zwingend zu neuer Hauptverhandlung kommen müssen - ausreichende Feststellungen für einen Schuldspruch wegen fahrlässiger Tötung wird treffen können. Sofern dieses zu vergleichbaren Feststellungen gelangen wird, wird es nahe liegen, die aktive Handlung des Angeklagten an vorgenannten Maßstäben zu messen (vgl. dazu Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band I, 3. Aufl., § 24 Rn. 12; Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl., 9. Abschnitt Rn. 6).

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