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Entscheidungen

OWi

Täteridentifizierung, Urteilsgründe, Anforderungen, anthropologisches Vergleichsgutachten

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Celle, Beschl. v. 14.10.2015 - 1 Ss OWi 207/15

Leitsatz: Wird ein Schuldspruch auf die Ergebnisse eines Sachverständigengutachtens gestützt, so sind im Urteil die dem Gutachten zu Grunde liegenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen sowie die fachlichen Folgerungen geschlossen und verständlich darzustellen, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Überprüfung einer rechtsfehlerfreien Überzeugungsbildung zu ermöglichen.


1 Ss (OWi) 207/15
Oberlandesgericht Celle
Beschluss
In der Bußgeldsache
gegen pp.
Verteidiger:
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tostedt nach Anhörung und auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den Richter am Oberlandesgericht am 14. September 2015 beschlossen:

Das Urteil des Amtsgerichts Tostedt vom 18. Juni 2015 wird mit den Feststellungen aufgeho-ben und das Verfahren zu neuer Entscheidung auch über die kosten der Rechtsbeschwerde an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Tostedt zurückverwiesen.

Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Betroffene wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße in Höhe von 160 € verurteilt; zugleich wurde ein Fahrverbot von einem Monat Dauer verhängt.

Ausweislich der vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 5. Mai 2014 mit seinem Fahrzeug die BAB 1 in der Gemarkung Dibbersen in, Fahrtrichtung Hamburg in Höhe des dortigen Kilometers 29,9, in dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit durch beid-seitig angebrachte Verkehrszeichen Nummer 274 auf 120 km/h begrenzt ist, mit einer mit dem Gerät Leivtec XV3 mit 154 km/h gemessenen und nach Abzug einer Toleranz von 3 % vom Amtsgericht als vorwerfbar zugrunde gelegten Geschwindigkeit von 149 km/h.

Gegen dieses Urteil wenn sich der Betroffene mit seiner auf die Verletzung formellen und ma-teriellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde.

Während die Verfahrensrüge nicht in der nach §§ 79 Abs. 3 OWiG, 344 Abs. 2 StPO gebote-nen Form und somit unzulässig ausgeführt wurde, konnte der zulässig erhobenen Sachrüge ein zumindest vorläufiger Erfolg nicht versagt bleiben.

Hierzu hat die Generalstaatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Zuschrift ausgeführt:


Die Feststellungen des angefochtenen Urteils zur Identifikation des Betroffenen sind lückenhaft und tragen deshalb den Schuldspruch nicht, insbesondere die Darstellung des anthropologi-schen Sachverständigengutachtens hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Das Amtsgericht hat nicht gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG auf das in der Akte befindliche Messfoto Bezug genommen. Die Erwähnung des Fotos reicht hierfür nicht aus; vielmehr muss die Bezugnahme deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein (vgl. BGH, NJW 1996, 1420, 1421). Das Messfoto steht daher dem Senat als Anschauungsob-jekt nicht zur Verfügung.

Das Amtsgericht hat seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft des Betroffenen nicht auf einen eigenen Abgleich des Messfotos mit dem Erscheinungsbild des Betroffenen in der Hauptverhandlung, sondern ausschließlich auf ein eingeholtes anthropologischen Sachverstän-digengutachten gestützt. Bei einem anthropologischen Vergleichsgutachten handelt es sich nicht um eine standardisierte Untersuchungsmethode (vgl. BGH StV 2000, 125 m. w. N.; OLG Jena NStZ-RR 2009, 116 f.; OLG Celle Nds.Rpfl. 2002, 368, Beschluss vom 11.10.2011 - 322 SsBs 320/11; Beschluss vom 10.05.2012 - 322 SsBs 74/12), bei welcher sich die Darstellung im Wesentlichen auf die Mitteilung des Ergebnisses des Gutachtens beschränken kann.

