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Entscheidungen

StGB/Nebengebiete

Eintagsküken, Tierschutz, Tierschutzgesetz, Strafbarkeit

Gericht / Entscheidungsdatum: OLG Hamm, Beschl. v. 10.05.2016 - 4 Ws 113/16

Leitsatz: Die Praxis des Tötens von männlichen Eintagsküken zur Vermeidung von wirtschaftlichen Nachteilen stellt keinen Verstoß gegen die Strafvorschrift des § 17 Nr. 1 Tierschutzgesetz dar.


Strafsache
In pp.
hat der 4. Strafsenat des Oberlandesgericht Hamm am 10.05.2016

1. Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Münster vom 09.03.2016 gegen den Beschluss der 2. Strafkammer des Landgerichts Münster vom 07.03.2016, mit welchem diese die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 06.11.2015 nicht zur Hauptverhandlung zugelassen, sondern den Antrag auf Eröffnung des Hauptverfahrens aus rechtlichen Gründen abgelehnt und dem Angeschuldigten für die erlittenen Durchsuchungsmaßnahme am 31.07.2015 eine Entschädigung aus der Staatskasse zugesprochen hat, ist gemäß § 210 Abs. 2 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

In der Sache ist die sofortige Beschwerde aber aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, die durch das Beschwerdevorbringen nicht ausgeräumt werden, unbegründet.

Lediglich ergänzend merkt der Senat folgendes an:

Nach § 17 Nr. 1 TierSchG wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet.

Bei § 17 Nr. 1 TierSchG handelt es sich um einen zulässigerweise offenen Tatbestand, bei dem sich erlaubte und verbotene Handlungen ähneln und nur durch eine gesonderte Prüfung der Gesamtumstände des Einzelfalls festgestellt werden kann, ob das jeweils zu beurteilende Verhalten rechtlich verboten ist (vgl. Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 206. Ergänzungslieferung, Stand Januar 2016, § 1 TierSchG Rn. 23 und § 17 TierSchG Rn. 1). Dabei kann im vorliegenden Fall offen bleiben, ob es sich bei dem vernünftigen Grund im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG um ein gesamttatbewertendes Tatbestandsmerkmal oder um einen Rechtfertigungsgrund handelt (vgl. zum Meinungsstand: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.06.2011, Az. 2 Ss 82/11).

Ein vernünftiger Grund zum Töten eines Tieres im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG liegt grundsätzlich dann vor, wenn er als triftig, einsichtig und von einem schutzwürdigen Interesse getragen anzuerkennen ist, und wenn er unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse des Tieres an seiner Unversehrtheit (Oberlandesgericht des Landes Sachsen Anhalt, Beschluss vom 28.06.2011, Az. 2 Ss 82/11; Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 206. Ergänzungslieferung, Stand Januar 2016, § 1 TierSchG Rn. 24). In den Fällen, in denen – wie hier – der Gesetzgeber nicht selbst die Grenze des Erlaubten gezogen hat, ist das Vorliegen eines vernünftigen Grundes im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG bzw. die Frage, ob die tatbestandsmäßige (Tötungs-) Handlung nicht als im Lebenszusammenhang gerechtfertigt bzw. sozial adäquat erscheint, anhand einer am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Güter- und Interessenabwägung zu ermitteln und beurteilen (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 28.06.2011, Az. 2 Ss 82/11; Kammergericht NStZ 2010, 175; OLG Koblenz NStZ-RR 2000, 155; Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 206. Ergänzungslieferung, Stand Januar 2016, § 1 TierSchG Rn. 28). Das Tierschutzgesetz strebt dabei nicht an, Tieren jegliche Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens zu ersparen, sondern wird beherrscht von der dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechenden Forderung, Tieren nicht ohne vernünftigen Grund, vermeidbare, das unerlässliche Maß übersteigende Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen (OLG Celle, Urteil vom 12.10.1993, Az. 2 Ss 107 40/93). Als vernünftige Gründe im Sinne des § 17 Nr. 1 TierSchG sind im Allgemeinen alle erdenklichen ökonomischen Ziele, die Nutzung des Tieres zu Nahrungszwecken des Menschen oder zu wissenschaftlichen Zwecken sowie die Verwendung als Futtermittel anerkannt.

