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Gericht / Entscheidungsdatum: KG, Beschl. v. 16.06.2015 - (2) 121 Ss 73/15 (33/15)
Leitsatz: Zur Annahme einer vorsätzlichen Körperverletzung bei Einsatz eines objektiv ungefährlichen Gegenstandes (hier Schnittbrot).
KAMMERGERICHT Beschluss Geschäftsnummer: In der Strafsache gegen wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a. hat der 2. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin am 16. Juni 2015 einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Februar 2015 mit den zugehörigen Feststellungen gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt worden ist sowie im Gesamtstrafenausspruch. Von der Aufhebung ausgenommen sind die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e :
I.
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten am 27. März 2014 wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Die gegen dieses Urteil ge-richtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Berlin mit dem angefochte-nen Urteil verworfen.
Dem landgerichtlichen Urteil liegen folgende tatsächliche Feststellungen zu Grunde:
Am 4. Juni 2013 gegen 21.40 Uhr hielten sich der erheblich alkoholisierte Angeklagte, der Zeuge N. und der Zeuge T. vor dem Netto-Supermarkt auf. Der Angeklagte und der Zeuge N. saßen auf einer Bank in der Nähe der Einkaufswagen, der Zeuge T. bettelte vor dem Eingang des Geschäftes. Der Angeklagte und der Zeuge N. tranken Bier und Wein, dessen Herkunft und Menge nicht näher geklärt werden konnten. Der Zeuge T. sprach den später Geschädigten S. an und bat um Geld. Bei-de unterhielten sich und betraten den Supermarkt, nachdem der Zeuge S. bedeutet hatte, dass er gewillt sei, ihm etwas zu Essen zu kaufen, jedoch nicht bereit sei, ihm Geld zu geben. Er kaufte dem Zeugen T. ein Schnittbrot und händigte ihm dieses nach dem Verlassen des Geschäftes aus. Er verwickelte den Zeugen T. weiter in ein Gespräch über dessen aktuelle Lebenssituation. Der Ange-klagte, der beide beobachtet hatte und sich in aggressiver Stimmung befand, schrie den Zeugen T. an, ,,was der Scheiß mit dem Brot solle, er solle Bier besorgen". Dann ging der Angeklagte zu ihm hin, nahm ihm das Brot ab und drückte es dem Zeugen S. so heftig in die in Abwehrhaltung ausge-streckten Hände, dass diese verdreht wurden und der Fingernagel des rechten Mittelfingers umge-knickt wurde, wodurch das Nagelbett blutete. Der Zeuge S. setzte sich räumlich ab und rief über sein Mobiltelefon die Polizei, die nach ca. 30 Minuten eintraf. Der Angeklagte und seine Begleiter waren gerade im Begriff, den Bereich zu verlassen.
Die Polizeibeamten G. und K. sprachen mit dem Anrufer S. und ließen sich das Geschehen be-schreiben, wobei sie sich auch die verletzte Hand ansahen und die Verletzungsfolge fotografisch sicherten. Sodann sprachen sie den Angeklagten, der ihnen von dem Zeugen S. als Täter bezeichnet worden war, an, machten ihm den Tatvorwurf und belehrten ihn. Der Angeklagte verweigerte unter Hinweis auf seine Unschuld die Preisgabe seiner Personalien, was die Polizeibeamten veranlasste, ihn zu bitten, sie zum Polizeifahrzeug zu begleiten, um auf dem Abschnitt 36 seine Identität zu über-prüfen. Dies lehnte der Angeklagte unter Hinweis auf seine Unschuld ab und wollte sich entfernen, nachdem er seinerseits den Zeugen S. der falschen Verdächtigung bezichtigt hatte. Als die Polizei-beamten daraufhin den Angeklagten ergriffen, versuchte sich dieser den Griffen zu entwinden, drehte seinen Körper hin und her und schlug um sich. Auf dem Weg zum Polizeifahrzeug stemmte er sich zudem gegen die Laufrichtung, versteifte seinen Körper und versuchte das Anlegen der Hand-fesseln durch Armbewegungen zu vereiteln. Erst mit erheblichem Kraftaufwand gelang es den Poli-zeibeamten, den Angeklagten in den Einsatzwagen zu verbringen und der zwischenzeitlich aufgrund des Alkoholgeruchs in der Atemluft und des torkelnden Ganges für erforderlich gehaltenen und rich-terlich genehmigten Blutentnahme zuzuführen.