Wird ein Schuldspruch auf die Ergebnisse eines solchen Sachverständigengutachtens gestützt, so sind im Urteil die dem Gutachten zu Grunde liegenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen sowie die fachlichen Folgerungen geschlossen und verständlich darzustellen, um dem Rechts-beschwerdegericht die Überprüfung einer rechtsfehlerfreien Überzeugungsbildung zu ermögli-chen (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 28. September 2006, 2 Ss OWi 548/06).

Das Urteil muss in einem solchen Fall Ausführungen zur Bildqualität,, insbesondere zur Kon-trastschärfe und Belichtung, enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenarten so präzise beschreiben, dass dem Rechtsbeschwerdegericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Be-trachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit und Eignung des Fotos zur Identifizierung eines Menschen ermöglicht wird. Nach der Qualität des Messfotos richten sich die Darlegungs- und Begründungslast des Gerichts. Je schlechter die Qualität des Fotos ist, desto höher sind die Anforderungen an die Begründung.

Ferner sind die morphologischen Merkmalsausprägungen nicht nur aufzuzählen, sondern nä-her zu beschreiben und die Individualität der Merkmale sowie die sonstige Beweissituation zu berücksichtigen (vgl. BGH, NJW 1996, 1420, 1422; OLG Jena NStZ-RR 2009, 116 f.; OLG Celle, Beschluss vom 06.11.2012 - 311 SsBS 136/12).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

Das Amtsgericht teilt im Rahmen der Darstellung des Sachverständigengutachtens lediglich mit, dass das Beweisfoto von „mittlerer Qualität" sei. Der Kontrast, die Schärfe und die Belich-tung des Bildes werden hingegen nicht thematisiert.

Unklar ist, unter Verwendung welcher technischer Hilfsmittel die Sachverständige bei dem Bild-vergleich die (teilweise) Übereinstimmung verschiedener. Merkmale ermittelt hat (zu den An-forderungen insoweit vgl. OLG Hamm StraFo 2009, 109 f.).

Die von dem Sachverständigen festgestellten 61 Vergleichsmerkmale werden im angefochte-nen Urteil nur teilweise im Bereich der Augenbrauen und Nase näher beschrieben, bei denen der Sachverständige eine „große Ähnlichkeit“ festgestellt hatte. Die Kopfform als weiteres be-sonders individualtypisches Merkmal des Betroffenen mit großer Ähnlichkeit wird demgegen-über lediglich auf dem Messfoto als „rundlich" beschrieben. Zugleich teilt das Urteil aber mit, dass die Kopfform auf dem Messfoto nur teilweise auswertbar gewesen sei. Ob und inwieweit dieser Umstand die Schlussfolgerung zum Ausmaß der Ähnlichkeit beeinflusst haben könnte, erschließt sich aus den Ausführungen nicht. Angesichts der konstatierten bloßen „Ähnlichkeit" in anderen nicht näher beschriebenen Bereichen der Stirn: Augen und Ohren kann der Senat insgesamt nicht nachvollziehen, wie der Sachverständigen und ihm folgend das Amtsgericht zu der zweithöchsten Einstufung nach Schwarzfischer „Identität höchst wahrscheinlich" gekom-men ist.

Es kann letztlich offen bleiben, ob weitere Ausführungen zur Merkmalshäufigkeit und dem biostatistischen Vergleichsmaterial erforderlich waren (so: OLG Celle, 2. Bußgeldsenat, Nds.Rpfl 2002, 368; Beschluss vom 09.10.2009 322 SsBs 238/09; Beschluss vom 11.10.2011 - 322 SsBs 320/11; Beschluss vom 20.03.2012 - 322 SsBs 54/12; Beschluss vorn 10.05.2012 - 322 SsBs 74/12; a.A,: OLG Cello, 1. Bußgeldsenat, Beschluss vom 06.11.2012 - 311 SsBs 136/12).

Ausführungen zu sonstigen Beweissituation, insbesondere zu weiteren Beweisanzeichen (Hal-tereigenschaft, Ortskenntnis pp.) enthält das angefochtene Urteil nicht. Das Urteil kann dem-nach keinen Bestand haben.

Diesen zutreffenden Ausführungen kann der Senat sich nur anschließen.

Einsender: RA Sommer, Herne

Anmerkung:


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