Bei der unter Berücksichtigung dieser Grundsätze im vorliegenden Fall zur Ausfüllung und Auslegung des § 17 Nr. 1 TierSchG vorzunehmenden Güter- und Interessenabwägung ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Verordnung (EG) des Rates der Europäischen Union Nr. 1099/2009 vom 24.09.2009 über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung und auch die diese umsetzende Verordnung zum Schutz von Tieren im Zusammenhang mit der Schlachtung oder Tötung und zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 1099/2009 des Rates (Tierschutz-Schlachtverordnung – TierSchlV) des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vom 20.12.2012 detaillierte Regelungen über das technische Verfahren zur Tötung von männlichen Eintagsküken nach dem Schlupf enthalten. Bei diesen Verordnungen handelt es sich zwar nicht um förmliche (Parlaments-) Gesetze, dennoch sind sie bei der Konkretisierung und der Auslegung des offenen Tatbestandes des § 17 Nr. 1 TierSchG von maßgeblicher Bedeutung. Diese Verordnungen regeln zwar lediglich das Verfahren zur Tötung von männlichen Eintagsküken, d. h. die Frage nach dem „wie“, wohingegen die Frage, ob das Töten von Tieren bzw. im vorliegenden Fall die Tötung von männlichen Eintagsküken überhaupt zulässig ist und welche Voraussetzungen hierfür vorliegen müssen, sich grundsätzlich nach den Regelungen des Tierschutzgesetzes bestimmt. Dennoch sind die Verordnungsgeber bei Erlass dieser Verordnungen offenbar und denknotwendig davon ausgegangen, dass das Töten von männlichen Eintagsküken spezieller Legerassen nach dem Schlupf aus wirtschaftlichen Gründen bzw. zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile generell zulässig ist. Anderenfalls wären die beiden Verordnungen und die darin enthaltenen umfangreichen und detaillierten Regelungen über das technische Verfahren zur Tötung von männlichen Eintagsküken überhaupt nicht veranlasst oder erforderlich gewesen.

Darüber hinaus ist für die Auslegung des § 17 Nr. 1 TierSchG von erheblicher Bedeutung, dass ausweislich der Unterlagen und Materialien zu den jüngsten Bestrebungen und Gesetzesvorhaben zur Änderung des Tierschutzgesetzes, mit welchen insbesondere das Ziel verfolgt wird, die Praxis des routinemäßigen Tötens von männlichen Eintagsküken zu beenden, offenbar auch der Gesetzgeber bzw. die an dem Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe davon ausgehen, dass das Töten von männlichen Eintagsküken spezieller Legerassen nach dem Schlupf aus wirtschaftlichen Gründen zumindest nach der derzeit bestehenden Gesetzeslage, insbesondere nach den bisherigen Regelungen des Tierschutzgesetzes, zulässig ist. Die angestrebte Änderung des Tierschutzgesetzes wäre wiederum denknotwendig überhaupt nicht erforderlich, wenn das Töten von männlichen Eintagsküken aus wirtschaftlichen Gründen bzw. zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile bereits nach der derzeit geltenden Gesetzeslage strafbar wäre. Insoweit soll es nach den Materialien zu diesen Gesetzesvorhaben und insoweit entgegen der Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft auch erst „künftig“ verboten sein, ein Tier allein zur Vermeidung von wirtschaftlichen Nachteilen zu töten. Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, dass das allgemeine Bewusstsein für die Notwendigkeit eines umfassenden, auch die Tiere einbeziehenden Lebensschutzes in den letzten Jahren eine kontinuierliche Steigerung erfahren habe, wobei diese Weiterentwicklung der Werteordnung dazu führen könne, dass früher kritiklos hingenommene Nutzungsarten und Umgangsformen heute nicht mehr als vernünftig bzw. rechtfertigend gelten, wenn sie aufgrund geänderter ethischer Einstellungen mit den gegenwärtigen Wertvorstellungen zur Mensch-Tier-Beziehung nicht mehr in Einklang stehen (vgl. die Begründung des Gesetzesantrag des Landes Nordrhein Westfalen vom 30.06.2015 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes (Bundesratsdrucksache 310/15) und die Begründung des Gesetzentwurfes des Bundesrates vom 11.11.2015 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes (Bundestagsdrucksache 18/6663)).

Schließlich kann die „bloße Änderung“ der ethischen Einstellung und der Wertvorstellungen in der Bevölkerung zu der Beziehung zwischen Mensch und Tier – wie das Landgericht bereits zutreffend ausgeführt hat – nicht ohne weiteres dazu führen, dass die jahrelang angewandte und aus Sicht der Behörden stets geduldete Praxis des Tötens von männlichen Eintagsküken zur Vermeidung von wirtschaftlichen Nachteilen nunmehr ohne ein gesetzgeberisches Tätigwerden strafbar sein soll. Dies stellt auch aus Sicht des Senats einen Verstoß gegen das in Art. 103 Abs. 2 GG grundgesetzlich verankerte und in § 1 StGB gleichlautend festgeschriebene Bestimmtheitsgebot dar, wonach eine Tat nur dann bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Für eine solche Auslegung des § 17 Nr. 1 TierSchG bedarf es unter Berücksichtigung des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG auch aus Sicht des Senats vielmehr einer (klarstellenden) gesetzgeberischen Entscheidung. Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass über die Strafbarkeit der Tötung von männlichen Eintagsküken spezieller Legerassen nach dem Schlupf aus wirtschaftlichen Gründen bzw. zur Vermeidung wirtschaftlicher Nachteile in der Rechtsprechung offenbar bislang noch nicht entschieden worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 2 S. 1 StPO.


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