Die dem Angeklagten am Tattag um 23.25 Uhr entnommene Blutprobe ergab einen Mittelwert von 1,19 Promille Ethanol im Vollblut. Der ärztliche Bericht wies eine ˏdeutlicheˋ alkoholische Beeinflus-sung aus. Der Untersuchungsbefund ergab einen unsicheren Gang, die plötzliche Kehrtwendung nach vorherigem Gehen, die Finger-Finger-Probe, die Nasen-Finger-Probe und der Romberg waren ebenfalls unsicher, die Sprache deutlich, das Bewusstsein klar, die Orientierung unvollständig, eine Erinnerung an den Vorfall bestand teilweise, das Urteilsvermögen war kritikschwach, der Denkablauf sprunghaft, das Verhalten distanzlos und die Stimmung depressiv.
Mit seiner rechtzeitig eingelegten (§ 341 Abs. 1 StPO) und form- und fristgerecht begründeten (§§ 344, 345 StPO) Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formel-len und materiellen Rechts.
II.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang (vorläufigen) Erfolg und ist im Übrigen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Mit der Rüge der Verletzung formellen Rechts rügt der Beschwerdeführer, die Kammer habe ihre Aufklärungspflicht verletzt (§ 244 Abs. 2 StPO), indem sie es ver-säumt habe, entsprechend seinen Anträgen durch Einholung von Sachverständigen-gutachten von Amts wegen den Fragen nachzugehen, ob ein Schnittbrot die festge-stellte Verletzung habe herbeiführen können und ob der Angeklagte wegen starker Alkoholisierung, Stimmungsschwankungen und Angstzuständen zur Tatzeit schuldfä-hig war.
Es kann offen bleiben, ob der Beschwerdeführer mit seinen Verfahrensrügen eine Verletzung des Abs. 2 oder aber Abs. 3 des § 244 StPO geltend machen will. Denn das Vorbringen hat unter keinen dieser Gesichtspunkte Erfolg.
a) Eine Beweisantragsrüge wäre schon deshalb unbegründet, weil das Landgericht die gestellten Anträge zu Recht als bloße Beweisermittlungsanträge gewertet hat. Den Anträgen können keine hinreichend bestimmten Beweisbehauptungen entnom-men werden.
Soweit der Beschwerdeführer rügt, ein Sachverständigengutachten hätte ergeben, dass es nicht möglich ist, mit einem Laib Brot, geschnitten, eine von dem Zeugen S. behauptete Verletzung, ein Einreißen des Fingernagels herbeizuführen, fehlt es be-reits an einer dieses Beweisziel belegenden konkreten Beweistatsache. Der Beweis-antrag beschreibt schon keinen hinreichend bestimmten Lebenssachverhalt, der tauglicher Ausgangspunkt für ein sachverständiges Tätigwerden hätte sein können. Vielmehr erschöpft sich das Vorbringen in der Angabe des Beweisziels, die Verlet-zung des Fingernagels könne nicht durch den Einsatz des Schnittbrots verursacht worden sein. Angesichts dessen kann offen bleiben, ob in dem Beweisantrag zudem die Fachrichtung des Sachverständigen hätte angegeben werden müssen. Grund-sätzlich ist dies mit Blick auf § 73 Abs. 1 Satz 1 StPO und den Umstand zwar ver-zichtbar, da sich zumeist aus der Beweisbehauptung selbst eindeutig ergibt, welches spezifisches Fachwissen erforderlich erscheint (vgl. Senge in KK-StPO, 7. Aufl. § 73 Rdn. 3; Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 73 Rdn. 1; Krause in Löwe/Rosenberg, StPO 26. Aufl. § 73 Rdn. 1; a.A. offenbar BayObLG, Beschluss vom 30. April 1999 5 StRR 77/99 [juris]). Etwas anderes kann aber gelten, wenn dies wie vorliegend zweifelhaft ist. Weitergehende Angaben des Antragstellers dazu erscheinen wegen § 244 Abs. 4 Satz 1 und vor allem Satz 2 (eines weiteren Sachverständigen) StPO zumindest sinnvoll (so auch Krehl in KK-StPO § 244 Rdn. 80).
Auch soweit der Beschwerdeführer die unterlassene Einholung eines (weiteren) Gut-achtens zur Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten rügt und vorträgt, ein psy-chologisches oder psychiatrisches Sachverständigengutachten hätte ergeben, dass der zum Tatzeitpunkt stark alkoholisierte Angeklagte aufgrund der gegen ihn erho-benen Vorwürfe aus Furcht vor einer Verurteilung und Inhaftierung in für ihn nicht berechenbare Angstzustände geriet und der Angeklagte daher bei der Tat ohne Schuld handelte, werden konkrete Tatsachen, an die die gutachterliche Bewertung anknüpfen könnte, nicht vorgetragen (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2011 3 StR 365/11 [juris]).
b) Die Erhebung einer zulässigen Aufklärungsrüge setzt unter anderem voraus, dass die Revision bestimmte Tatsachen, deren Aufklärung das Gericht unterlassen hat, und die Beweismittel, deren sich der Tatrichter hätte bedienen sollen, benennt. Fer-ner bedarf es der Darlegung, welche Umstände das Gericht zu der vermissten Be-weiserhebung hätten drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2011 3 StR 337/10 [juris] = NStZ 2011, 471-472; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 244 Rdn. 81 mit weit. Nachweisen).
