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Entscheidungen

Zivilrecht

Bearbeitungsgebühr, Ladendiebstahl, zulässige Höhe

Gericht / Entscheidungsdatum: AG Berlin-Spandau, Urt. v. 28.12.2015 - 6 C 444/15

Leitsatz: Eine Bearbeitungsgebühr“ im Falle eines Ladendiebstahls von 100 EUR ist unzumutbar hoch.


Amtsgericht Spandau
Geschäftsnummer: 6 C 444/15
Im Namen des Volkes
Urteil
In dem Rechtsstreit
pp.
hat das Amtsgericht Spandau, Abt. 6, ohne mündliche Verhandlung am 28. Dezember 2015 durch den Richter am Amtsgericht für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger € 100,- zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:
Die Beklagte betreibt in der S-Straße einen Supermarkt. Am 19. März 2015 erwarb der Kläger dort Waren im zum Preis von insgesamt € 14,92. Er verließ sodann die Geschäftsräume, ohne eine Teewurst im Wert von € 1,99 bezahlt zu haben, die er in seine Jackentasche gesteckt hatte. Im Anschluss hieran ließ sich die Beklagte eine „Bearbeitungsgebühr“ von € 100,- „zur Abgeltung der durch den Diebstahl entstandenen Kosten“ zahlen.

Diesen Betrag fordert der Kläger mit der Klage zurück.

Er beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 100,- zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, sie habe mit dem Kläger aufgrund eines im Ladengeschäft deutlich sichtbaren Aushanges eine Vertragsstrafe vereinbart.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Kläger hat gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB Anspruch auf Rückzahlung der 100,-- EUR. Dieser Geldbetrag steht der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

Zum einen ergibt sich ein Zahlungsanspruch der Beklagten nicht aus §§ 280, 823 Abs. 1 und 2 BGB in Verbindung mit der von dem Kläger unterschriebenen vorformulierten Erklärung auf der „Meldung eines Ladendiebstahls“. Allerdings schuldet ein Ladendieb dem Geschädigten auch Ersatz dessen Aufwendungen zur Abwehr des durch seine Tat heraufbeschworenen Schadens (Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. November 1979 - VI ZR 254/77 [unter II.2.a]). Es lässt sich aber nicht feststellen, dass der Beklagten ein Vermögensschaden entstanden ist. „Bearbeitungskosten“ sind nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a. a. O. unter II.1.) kein ersatzfähiger Schaden. Daran ändert auch nichts der Umstand, dass der Kläger den Text „ich bin bereit, zur Abgeltung der durch den Diebstahl entstandenen Kosten nebenstehende Bearbeitungsgebühr zu zahlen“ unterschrieben hat. Diese Klausel ist eine allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 BGB), die gemäß § 309 Nr. 5 BGB unwirksam ist, weil sie sowohl die Höhe des gewöhnlich zu erwartenden Schadens übersteigt (§ 309 Nr. 5 lit. a BGB) als auch dem Kläger nicht ausdrücklich den Nachweis gestattet, dass der Schaden niedriger ist als der Pauschalbetrag (§ 309 Nr. 5 lit. b BGB).

Zum anderen stehen der Beklagten die € 100,- auch nicht als Vertragsstrafe zu. In Höhe von € 25,- folgt dies schon daraus, dass der von der Beklagten in Bezug genommene Ladenaushang die Vertragsstrafe lediglich mit € 75,- beziffert. Doch auch in dieser Höhe hat die Beklagte keinen Zahlungsanspruch, weil der Kläger kein wirksames Vertragsstrafenversprechen abgegeben hat. Der durch Aushang bekannt gemachte Text konnte nicht zu einer entsprechenden Vereinbarung führen. Die neuere Rechtslehre verneint mit unterschiedlicher Begründung die rechtliche Möglichkeit der Vereinbarung einer Vertragsstrafe im Wege des Ladenaushanges (Gottwald in: MünchKomm-BGB, 7. Aufl., Rdnr. 52 vor § 339; Grüneberg in: Palandt, BGB, 74. Aufl., § 339 Rdnr. 9; Rieble in Staudinger, BGB (2015) § 339 Rdnr. 33, der die vor Geltung des AGBG ergangene und deshalb überholte Entscheidung des AG Schöneberg, auf die sich die Beklagte bezieht, als „absurd“ bezeichnet). Die von der Beklagten verwendete Klausel ist jedenfalls gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, weil sie den Kläger wider Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Eine solche Benachteiligung kann darin liegen, dass die Vertragsstrafe unangemessen hoch ist (Grüneberg a. a. O. Rndr. 12; Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01 [Rdnr. 56 bei juris]). So liegen die Dinge hier:
Eine Vertragsstrafe hat eine doppelten Zweck. Sie soll Druck auf den Vertragspartner im Sinne vertragsgerechten Verhaltens ausüben und eine erleichterte Schadloshaltung ohne Einzelnachweis ermöglichen (BGH a. a. O.; Grüneberg a. a. O. Rdnr. 1). Beide Funktionen rechtfertigen eine Vertragsstrafe in der in Rede stehenden Höhe nicht:

