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Entscheidungen

Verwaltungsrecht

Polizeibeamtin, Mutterschutz, Stillzeit

Gericht / Entscheidungsdatum: VG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 02.12.2015 - VG 2 L 882/15

Leitsatz: Zur Gewährung von Stillzeiten für eine Polizeibeamtin.


VERWALTUNGSGERICHT FRANKFURT (ODER)
BESCHLUSS
VG 2 L 882/15
In dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren
hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder)
am 2. Dezember 2015 durch
den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichts, den Richter am Verwaltungsgericht und die Richterin am Verwaltungsgericht beschlossen:

1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin bis zum Abstillen, weitere Stillzeiten, längstens bis zum 31. März 2016, zu gewähren.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe:
I.
Die Antragstellerin steht als Polizeibeamtin im Dienste des Antragsgegners. Unter dem 23. Juli 2015 beantragte sie die Bewilligung von Stillzeiten in Höhe von einer Stunde täglich für ihren am 07. Juli 2014 geborenen Sohn H. Mit Bescheid vom 14. August 2015 lehnte das Polizeipräsidium des Landes Brandenburg den Antrag ab, da der Anspruch gemäß § 7 MuSchG nicht auf unbestimmte Zeit bestehe. Zwar sei eine zeitlich festgelegte Obergrenze im Gesetz nicht vorgesehen, dennoch sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber einen bezahlten Freistellungsanspruch ganz ohne zeitliche Begrenzung nicht gewollt habe, so dass davon auszugehen sei, dass eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Freistellung der stillenden Mütter spätestens dann nicht mehr gegeben sei, wenn das Kind das erste Lebensjahr vollendet habe. Den Widerspruch der Antragstellerin vom 31. August 2015 wies das Polizeipräsidium des Landes Brandenburg mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2015, der Antragstellerin am 13. Oktober 2015 zugestellt, zurück und führte ergänzend zur Begründung aus, dass eine gesetzesimmanenten Zeitgrenze für den Schutz der Stillenden dort zu suchen sei, wenn es sich bei dem Kind nicht mehr um einen „Säugling“ handele, womit ein Kind im ersten Lebensjahr bezeichnet werde. Ein längeres Stillen aufgrund der autonomen Entscheidung der Mutter sei ihrer Privatsphäre zuzuweisen. Die Frage nach der Dauer der Stillzeit könne nicht allein der autonomen Entscheidung der Mutter überlassen werden, da ansonsten durch eine betriebliche Übung Präzedenzfälle geschaffen würden, welche dazu führten, dass in gleichartigen Fällen die Frage nach der Dauer der Stillzeit völlig beliebig bestimmt werden könne. Der Dienstherr könne nicht verpflichtet sein, praktisch unbegrenzt bezahlte Stillzeiten und somit Freistellungen von der Dienstpflicht zu gewähren.

Die Antragstellerin hat am 05. November 2015 Klage (VG 2 K 1612/15) erhoben und den vorliegenden Antrag gestellt.

Sie macht geltend, dass hinsichtlich der Frage, bis zu welchem Lebensalter des Kindes bezahlte Stillzeiten zu gewähren sei, die Vorschrift des § 7 MuSchG keine zeitliche Begrenzung beinhalte. Das durch § 7 MuSchG geschützte und geförderte Stillen des Kindes diene nicht nur der Gesundheit der Mutter, sondern auch der Mutter-Kind-Beziehung und damit der Förderung der Entwicklung des Kindes in psychischer und sozialer Hinsicht. An einer zeitlichen Höchstbegrenzung bestehe auch kein Bedürfnis, da der Dauer der Stillfähigkeit bereits natürliche Grenzen gesetzt seien und die zeitliche Begrenzung des Anspruchs der gesetzlichen Vorschrift ohnehin immanent sei. Es sei auch ein Anordnungsgrund gegeben, da ihr ein Abwarten bis zur Entscheidung des Hauptsacheverfahrens nicht zugemutet werden könne, da zu die-sem Zeitpunkt ein Stillen nicht mehr möglich sei. Sie könne auch nicht auf eventuelle Zeitguthaben oder anschließende finanzielle Abgeltungen verwiesen werden.

Die Antragstellerin beantragt,
den Antragsgegner zu verpflichten, ihr weitere Stillzeiten, mindestens jedoch bis zum 31. März 2016 zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.