Dem wird der vorliegende Vortrag nicht gerecht. Hinsichtlich des das Tatwerkzeug Schnittbrot betreffenden Rügevorbringens fehlt es an einem hinreichend konkreten Sachvortrag, der erst Grundlage für sachverständige Äußerungen hätte sein können (s.o.).
Das weitere die Schuldfähigkeit anzweifelnde Vorbringen genügt ebenfalls nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO. Es fehlt schon an der Angabe, welche einzelnen Zeugen über zudem nicht im Einzelnen beschriebene Stimmungs-schwankungen berichtet haben sollen.
2. Die Revision hat jedoch mit der Sachrüge teilweise Erfolg. Die Beweiswürdigung zum bedingten Vorsatz der Körperverletzung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Der Täter einer Körperverletzung handelt bedingt vorsätzlich, wenn er den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als mögliche Folge seines Handels erkennt und damit in der Weise einverstanden ist, dass er die Tatbestandsverwirklichung billigend in Kauf nimmt oder sich um des erstrebten Zieles willen wenigstens mit ihr abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein (BGH, Urteil vom 27. Au-gust 2013 2 StR 148/13 [juris] mit weit. Nachweisen).
Vom Vorliegen eines bedingten Vorsatzes muss sich der Tatrichter wie vom Vorlie-gen der übrigen Tatbestandsmerkmale auch auf der Grundlage einer Gesamt-schau aller objektiven und subjektiven Tatumstände überzeugen (§ 261 StPO). Bei-de Vorsatzelemente müssen zudem durch tatsächliche Feststellungen belegt werden (BGH, Urteil vom 27. August 2013 a.a.O.). Seine Beweiswürdigung hat das Revisi-onsgericht regelmäßig hinzunehmen. Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sach-lich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze ver-stößt (BGH, Urteile vom 12. Februar 2015 4 StR 420/14 [juris]; vom 18. Januar 2011 1 StR 600/10 [juris] = NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 2 StR 636/97 [juris]). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 4 StR 360/12 [juris]). Dazu gehört auch, dass der Tatrichter in seine Erwägungen auch diejenigen Umstände einbezieht, die seine Überzeugung vom Vorliegen eines bedingten Vorsatzes in Frage stellen können.
Diesen Anforderungen wird die Beweiswürdigung zum bedingten Körperverletzungs-vorsatz des Angeklagten nicht gerecht. Es fehlt die Auseinandersetzung mit der sich unter den gegebenen Umständen aufdrängenden Frage einer nur fahrlässigen Be-gehungsweise. Ausweislich der Urteilsgründe ist nicht in Erwägung gezogen worden, dass der Angeklagte bei Aushändigung des Brotes an den Zeugen S. die Möglichkeit der Verletzung verkannte. In den Feststellungen heißt es zum subjektiven Tatbe-stand ohne nähere Begründung, der Angeklagte habe die Verletzungsfolge billigend in Kauf genommen. Allein aus dem objektiven Geschehen konnte vorliegend aber noch nicht auf einen bedingten Verletzungsvorsatz des Angeklagten geschlossen werden. Nur bei äußerst gefährlichen Handlungen liegt es allein auf Grund des objek-tiven Tatgeschehens nahe, dass der Täter mit dem Verletzungserfolg rechnet und weil er mit seinem Handel gleichwohl fortfährt einen solchen Erfolg billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juli 1992 5 StR 300/92 [juris]). Eine sol-chermaßen gefährliche Handlung fehlt jedoch vorliegend. Der Darstellungsmangel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache im angegebenen Umfang.
Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen der Körperverletzung sind von dem Fehler in der Beweiswürdigung nicht betroffen. Diese wie auch die das Vergehen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und die persönlichen Verhältnisse betref-fenden Feststellungen sowie die hinsichtlich der Widerstandshandlung festgesetzten Rechtsfolgen weisen keine Rechtsfehler auf und können bestehen bleiben (vgl. Mey-er-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 353 Rdn. 12 und 15). Insoweit ist die Revision des Angeklagten unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO.
An einer eigenen Sachentscheidung gemäß § 354 Abs. 1 StPO ist der Senat gehin-dert, da nicht auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter trotz des Zeitablaufs wei-tere Feststellungen zur Schließung der aufgezeigten Lücke treffen kann (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 58. Aufl., § 354 Rdn. 3).
Der Senat verweist daher die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafkam-mer des Landgerichts zurück.
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