Da sich einerseits ein Ladendieb zur Minimierung des Risikos, entdeckt zu werden, auf die Entwendung weniger und von den Ausmaßen her nicht umfangreicher Waren beschränken wird, und andererseits das Sortiment von Supermärkten wie dem von der Beklagten betriebene durch Waren mit niedrigen Preisen gekennzeichnet ist, wird der Wert der entwendeten Waren in der Regel nur einen geringen Bruchteil der von der Beklagten ausbedungenen Vertragsstrafe ausmachen. So beträgt auch im vorliegenden Fall der Kaufpreis der entwendeten Teewurst lediglich 2,65% von € 75,- Diese Diskrepanz lässt sich nicht rechtfertigen. Für einen Teilbereich, in dem Kunden durch die Androhung von Vertragsstrafen zur Unterlassung von Manipulationen und Zahlung des Kaufpreises angehalten werden sollen, nämlich bei der Lieferung von Gas und Strom, sehen die §§ 10 GasGVV und 10 StromGVV jeweils an der Dauer des unbefugten Verbrauchs orientierte (Abs. 1) bzw. auf das Zweifache des geschuldeten Kaufpreises begrenzte (Abs. 2) Vertragsstrafen vor und ermöglichen auf diese Weise eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Demgegenüber lässt es der Festbetrag der hier zu beurteilenden Klausel nicht zu, den Besonderheiten des Einzelfalles und insbesondere der Geringfügigkeit des entwendeten Gegenstandes Rechnung zu tragen mit der Folge, dass - wie hier - ein grobes Ungleichgewicht entstehen kann.

Der weitere Gesichtspunkt der erleichterten Schadloshaltung tritt vorliegend ohnehin in den Hintergrund. So macht die Beklagte auch nur ihr Interesse daran geltend, sich vor Ladendiebstählen zu schützen. Auf einen mit der Vertragsstrafe abzugeltenden Vermögensschaden beruft sie sich selbst nicht. Ein mit einem Ladendiebstahl in Zusammenhang stehender Vermögensschaden dürfte auch - anders als etwa der Verzugsschaden bei Überschreitung von Fertigstellungsterminen im Baugewerbe (vgl. das Versäumnisurteil des BGH vom 23. Januar 2003 - VII ZR 210/01) unschwer zu beziffern sein. Im Übrigen gilt auch hier, dass die starre Festlegung auf € 75,- außer Verhältnis zu dem ersatzfähigen Schaden stehen kann und dies im vorliegenden Fall auch tut. Ein Sachschaden - in Höhe des Kaufpreises kann der Beklagten aufgrund des Diebstahls allenfalls dann entstehen, wenn das Diebesgut aufgrund von im Zusammenhang mit der Entwendung verursachten Beschädigungen nicht mehr zum Verkauf angeboten werden kann. Zusätzliche regelmäßig entstehende ersatzfähige Kosten sind darüber hinaus nicht ersichtlich. „Bearbeitungsgebühren“ sind - wie schon erwähnt - kein ersatzfähiger Schaden. Dies gilt auch für die Kosten der zur Verhinderung und Aufdeckung von Diebstählen installierten Kameras und Monitore (Bundesgerichtshof, Urteil vom 6. November 1979 - VI ZR 254/77 [unter II.2.a.aa]). Ob die Beklagte ihren Mitarbeitern für die Überführung eines Ladendiebes eine Fangprämie versprochen hat und zahlt, bedarf keiner Klärung. Eine solche Prämie kann zwar einen ersatzfähigen Vermögensschaden darstellen (BGH a. a. O. unter II.2.). Sie kann aber bei der abstrakten Beurteilung der Angemessenheit einer Vertragsstrafe keine Berücksichtigung finden. Denn ob eine Fangprämie zu dem durch einen Ladendiebstahl verursachten Vermögensschaden gehört, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (a. a. O. unter II.2.b.bb) kann die Erhebung einer Pauschale in Bagatellfällen - die in Supermärkten nicht selten sein dürften - unzulässig sein.

Dem Bereicherungsanspruch des Klägers steht nicht § 814 BGB entgegen. Nach dieser Vorschrift ist eine Rückforderung u. a. dann ausgeschlossen, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Dies setzt positive Kenntnis der Rechtslage im Zeitpunkt der Leistung voraus (Sprau in: Palandt, § 814 Rdnr. 4). Dass der Kläger eine entsprechende Kenntnis gehabt habe, behauptet die Beklagte, die ihrerseits den Standpunkt vertritt, der Kläger sei zur Leistung verpflichtet gewesen, selbst nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 511 Abs. 4 ZPO.


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