Er trägt vor, dass aus den Gründen der angefochtenen Bescheide kein Anordnungsanspruch bestehe und auch kein Anordnungsgrund vorliege, da die Antragstellerin zum Zwecke des Stillens ihres Kindes von ihren Dienstpflichten freigestellt werden könne. Sie könne die vielfältigen unentgeltlichen Freistellungsmöglichkeiten nutzen. Würde im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens festgestellt werden, dass sie einen Anspruch auf entgeltliche Freistellung zur Seite gestanden habe, wäre das zwischenzeitlich angefallene Zeitguthaben zu erfassen und die Antragstellerin durch dessen anschließende Abgeltung schadlos zu stellen.

II.
Der gemäß § 123 Abs. 1 VwGO zulässige Antrag ist begründet.

Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert wer-den könnte (Sicherungsanordnung). Gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO sind hierfür ein Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Gemäß § 7 Abs. 1 MuSchG ist stillenden Müttern auf ihr Verlangen die zum Stillen erforderliche Zeit, mindestens aber zweimal täglich eine halbe Stunde oder einmal täglich eine Stunde freizugeben. Bei einer zusammenhängenden Arbeitszeit von mehr als 8 Stunden soll auf Verlangen zweimal eine Stillzeit von mindestens 45 Minuten oder, wenn in der Nähe der Arbeitsstätte keine Stillgelegenheit vorhanden ist, einmal eine Stillzeit von mindestens 90 Minuten gewährt werden. Gemäß § 7 Abs. 2 MuSchG darf durch die Gewährung der Stillzeit kein Verdienstausfall eintreten. Die Stillzeit darf von stillenden Müttern nicht vor- oder nachgearbeitet und nicht auf die in dem Arbeitszeitgesetz oder in anderen Vorschriften festgesetzten Ruhepausen angerechnet werden.

Es ist nicht Ziel von § 7 MuSchG, stillenden Beamtinnen allgemein eine Entlastung durch Verminderung ihrer Arbeitszeit zu gewähren. Vielmehr erstrebt die Vorschrift einen sachgerechten Ausgleich zwischen dem hergebrachten und in Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich verankerten Grundsatz der vollen Dienstleistungspflicht des Beamten und der damit korrelierenden Alimentationspflicht des Dienstherrn einerseits und der gleichfalls hergebrachten Fürsorgepflicht des Dienstherrn sowie dem allgemeinen Schutzanspruch jeder Mutter nach Art. 6 Abs. 4 GG andererseits (BVerwG, Urteil vom 30. Juni 1988 - 2 C 60.86 -, BVerwGE 79, 366). Eine Freistellung von der Arbeitsleistung zum Zweck des Stillens nach § 7 Abs. 1 MuSchG kann daher nur erfolgen, wenn eine Arbeitsleistung erbracht wird (vgl.: BVerwG, a. a. O. unter Bezugnahme auf BAG, Urteil vom 3. Juli 1985 - 5 AZR 79/84 -, juris).

Die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 MuSchG liegen für die begehrte Zeit bis 31. März 2016 bzw. zu dem Abstillen vor. Entgegen der Ansicht des Antragsgegners ist die Vorschrift nicht auf die Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes begrenzt. Maßgeblich ist nur, dass die Mutter stillt. Die Vorschrift enthält auch nicht den Begriff des „Säuglings“. Eine entsprechende Einschränkung der Vorschrift kann nach der Wesentlichkeitstheorie, wonach alle wesentlichen Entscheidungen durch den Gesetzgeber selbst zu treffen sind und nicht der Verwaltung überlassen werden dürfen (vgl. BVerfGE 49, 8; 84, 212, 226), nur der Gesetzgeber treffen. Der Umstand, dass der Gesetzgeber bislang auf eine zeitliche Einschränkung verzichtet hat, spricht gerade dafür, dass nur maßgeblich ist, dass die Mutter noch stillt und eine entsprechende Zeit dafür beansprucht.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Denn ein Abwarten bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache würde dazu führen, dass sie ihres gesetzlich garantierten Anspruch verlustig gehen würde, was ihr nicht zuzumuten ist. Sie braucht sich insoweit auch nicht für den Fall des Obsiegens im Hauptsacheverfahren auf Sekundäransprüche – finanzielle Erstattung des Zeitguthabens - verweisen zu lassen. In Anbetracht dessen ist auch im Hinblick auf die gemäß Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Effektivität des Rechtsschutzes die Vorwegnahme der Hauptsache geboten, weil ansonsten der Anspruch der Antragstellerin vereitelt würde.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG.

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